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167, 21. Juli 1VV8. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt s. d. Dtschn. Buchhandel. 7875 Beiträge zur Entwicklung von Buchhandel und Buchdruckereiwesen der Provinz Posen in neupreußischer Zeit (bis 1847). Von M. Laubert. (Schluß zu Nr. 166 d. Bl.) Einen der strengsten Aufsicht unterworfenen Zweig des buch händlerischen Betriebes bildete das Leihbibliothekswesen. Auch auf diesem Feld läßt sich in der Provinz nach 1815 eine allmählich steigende Regsamkeit verfolgen. 1816 wurde dem Juden Munnich in Posen die Errichtung eines solchen Instituts gestattet. (Stadtakten 6. XIII. 10.) Später folgte der Lehrer am Marien gymnasium v. Szumski. Aus den Jahren 1818 und 1819 sind zwei ganz stattliche Kataloge der Bambergschen Leihbibliothek zu Karge erhalten. Für 1837 hat Wuttke 23 Leihbibliotheken im Großherzogtum festgestellt, doch bestanden größere, zum Teil öffentliche Büchereien damals auch erst in Posen, Bromberg, Fraustadt, Krotoschin, Rawitsch, Tremessen, Lissa, Wollstein (a. a. O. S. 232.) Die Frage der Leihbibliotheken spielte eine Rolle bei den 1824 über die in der Provinz herrschenden Zustände verfügten amtlichen Recherchen, zu denen die am Mariengymnasium ent deckten Mißhelligkeiten Anlaß boten. Der damalige Minister des Innern und der Polizei, v. Schuckmann, war wenig erbaut, als er erfuhr, Szumski halte eine Bücherei zum öffentlichen Ge brauch und gebe aus ihr »der Jugend sehr unangemessene, den törichten Antagonismus gegen das sogenannte Fremde befördernde Schriften in die Hände«. Sein Handwerk sollte ihm um so mehr gelegt werden, als er die für die Schule, die Schüler und die ganze Provinz schädlichen Ansichten des Rektors Kaulfuß und des Professors Cassius teilte und daher bereits seine — übrigens nicht erfolgende — Versetzung in Beratung genommen war*). Zerboni wußte von dem Institute nur, daß es wenig Leser und fast gar keine Abonnenten hatte. Er erachtete es in dessen nicht für ausgeschlossen, daß der haltlose Szumski seinen Einfluß auf die Schüler benutze, um sich einigen Verdienst zu ver schaffen. Im übrigen dachte der Oberpräsident sehr ruhig über die Bibliothek, die meist aus polnischen, in Warschau oder doch in Lemberg, Krakau, Posen, jedenfalls also unter strenger Zensur gedruckten und daher kaum gefährlichen Werken bestand. Um aber ganz sicher zu gehen, hatte er die Regierung mit gelegent lichen Revisionen des Büchervorrates beauftragt. (An Schuckmann Ksp. 77, 15, 13; Konz. Oberpräs.-Akten a. a. O.). Das Ergebnis derartiger Prüfungen rechtfertigte Zerbonis Vermutungen durch aus, denn es wurden weder verbotene noch solche Schriften vor gefunden, die den Antagonismus gegen das sogenannte fremde (deutsche) Element zu befördern geeignet waren, was Schuckmann stillschweigend hinnehmen mußte**). Das praktische Resultat dieser Episode beschränkte sich daher auf einen schon am 9. August von Schuckmanns treuem Gehilfen *) Schreiben an den Posener Oberpräsidenten v. Zerboni di Sposetti Oberpräs.-Akten X 24; Konz. Staatsarchiv Berlin Hsx. 77, 437, 5, vol. II Bl. 128/31. **) Schreiben der Posener Regierung I an Zerboni 31. Juli; Regierungschefpräsident v. Colomb an Schuckmann 15.Aug. Rex. 77 a. a. O. und Oberpräs.-Akten a. a. O. — Auch aus der Prüfung des Katalogs hatte Colomb die Überzeugung gewonnen, daß keine Bücher vorhanden waren, deren Lektüre nicht unbedenklich gestattet werden konnte. Die ganze Denunziation war also anscheinend ein Beweis, »mit welchem Leichtsinn Anzeigen gemacht werden, die dem Beschuldigten zum größten Nachteil gereichen könnten, wenn eine weise Regierung ihn nicht schützte«. Schuckmanns, von ihm nicht genannter Gewährsmann war Szumskis Kollege, Professor Schottky. Dieser witterte antideutsche Bestrebungen im Posener Lehrerkollegium und forderte zu deren Bekämpfung unter anderem: Entziehung des Szumski allein in Posen zustehenden Privi legs der Steuerfreiheit für seine Leihbibliothek, da diese der guten Sache Karl Albrecht v. Kamptzan die Regierungen gerichteten Erlaß, worin diesen eine dauernde scharfe Kontrolle der Leihbibliotheken zur Pflicht gemacht wird. (Abschr. Oberpräs.-Akten X 24.) Min destens alle Vierteljahre sollten Revisionen veranstaltet, die Kon zessionen nur mit größter Vorsicht erteilt werden. Es kam darauf an, keine Schrift zu dulden, »welche in religiöser, sittlicher oder Politischer Beziehung nachteilig oder leichtsinnig ist, als auch nur bedenklich erscheint«. Der Willkür strebsamer Polizeibeamter war mithin durch die Wahl von hinreichend dehnbaren Ausdrücken reichlicher Spielraum zur Betätigung ihres Spürsinns gelassen. Gestattet wurden nur Bücher, »welche Religiosität, Sittlichkeit, gute Gesinnungen und wissenschaftliche und gemeinnützige Kennt nisse verbreiten oder eine mit denselben vereinbarliche Erholung gewähren«. Es durften keineswegs alle für den Buchhandel ge nehmigten Druckschriften auch in Leihbibliotheken zur Auslage kommen*). Vor allen Dingen sollte aber die Jugend auf den höheren Schulen vor dem verderblichen Einfluß derartiger In stitute behütet werden. Durch Runderlaß an die Oberpräsidenten vom 19. März 1842 (Oberpräfekten X 46) lenkte Rochow wieder deren Aufmerk samkeit im allgemeinen auf das Leihbibliothekswesen, dessen Wir kung an Umfang und Tiefe den des gesamten Buchhandels und der Tagespresse übertreffen sollte. Der Minister urteilte aber: »Wenn die Allgemeinheit unseres Volksunterrichts bereits gründ liche Elementarkenntnisse durch alle Volksklassen verbreitete, so hat zugleich die auf möglichste Anregung der Denkkräfte hin zielende Richtung desselben die Wirkung gehabt, daß jene Kenntnis keine tote, mechanische blieb, sondern zum lebendigen" Impulse des Volksgeistes nach Weiterbildung ward. Namentlich^äußerte sich dies rege Streben nach geistiger Fortentwickelung in der durch alle Stände verbreiteten Neigung zum Lesen; die Lektüre ist un- leugbar zum Volksbedürfnis geworden. So erfreulich dieser leb- hafte Bildungstrieb in einem Staate sein muß, dessen Kraft vor allem auf geistigen Hebeln beruht, so dringend notwendig er scheint es, diesen Trieb durch sorgfältige Überwachung und Lei tung vor Abwegen zu bewahren, da derselbe in der Wahl der Mittel seiner Befriedigung sich selbst überlassen, in demselben Maße zur Ausartung führen kann, wie er auf das Gute und Nützliche gelenkt, auf geistige Entwickelung und sittliche Veredelung entschieden einwirken muß«. Die bisherigen Schutzmaßregeln gegen die Auswüchse des Leihbibliothekswesens, in der Hauptsache nur eine Prüfung der nicht geringen Abbruch tat, den deutschfeindlichen Sinn nährte, der Jugend Bücher in die Hand spielte, die Haß gegen das Fremde und glühenden Provinzialpatriotismus atmeten. Schottky fügte hinzu: Schon deswegen, wären sonst keine Gründe vorhanden, muß jeder Patriot um Szumskis Versetzung bitten; denn mit ihm sähe man sich wieder eines gefährlichen Brennstoffes entledigt. (An Schuckmann 1. Mai 1824. Rsp. 77, 437, 5, vol. II. Bl. 49/75, geschrieben in Berlin nach Schottkys Entlassung aus seiner Posener Stellung.) *) Unter den 1836 ff. durch öfter von literarischer Tiefgründigkeit triefende Erlasse allgemein verbotenen Werken — z. B. Gutzkows Send schreiben (Mannheim 1836), »eine höchst freche sophistische Verteidigung des verbotenen, berüchtigten Romans: Wally«; Mündts Zeitschrift: Zodiakus; Mazzinis Ooi st avsnir; E. Beurmanns Vertraute Briefe aus Berlin; Jacob Venedeys »Preußen und Preußentum« (Mannheim 1839), »eines der frechsten Libelle, welche jemals Maßregeln der dies seitigen Regierung hervorgerufen haben.« (Rochow an Flottwell 14. Okt. 1839); Learosa, die Männerfeindin, ein sittlich anstößiger Roman von Emerentius Scaevola, der 1835 bei Brockhaus in Leipzig erschien und dem der durch Schriften dieser Art »noch nicht befleckte' Ruf des Verlegers« weitere Verbreitung verschaffen mochte; eine Über setzung des l'aublas, »welche die Übersetzung eines der übelberüchtigsten französischen Romane ist, der an schamloser Sittenlosigkeit in der ge samten Literatur wenige seinesgleichen haben dürfte«; mehrere der höfischen Skandalgeschichten v. Fouchard-Lafosse und andere Porno graphie — befand sich auch die Lucinde (Stuttgart. Ausg. v. 1835). Doch galt dieses Verdammnisurteil ausdrücklich nur für Leihbibliotheken und öffentliche Lesezirkel (vgl. Oberpräs.-Akten X. 40 vol. I/III). 1026»