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120, 26. Mai 1906. Nichtamtlicher Teil. 5273 Buchbindereibesitzer« die Absicht mit, Verhandlungen zum Zweck von Vereinbarungen mit ihm anzuknüpfen, um »einer seits stabilere Verhältnisse in den Lohnfestsetzungen herbei zuführen, anderseits die für Arbeitgeber wie Arbeitnehmer gleich ungünstig wirkenden Unterbietungen bei Übernahme von Aufträgen immer mehr einzuschränken und mit der Zeit ganz unmöglich zu machen«. Der neue Verband der Prinzipale erklärte sich zu Verhandlungen bereit und auch dazu, einen ganz neuen Tarif vereinbaren zu wollen, und griff damit zum erstenmal als Vertreter der Arbeitgeber in die Lohnbewegung ein. Zugleich wurde damit auch die Tariffrage ihres lokalen Charakters entkleidet; sie wurde zu einer allgemeinen, ihr Geltungsgebiet auf alle Mitglieder des Verbandes deutscher Buchbindereibesitzer erstreckenden Angelegenheit. Der Prinzipalverband berief nunmehr auf Anfang Sep tember 1900 eine Sitzung nach Leipzig ein, woran je drei Prinzipal- und Gehilfenvertreter jeder der drei Städte Leipzig, Berlin und Stuttgart teilnahmen Jedoch blieben die Beratungen lange ohne Ergebnis. Der Prinzipalverband beschloß sogar, 80 Prozent seiner Leute auszusperren. In dieser höchst bedenklichen Lage bot das Tarifamt der Buchdrucker seine guten Dienste an. Diese wurden angenommen, und der vermittelnden Haltung des Prinzipal- und des Gehilfen vorsitzenden des Tarifamts der Buchdrucker gelang es, in der Beratung vom 18. September eine Einigung herbeizuführen, die sich auf die grundlegenden, allgemeinen Bestimmungen beschränkte. Im wesentlichen wurden festgesetzt: neunstündige Arbeitszeit; ein Minimalstundenlohn von 41 H für Stuttgart, 44 H für Leipzig und 45 H für Berlin für männliche Arbeiter, etwas niedriger für das zweite und das erste Gehilfenjahr; für geübte weibliche 21 bez. 22 bez. 25 H, für ungeübte im ersten und zweiten Halbjahr entsprechend weniger; allgemeine Lohnzulage von 5°/,; genaue Regelung des Akkordlohns, der Überstunden, der Kündigungsfrist und der zulässigen Anzahl der Lehrlinge. Nunmehr wurde die Arbeit wieder ausgenommen, während der Tarif selbst auf dieser Grundlage von einer zwölfgliedrigen Kommission ausgearbeitet und am 15. Oktober in Kraft gesetzt wurde. Die Berliner verharrten noch einige Zeit im Ausstand und erzielten noch etwas günstigere Bedingungen. Nach der so erfolgten Rückkehr friedlicher Verhältnisse errichtete der Buch binderverband eine Streikkasse, um für künftige Fälle ge rüstet zu sein. Der Tarif von 1900 sollte nur bis 31. August 1903 Gültigkeit haben. Lag schon hierin ein Keim zu neuen Forderungen, so war auch der Wunsch der Arbeitnehmer auf einen für ganz Deutschland berechneten und gültigen Tarif damit noch nicht erfüllt, während anderseits manche Mitglieder des Arbeitgeberverbandes sich nicht streng an die Abmachungen ihrer Vertreter gebunden erachteten und nicht nur, entgegen der Zusage, die Ent lassung in der Lohnbewegung besonders hervorgetretener Leute Vornahmen, sondern auch, namentlich bei Arbeits mangel, den Tarif nicht immer einhielten. Weiter machte eine von den Prinzipalen angenommene Arbeitsordnung viel böses Blut, weil dazu die Arbeitnehmer nicht gehört worden waren, so daß sich wieder Zündstoff genug angesammelt hatte, als das Jahr 1903 heranrückte. In Berlin und in Leipzig war indessen ein Tarifschiedsgericht zur Schlichtung sachlicher Differenzen in Tätigkeit getreten, während man in Stuttgart davon abgesehen hatte. Im Mai 1903 fragte der Vorstand des Buchbinder- (Gehilfen)-Verbands beim Prinzipalverband wegen Er neuerung des Tarifs an und erbot sich, bei einjähriger Fort dauer desselben auf Änderungsanträge zu verzichten. Die Prinzipale fanden einjährige Dauer jedoch zu kurz und Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 78. Jahrgang. schlugen dreijähriges unverändertes Fortbestehen vor. Da nun auf diesen Gegenvorschlag innerhalb einer Woche noch keine Rückäußerung eingegangen war, so verlangte der Prinzipalverband am 30. Mai sofortige Änderung des Tarifs und bestimmte als Verhandlungstag den 8. Juni, wozu auch die Gehilfenvertretung sogleich bereit war. In den Ver handlungen standen sich die Parteien anfänglich schroff gegen über. Die Prinzipale wünschten dreijährigen Fortbestand des Tarifs, die Gehilfen nur den einjährigen, und der letztern Vermittlungsvorschlag auf zweijährige Dauer wurde lebhaft bekämpft. Endlich aber einigte man sich nach langer Debatte zu folgendem Beschluß: »Die Verlängerung des bestehenden Tarifs auf weitere drei Jahre (also bis 31. August 1906) wird mit Stimmenmehrheit beschlossen, seitens der Gehilfenoertreter jedoch mit dem Vorbehalt, daß diese Verlängerung des Tarifs von den in den nächsten 14 Tagen einzuberufenden Ge hilfenversammlungen genehmigt wird. In einer gemein samen Sitzung der Prinzipale und Gehilfen sollen die jenigen Positionen des Tarifs beraten werden, die sich innerhalb der abgelaufenen Jahre als fehlerhaft heraus gestellt haben. Wird in gemeinsamer Sitzung über eine zur Beratung stehende Position eine Einigung nicht er zielt, so besteht dieselbe in der unveränderten Form weiter.« Diesem Beschluß wurde von den Gehilfenversammlungen nur bedingungsweise die Zustimmung erteilt, während zugleich die Erhöhung der Stundenlöhne, Ausbreitung des Tarifs, Errichtung von Tarifschiedsgerichten, Schaffung eines be- sondern Tarifamts und eines paritätischen Arbeitsnachweises innerhalb der Tarifgemeinschaft gefordert wurde. Die Prinzipale verlangten indes die Rücknahme dieser Forderungen, und erst nach längeren Auseinandersetzungen trat am 28. Juli 1903 eine neue Konferenz zusammen, um eine Verständigung zu erzielen. Die Arbeitnehmer verlangten 44 H Stunden lohn für Stuttgart, 46 H für Leipzig und 48 H für Berlin, eine entsprechende Erhöhung des Minimallohns für weibliche Arbeiter und weiter eine genauere Fassung der »Allgemeinen Bestimmungen« des Tarifs hinsichtlich der Tarifkommission, der Schiedsgerichte, ihrer Befugnisse, des Tarifamts und der Ausbreitung der Tarifgemeinschaft. Diese Forderungen fanden nach längerm Sträuben Annahme, und die Tarif verhandlungen wurden am 7. September 1903 abgeschlossen, womit auch die Bewegung für dieses Jahr endete. Als oberste Instanz für Tarifangelegenheiten wurde nunmehr ein Tarifamt mit dem Sitze in Leipzig geschaffen, seine Aufgaben und Befugnisse waren genau umgrenzt; gleichzeitig wurde eine Geschäftsordnung festgesetzt. Konnte daher die Gehilfenschaft mit dem Erreichten zufrieden sein, so blieb ihr immer noch das eine Ziel unver rückbar im Äuge: die Ausbreitung der Tarifgemeinschaft, die Anerkennung des Tarifs in allen Städten. Und das brachte auch die Resolution des Dresdner Verbandtags 1904 dahin zum Ausdruck, daß der Buchbinderverband fortgesetzt an dem innern Ausbau und der äußern Ausdehnung der Tarifgenieinschaft arbeiten werde. Die nächste Zeit wird zeigen, welche neuen Forderungen von den Arbeitnehmern aufgestellt werden, und es bleibt dabei nur zu wünschen, daß der Kampf ohne allzu große Erbitterung zu einem billigen Frieden führen möge. Denn daß langandauernde Lohnkämpfe nicht allein für die betei ligten Parteien und die verwandten Gewerbe- und Handels zweige von empfindlichstem Nachteil sind, sondern auch weit darüber hinaus die bedenklichsten wirtschaftlichen Schädigungen Hervorbringen, das hat das verflossene Jahrfünft nur zu deutlich bewiesen. Hoffmann. 689