Volltext Seite (XML)
66, 21. März 1900. Nichtamtlicher Teil. 2255 verdienen, nämlich als einen augenblicklichen Wind, der von einigen Leuten gemacht ist und der wieder vorübergeht. (Sehr gut! rechts und in der Mitte.) Ich finde in den Erklärungen jener Herren, daß sie mit Bestürzung, wie sie sagen, und voll Entrüstung dem Gesetzentwurf gegenüberstehen. Wer so öffentlich reden will, der muß seine Be stürzung auch an anderen Punkten zeigen (sehr richtig!), z. B. wenn sittenlose Aufführungen Vorkommen, wenn nichts würdige Theaterstücke aufgeführt werden, wenn der Barrisonskandal den ganzen Winter durch Berlin geht. Warum sind da die Herren nicht bestürzt und entrüstet gewesen! (Sehr richtig!) Da blieben sie zu Hause. (Zurufe links. — Große Heiterkeit.) Männer, die sonst auf der Mauer stehen, wenn es gilt, die Sitt lichkeit der Nation zu schirmen, die mögen auch in einem einzelnen Falle, wo sie Gefahr befürchten, Entrüstung äußern; aber wenn der Reichstag das Laster bekämpft und sich auf einmal eine bunte Gesellschaft zusammenthut, um dagegen zu protestieren, so dürfen Sic verständigen Männern nicht zumuten, auf solche Erklärungen Wert zu legen. (Sehr richtig! rechts und in der Mitte.) Man sagt freilich, cs sei eine Masse von Intelligenz, die dahinter stehe. Hier handelt es sich aber nicht um Intelligenz, sondern um den gesunden Sinn und das berechtigte Urteil der Sittlichkeit. Wellington war gewiß kein Pietist; er hat einmal gesagt: Bildung ohne Religion macht schlaue Teufel. Solche schlaue Teufel haben wir in unserem Volke eine ganze Menge. (Sehr richtig! und Heiterkeit. — Zuruf links.) — Gewiß, viele sehr intelligente Männer, aber von dieser Wellingtonschcn Sorte, die wir bei Verhandlungen über Sittlich keit nicht brauchen können! Es ist mir unbegreiflich, wie sittlich fühlende Männer darüber ein Geschrei machen können, daß man Dinge, welche das Scham- und Sittlichkcitsgcfühl gröblich verletzen, gerichtlich verfolgen will. Ich sollte meinen, es müßte jeder den Versuch, solche Dinge ein zuschränken, mit Zustimmung aufnehmen. Ist doch kein Zweifel, daß die heutige Gesetzgebung nicht stark genug ist, um diese un sittlichen Erscheinungen zurückzudrängen. Ich bin vor Jahren einmal in Sachen meines Berufs auf dem Polizeipräsidium gewesen und habe mit dem damaligen Polizeirat über den Stand der Unsittlichkeit und die nötigen Gegenwirkungen gesprochen. Ich kann Sie versichern, meine Herren, daß mich nichts mehr ver wunderte und erschreckte, als ein Schrank voll von unsittlichen Bildern und Darstellungen, von Schriften und Büchern, von denen mir gesagt wurde: das alles sind Sachen, welche die Polizei be schlagnahmt und das Gericht freigegeben hat. Das waren Sachen, von welchen ich gar nicht begreifen kann, daß das Gericht sie nicht verurteilte: Darstellungen, allerdings nicht unzüchtig im Sinne des Reichsgerichtes, aber in höchstem Maße schamlos und bis zum äußersten gemein. Diese Dinge unter das Strafgesetz zu bringen, ist allerdings nötig. Wenn man Mißtrauen gegen die Hand habung äußert, so trifft das nur die Richter, die später urteilen müssen. Das ist aber nicht richtig. Ich glaube nicht, daß Straf kammern, in denen fünf Richter sitzen, die Gesetze thöricht miß brauchen werden. Für einen Menschen von unverdorbenem Ge fühl ist es ganz klar, was das heißt: »gröblich das Scham- und Sittlichkeitsgefühl zu verletzen-. Nach dem Geist, der in unscrm Volke und im Richterstande herrscht, ist nicht anzunehmen, daß man allzu streng urteilt und Kunstwerken, die verdienen erhalten zu werden, ans Leben geht. (Sehr richtig! rechts.) Aber wenn cs in dem Schreiben des Vereins der Berliner Presse heißt, cs gäbe Stoffliches, das durch die künstlerische Verarbeitung zum Idealen erhoben wird, so wird niemand das leugnen. Keiner von uns ist so thöricht, daß er Nacktes um keinen Preis abge bildet wissen will. Aber es gicbt auch eine künstlerische Dar stellung, die mit genialem Bleistift oder geistreichem Pinsel das Natürliche dazu mißbraucht, daß es die Sinne reizen und ver derben muß. Nicht gegen das, was wahrhaft Kunst ist, nur gegen das Schlechte richtet sich der Gesetzentwurf; darum nehmen Sie ihn an. (Lebhafter Beifall rechts und in der Mitte.) Präsident: Die Generaldiskussion ist geschlossen. Kleine Mitteilungen. Post. — Der Uebergang des Briefverkchrs der Berliner Paketfahrt auf die Rcichspost erfordert ganz besonders umfassende Vorkehrungen, um für diese bei der zu erwartenden Steigerung des Vriesoerkehrs einen geordneten Betrieb sicherzustellen. Befördert doch die Paketsahrt zur Zeit etwa 45 Millionen verschlossener Briefe, während die Reichspost in Berlin und seinen Vororten nur 35 Mil lionen Ortsbricfe besorgt. Es werden daher in erster Reihe für den Wertzeichenverkauf bei den Postanstalten, deren Schalter jetzt schon stark belastet sind, unter Verstärkung des Personals weitere Schalter neu eröffnet werden. Auch erfolgt eine erhebliche Vermehrung der Straßenbriefkasten, um den Wegfall der 2200 Briefkasten der Paket fahrt nicht fühlbar zu machen. Die von der Reichs-Postverwal- tung zum Ersatz bestimmten Straßenbriefkasten bestehen nicht ganz aus Gußeisen wie seither, sondern aus einem Eisenrahmen mit Wänden aus emailliertem Stahlblech und sind infolgedessen bedeutend leichter als die jetzigen. Um die Schlußzeit für die Ortssendungen thunlichst spät eintreten zu lassen, wird die Dauer der Leerungsgänge durch Verkleinerung der Bezirke und Einstellung von Dreirädern verkürzt werden. Bezüglich der Ortssortierung sollen, der »Verkehrszeitung- zufolge, sne Post anstalten wie in der letzten Neujahrszeit künftig allgemein zu den einzelnen Einsammlungsfahrten die Berliner Sendungen nach Bestcllpostanstalten sortieren und so abgebunden dem Briefpostamte durch Vermittelung der Straßenposten, die doch bestehen bleiben, zuführen. Im Interesse einer pünktlichen Regelung des Bestell- und Einsammlungsdienstes wird ferner das städtische Postennetz eine weitgehende Ausgestaltung und Verbesserung erfahren, sowie der Bestelldienst bei allen Bestellämtern unter Verkleinerung der Reviere und erheblicher Verstärkung des Bestellpersonals neu organisiert werden. Um dem gesteigerten Raumbedürfniffe des Briefpostamts zu entsprechen — bei den übrigen Postanstalten genügen im allge meinen die vorhandenen Räumlichkeiten —, ist in dein Kaufhause -Brandenburg- in der Neuen Friedrichstraße ein 1300 Quadratmeter großer Raum, der bereits bei dem letzten Jahreswechsel zur Unter bringung der Neujahrssortierstelle benutzt worden war, für eine Reihe von Jahren gemietet worden. Dorthin wird die Brief abfertigungsstelle für Fernsendungen und die Drucksachenstelle ver legt werden, während der Ortssortierbetrieb in dem Postamt in der Spandauerstraße verbleibt. Zur Verteilung der nicht eiligen Ortsdrucksachen, wie Kataloge, Geschäftsanpreisungen u. s. w., die von den Postanstalten mit den eigenen Sortierern nicht bearbeitet werden können, soll eine besondere Ortsdrucksachenstelle in Thätig- keit treten. Dieser Stelle werden auch die von den Bahnposten eingehenden Säcke mit Drucksachen für Berlin zugeführt werden, um eine möglichst weitgehende Trennung der nicht eiligen Druck sachen von den übrigen Briefsendungen herbeizuführen und die Gefahr zu beseitigen, daß etwa Reste von Briefsendungen zu gunsten von Ortsdrucksachcn nicht aufsortiert werden und bis zur nächsten Bestellfahrt zurückbleiben müssen. Auch in den anderen Städten werden der Bestell- und Cinsammlungsdienst und die Zahl der Straßenbriefkasten unter Berücksichtigung des jetzigen Verkehrs umfanges der Privat-Briefbeförderungsanstalten der zu erwartenden Berkehrszunahme angepaßt. Neue Briefmarken. — Die 196 verschiedenen deutschen Kolonialpostmarken sind jetzt erschienen. Während die Marken bis zum Werte von 80 dieselbe Größe wie die neuen Zehnpsennig- Germaniamarkcn haben, sind die Marken im Werte von 1 und 2 größer. Alle zeigen das Bildnis eines deutschen Reichspostdampfers, über dem sich auf einem verschlungenen Bande in lateinischer Schrift der Name der betreffenden Kolonie befindet. Da das deutsche Reich 11 deutsche Schutzgebiete besitzt und in drei fremden Ländern deutsche Postanstaltcn errichtet hat, da ferner 14 ver schiedene Markenwerte im Umlauf sind, so ergeben sich hieraus 14x14 — 196 verschiedene Kolonialpostmarken. Das Körner-Museum in Dresden. — Das Körner- Museum in Dresden-Neustadt feiert am kommenden 28. März das Jubelfest seines fünfundzwanzigjährigen Bestehens. Unter dem Geläute der Osterglocken wurde cs am 28. März 1875 von seinem Begründer, dem königlich sächsischen Hofrat vr. Emil Peschcl, eröffnet, und zwar in dem Geburtshause des jugendlichen Freiheits sängers Theodor Körner am ehemaligen Kohlmarkte in Dresden. Die kleine Straße heißt jetzt »Körner-Straße-. Zwei Marmortafeln an dem Hause mahnen daran, daß wir uns hier an geweihter Stätte befinden. Die erste Tafel enthält die Worte: »Hier wurde geboren Theodor Körner am 23. September 1791. Er fiel im Kampfe für Deutschlands Freiheit am 26. August 1813. Gewidmet von seiner Vaterstadt am 26. August 1863.- Auf der zweiten Tafel lesen wir: »Hier wohnte bei seinem hochherzigen Freunde vr. CH. G. Körner Friedrich Schiller von 1786 bis 1787. Die Stätte, die ein guter Mensch betrat, ist cingcweiht; nach hundert Jahren klingt sein Wort und seine That dem Enkel wieder!- Die Front des Hauses enthält noch die gleichzeitig mit der Eröffnungs feier enthüllten bronzenen Reliefportraits Schillers und Theodor Körners, die aus einer im deutsch-französischen Kriege 1870 eroberten französischen Kanone von C. Lenz in Nürnberg gegossen und von Professor K. Echtermeier lcbensgetreu modelliert sind.' 302*