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1284 DSrI-nilaU f. d. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. oV 26, I. Februar 1908. Artur Volkmann. Sonderausstellung bei Beyer L Sohn in Leipzig. Der in Leipzig geborene, seit etwa SO Jahren in Rom lebende Künstler ArturVolkmann hat gegenwärtig in der Kunsthalle von Beyer L Sohn in Leipzig eine umfangreiche Sonderausstellung veranstaltet, die plastische Werke, Ge mälde und graphische Arbeiten umfaßt. Bolkmann zählt zu den charaktervollsten Künstler- Persönlichkeiten unserer Zeit, und zwar zu den wenigen, die sich um die Mode des Tages nie gekümmert haben, unbeirrt von allem Streit der Meinungen, unverrückt ihr Ziel, das Ideal, im Auge, einsam ihre Wege gegangen sind und es verschmäht haben, auf der ausgetretenen breiten Heer straße einherzuziehen. Er hat Recht daran getan. Würde er sich dazu bereit gefunden haben, der Menge Konzessionen zu machen, hätte er das von seinem Meister Hans von Marses empfangene künstlerische Vermächtnis nicht heilig gehalten, das er wie eine Mission übernommen und weiter ausgebaut hat, er wäre nicht der, als den wir ihn schätzen, ver ehren und lieben, selbst trotz seiner Schwächen. Freilich, Leute, die das Evangelium der Malerei einzig und allein auf der Palette zu finden meinen, die da glauben, wenn sie einige an sich reizvolle Töne auf die Leinwand gesetzt, nun ein großes Kunstwerk geschaffen zu haben, werden gewiß niemals dazu gelangen, zu einer Kunst, wie Artur Volkmann sie ausübt, irgendwelche Beziehungen zu pflegen. Und es ist gut, wie es ist. Mögen jene, die das Wort »Moderne« prägten — deren einer es sogar sertig- brachte, die Behauptung aufzustellen, daß: »die europäische Kunst neunzehn Jahrhunderte hindurch geschlafen und geträumt habe oder geistig gestört gewesen sei«, — mögen sie an ihrem Impressionismus, Neo - Impressionis mus, Pointillismus, Jntentionismus, Verismus, Sym bolismus und an allen jenen vielgerühmten »Ismen«, von denen jedes einzelne beim Erscheinen als die nun endlich gefundene wahre Kunst zu gelten hatte, weiter bauen! Diejenigen, die warten gelernt haben, die als stille Beobachter dieses Treiben wie einen Hepentanz an sich vorüberziehen lassen, werden sich vergegenwärtigen, daß die Welt rund ist und sich drehen muß. — Mit vorstehenden Auslassungen soll keineswegs gesagt sein, daß alle Schöpfungen der »modernen» Kunst wertlos seien, oder verkannt werden, daß der Ruf der neueren Kunst zur Rückkehr zuL Natur etwa nicht berechtigt gewesen sei. Vorstehendes richtet sich nur gegen Auswüchse, die die neuere Bewegung in der Kunst vielfach gezeitigt hat. Jene Auswüchse find eben eine Folgeerscheinung des Suchens nach dem Ausdruck neuer Formen. Und wenn in solchen Perioden des Gärens mitunter »der Most sich toll ge bärdet», so folgen dann auch wieder Perioden der Klärung und Sammlung. So werden wir auch im Gebiet der Kunst von dem neuerdings wieder stark betonten Realismus fort- und zu einem neuen Aufblühen des Idealismus kommen; es ist wirklich nicht Zufall, sondern nur folge richtige Entwicklung der Anschauung, daß gerade in unsrer Zeit die Würdigung des so lange verkannten Hans von Marses immer mehr an Boden gewinnt, daß sich die anfänglich kleine Gemeinde mehr und mehr vergrößert. Auch Volkmanns Schaffensweise wird zweifellos in der Folgezeit weiterem Verständnis begegnen, über seine gewiß nicht immer einwandfreie Farbengebung, über die tech nische Behandlung seiner Gemälde, die so gar nichts Bestechliches an sich hat, wird man gern hinwegsehen, um der großen und entschiedenen Vorzüge willen, die allen seinen Arbeiten eigen ist, die in dem vollen Verständnis der Formensprache, in der feinen Empfindung seiner Linien führung, in der Größe seiner Anschauung wurzeln. Sehen wir uns daraufhin die für uns in Betracht kommenden Handzeichnungen, die teils mit dem Stift, teils mit der Feder ausgeführt sind, seine Gouachen, Pastelle und Radierungen an, und wir werden bei eingehendem Schauen so viele ungeahnte Schönheiten entdecken, daß wir diese schlichten Blätter gern stets aufs neue betrachten werden. Ernst Kiesling. Kleine Mitteilungen. > Paragraph 193 des Ltrafges-ijpiichs über künstlerische uud literarische Kritik. — Dem neuesten Hest der »Grenz boten- (Leipzig, Fr. Wilh. Grunow) Nr. 5 vom 30. Januar 1908 entnehmen wir mit gefällig erteilter Erlaubnis die folgende Mit teilung und Betrachtung: (Red.) In Frankreich, angeblich dem Lande der unbeschränkten Meinungsäußerung und der freiesten Kritik, hat jüngst ein Urteil des Tribunals großes Aussehen erregt, worin ein Kritiker zu einer hohen Geldstrafe verurteilt worden ist. Cr hatte bei der Beur- boeoiu, jo l'e aickorai, par lraiuo äu kanx irrt. Das Tribunal hat erklärt, daß die öffentliche Kritik in Kragen der Kunst und der Literatur nicht ohne Kontrolle und nicht ohne Falle die Grenzen des tadelnden Urteils überschritten habe und deshalb nachdrücklich bestraft werden müsse. Ein Teil der französischen Rezensenten, der das Herunterreißen gewerbsmäßig betreibt und darin eine raffinierte Technik aus- urteilung des Rezensenten durchaus für gerechtfertigt. Einer von ihnen sagt, der anständige Kritiker werde durch dieses Urteil nicht bedroht. II kaut kairo uno äistinotion ontrs gleicht, so muß man sagen, daß in Frankreich, dem Lande der freiesten Kritik, die Künstler und die Schriststeller gegen die Über griffe und Schädigungen des Rczensententums mehr geschützt sind als bei uns. und daß sich in Deutschland aus diesem Gebiet all mählich Zustände gebildet haben, die doch die Aufmerksamkeit und das Eingreifen der Justiz dringend fordern. Es scheint, als ob es notwendig wäre, den Paragraphen 193 des Strafgesetzbuchs einer Revision zu unterwerfen. Er lautet jetzt folgendermaßen: »Tadelnde Urteile über wissenschaftliche, künstlerische oder gewerbliche Leistungen, ingleichen Äußerungen, welche zur Aus führung oder Verteidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht werden, sowie Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetzten gegen ihre Untergebenen, dienstliche Anzeigen oder Urteile von seiten eines Beamten und ähnliche Fälle sind nur insofern strafbar, als das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Äußerung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht.- Wer diesen Paragraphen ruhig und logisch denkend durchlieft, der wird sich sofort fragen: Wie ist es möglich gewesen, zwei so heterogene Gebiete wie die literarische Kritik und die Beamten disziplin unter einen Hut zu bringen? Der Vorgesetzte steht doch zu seinem Untergebenen in einem ganz andern Verhältnis als der Rezensent zu dem produktiven Künstler oder Schriftsteller. Zum mindesten hätten also zwei Paragraphen gemacht werden müssen. Aber der Paragraph ist auch wenig glücklich formuliert, und deshalb wird er gegen den Willen des Gesetzgebers geradezu als ein Deckschild für ein gefährliches, boshaftes und gehässiges