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9828 »IrtniN»U f. d. »pchn. Vuchhand-I. Fertige Bücher. ^>k 199, 27. August 1912. » killVlNltMMailllusSGtütil . von Felix Moeschlin. (Preis M. 4.—; gebunden M. 5.—. Verlag von Gideon Karl Sarasin in Leipzig.) Kurt Münzer (Wien) schreibt im Literarischen Echo vom 15. August 1912 im Anschluß an die Inhaltsangabe Wie ärmlich, wenn man dieses schöne Buch gelesen hat, ist alles, was man darüber sagen kann. Es ist ja viel mehr als solch eine simple Bauerngeschichte. Ich wüßte nicht, welches Kapitel des Lebens darin fehlte. Das Dorf erweitert sich zur Welt, die kleine Gemeinde zur Menschheit. And in dem kunstvollen Rahmen des Romans spielt sich nicht ein wenig Menschenleben ab, sondern fast eine Menschheitsentwicklung, die Steigerung der Natur durch alle Kulturen zur Ankultur und ihrer schließlichen Läuterung, die Entwicklung des Geistes und Empfindens vom Elementar-Tierischen zu Spitzfindigkeit und Laster und schlicßlicher Klarheit. Denn das ist das Wertvolle, daß die Welt dieses Buches ihre Vollendung findet; sie zerfällt nicht in Atome und Sinnlosigkeit, beharrt nicht im Falschen, sondern erreicht die höchste Möglichkeit der Existenz. Das Ideal wird zur Wirklichkeit erhoben, zur Glaubhaftigkeit, zur Selbstverständlichkeit: testimonlum poetse! Es wäre vergebliches, weil endloses Beginnen, den Reichtum des Buches aufzudcckcn, den Inhalt der fast dreißig Jahre zu erzählen, die cs umspannt. Welch eine Kette lebendiger Menschen, erschütternder Erlebnisse! Welche Fülle von Standpunkten, Ansichten, Ausblicken I Welche Welt von Schicksalen! Da ist Politik und In dustrie, Tugend und Laster, Askese und Liebe, Jugend und Alter, Wahnsinn und spitzeste Vernunft. Es bleibt ein ewiges Erstaunen, woher ein Einzelner diese mannigfachen und verschiedensten Geistes- und Gefühlskräfte nimmt, sovicl Reichtum zu gestalten. Denn Gestalt ist alles, blutvolles Leben ist jeder Mensch, Anschauung jeder Vorgang. Anvergcßlich bleiben die Eindrücke des Romans, lebendig wie leibhaftige Erlebnisse. Es sind Geschichten von Liebe darin, die Tränen des Entzückens verlangen, von Liebe, deren Keuschheit das Kerz des Lesenden erfüllen muß. Es sind darin Geschichten von alten, ihrem Wesen treuen und darum als Narren verschrienen Menschen, die uns nicht mehr verlassen, die als alte Legenden weiterlcben werden: der alte Spiclmann, der die Bäume singen hört; die alte Britta, die zur Königin wird; der alte Maler, der sich in der Kunst ver irrt; der alte, vereinsamte Vater, den die Soldaten er- schießen, weil er die Fremden mit der Flinte aus der Leimat vertreiben wollte; Dunder-Kallen, der wahnsinnig wird aus Sehnsucht »ach einem Kinde; der junge Pfarrer, der endlich die Liebe findet. So ist dieses Buch voll unvergänglicher, weil aus dem tiefsten Menschhcitswescn entwickelter Menschen. Es ist kein erfundenes, ersonnenes Buch; es ist, als wäre es nicht von heut. Fast noch feucht vom Druck, frisch und neu liest es sich wie ein altes Volksbuch, ein jahrelanges, von Generationen geliebtes Legendenwerk. Wird es ein solches werden? Es ist schwer, über ein Buch wie dieses zu schreiben. des Buches folgendes: Wo Liebe spricht, verstummt Kritik. Alle Worte er scheinen abgegriffen: urwüchsig, gesund, ausgeglichen, männlich. Was will das alles sagen, wenn es sich um die künstlerische Konzentration unseres Lebens, unseres Welt daseins handelt! Wenn dieses Thema in kernigsten Worten, in eigenem Ausdruck, in natürlicher, weil selbst- verständlich-originaler Form gefaßt ist! Vielleicht wer von modernen Vergänglichkeiten impressioniert und vor eingenommen diese große Dichtung vom allein wertvollen und ewigen Leben liest, mag manches daran auszusetzen haben; es mag ihm Geduld und Gemütsruhe fehlen, sich für lange Zeit in dieses Menschheitsgeschick zu versenken, wo aus Sensationen Erschütterungen, aus Empfindeleien Gefühle, aus Amüsements tiefe Entzückungen werden; das Buch mag eine gewisse Gesundheit voraussetzen — beim Leser —, eine gewisse Reinheit des Gemüts, eine gewisse Tiefe des eigenen Lebens — wird es viele Leser finden? —, es mag die Fülle seines Reichtums manchen ängstigen und erschrecken, abschrecken; es mag manchem diese wundervolle Fabulierkunst als alt- väterisch und ungewohnt „auf die Nerven fallen". Aber wer sich seine gesunde Empfindung bewahrt hat, wird wissen, daß hier nach tausend Büchern endlich wieder einmal ein Werk geschaffen ist, daß nach hundert Schriftstellern doch noch ein Dichter zu Worte kommt. Es ist nicht Moeschlins erstes Buch. Er trat auf den Schlachtplan, der ihm so schnell zum Sicgcsfeld werden sollte, müden „Königschmieds", worin er mit sofort stark cinsctzendcr Gestaltungskraft und Lebensfülle den Niedergang einer Bauernfamilic schil derte; dann folgte der Künstlerroman „Lcrmann Litz", worin er sich vom Schauen aufs Allgemeine auf das Schauen ins Individuum zurückzog. Aber der „Amerika- Johann" bleibt ein überraschender Hochstieg. Gern möchte man statt Roman Epos sagen, um die Größe des Entwurfs und das Amspannende des Themas anzu deuten. Wie stark der Dichter am Werk sein mußte, um seine Idee wahrhaft zu gestalten, wird einem klar, wenn man sich die nackte Tatsache des Romans vor Augen hält. Er schildert den Abergang des Bauern standes in Schweden aus der Naturalwirtschaft in die Geldwirtschaft; er zeigt, wie der Amerikanismus nicht nur zerstört, sondern auch aufbaut. Aus solche» national ökonomischen und sozialpolitischen Ideen ist eine Dich tung erwachsen. Welche Kraft gehört dazu, das in Gestalt umzusetzen und diese Gestalt so zu vertiefen und erweitern, daß sie über die nationale Grenze hinaus zum Welttyp wird. Felix Moeschlin steht plötzlich als ein Fertiger da. Ein Menschenalter zum Weiterschaffen liegt vor ihm. Er möge sich oben halten und in nie er starrender Kraft weiter die Welt zum Kunstwerk bilden.