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Der deutsche Provinzialbuchhandel (Svnderabdruck cius Nr 157 der Münchener -Allgemeinen Zeitung».) Seil längerer Zeit schon treibt der deutsche Provinzial- buchhandcl einer unverkennbaren Krisis entgegen, hervorgerufen dadurch, das; eiu Ring Leipziger und Berliner Schleuderer da rauf ausgeht, durch rücksichtslose Rabattüberbietungen das gesamte Provinzgeschäft an sich zu ziehen und die dortigen Buchhand lungen einfach totzumachen. Diesem Treiben ist leider in be denklicher Weise Vorschub geleistet worden dadurch, daß staatliche und städtische Behörden, Institute, Schulen, Bibliotheken u. s. w. begonnen haben, ihren Bedarf ebenfalls ausschließlich von Berlin und Leipzig zu beziehen und damit dem heimatlichen Buchhandel die Lebensadern zu unterbinden. Vom Standpunkte des Staatsbürgers und Steuerzahlers, sowie der revidierenden Oberrechnungskammer ist es gewiß richtig, daß die öffentlichen Bedürfnisse so billig als ausführbar befrie digt werden. Aber dieses Interesse findet doch seine Begrenzung in jenem größeren wirtschaftlichen Interesse, welches das Wohl ergehen der Allgemeinheit zum Ziele hat. Der berechtigte Wunsch, ja die anznerkennende Pflicht der Behörden u. s. w., ihre Bücher möglichst billig zu beziehen, darf nicht der Beförderung eines bedenklichen sozialpolitischen Mißstandes dienen, als welcher der Niedergang des Provinzialbuchhandels ohne Zweifel zu betrachten ist. Daß wir damit zu einer völlig ungesunden Entwicklung drängen, erhellt nicht zum wenigsten aus dem Umstande, daß jene großstädtischen Schleuderer sogar vor vorübergehenden Ver lusten nicht zurückschrecken, um den Absatz in den Provinzen an sich zn ziehen. Was wird die Folge sein? Einfach die, daß die Verleger alsbald von dieser Handvoll »Grossisten« abhängen, welche naturgemäß nicht das Interesse haben, sich mit einem mühsamen Literaturvertrieb abzugeben, d. h. Vermittler zwischen Schriftsteller und Publikum zu sein und damit der gesamten geistigen Entwicklung der Nation zu dienen; sondern jene Grossisten werden nur »das Gangbarste« vertreiben. Zu den, Monopol eines so gearteten Buchhandels gesellt sich dann als selbstver ständlich auch das Monopol bestimmter politischer, wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Richtungen, und ein ziemlich eng gezogener Kreis von Autoren, Verlegern und Büchervcrscudern beherrscht alsdann das gesamte geistige Arbeitsgebiet des deutschen Volkes. Nun würde es aber eine arge Täuschung sein, wenn die jenigen, welche heute derartige Bestrebungen fördern, ohne sich Rechenschaft über deren Folgen zn geben, etwa an eine lange Dauer des billigen Büchcrbezuges glauben wollten. Je schneller durch die Preisschleuderuug der Provinzialbuchhandel erdrückt wird, desto eher werden die Bücherpreise wieder ganz erheblich ^ steigen und die Abnehmer in der Provinz ihre Bücher aus Berlin und Leipzig dann nicht mehr billiger, sondern ganz er heblich teurer beziehen, mit dem Unterschied freilich, daß an die Stelle solider, seßhafter Buchhändler in der Provinz eiu unzu verlässiges , rasch wechselndes und vagierendes Bücherhändler- Proletariat getreten sein wird. Damit dürfte aber weder dem Interesse des Publikums, noch dem öffentlichen Interesse, dem des Staates, gedient sein. An einzelnen Stellen hat man dies bereits erkannt, und wir registrieren mit Befriedigung die Thatsache, daß auf An ordnung des Herrn Oberbürgermeisters Miguel die städtischen Behörden und Institute von Frankfurt a. M. angewiesen sind, ihren Bücherbedarf in Frankfurt selbst einzukaufen. Was dem ! Buchhandel recht ist, ist ja den anderen Handelszweigen billig; wohin sollte es aber wohl führen, wenn die staatlichen und städtischen Behörden generell dem Grundsatz folgen wollten, ihren gesamten Bedarf aller Art aus Berlin zu beziehen? Wir gelangten damit zu einer Centralisation, welche dem deutschen Volksgeiste entschieden widerstrebt und nach den verschiedensten Richtungen zu ungesunden Verhältnissen führen muß — einer Centralisation, gegen welche man sich in der Gestaltung unsrer Bundes- und Reichsverhältnisse nach Möglichkeit gewehrt und die man auf das wirklich notwendige Maß eingeschränkt hat. Die Vielgestaltigkeit des deutschen Volkslebens, ehedem eine Quelle unsrer Schwäche, ist, seitdem sie durch die Aufrichtung des Reiches einheitlich zusammengefaßt worden, eine Quelle unsrer nationalen Kraft. Wir glauben, daß eine Centralisation für Deutschland in Berlin, wie sie für Frankreich in Paris be steht, sich im Gegensatz zu unsrer nationalen Entwicklung be finden und die letztere in hohem Grade beeinträchtigen würde. Zu einer solchen Centralisation, anfangs in wirtschaftlicher Be ziehung, dann durch die Schwerkraft der Dinge auch in poli tischer, müßten wir aber gelangen, wenn sämtliche Behörden ihre Bedürfnisse aus Berlin beziehen würden, einfach aus dem Grunde, »weil dort billiger zu kaufen ist«. Durch einen der artigen riesenhaften Zuwachs würden die Berliner Geschäfte zu einer so gewaltigen Umsatzsteigerung gelangen, daß sie in ihren Preisen immer weiter herabgehen könnten, und die Provinz müßte in unerbittlicher Folge mehr und mehr verarmen und veröden. In verschiedenen anderen Geschäftszweigen wird die Wand lung sich vielleicht langsamer vollziehen, weil hier das Vertrauen des Käufers zum Verkäufer, das Bedürfnis einer persönlichen Prüfung der Ware, nicht so schnell zu ersetze» ist. Am schlimmsten ist aber jedenfalls der Buchhandel daran; denn ein Band, von Berlin oder Leipzig bezogen, ist genau der nämliche, als wenn er in Nürnberg, München, Stuttgart oder Karlsruhe eingekauft wäre. Damit gegen diese Darlegung nicht der Einwand erhoben werde, als sei sie von einer partikularistisch mißgünstigen Ab neigung gegen Berlin eingegeben, so mag ausdrücklich hinzu gefügt sein, daß der Verfasser ein Berliner ist, der ungeachtet aller Anhänglichkeit an seine Vaterstadt, seiner Freude an ihrem großartigen Politischen, wirtschaftlichen und kommunalen Auf schwung, sich doch den offenen Blick für die ringsum im Werden begriffenen Verhältnisse bewahrt hat und wünscht, daß Berlin als Reichshauptstadt führend und vervollkommnend, nicht aber aussaugend und zerstörend wirken möge. Den berufenen Wächtern des öffentlichen Gemeinwohles werden diese Dinge in ihrem Zusammenhänge und in ihrer Tragweite nicht entgehen, und wenn der deutsche Buchhandel sich mit einem viäeant Oonoulos an die elfteren wendet, so darf er hoffen, für seine vitalsten Lebensfragen dort nicht nur vollem Verständnis, sondern auch wohlwollendster Beurteilung seines Verlangens zu begegnen: »daß die Behörden nicht durch Unter stützung einer ungesunden Centralisation die Grundlagen des deutschen Buchhandels und damit in weiterer Folge die wissen schaftliche Entwicklung und geistige Reife unsres Volkes zu zer stören, sondern durch möglichste Begünstigung des Provinzialbuch-