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^ 140, 21, Juni 1910. Künftig erscheinende Bücher. Töisenblall I. d. TNchn, Buchhand-I. 7377 Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst München HI Früher erschien von demselben Verfasser- Karl Kraus: Sprüche und Widersprüche. Ei» Band Aphorismen. Preis geheftet 3 Mart 50 Pf., in Leinen gebunden 4 Mark 50 Pf., in Lalbfranz-Liebhaberband 7 Mark 50 Pf. Stimmen der Presse: Das literarische Echo, Berlin: Es ist schwer, eine so vielflächige Persönlichkeit in wenigen Sätzen zu charakterisieren. Sie ist zu groß, um sich in eine Formel sperren zu lassen, und scheint jeder Klassifizierung zu spotten. . . Es sind tiese Probleme, an die er gekettet ist und aus denen ihn kein Sturm losreißt. Stürmt das Leben um ihn, so stemmt er sich ihm nur noch wütender entgegen und sucht den Jammer zu stillen, der aus der Gigantomachie tönt. And empfindet das Leben, je tieferen Jammer es erweckt, um so gewaltiger, brutaler. Da dringt aber wieder sein Positivismus durch, und er, der noch eben gegen Mensch und Nebenmensch, Moral, Polizei, Familie, Psychiater. Politik, Presse, Dummheit, Kunstpfuscher und Feuilletonisten kämpfte, läßt aus dem Lärm die tiefe Sehnsucht nach Größe und Macht, Persönlichkeit und Recht ans Einsamkeit durchdringen. . . Man erkennt in der Aphorismensammlung die Gesetze, nach denen der Autor das Leben richtet, und sieht seine lebhafte, bewegliche Art, Probleme darzuftellen und zu entwickeln. Man erkennt den Ursprung manches Wortes, das aus dem vorhergehenden herausgewachsen ist, und findet manche Brillanten wieder, die aus dem Geschmeide früherer Aufsätze ausgebrochen sind. Man bewundert die Kunst, eine Weltanschauung in einen Satz zu pressen, und em pfindet deren Formulierung als endgültig. Man fühlt den unterirdischen Zusammenhang der Worte, die Blasen gleichen, auf einer Wasserfläche treibend. Kraus kann zweifellos seine Anschauung an einem konkreten Fall erschöpfend erörtern, aber zweifellos könnte er nicht seine Philosophie als abstraktes Lehrgebäude aufführen. Er wendet die Weisheit metaphorisch zum Witze, der meistens mit einem Sprachwitz identisch ist Liber von den Feuilletonepigonen, die er famos „Wanzen aus Heines Matrazengruft" nennt, scheidet ihn die tiefe Kluft seiner Persönlichkeit. . . Mit seinem Wesen füllt er die Sprache aus, gibt ihr lebendige Biegsamkeit, weiche Grazie, feurigen Rhythmus, der dem Leser vorausjagt. . . Wo man sein Buch aufschlägt, finden sich tief gedachte oder tief empfundene Worte, intuitive Gedanken, Esprit und Selbstbewußtsein, das dem Leser ins Gesicht lacht, Witz, der ihn herzhaft lachen macht. And wenn man nun bedenkt, daß dieser Mann elf Jahre in prachtvoller Entwicklung und Vervollkommnung riäenclo verum äicit, und so wenige sehen, daß sein Lachen blutendes Leid verbirgt, begreift man erst den Reichtum und die Tragkraft seiner Menschlichkeit. Berliner Tageblatt: Seine Aphorismen „Sprüche und Widersprüche" beweisen in ihrer geschliffenen, funkelnden Kette diesen Triumph des Wortes über ihn. Er brauchte es nicht noch selbst zu sagen, daß er sich mit Stolz zu denen rechnet, die aus der königlichen Land der Sprache ihre Gedanken empfangen. Ienien, Leipzig: Ein Massenerfolg kann einem so feinen und tiefen Buche nicht beschieden sein; aber alle, die im Leben und in der Kunst das Echte, das Starke, das Große suchen und die Phrase, die Lalbwahrheit, die eklige Allerweltsplatt- heit, welche uns erst von der höheren Schule und dann von der Zeitung (nach Lagardes Ausdruck) gekaut in den Mund gespuckt wird, hassen — sie alle werden dies Buch mit Entzücken und Bewunderung lesen. Deutsche Theater-Zeitschrift, Berlin: . Ich kenne sie alle von früher her, diese festen und farbigen Steine, die einen hohen Bau gäben, wenn ein Philosoph sie zu einem System zusammensügte und nicht ein heißer Künstler es vorgezogen hätte, sie zu dem stolzen Mosaik seiner Lebensanschauung aneinander zu schließen — diese Sprüche, die nicht Worte sind, sondern lebende Wesen. Laben sie ja doch ein tiefgrabendcs Lirn, ein verzweifeltes Herz und eine Stimme, die donnern kann gegen die Ge meinheit unserer Weltordnung, wild aufschluchzen ob der Brutalität geistiger Machthaber und singen zum Preise der Schönheit. Königsberger Lartungsche Zeitung: Es ist ein fanatisches und weises, ein pathetisches und graziöses Buch. Eine Denkkraft tobt sich aus, die vor nichts Halt macht, keine Hemmungen kennt und nur ein Gesetz: das heiliggehaltene der Sprachkunst Dieser unbeherrschte Losgeher wird zum ängstlichsten, zärtlichsten Zauderer, wenn's um seine Kunst geht. Ein Titan, der die Blöcke liebevoll meißelt, ehe er sie auf die Schädel seiner Feinde herabsausen läßt. Von seinem Reichtum gibt das dem Buche beigegebene Inhaltsverzeichnis nur einen schwachen Begriff. Eine ungeheure Konzentriertheit herrscht darin. Jeder dieser kleinen Sprüche könnte zum weitläufigen Essay ausgewalkt werden (was denn auch wohl gelegentlich geschehen wird), weil eben jeder ein Ganzes, kein fataler Gedankensplitter, sondern ein Gedanke ist. ... Es ist gleichgültig, ob dieses kühne, ehrliche und leidenschaftliche Buch Lobsprecher oder Tadler finden wird. Man muß wünschen, daß es Leser finde; nicht dem Autor, sondern den Lesern zuliebe. Die Gegenwart, Berlin: Die Aphorismen von Karl Kraus vermehren unseren künstlerischen Besitz, ein höchst persön liches Vermögen fließt dem angestammten Reichtum zu. Seine Sätze und blitzenden Gedankenverbindungen, seine Mort- schicksale haben die sehnige Kraft, das starke Auge, den tigerhaften Ansprung des echten aphoristischen Ausdrucks, die bündige Entschlossenheit, alles mit einem Worte abzumachen, die tollkühne Eitelkeit und Einbildung, dies auch zu können, kurz den / weisen Leichtsinn, der dieser satirischen Gattung eignet. Wiener Mitteilungen: Wer die deutsche Sprache liebt und sich laben will an der Kunst ihrer Meisterung, der versäume nicht, die „Sprüche und Widersprüche" immer wieder durchzublättern. Königsberger Allgemeine Zeitung: Diese Sammlung ist zweifellos das Werk eines der geistreichsten Köpfe der Gegen- wart und als solches ein wertvoller Beitrag zur modernen Literatur. Hamburgischer Korrespondent: Anter der erstaunlichen Fülle dieser Aphorismen findet sich kein einziger, der nicht mindestens neue Beleuchtung eines Gedankens in durchaus eigenartiger Form brächte. Vossische Zeitung: Ein Künstler, dessen Prosa wie geschliffener Stahl funkelt. Blitzartig jagen einander überraschende Einfälle, Thesen und Antithesen, aufgereiht auf dem Grunde einer kunstvoll ungekünstelten Sprache. Rheinisch-westfälische Zeitung: Wir finden in weiterem auch einen die Masse hassenden Einsamkeitsstolzen und einen bedeutenden Satiriker von Geist und Schärfe, der gerade und kühn, vorschreitend, was er denkt über Kunst und Leben, S58