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Lied »Wenn der Frühling ans die Berge steigt«, so unorten- lo lisch wie nur möglich. Im ganzen möchte ich die Wendung, das; Badenstedt das Gold Goethes, Rückerts, Daumers in Schei demünze umgesetzt habe und diese dann natürlich »kurant« geworden sei, noch heute festhalten — die neueren Literatur historiker sind auch mit mir alle der Ansicht, daß der Dichter einmal sehr überschätzt worden sei. Munterkeit und Frische ge stehe ich ihm jedoch auch in meiner schärfsten Kritik »och ^,u, und seine sprachliche und verstechnische Gewandtheit ist natür lich auch nicht zu leugnen. Es mag bei dem Schlagwort »der Horaz der deutschen Bourgeoisie« bleiben. Ist der spezifisch- dichterische und auch der geistige Wert der Sammlung gering (man vergleiche einmal das viele Gemeinplätzliche unter dem Spruchartigen), so sind doch der formale und der Zeit-Wert nicht zu bestreiten. Es wird im deutschen Volke auch immer Genießer geben, deren poetisches Bedürfnis der heiter verständige Baden stedt und verwandte Naturen vollauf befriedigen. Die Jahre 1847 bis 1894 waren für Badenstedt noch ziem lich unruhig: er wechselte häufiger seinen Aufenthaltsort und war auch journalistisch beschäftigt. Auf die »Lieder des Mirza Schaffst« folgten 1852 »Gedichte«, die später den Untertitel »Aus der Heimat und Fremde« erhielten und 1854 durch einen neuen Band »Altes und Neues« vermehrt wurden. Selbst Prutz nennt sie etwas nüchtern, doch finden sich einzelne Stücke, die den vier oder fünf guten lyrischen »Gedichten des Mirza Schaffy« einigermaßen gleichkommen. In demselben Jahre noch ver öffentlichte Bodenstedt »Lcrmontows Poetischen Nachlaß« und 1854/55 »Alexander Puschkins poetische Werke« in Übersetzung. Ein Versuch, zu höherer Dichtung emporzukommen, war das epische Gedicht »Ada, die Lhesgierin« (1853), doch gilt es selbst bei Badenstedts Freunden als mißlungen. Nur die Natur- und Sittenschildcrung in dem Werke wird gelobt. Im April 1854 erhielt Bodenstedt, der sich damals in der Nähe des Herzogs Ernst II. von Sachsen-Koburg-Gotha aufhielt, vom König Maximilian II. von Bayern den Ruf als Professor der slawi schen Sprachen und Literatur an die Universität München, und er nahm an. Damit tritt er nun dem Münchener Dichterlreis nahe, zu dem er wegen seiner Weltliteratur-Bestrebungen und doch auch nach den: Charakter seiner Lyrik recht Wohl patzt. Merk würdigerweise wendet er sich aber jetzt trotz seiner Professur von den slawischen Literaturen ab und der englischen Literatur zu: 1858 beginnt sein dreibändiges Werk »Shakespeares Zeitge nossen und ihre Werke« zu erscheinen, über welches er mit Fried rich Hebbel in eine Polemik geriet. Hebbel sagte ihm, dem Mann der sieben Zungen, in dem nach dem Werk betitelten gro ßen und wichtigen Aufsätze der »Wiener Zeitung«, der jetzt in seinen Werken steht, allerlei Böses, und Bodenstedt hielt es dann doch für gut, einzulenken. Der englischen Literatur blieb er noch lange treu, wie er denn auch die »Deutsche Shakespeare- Gesellschaft« mit gründete: »Shakespeares Sonette« und »Shake speares dramatische Werke« (in Verbindung mit anderen, 1868 —1879), »Shakespeares Tagebuch« (1866/67) und »Shakespeares Franencharaktcre« sind die hicrhcrgchörigen Werke. - Im Jahre 1867 wurde Bodenstedt, der inzwischen auch zwei Dramen, einen »Demetrius« (1856) und »König Autharis Brautfahrt« (1860), sowie ein Festspiel zur Schillerfeier veröffentlicht hatte, vom Herzog von Meiningen znm Intendanten des Meininger Hof- thcatcrs ernannt und gleichzeitig in den Adelsstand erhoben, doch dauerte seine Thcaterleilung nicht lange: schon 1869 wurde er zur Disposition gestellt und schied 1873 gänzlich aus seiner Stellung. Er hat außer den genannten Dramen in dieser Zeit noch eine ganze Reihe dichterischer Werke herausgegeben, die aber alle ohne größere» Erfolg geblieben sind: »Epische Dich tungen«, 1862, »Kleinere Erzählungen«, 1863. »Ernst Bleib treu«, Erzählung (1863), »Auserwählte Dichtungen« (1865), »Nene Kriegslicder« und »Zeitgcdichte« (1870), »Aus deutschen Gauen«, Erzählungen (1871), »Vom Hofe Elisabeths und Ja kobs«, Erzählungen (1871), »Kleine Geschichten aus fernem Land« (1872), »Das Herrenhaus im Eschenwalde«, Roman (1872). Ich habe vor Zahlen einen Teil der Erzählungen Ba denstedts gelesen und von ihnen doch nur einen sehr mäßigen Eindruck erhalten. Im besonderen die Erzählungen »Vom Hofe Elisabeths und Jakobs« schweben mir als reine historische Relation vor. — Nach seinem Scheiden von Meiningen lebte Bodenstedt längere Zeit auf einem Schlosse der Etatsrätin Donner in Neumühlen bei Altona und seit 1878 in Wiesbaden. Er war nach wie vor ein sehr berühmter Mann, was u. a. auch daraus hervorgeht, daß er zu einer Vorlesungsrundreise durch Nordamerika aufgefordert und als nomineller Heraus geber der »Täglichen Rundschau« geworben wurde. Am 18. April 1892 ist er dann in Wiesbaden gestorben. Die zweite Hälfte von Äodenstedts Schaffen, die man Wohl als das seiner Mutzezeit bezeichnen kann, beginnt mil der Ge dichtsammlung »Aus dem Nachlasse Mirza Schaffys« (1874), die, obwohl schwach, nicht ohne Erfolg gewesen ist — die be rühmte Sammlung wirkte natürlich etwas herüber. Reue Dich tungen sind weiter »Einkehr und Umschau« (1876). In dem gleichen Jahre mit diesen traten auch zwei neue Dramen »Kaiser Paul« und »Wandlungen« unter dem Titel »Theater« hervor, die dramatisch ziemlich wertlos find. Dann wandte sich Bodenstedt wieder der Übersetzung zu und gab nun noch »Der Sänger von Schiras, hafisische Lieder« (1877) und »Die Lieder und Sprüche des Omar Chajjüm verdeutscht« (188I>, beides Leistungen von dauerndem Werte, heraus. Seine tetzteu Sammlungen eigener Poesie sind »Aus Morgenland und Abende land, Gedichte und Sprüche« (1882) und »Neues Leben« (1886). Dann hat er auch noch ziemlich viel Erzählungen, darunter den Roman »Die letzten Falkenburgcr«, die beiden Dichtungen »Saknntala« und »Theodora« und eine Reihe Anthologien ge geben. Wichtiger sind seine autobiographischen Schriften: »Aus ineinem Leben« (1. Bd. »Eines Königs Reise«, 1879, eine Reise mit Maximilian von Bayern schildernd), »Vom Atlantischen zum Stillen Ozean« (1882, die Schilderung seiner Vortrags reise) und »Erinnerungen aus meinem Leben«, 2 Bdc. (1888). »Gesammelte Schriften Badenstedts sind in 12 Bänden schon 1865—1869 hervorgetreten, die vollständige Gesamtausgabe seiner Werke hat er aber trotz seiner persönlichen Beliebtheit doch nicht herausgebracht, und ich glaube nicht, daß sie je kommen wird. Dagegen ist gleich nach seinem Tode »Friedrich von Bodenstedt, ein Dichterlebcn in seinen Briefen 1850—1892«, herausgegebeu von G. Scheint, erschienen, Erinnerungen an ihn veröffentlichte C. v. Lützow, und Essays über ihn schrieben Ernst Ziel und Adolf Stern. Ich fragte diesen letzteren einmal, weshalb er Bodenstedt denn so mild behandelt habe (er lehn! freilich auch die Prosa-Erzählungen und die Dramen ab), und erhielt zur Antwort, daß man seiner Liebenswürdigkeit eben nicht habe widerstehen können. Bodenstedt war allerdings der Mann der Symposien und improvisierten Tafclredcn. Run wer den ja freilich seine Freunde auch schon meistens dahin sein. Als Übersetzer vor allem wird er doch Wohl weiterleben, Shake speares Sonette im besonderen, aber auch manche Russen und Perser in seiner Übersetzung werde» nach 1923 wahrscheinlich noch Neudrucke erhalten. Und dann wäre ich, wie gesagt, für eine billige Neuausgabe von »Tausend und ein Tag im Orient« mit den »Liedern des Mirza Schaffy« — die Lieder allein tun'S nun einmal nicht mehr, wir wollen den jungen deutschen Lehrer zu Tiflis deutlich vor uns sehen, mit seinem Lehrer Mirza Schaffy zusammen und seiner Edlitam (Mathilde) im Herzen, damit uns das Leben, wie es z. B. in »Gelb rollt mir zu Füßen der brausende Kur« durchleuchtet, ganz lebendig wird. Aus der Pfalz. . . ., 7. April ISIS. Bekannte ans Kehl, die, mn eine Anleihe für die Stadt cinzuleiten, Erlaubnis zur Ausreise erhalten hatten, teilten mir mit, daß ein dor tiger Buchbinder, der allerdings auch eine Buchhandlung betreibt und das Geschäft ansbauen wollte, noch kurz vor der Besetzung drei grosze Kisten voll Bücher erhielt nnd jetzt nichts mehr davon auf Lager hat. Da Kehl vollständig von Baden abgcschuitten ist, keine Briefe, Zei tungen usw. aus Deutschland erhält nnd nur auf die minderwertigen Straßburger Blätter oder die Pariser Hetzblätter angewiesen ist, ist das Lescbedürfnis sehr groß, um so mehr, als sich nach 9 Uhr abends kein Mensch mehr auf der Straße sehen lassen darf. Aus der Pfalz erhalten mir in letzter Zeit häufiger Nachricht, ab und zu kam auch einmal ein Kollege hierher: in letzter Zeit aller- 261