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^ 242, 18. Oktober. Nichtamtlicher Theil. 4319 Interesse eines ordinären Wochenblattes, in welchem der Kur pfuscherei und sonstigem Schwindel das Wort geredet wird, durch die Straßen Berlins seine Bahn nimmt. Gegen die Kolportage weiß sich der Einzelne kaum noch zu erwehren, wie das „Mainzer Journal" und der „Crefelder Volksfreund", welche gegen diese „Schnürer und Volkspeiniger", die unter dem Namen Buchhand lungsreisende das Volk belästigen, zu Felde ziehen, überein stimmend bestätigen. Der „Reichsbote" wendet sich gleichfalls gegen die immer mehr die Oberhand gewinnenden schlechten Er zeugnisse der buchhändlerischen Production. — Nirgends empfindet man diese Uebelstände besser, als in den buchhäudlerischen Kreisen selbst. Man hat dort gegen diese Gebrechen die Augen nicht verschlossen und will ein Heilmittel in gesetzlichen Beschränkungen finden, durch welche dem stetigen Anwachsen der Zahl der Sor timenter und Kolporteure ein Ziel gesetzt wird. Mag sein, daß damit Einiges geholsen wird; aber nach unserm Ermessen würde man hierdurch noch nicht an den Sitz des Uebels gelangen. An den eigentlichen Kernpunkt der Frage, an die Gestalt, welche unser heutiger Verlagsbuchhandel angenommen hat, ist man noch nicht in genügender Weise herangetreten, und von hier ausgehend, wird man wohl am leichtesten und besten einen Ueberblick über die Mängel unseres Buchhandels gewinnen. Der heutige Ver lagsbuchhandel befindet sich vielfach aus Abwegen und treibt aus eine Verschlechterung unserer literarischen Production zu. Nur dadurch, daß man die allgemeinen Kennzeichen der Schmarotzer literatur festzustellen sich bemüht, wird man dahin gelangen, die Mittel zu finden, welche geeignet sind, Dasjenige, was der Buch handel Gemeinschädliches an sich trägt, zu beseitigen. Ein Ver leger war nach den Anschauungen, wie sic früher, zur Zeit der Blüthe unserer Literatur, bestanden, Derjenige, welcher die von ihm erworbenen geistigen Erzeugnisse eines Autors buchhänd lerisch verwerthete. Den Inhalt des Buches hatte der Autor dem Publicum gegenüber zu vertreten. Der Verlagsbuchhändler überlegte sich, bevor er das Manuskript erwarb, ob dasselbe der Richtung und den Zwecken seines Verlags entsprach, ob er in die Person des Autors das nöthige Vertrauen setzen könne, und ob er mit dem Werke ein Geschäft machen werde. Durch dieses Verfahren, welches heute noch dasjenige der älteren Firmen des deutschen Buchhandels ist und auch von jüngeren ehren- werthen Verlegern beibehalten wird, wurde ein vollständig lau teres Verhältniß zwischen Autor und Verleger geschaffen, welches dem ganzen Buchhandel einen soliden Charakter verlieh und dem Autor eine Unabhängigkeit verbürgte, die allein schon eine Ga rantie für das Publicum war. In den letzten Jahrzehenden, welche ja auch das Gründerthum zu Tage gefördert und in welchen alle Geschäftskreise von einer unbezähmbaren Gier nach raschem Erwerb von Reichthümern befallen erscheinen, hat sich nun in dieser Beziehung Manches geändert. Der Buchhandel ist vielfach zu einem Gegenstände der Großindustrie, des ordi nären Fabrikbetriebes geworden, bei welchem es sich um unge heure, dem Laien völlig unverständliche Summen handelt, um einen Geschäftsbetrieb, welcher außerordentliche Gewinnste ergibt, welchem aber auch oft genug alle Schäden der Fabrikwirthschaft, schlechte Durchschnittswaare und herausgequälte, nicht aus freiem Drange des Herzens entsprungene, liebevoll durchgeführte Arbeit, anhasten. Der moderne Großbuchhändler trachtet nicht danach, sich in erster Linie durch vorzügliche Autoren Eingang auf dem Markte zu erwerben, sondern der Gegenstand des Verlags unternehmens ist für ihn bestimmend. Er gibt demjenigen Gegen stände den Vorzug, welcher ihm das größte Publicum sichert. Er selbst bestimmt das Thema für das Buch, welches in seinem Verlage erscheinen soll, und sucht sich dann den Autor oder die Autoren, welche die Ausführung des Werkes unternehmen sollen. Mit großer Vorliebe beschäftigt sich der moderne Verlag daher mit der Herausgabe von Sammelwerken und lexikographischen Arbeiten, weil man hier am bestimmtesten auf ein sicheres Publicum rechnen kann und weil die Ausdehnung eines solchen Werkes die Herausgabe einer unendlichen Zahl von Lieferungen verlangt. Um derartige Unternehmungen, die in Auflagen von 30,000 und 40,000 Exemplaren erscheinen, in Fluß zu bringen, wird das Aeußerste geleistet. Hunderttausende werden für In serate und Reclamen geopfert, 500,000 bis 600,000 Prospekte in die Welt geschleudert, von der ersten Lieferung werden 200,000 Exemplare, von der zweiten Lieferung 100,000 gratis vertheilt; die Kolporteure erhalten die ersten 4 oder 5 Liese rungen ohne jede Entschädigung zur Belohnung sür die von ihnen gesammelten Snbscribenten und außerdem den Buchhänd lerrabatt für jede folgende Lieferung. Letzterer beträgt beispiels weise bei einer bekannten Firma 40 Procent bei Abnahme von 1, 50 Procent bei Abnahme von 10, 60 Procent bei Abnahme von 100 Exemplaren. Nun laufen die Kolporteure und gehen den Unglücklichen, die ihnen einmal die Thür geöffnet, nicht aus dem Zimmer. Man hat Werke, die bei einer jedesmaligen Auflage von 40,000 Exemplaren 3 Auflagen erlebten und mit welchen ganze Länder überschwemmt wurden. Die Folge ist, daß, wenn ein derartiges Sammelwerk einmal untergebracht wurde, für andere buchhändlerische Unternehmungen sich kein Raum mehr findet. Die Kaufkraft des zum großen Theil aus dem unteren Mittelstände sich recrutirenden Publicums ist er schöpft, denn die Snbscribenten mußten in der letzten Zeit alle ihre Kräfte anstrengen, oft gar ihren Lieblingsneigungen ent sagen, um das Geld sür die 160 oder 180 Lieferungen des einem „allgemeinen, längst gefühlten Bedürfnisse" entsprechenden Werkes herbeizuschaffen. Schickt dann der Sortimenter dem un glücklichen Abonnenten, welcher einer solchen Buchhändlerspecu- lation tributpflichtig wurde, ein für seinen Beruf wichtiges, neu erschienenes Werk ins Haus, so wird dasselbe zurückgeschickt, weil das für Bücher bestimmte Budget schon längst überschritten wurde. Nicht minder schlimm wie bei dem Käufer sieht es aber oft auch bei dem Autor aus. Die Arbeit, welche er liefert, ist „Accord- arbeit". Er arbeitet nicht aus freiem Antriebe, sondern weil er durch Prämien angespornt wird, die er ausgezahlt erhält, wenn er bis zu einem bestimmten ersten Termin das Manuskript liefert, oder durch Konventionalstrafen bedroht wird, wenn er dasselbe bis zu einem weiteren letzten Termin nicht liefert. Daß hier ein wesentliches Moment, die Freude an der Arbeit selbst, welche den Autor antreiben soll, wegfällt, versteht sich von selbst, und der öde nüchterne Charakter, welchen die Gesammtheit der Fabrikerzeugnisse verschiedener Verleger trägt, findet hierin seine genügende Erklärung. Dessenungeachtet ist dieses noch nicht die schlimmste Seite der modernen buchhändlerischen Production. Große, kostspielige Prachtwerke sind überhaupt oft nur als Lie ferungswerke verkäuflich, und würde der Verleger auf dem ge wöhnlichen Wege nicht einmal auf die Kosten kommen. Außerdem bemühen sich einzelne Firmen, Künstler ersten Ranges zu ge winnen, und verzichten auf jede Einwirkung auf den Autor, durch welche versucht wird, denselben dem Geschäftsinteresse dienst bar zu machen. Hier bleibt immer der Autor dem Publicum gegenüber der garantirende Theil; er besitzt seine volle Unab hängigkeit, und die Verleger verschmähen es zugleich, in die alltägliche Spekulation hinabzusteigen und Werke in Lieferungen herauszugeben, deren Herstellungskosten einen Verkauf nach Bän den gestatten. Anders aber gestaltet sich die Sache, wenn die Firma für ihre Fabrikerzeugnisse garantirt. Der Verleger be sitzt hier zugleich das Autorrecht und gestaltet das Manuskript, das der ursprüngliche Autor geliefert, für die Zwecke seiner 595*