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942 Nichtamtlicher Theil. 59, 12. März. Grunde liegen müssen. Ist es einmal von den Zeitgenossen versäumt worden, die persönlichen Verhältnisse eines Individuums durch schriftliche Aufzeichnungen zu fixiren, oder sie wenigstens Andern zu diesem Zweck mitzutheilcn, so ist eine eigentliche Biographie einer solchen Persönlichkeit unmöglich geworden. Man kann wohl ihre Thätigkcit nach gewissen Seiten hin, ja ihre eminente Wichtig keit und Bedeutsamkeit wissenschaftlich, d. h. kritisch, völlig hin reichend ins Licht stellen und schildern; aber eine organische, nament lich psychologisch entwickelnde vollständige Lebensbeschreibung zu geben vermag man nicht mehr. Dies ist auch bei unserm PH. E. Reich der Fall, und wir loben deshalb das Verfahren des Hrn. Büchner, der cs vorzog, lieber treu beglaubigte, zuverlässige, und dadurch uni so anschaulichere und anziehendere Einzelschilderungen zu geben, statt durch Conjccturen, Fictioncn oder gemachte Re flexionen eine Geschichte seines Helden künstlich herzustellen, zu der dieser, wenn man nur die Bedeutung seines Wirkens in Anschlag bringt, wohl berechtigt wäre, zu der aber, wie gesagt, das umfassende, allseitig«: Material fehlt. Dafür gibt uns der Verfasser ein interessantes Bild aus dem buchhändlerischeu Verkehr, das sich wie von selbst an eine Schil derung der Thätigkcit PH. E. Reich's anschließt, und auch für uns noch von nicht unerheblichem praktischem Interesse ist, und darauf Schilderungen des geschäftlich-literarischen Verkehrs Reich's mit elf namhaften Gelehrten und Schriftstellern der damaligen Zeit, die mit dem allgemein literarischen Interesse, das der Verfasser ihnen zu geben gewußt hat, noch das speciclle Verdienst verbinden, daß sie auf der zuverlässigsten authentischen Urkundlichkeit beruhen, da sie sämmtlich auf den noch vorhandenen Schriftstcllcrbriefen und den Mitthcilungen des Hauptbuchs der Weidmannschcn Handlung be ruhen. Dabei darf Niemand befürchten, daß er etwa mit einem un verarbeiteten Ballast aus Hauptbuch und Briefarchiv überschüttet werde. Hr. Büchner hat cs — was ein ebenso großes Zcugniß für seine wissenschaftliche Befähigung wie für seinen Geschmack ablcgt — vorgezogcn, nicht dem Beispiele so vieler modernen Herausgeber von Briefsammlungen u. dergl. zu folgen, welche auch kein Brief- schnitzclchcn, keinen noch so geringfügigen Gedaukenspan ihres Autors dem Publicum vorenthalten; er hat cs vielmehr für gut be funden, seinen Stoff nicht roh, sondern verarbeitet dem lesenden Publicum vorzulegcn, d. h. in fortlaufender, lesbarer Erzählung, die das geistige Resultat der brieflichen Urkunden zn einer anschau lichen Schilderung des Verkehrs zwischen Autor und Verleger ge staltet, uns mitzutheilcn, und nur dann sich wörtliche kürzere oder längere Auszüge aus den Briefen oder gar vollständige Mitthcilung derselben zu gestatten, wenn es das Interesse, welches sie gewährten, ganz besonders rechtfertigt oder gar verlangt. In dem ersten der (bekanntlich gleich den früheren ebenfalls schon einzeln in diesen Blättern erschienenen) Aussätze, „Schriftsteller und Verleger vor hundert Jahren", erörtert der Verfasser auf die allseitigstc und eingehendste Weise die Frage von dem Selbstverläge der Werke der Schriftsteller durch diese selbst. Wir können allen unbefriedigten, mit ihren Verlegern unzufriedenen Autoren — und deren gibt es ja immer eine Legion — nur rathen, den höchst ruhig und unbefangen geschriebenen, durchweg den Stempel der größten Unparteilichkeit tragenden Aufsatz ebenso unbefangen und ruhig durchzulcscn, um von ihren Vorurtheilcn in Betreff der angeblichen Ausbeutung des Schriftstellers durch die Verleger und von ihren Hoffnungen auf die Panacöe des Selbstverlags gründlich curirt zu werde». Nicht durch abstracte Raisonncments und durch sophi stische Reflexionen, sondern durch Thatsachen, an der Hand der Erfahrung, und Pragmatisch die Gründe davon erörternd, weist Hr. Büchner nach, daß alle die größeren und kleineren Unter nehmungen, durch Selbstverlag die Vortheile der Verleger den Schriftstellern zuzuwendcn, auf fehlerhaften Ansichten vorn literari schen, speciell dem buchhändlerischen Verkehr und falschen Berech nungen beruhen. Auf diesen Aufsatz folgen sodann die aus den Schriftsteller briefen und dem Hauptbuch gezogenen Schilderungen des Verkehrs PH. E. Reich's mit Schriftstellern, welche mit der Wcidmannschen Buchhandlung in geschäftlichem Verkehr standen. Diese interessan ten Skizzen bilden den eigentlichen Kern der Schrift, die dadurch in die Reihe der Quellenwerke zur deutschen Literargeschichte eintritt. Die Schriftsteller, welche uns darin vorgeführt werden, sind Christian Gottlob Heyne, Johannes Müller, Johann Caspar Lavatcr, Johann Georg Zimmermaun, Karl Wilhelm Ramler, Jean Andrü de Luc, August Hermann Niemeyer, Gottlicb Christoph Harlcß, Christian Cay Lorenz Hirschfeld, Christian Joseph Jagemann und Heinrich Gottfried Scheidemantcl. Obwohl alle diese Autoren zu den mehr oder weniger bedeutenderen Schriftstellern der damaligen Zeit ge hören, so würde es doch ein Verstoß wider die Wahrheit sein, wollte man behaupten, daß die Mitthcilungen von und über dieselben alle von der gleichen Bedeutung wären. Letztere hing vor allem von der Bedeutung der von ihnen übrig gebliebenen Corrcspondenz ab. Glücklicherweise war diese bei den wichtigsten unter den genannten Schriftstellern auch von der erheblichsten Bedeutsamkeit. Diesem Umstande vor allem, und dann der einfachen, aber durch geschickte Combination des Thatsächlichen höchst anziehenden Darstellung des Verfassers verdanken wir in den Aufsätzen über den Göttinger be rühmten Philologen Heyne, über den schweizer Historiker Johannes Müller, über den bekannten Physiognomiker und Diakonus Lavatcr in Zürich und einen dritten Schweizer, den Leibmcdicus Zimmcr- mann in Hannover, den Verfasser der bekannten Werke über die „Einsamkeit" re., vier wahrhafte literarhistorische Cabinetsstücke, an ziehend vor allem durch das natürliche Leben und die treue unge schminkte Weise, mit der sich die geschilderten Persönlichkeiten darin einführen. Die Skizze über Ramler reiht sich würdig den vorher gehenden an. Das Werk schließt mit Nachträgen zum ersten Theil, unter denen ein Lehrvertrag von Interesse ist, durch den des Dichters Klopstock Bruder Johann Christoph Ernst als Lehrling in die Wcid- manusche Buchhandlung cintrat. Indem wir hiermit die Anzeige des interessanten Buches schließen, können wir nicht umhin, den vom Verfasser ausgesprochenen Wunsch zu wiederholen und angelegent lichst zu betonen, daß dem deutschen Buchhandel aus seiner Schrift die Anregung erwachsen möge, mehr als bisher geschehen, die alten Geschästspapierc auf Beiträge zur Geschichte deutschen Lebens durch zusehen. Von welch bedeutendem Interesse würde cs — um nur eines zu erwähnen — nicht sein, zu erfahren, wieviel Exemplare von den bedeutendsten Werken unserer Schriftsteller abgesetzt, und nach welchen Orten und Gegenden Deutschlands sie abgesetzt worden seien! Es liegt aus der Hand, daß solche Mitthcilungen von der eminentesten Wichtigkeit für eine Statistik des deutschen Geisteslebens sein müßten; eine Aufgabe, deren kulturhistorische Bedeutung nicht zu bestreiten, zu deren Jnswcrksetzung aber noch nicht einmal ein Anfang gemacht worden ist. Zur Arbeitseinstellung der Setzer in Leipzig. XI.*) Leipzig, 11. März. Zur Vervollständigung der nculichen kurzen Notiz über die Einberufung einer außerordentlichen Generalversammlung des Deutschen Buchdruckervereins bringen wir heute noch folgende weitere Mittheilung: Die von der letzten Generalversammlung des Deutschen Buchdruckervereins zur Ausarbeitung eines Normaltarifs gewählte Commission trat, wie *) X. S. Nr. 57.