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133, 18. Juni 1897. Nichtamtlicher Teil. 4433 Rullmann in seiner Schrift: Die Bibliothekseinrichtungskunde .... Freiburg 1874, den Vorschlag gemacht, eine Versamm lung der deutschen Bibliothekare einzuberufen, von der er sich insbesondere die Anregung für die Herausgabe eines gedruckten allgemeinen deutschen Handschriftenkataloges versprach. Auch Julius Petzholdt hat in seinem »Anzeiger für Bibliothekswesen« wiederholt sich der Sache angenommen und sie nach Kräften zu fördern versucht. Sehr eingehend hat dann E. Förstemann, gegenwärtig Oberbibliothekar in Leipzig, in seinem schönen Aussatze »Die Verbindung zwischen den deutschen Bibliotheken«, Ccntralblatt für Bibliothekswesen, 1. Jahrgang, 1884 S. 7 ff. die Frage behandelt. Merkwürdigerweise hat der so natürliche Gedanke bis jetzt in Deutschland noch immer keine Verwirk lichung gefunden. Dagegen ist vor mehr als Jahresfrist (am 23. Februar 1896) in Wien der »Oesterreichische Verein für Biblio thekswesen« gegründet worden, der nach einem Jahre seines Bestehens schon auf bedeutende Erfolge Hinweisen kann, ein Zeichen, wie zeitgemäß die Gründung dieses Vereines war und von welchem Nutzen eine ähnliche Vereinigung der deutschen Bibliothekare, deren es an Zahl viel mehr giebt, wäre. Den Statuten nach bezweckt der Verein, das Bibliotheks wesen in Oesterreich zu fördern, was durch Erörterung der Bibliotheksangelegenheiten, durch Herausgabe periodischer oder nichtperiodischer Publikationen, durch Veranstaltung von Vor trägen und Besprechungen, sowie durch Vertretung der ge meinsamen Standesangelegenheiten der Bibliotheksbeamten erreicht werden soll. An der Spitze des Vereins stehen gegenwärtig Hofrat Ritter von Zeißberg, der Direktor der Hof bibliothek als Obmann; Regierungsrat vr. Ferdinand Grassauer, Direktor der Universitätsbibliothek, und Universitäts-Professor vr. Eduard Reyer, der Leiter der Wiener Volksbibliotheken, als Obmannstellvertreter; Rudolf Geyer, Skriptor der Hof bibliothek, und Josef Donabaum, Amanuensis der Wiener Universitätsbibliothek, als Schriftführer; I. Himmelblaur, Skriptor der Wiener Universitätsbibliothek, als Kassierer; ferner vr. K. Glossy, der Direktor der Wiener Stadtbibliothek, vr. Franz Schnürer, Skriptor an der k. k. Familien-Fideikommiß- Vibliothek, F. I. Truhlar, Kustos der Prager Universitäts bibliothek, P. Maurus Kinter, der Vorstand der Stiftsbiblio thek in Raigern, und Professor H. von Zwiedeneck-Südenhorst, der Direktor der Steiermärkischen Landesbibliothek in Graz, als Ausschutzmitglieder. Die Mitgliederzahl hat in der kurzen Zeit seit dem Be stände des Vereins die Höhe von 148 erreicht. Ehrenmit glieder des Vereins sind Hofrat Wilhelm Ritter von Härtel, Sektionschef im Ministerium für Kultus und Unterricht, früher Direktor der Wiener Hofbibliothek, und Hofrat vr. Adolf Beer, bis vor kurzem Referent für Bibliotheksangelegenheiten im Abgeordnetenhause. Schon nach Ablauf des ersten Vereinsjahres konnte der Verein mit Genugtuung auf seine Thätigkeit zurückblicken. Es wurden vier größere Vorträge gehalten. Am Tage der konstituierenden Generalversammlung (23. Februar 189o) sprach Regierungsrat vr. F. Grassauer über »Ziele und Aufgaben des modernen Bibliothekswesens«. Durch den Abdruck im Centralblatt für Bibliothekswesen (1896 Heft 5/6) ist dieser anregungsreiche Vortrag auch wei teren Kreisen zugänglich gemacht worden. — Von dem un geheueren Aufschwünge, den die Wissenschaften in den letzten Dezennien genommen, ausgehend, schildert der Vortragende die sich täglich steigernde litterarische Produktion, die wachsen den Bedürfnisse der Bibliotheken und die sich mehrenden An forderungen an diese. Ueber die von A. Roguette in seinem fleißigen Aufsatze: Die deutschen Universitätsbibliotheken, ihre Mittel und ihre Bedürfnisse (Sammlung bibliothekswissen schaftlicher Arbeiten, herausgegeben von K. Dziatzko Heft 6), veranschlagte Summe von 51 000 wie mir scheint mit Recht, hinausgehend, beziffert Grassauer den Gesamtwert der alljährlich erscheinenden wissenschaftlichen Publikationen, die von einer Studienbibliothek eigentlich angeschafft werden müßten, mit 100 000 fl. Dem gegenüber erscheint natürlich die Dotation von je 30 000 fl., die selbst den beiden größten Bibliotheken der Monarchie, der k. k. Hofbibliothek und der Universitätsbibliothek zu Wien gewährt wird, verschwindend gering, und thatsächlich ist diese Summe trotz aller Oekonomie und möglichster Beschränkung auf das Notwendigste lange nicht imstande, alle Bedürfnisse der ersten Bibliotheken des Reiches, die auch noch alle andern Provinzbibliotheken unterstützen müssen, zu befriedigen. Die königliche Bibliothek in Berlin, die zum mindesten ein Zehntel aller der Werke, die in Wien angekauft werden, als Pflichtexemplare gratis bezieht, ohne bei der verhältnismäßig geringfügigen wissenschaftlichen Produktion des österreichischen Buchhandels eine auch nur annähernd gleiche Summe auf die Erwerbung österreichischer Verlagswerke verwenden zu müssen, erhält für Bücheranschaffungen eine genau dreimal so große Dotation, d. i. 150 000 Ja, selbst deutsche Landesbiblio theken, wie die Straßburger Universitätsbibliothek, die gleich falls durch den Empfang der Pflichtexemplare aus dem kleinen Elsaß-Lothringen, was den wissenschaftlichen Wert anlangt, wohl nicht schlechter gestellt ist als die Wiener- Bibliotheken, erhält eine um 6000 ^ reichere Dotation als die Wiener Hofbibliothek.*) Sehr richtig betont weiter der Vortragende den Wert einer nach einheitlichen Prinzipien durchgeführten Katalogisierung in sämtlichen österreichischen Bibliotheken, ein Wunsch, dessen Erfüllung leider nicht so bald eintreten wird. Bei der völligen Unabhängigkeit der einzelnen Bibliotheken und dem gänzlichen Mangel einer Verbindung untereinander haben sich diese Sammlungen völlig selbständig entwickelt und weisen in ihrer Einrichtung die größten Verschiedenheiten auf. Durchaus sympathisch steht der Leiter der ersten und größten Studienbibliothek der Monarchie, einer der hervor ragendsten Bibliothekare des Reiches, dem Unternehmen des Ollles ivtsrnationsl äs Libliograpbis, betreffs Schaffung eines bibliographischen Universal-Repertoriums gegenüber. »Dieses Unternehmen ist ein so großartiges«, heißt es in dem ge nannten Vortrage, »daß manche an der Möglichkeit der Lösung dieser schier unermeßlichen Aufgabe zweifeln. Die Aus führung dieser kühnen Idee ist aber bei der Anwendung der richtigen Mittel und Wege und bei der Einschränkung auf das Hauptziel an und für sich nicht unmöglich und schließlich nur eine Geldfrage, wie so manche anderen großartigen Leistungen unserer Zeit. Das ist gewiß: Bibliographie und Bibliothekswesen sind ein Geschwisterpaar, von denen keines ohne das andere sein kann und die stets Hand in Hand gehen. Denken wir uns eine Bibliothek, die alle Bücher, die je im Druck erschienen sind, enthält, — was nützen uns alle ihre Bücherschätze, wenn wir nicht ein gutes systematisches Repertorium darüber haben? Stellen wir uns anderseits ein vollständiges und ins Detail gearbeitetes Repertorium über alle je erschienenen Bücher und wissenschaftlichen Abhand lungen vor, was würden wir für einen Nutzen davon haben, wenn wir die Bücher, auf die es verweist, nicht bekommen? Das »InZtikut äs Libliograplüs« und die Bibliotheken sollen daher auch einander Hand in Hand arbeiten, und wenn sie Zusammen wirken, können sie die höchsten Ziele erreichen, ohne einander aber nicht Wenn künftig die Bibliotheken ihre Kataloge oder besser die einzelnen Staaten ihre Generalkataloge dem *1 Bemerkungen des Referenten und nicht dem Vortrage vr. GrassauerS entnommen. VlerundsechMlir Jahrgang, 594