Volltext Seite (XML)
7506 Börsenblatt i. V. Dtschn. Buchhanvet Nichtamtlicher Teil. 143, 24. Juni 1910. das ausliegende Gute sei zu teuer; derselbe warnte vor einem unvermittelten Übergänge von schlechter zu guter Literatur: das Volk müsse sich emporlesen. Ein Widersacher be hauptete dagegen, daß gerade durch die Anpassungsmethode an den Geschmack des Lesers die für den Kampf gegen Schund literatur eigens gegründeten Sammlungen billiger Jugend- und Volksschriften sich von Jahr zu Jahr verschlechtern und sich kaum noch vom echten Schund unterschieden. Ergänzend wurden von wieder anderer Seite Blüthgen und seine Adlerbibliothek heftig angegriffen. Auch die Schund literatur in der Preßberichterstattung fand scharfe Be leuchtung, und schließlich wurde noch eine Lanze eingelegt für starke Anwendung von Bewegungsspielen aller Art und Wanderungen als Schutzmittel für die Jugend gegen die Lesepcst. Des Börsenvereins wurde auch in der Diskussion an erkennend gedacht. Privatim wurde das Verlangen nach ausführlicher Darstellung und Begründung seiner Ansichten über den Kampf geäußert und ihre Bekanntmachung in weiteren Kreisen gewünscht. vr. Fürstenwerth. Theodor Fontane und seine Verleger. Die Akten über Theodor Fontane und seine literarische Bedeutung sind noch nicht geschlossen, und die sehr ver schiedene Beurteilung, die er bisher bei berufenen und un berufenen Literarhistorikern gefunden hat, scheint zunächst vor allem darauf hinzudeuten, daß er nicht so ohne weiteres mit einem der beliebten Schlagworte abgetan werden kann und noch weniger in eines der kritischen Schubfächer ein zuordnen ist, in die die gelehrten Herren mit echt deutscher Forscherpedanterie unsere Dichter gleich aufgespießten und sauber präparierten Käfern unterzubringen suchen. Man hat Fontane bei aller Anerkennung seiner un gewöhnlichen Beobachtungsgabe und seiner stilistischen Ge wandtheit als Repräsentanten des nüchternsten Berlinertums hinzustellen versucht und ihm Mangel an Gemüt zum Vor wurf gemacht und dabei, wie mir scheint, völlig übersehen, daß der Dichter sich dieser Kühle und Nüchternheit nur bedient, um die ungemein feinen und mannigfaltigen Regungen seines Innern und das sanguinische Temperament, das ein Erbteil seiner französischen Vorfahren war, vor den Augen der Welt, der gegenüber er sich wohl immer als ein Einsamer gefühlt hat, zu verbergen. Das wahre Wesen Theodor Fontanes mit seinen echt menschlichen Liebenswürdigkeiten und Schwächen, seiner Neigung, sich momentanen Stimmungen hinzugeben und aus diesen Stimmungen heraus Zeitgenossen und Zustände nicht immer gerecht, aber immer anregend und geistvoll zu be leuchten, lernen wir erst aus seinen Briefen kennen, von denen soeben eine zweite Sammlung, von Otto Pniower und Paul Schlenther mit Umsicht und Takt herausgegeben, in zwei Bänden erschienen ist (Berlin, F. Fontane L Co.). Diese Briefe bieten nicht nur eine nahezu erschöpfende Darstellung des literarischen und künstlerischen Lebens der preußischen Hauptstadt während der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, sondern gewähren auch einen Einblick in Fontanes Werkstatt und in die Technik seiner gesamten literarischen Produktion. Wir sehen seine Balladen, seine Romane und Novellen, vor allem aber auch seine klassischen »Wanderungen durch die Mark Brandenburg» gleichsam vor unseren Augen entstehen, sehen, wie aus einer scheinbar belanglosen Notiz, aus einem hingeworfenen Worte, die Grundidee zu einer feinen, mit Lebensweisheit getränkten Geschichte aufkeimt, und wie sich um einen solchen winzigen Kern ein überreicher Stoff nach den Gesetzen der Kristallisation von allen Seiten zusammenschließt. Die Würdigung dieser neuen Briessammlung nach der literarischen Seile hin wird eine Aufgabe der Forschung sein, die, wenn uns nicht alles täuscht, Fontane zum mindesten die Meisterschaft in der Kunst der Epistolographte zusprechen dürfte; was uns hier zumeist interessiert, ist das Verhältnis des Dichters zu seinen Verlegern, über das wir aus den beiden Bänden die genaueste Auskunst erhalten. Fontane gehörte, wie Goethe, zu den Autoren, die von Haus aus den Buchhandel eher unter- als überschätzen, und die sich erst im Lause eines langen Lebens zu einer gerechteren Würdigung der Verlegertätigkeit durchringen. Bei Fontane mutet dies einigermaßen seltsam an, denn der Apothekerberuf, dem er ursprünglich angehörte, zeigt in seiner Zwischenstellung zwischen Gelehrtentum und Kaufmannschaft eine gewisse Verwandtschaft mit dem Beruf des Buchhändlers, so daß man bei dem Dichter ein wenig Verständnis für die berechtigten Eigentümlichkeiten der Männer hätte voraussetzen dürfen, mit denen er geschäftlich zu tun hatte, und die ihm wirklich größere Dienste geleistet haben, als er anzuerkennen bereit war. Seine Voreingenommenheit gegen die Verleger verleitet ihn dazu, das Honorar von 20 Talern für den Bogen Gedichte, das ihm Cotta als Ver leger des »Morgenblattes» zahlte, als »echt buchhändlerisch gemein» zu charakterisieren <3. Februar 1851) und die Ver leger, die sich für einen von ihm geplanten Gedichtband interessierten, als -Ruppsäcke, die wahrscheinlich nicht zahlen werden, was ich fordere«, zu bezeichnen (4. Dezember 1852). Und triumphierend berichtet er seinem Freunde Friedrich Witte, er habe Otto Janke, der aus einer von Fontane herausgegebenen Anthologie zwei Gedichte von Mörike als wertlos gestrichen habe, geschrieben: »mit seiner gütigen Er laubnis verstünd' er von dergleichen nichts» (17. August 1851). Und dabei war der Dichter für seine eignen Schwächen durchaus nicht blind! »Auch unser Bestes, was wir bieten können«, schreibt er am IS. März 1853 an Theodor Storm, »— ich weiß es wohl! — hat etwas von jener Schärfe, die seit den Tagen des Alten Fritz hier in der Luft zu liegen scheint, aber in gehöriger Verdünnung hat diese Schärfe ihren Reiz und söhnt uns zuletzt auch mit den starken Dosen aus, die schließlich (wenn wir dahinterkommen, daß es Senf und kein Sublimat ist) zur Quelle unsres Ver gnügens und herzlichsten Gelächters werden.» Daß ihm die eigene Schärfe übrigens auch mitunter eine Quelle des Vergnügens werden konnte, und daß er im stande war, dem Arger eine humoristische Seite abzugewinnen, verrät ein Brief an Julius Springer, den Verleger seines 1860 erschienenen Buches »Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland«, worin er sich darüber beschwert, daß seine Wünsche hinsichtlich der Erledigung der Korrekturen unberücksichtigt geblieben sind. Da schreibt er: »Auch die Wiedereinsendung des ersten Bogens zu nochmaliger Durch sicht — namentlich der englischen Wörter und Sätze halber — ist nicht erfolgt. Mir liegt sehr daran. Seite 27 heißt es z. B. im heutigen Korrekturbogen in einer Scene zwischen John Knox und der Königin: .worauf Maria aasrieff. Solchen fulminanten Sachen gegenüber will man gern dis Beruhigung haben, daß der Fehler auch wirklich beseitigt ist. Es ist dies unglückliche ,aas' statt ,aus' um so schlimmer, als kein Zweifel ist, daß sie (die Königin) ihn im stillen wirklich so genannt haben wird.« Echt Fontanesch, weil mit einer Dosts Selbstironie ge mischt, ist auch einer der ersten Briefe an seinen Verleger und Freund Wilhelm Hertz, den Chef der Befferschen Buch handlung. Er bedankt sich für die Freiexemplare seiner -Balladen» und sagt: »Der Buchbinderlehrling scheint stellen weis mit dem Schmudel seiner Finger splendider umgegangen zu sein als mit dem Kleister, d. h. manches hält nicht recht zusammen, hat aber Flecke. Vielleicht ist es immer so; andrer