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Peter van Eyk. - L- r Haupt einer großen Familie wohl bewußt; von ihrem Lehnstuhl aus, in dem sie, reich mit Ringen und Edel steinen geschmückt, einen großen Teil des Tages zu brachte, leitete sie den ganzen Haushalt. Sie hatte einen scharfen Blick, nichts konnte demselben entgehen, und ihre Dienstboten lebten in beständiger Angst vor ihr. Am meisten suhlte sie sich in ihrem Elemente, wenn ihre Schwiegertochter mit den Kindern den Abend bei ihr zubrachte, da konnte sie so recht nach Herzenslust schelten und ihre Ratschläge erteilen; daneben hatte sie aber auch stets kleine Geschenke in Bereitschaft, selten verließ ein Kind die Großmutter ohne eine Gabe an Geld oder Backwerk. Mit fester Hand hielt sie das Regiment im Hause aufrecht, niemand, selbst nicht ihr Gatte, hätte gewagt, auch nur den kleinsten Schritt ohne ihren Rat oder ihre Billigung zu unternehmen. Und nicht nur auf ihr eigenes und ihres Sohnes Haus er streckte sich ihre Herrschaft, sogar in Amsterdam, in der Familie des Goldschmieds, mußte es nach ihrem Willen gehen. Ihr Bekanntenkreis, der sich im Laufe der Jahre bedeutend erweitert hatte, wenngleich er sich auch jetzt nur auf Niederländer beschränkte, schaute bewun dernd zu ihr auf. Sie war den holländischen Traditionen in allem treu geblieben, die Einrichtung des Hauses, die Lebensweise, auch die Zubereitung der Speisen, alles war echt holländisch. Peter van Eyk, der augenblicklich auf einer Er holungsreise nach Holland begriffen war, hatte ihr Haus nicht wieder verlassen. Er hatte mehrere Zimmer im zweiten Stock inne, in denen er sich jedoch nur selten aufhielt, da er seine freie Zeit am liebsten im Schoße der Familie zubrachte. Frau de Eriendt hatte ihn zu einem besonderen Gegenstand mütterlicher Fürsorge gemacht, und wieder um war Peter der einzige Mensch auf der Welt, der es verstand, ihren Redefluß zu hemmen. Wenn de Eriendt nachmittags aus dem Geschäft kam, mußte er seiner Frau eingehenden Bericht über die ge schäftlichen Vorkommnisse erstatten, und sie hielt dann mit ihrem Rat, je nachdem, auch mit ihrem Tadel nicht zurück. Selbst in Krankheitsfällen ließ sie sich diese Kontrolle nicht nehmen, so gern de Eriendt sie abge schüttelt hätte. Bei ihrem guten Gedächtnis wußte sie schließlich besser im Geschäft Bescheid, als ihr Mann; be stand sie doch darauf, daß ihr immer ein Duplikat des Hauptbuches zur Verfügung stand, in welches sie nach Belieben Einsicht nahm. So wußte sie genau, wieviel Waren am Quai lagerten, sie war eingehend über das Steigen und Sinken der Preise unterrichtet und kannte auf Heller und Pfennig die Verbindlichkeiten jedes Käufers. Ja, sie sagte jeden Verlust mit großer Be stimmtheit voraus, denn da sie nicht anderes als Ver luste prophezeite, mußte es doch schließlich einmal zu treffen. Es gab wohl keinen Kunden, den sie nicht für zahlungsunfähig gehalten hätte, und wenn es auf sie angekommen wäre, hätte de Eriendt wohl zuletzt schließen müssen, da sie keinem einzigen Menschen traute. Wehe dem armen de Eriendt, wenn er genötigt war, ihr einen Verlust mitzuteilen, sie zermalmte ihn förm lich mit ihren Prophezeiungen des sicheren Unter ganges. Sie hatte es ja vorher gewußt, aber er hatte nicht auf sie gehört — es war einzig seine Schuld, warum hatte er dem Betrüger Kredit gewährt? Ebenso gut hätte er ja das Geld auf die Straße werfen können. „Nun," begann sie auch an dem Tage, an dem sich Martin bei de Eriendt vorgestellt hatte, „wie ging das Geschäft heute?" „Recht gut," war die Antwort, „ich verkaufte vierzig Fässer Butter, darunter auch die fünf, die gestern nie mand wollte. Die fünf Fässer, die von der heutigen Sendung übrig blieben, verkaufte ich außerdem." „Hast du denn etwas daran verdient?" c - - - 346 > —- i . ' —- - ließen sich Schritte vernehmen, und Martin sah einert" großen, hageren Mann vor sich — es war Vroom. Er litt an der Schwindsucht, und man hatte seinen Tod schon vor Jahren sicher erwartet. Herr de Eriendt hatte den stellenlosen, dem Ver hungern nahen Menschen aus Mitleid in sein Kontor genommen und ihm die holländische Korrespondenz übertragen. Obgleich er nur wenig Gehalt erhielt, es waren nur achtzehn Schilling die Woche, hegte er eine unbegrenzte Dankbarkeit gegen de Eriendt, so oft dieser ihn auch wegen seines Undankes neckte; keiner außer ihm wußte, daß de Griendt aus eigenen Mitteln die Kosten für Arzt und Apotheker bestritten und ihm in seiner schweren Krankheit Aufnahme in einem Hospital verschafft hatte. Mit sichtlicher Spannung verfolgte Martin Vrooms Bewegungen. In dem Zimmer, in das er jetzt eintrat und das fortan die Stätte seiner Wirksamkeit sein sollte, sah es armselig genug aus. Zuerst fiel Martins Blick auf einen großen Drehsessel, aus dem die Sprungfedern herausragten, es mußte kein angenehmes Sitzen auf demselben sein. An der Wand stand ein langes Steh pult, das für mehrere Mann eingerichtet war. Das Zimmer selbst war niedrig, und die kleinen Fenster ließen nur wenig Licht und Lust ein. Das ganze machte einen ganz primitiven Eindruck. „Es ist nicht gerade sehr elegant bei uns," bemerkte Olaf erläuternd, „aber wir sind zufrieden, wenn wir nur genug Platz zum Arbeiten haben; hier stehe ich für gewöhnlich, auf der andern Seite Vroom, Ihr Platz ist in der Mitte. Wir schreiben meist im Stehen, sind wir einmal müde, dann setzen wir uns auf so einen niedrigen Stuhl dort in der Ecke." Vor dem Fortgehen warf Martin auch noch einen Blick in das Nebenzimmer, das durch eine Holzwand von dem ersten Raume getrennt war: es war das Privatkonto! von Herrn de Eriendt, und hier sah es be deutend wohnlicher aus. Ein hübscher Teppich bedeckte den Fußboden, auch ein Schreibtisch und ein paar Stühle fanden sich vor. — Als Martin an diesem Abend mit seinem Freunde zusammensaß, machte letzterer den Vorschlag, eine feinere Wohnung zu beziehen. „Wir sind jetzt reich und brauchen uns jetzt nicht mehr so einzuschränken," sagte er zur Begründung; „warum sollen wir es uns nicht be haglich machen?" „Das fehlte noch!" erwiderte Martin ganz unwillig. „Ich dächte, wir hätten es hier gut genug und dürften uns nicht beklagen!" So blieb alles beim Alten, und Jan war damit auch zufrieden. FraudeEriendtundihrHaus. In den zwanzig Jahren, die seit jenen denkwürdigen Wochen, da Peter van Eyk krank und hilflos vor seines Freundes Haus gelegen, vergangen waren, hatte sich manches dort geändert. ' Statt des bescheidenen Häuschens von ehedem be wohnte de Eriendt mit seiner Frau jetzt ein stattliches zweistöckiges Gebäude. Die beiden Alten waren allein zurückgeblieben, die Kinder, ein Sohn und eine Tochter, hatten das Elternhaus verlassen. Gustav war Teil haber seines Vaters im Geschäft desselben und wohnte in der Amhurststraße, zu einem zweistöckigen Hause hatte er cs freilich noch nicht gebracht. Er war ver heiratet und hatte drei Kinder: Etta, die Älteste, war ein hübsches Mädchen von neunzehn Jahren, dann kamen zwei Knaben, die jetzt im Alter von zwölf und vierzehn Jahren standen. Seine einzige Schwester war mit einem reichen Goldschmied in Amsterdam ver heiratet.