Volltext Seite (XML)
Nichtamtlicher Theil. Andreas Haase, Edler von Wranau.*) Am 29. Juli 1819 traf dcr Blitz einen der Tcynthürmc in Prag. Bald schlugen die Hellen Flammen auf, ein heftiger Wind schleuderte einen Sprühregen von Funken, selbst brennende Holz stücke weithin aus die Nachbardächcr. Neben dem Kinsky'schen Palais stand das Haus zum halbgoldencn Stern, damals das Eigenthum des ständischen Buchdruckers Gottlieb Haase. Auf dem Dachboden waren große Masten Drucksachen zum Trocknen aufgcbängt, im Hause selbst der Thordurchgang und andereRäumc mit bedeutenden Papiervorrathen gefüllt. Fingen diese an den niederfallendcn Funken Feuer, so war das Haus mit der darin befindlichen Druckerei in höchster Gefahr. Der alte Hr. Haase befand sich mit seiner Frau und den zwei jüngsten Söhnen zur Cur in Teplitz, der älteste Sohn Ludwig war außerhalb der Stadt beschäftigt, unter dem Personale Niemand, der entschlossenen Muth oder Selbstvertrauen genug hatte, um die nöthigen Dis positionen zur Abwehr der Gefahr zu treffen. Da sprang An dreas, damals Gymnasiast, noch kaum fünfzehn Jahre alt, vom Studiertische auf, eilte auf den Dachboden, überblickte die Ge fahr und traf sogleich alle Anordnungen, die zur Abwendung der selben zweckdienlich waren. Diese Ruhe, diese Geistesgegenwart, dcr schnelle Ueberblick, die — wo die Umstände drängten — rasche Entschlossenheit, die er hier als fünfzehnjähriger Jüngling gezeigt, charakterisirte ihn durchs ganze Leben. Der alle Gottlieb Haase, ein Mann, der — 1798 aus Hal berstadt eingcwandert — sich durch Fleiß, Geschicklichkeit, Unter nehmungssinn und kluge Benützung günstiger Umstände binnen wenigen Jahren vom einfachen Buchdruckergehilfen zum wohl habenden Mann emporgearbeiict hatte, ließ seinen Söhnen, trotz dem er sie wohl zumeist für den gewerblichen und industriellen Stand bestimmte, doch eine sorgfältige humanistisch-wissenschaft liche Erziehung geben. So besuchte Andreas Haase das altstädter Gymnasium; erst nachdem er dieses absolvirt hatte, nahm ihn sein Vater in sein Geschäft und ließ ihn sodann, damit er dasselbe auch in derFremde und von der Pike auf kennen lerne, 1821 in Brünn in dcr Traßlcr'schen Ofsicin als Setzer eintreten. Wie mir der Verstorbene oft erzählte, hatte ihn sein Vater, damit er sich auf seine eigene Arbeit verlassen lerne, auf das angewiesen, was er sich als Setzer erwarb, und ihm nur einen Zuschuß von fünf Gul den Schein per Woche gegeben. In Brünn blieb Andreas bis zum August 1822 und trat sodann in der väterlichen Druckerei als Setzer ein. Neben der Druckerei betrieb der alte Haase eine sehr schwunghafte Papierhandlung; damit Andreas auch diesen Geschäftszweig kennen lerne, nahm ihn sein Vater im Januar 1823 als Spediteur in die Papierhandlung. So wie Andreas, mußte auch Ludwig die verschiedenen Geschäftszweige — das Buchdruckcrgewerbe z. B- in Halle — von unten auf erlernen. Es sollte sich nur zu bald zeigen, wie praktisch es vom alten Haase war, daß er seine Söhne sowohl nach allen Geschäftsrichtungen gründlich sich ausbildcn ließ, als auch sie frühzeitig an eine ge wisse Selbständigkeit gewöhnte. Andreas Haase war eben auf einer Geschäftsreise in Scdletz, als ihn die Nachricht von dem plötzlichen Tode seines Vaters traf. Ein Schlagfluß halte dessen Leben am 24. Februar 1824 ein Ende gemacht. Andreas, obleich erst zwanzig Jahre alt und daher noch minorenn, übernahm sogleich mit seinem Bruder Ludwig die Lei tung des Geschäftes. Die beiden Brüder hatten damals eine *) Aus der „Bohemia". harre Zeit. Das Geschäft war complicirt, Manches vielleicht nicht in gehöriger Evidenz, viele Posten ausstehend, viele davon un einbringlich, dazu sollten den jüngeren Brüdern Gottlieb und Rudolph, deren ersterer erst fünfzehn, der andere dreizehn Jahre alt war, ihre Antheile am Erbe ausgezahlt werden. Die beiden Brüder überwanden alle Schwierigkeiten, brachten durch ange strengte Arbeit alles in Ordnung, im September 1824 wurde Andreas Haase majorenn erklärt und am 20. November des selben Jahres die Firma „Gottlieb Haase Söhne" wechsel- gerichtlich protokollirt. Natürlich hakte das Geschäft, obwohl für jene Zeit umfang reich genug, noch nicht im entferntesten die Ausdehnung des ge genwärtigen Etablissements dieser Firma. Die Buchdruckerci, obwohl achtzehn Pressen zählend, war noch ganz in alter Weise eingerichtet, die Schriftgießerei arbeitete bloß das Nothwendigste für den eigenen Bedarf, die Steindruckerci, die erste in Prag er richtete und damals einzige, war erst in ihren Anfängen. Die jugendlicheSchwungkraft der beiden Brüder, die in ihren Charak- tcreigenthümlichkciten einander trefflich ergänzten, machte bald ihren wohlthärigen Einfluß auf das Geschäft geltend. Schon im Jahre 1827 übernahmen sie den Verlag der offi- ciellen Prager Zeitung; im Jahre 1828 gründeten sie die „Unter haltungsblätter", die anfänglich nur zweimal in der Woche aus- gegeben wurden und 1830 den Titel „Bohemia" annahmen. Die beiden Brüder theilten die Arbeit unter sich: Ludwig conccntcirte seine Kräfte auf die Buchdruckerei und das Papiergeschäft (die Schriftgießerei und die Steindruckerci wurden vorläufig aufge geben), Andreas Haase führte die Redactionen. Neben denselben vertrat Andreas Haase frühzeitig eine andere, weniger sichtbare, aber desto wichtigere Seite des Ge schäftes. Während Ludwig Haase sich mit aller Kraft seines un ternehmenden, feurigen Geistes auf die technische Hebung und den kaufmännischen Betrieb des Geschäftes warf, fand Andreas dort, wo vorsichtig angelegte, wir möchten sagen, diplomatische Verhandlungen zur Förderung des Geschäftes führten, ein ent sprechendes Gebiet für seine Begabung; seine große, und eben durch diese Richtung seiner Thätigkeit sich von Jahr zu Jahr er weiternde Kenntniß der Persönlichkeiten und Verhältnisse, seine kluge Berechnung aller Umstände, sein großes Talent, seine An sicht klar, ruhig und in einer der Anschauungsweise dessen, mit dem er verhandelte, möglichst plausiblen Form zu entwickeln, sein gewinnendes Benehmen, seine Gabe angenehmer, oft selbst hu moristischer und witziger Unterhaltung, die große Ruhe und Aus dauer, kraft welcher er, wo er die Unmöglichkeit und Unzweck mäßigkeit raschen Vorgehens einsah, Schritt für Schritt und unauffällig sein Ziel zu erreichen wußte, verschafften ihm manchen Erfolg, den ein Anderer kaum oder viel schwerer erzielt hätte, und erwarben ihm bald sowohl im Verkehr mit Behörden, als in so cialen Kreisen eine erhöhte Geltung, die ihrerseits auch wieder vortheilhast auf das Emporblühcn des Geschäftes zurückwirkte. Unterdessen wuchsen die jüngeren Brüder heran, Gottlieb hatte die Buchhandlung (theilweisc in Frankfurt a. M.) erlernt, Rudolph sich der juridischen Laufbahn zugewendet; als sie aber im October 1831 großjährig erklärt wurden, traten sie mit ihrem Vermögen als Associes dem Hause Gottlieb Haase Söhne bei. Der Geschäfrskreis desselben wurde durch die Erwerbung der Krauß'schen Buchhandlung auf der Kleinseite erweitert, deren Leitung Gottlieb Haase übernahm. Eine noch wichtigere Erwei terung erfolgte im I. 1832, indem Ludwig Haase eine vollstän dige Buchdruckerci, eingerichtet nach den neuesten Fortschritten