Suche löschen...
- Erscheinungsdatum
- 1908-10-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1735684481-190810245
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1735684481-19081024
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1735684481-19081024
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Auer Tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-10
- Tag 1908-10-24
-
Monat
1908-10
-
Jahr
1908
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Nr. 24S. Iu«r Ta-^latt und Anzeiger für da» Engeblrge Sonnabend, den 24. Oktober 1S08. lnung, au» welcher der Steuerpflichtig« von der Steuerbehörde mit Sicherheit festgestellt werden kann, anzugeben. Um Steuerhinterziehungen zu verhindern, wer den in dem dritten Abschnitt des Entwurfes hohe Strafen für lolch« Fabrikanten, Verkäufer oder Verbrau cher von Gas, Elektrizität oder steuerpflichtigen Beleuchtungs körpern verlangt, die Gas oder elektrische Krast zu nicht geneh migten. Zwecken ableiten, Meßgeräte fälschen, Störungen an den Meßapparaten nicht rechtzeitig anzeigen, Betriebeanmeldungen unterlassen, Steuerzeichen nachmachen usw. Die Strafen steigen Lis zu zwei Jahren Gefängnis. Erster Aufstieg des Zeppelin I. Bericht unseres nach Friedrichshafen entsandten Berichterstatters. Zur großen Verwunderung aller hier weilenden Fremden, auch der Friedrichshafener, ertönten plötzlich nun l Uhr mittags heute mehrere Signale in Friedrichshafen. Alles eilte nach Manzell. Da sich der Wind inzwischen vollkommen gelegt hatte, war Aussicht für eine glückliche Auffahrt des Zeppelin I vor handen. Um s.j.2 Uhr fuhr die Königin von Württem berg, die offenbar von der Ballonhalle aus benachrichtigt wor den war, daß der Ausstieg bevorstehe, mit der Königlichen Jacht iKondwiramour nach Manzell, während der König von Würt temberg sich aus dem Seealtan des Schlosses ausstellte. Als die Kondwiramour in Manzell ankam, erschien um Uhr das Heck des Luftschiffes am Ausgang der Halle. Zehn Minuten später war das ganze Luftschiff draußen und fünf Minuten nach 2 Uhr ging es majestätisch in die Höhe. In diesem Augenblick brach die Menschenmenge am Ufer und in den um die Ballonhalle herumfahrenden Fahrzeugen in brau sende Hochrufe aus. In den Gondeln hatten Oberingenieur Dürr, Graf Zeppelin jun., Baron Vassus, Freiherr v. Esmmingen und Direktor Colsmann Platz genom men. Das Luftschiff fuhr in wmnderbar sicherem Fluge über den See nach dem Schlosse zu. Unter dem Publikum herrschte große Begeisterung. Um 2 Uhr 35 Min. war das Luftschiff nach Man zell zurllckgekehrt. Es wendete über der Ballonhalle und nahm dann zum zweiten Male den Kurs auf das Schloß zu, es flog also ebenso wie beim Beginn der Fahrt genau gegen den Wind. Das Urteil geht allgemein dahin, daß der Flug des Luftschiffes noch eleganter und sicherer sei als der des bei Echter dingen verunglückten. Der Ballon umkreiste im ganzen viermal den See, dann flog er über Land, immer am Ufer entlang. Zunächst wandte er sich nach Lindau, wo vom Bayerischen Hofe aus die Prin zessin Marie von Meiningen seinen Flug beobachtete und den kühnen Lustschiffern mit einem Tuche zuwinkte. Die ganze Landbevölkerung der Umgebung des Sees war auf den Beinen, ebenso die Einwohner von Friedrichshafen auf württem- bergischem, die von Bregenz auf österreichischem, vom Romans horn auf schweizerischem und von Konstanz auf badischem Gebiete. Vielfach hatten die Häuser Flaggenschmuck angelegt, und zwar in den blauweißen Farben des Grafen. Wo der Ballon sich zeigte, ertönten , Hochrufe und Böllerschüsse. Wenn der Ballon ankam, entstand ein Geräusch, als wenn der Wind durch die Telegraphendrähte weht. Allmählich stei gerte sich das Geräusch bis zum tiefen Orgelton. Die Luftschiffer winkten niit ihren Tüchern von der Gondel auf das Publikum herunter. Um fünf Uhr erscheint der Ballon wieder über Man zell. Ihm folgt die Jacht des Königs von Württemberg, die alle Wendungen des Luftschiffes mitmacht, um eventuell Hilfe leisten zu können. Um Uhr unternahm der Ballon anscheinend den Versuch, in die schwimmende Reichskallonhalle zu gelangen, steigt aber nochmals auf und läßt sich erst 5 Uhr 27 Min., also nach 3st.stiindiger Fahrt, langsam auf den Seespiegel herab, etwa l5l> Meter von der schwimmenden Halle und den Pontons entfernt. Sofort schießen die Motorboote der Werksleitung aus ihn zu, er wird ins Schlepp tau genommen und mit großer Vorsicht in die Ballonhalle bug siert. Unaufhörliche Hurrarufe erschallen über den in abend lichen Dunkel liegenden See, als das schwierige Werk gelungen ist. Die königliche Jacht stößt an die Hintere Gondel und die Königin von Württemberg überbringt die ersten Grüße für die gelungene Fahrt. Dann fahren die Insassen des Ballons zur festen Landhalle, wo Komtesse Hella und ihr Bräutigam die ersten sind, die Herrn v. Eemmingcr, Baron Bassus und die übrigen willkommen heißen und sie mit Fragen über den Verlauf der Fahrt bestürmten. In wirbelnder Eile wird ein Telegramm an den Grafen nach Berlin gesandt, der schon von Stunde zu Stunde telegraphisch über die Einzelheiten der Fahrt unterrichtet worden war. Eine königliche Equipage nimmt das Brautpaar vor der Halle auf und unter Hurrarufen des Publi kums geht es nach Friedrichshafen, wo bis in die späte Nacht das für die Stadt doppelt bedeutsame Ereignis gefeiert wird. Er wähnenswert ist, daß in der vorderen Gondel auch die beiden bei Echterdingcn verunglückten Monteure Platz genommen hatten. Der Zeitpunkt der großen Fahrt ist gegenwärtig natürlich noch ganz unbestimmt. Jedenfalls wird sie nicht stattsinden bevor der Graf zurück ist und die mittlere Gondel in das Luftschiff eingebaut ist, in der die Vorräte für eine 24-Stundenfahrt mitgeführt werden müssen. Der Kaiser wurde sofort von der gelungenen Fahrt durch ein Tel gram in des Königs von Württemberg benachrichtigt. Ein großer unvergeßlicher Moment ist nun vorüber. Seit gestern nachmittag hat Deutschland, hat die Nation ihren lenk baren starren Ballon, ihren Z. 1. zur Freude eines ganzen Volkes wieder. Bangend standen all die Hunderte, als sich das Luft schiff in die Lüste erhob und ein Jubelruf, der wie eine Befrei ung klang, ertönte um 6 Uhr abends, als die Fahrt gelungen war. Ganz etwas anderes als der Echterdinger Unglücksrabe. — das war das Urteil aller, die jenes Luftschiff gesehen hatte». Mit ihnen rufen wir dem genialen Erfinder zu: Vivnt Zeppelin in Berlin. (Von unserem Berliner Mitarbeiter.) Graf Zeppelin ist gestern morgen in Berlin eingetrofsen und im Palast-Hotel abgestiegen, unter dem Namen eines Grafen von Thierstein. Im Hotel wie an sämtlichen offiziellen Stellen verweigert man jede Auskunft, doch ist man nicht in der Lage, die Behauptung abzustreiten, daß die Ursache der Anwesenheit des Grafen in der E h r e n a f f ü r e m i t M a j o r Großzu suchen ist. Die Angelegenheit erregt auch hier das peinlichste Aufsehen, man hat aber das Vertrauen zu den leitenden Personen, daß sie cs verstehen werden, das Schauspiel eines Zweikampfes zwischen den beiden Erfindern schon im Interesse des deutschen Ansehens im Auslande zu verhindern. Major Groß hat auf eine direkte Anfrage erklärt, er müsse jede auf die Angelegenheit bezügliche Frage ablehnen. Aus Anlaß der Anwesenheit des Grafen Zeppe lin in Berlin durchschwirrten heute mittag Gerüchte die Stadt, Graf Zeppelin habe das vielversprochene angeblich unvermeidliche Duell mit dem Kommandeur dep Luftschifferbataillons Major Groß ausgcfochten und sei dabei erschossen worden. Wie der Berichterstatter des Auer Tageblattes aus absolut zuver lässiger und bestinformierter Quelle erfährt, sind alle diese Ge rüchte vollkommen aus der Luft gegriffe n. Der Zweikampf hat nirgends stattgefunden, und Graf Zeppelin erfreut sich des besten Wohlseins. Er wollte gestern abend noch nach Friedrichs hafen zurückfcihren, nachdem ihn inzwischen die Meldungen von der glücklich verlaufenen Probefahrt seines Z. I. in die heiterste und zuversichtlichste Stimmung versetzt haben. Von dem Grafen nahestehender Seite wird versichert, daß, wenn überhaupt jemals zwischen ihm und dem Major Groß Unstimmigkeiten vorhanden gewesen seien, diese inzwischen längst beseitigt sind. Die An wesenheit des Grafen in Berlin soll übrigens lediglich g e- schäftlichen Gründen zuzuschreiben sein. — Wie W. T. B. aus durchaus zuverlässiger Quelle erfährt, hat sich der vielbe sprochene Konflikt zwischen dem Grafen Zeppelin und Major Groß dadurch in nichts aufgelöst, daß die Veranlassung dazu sich als gar nicht bestehend erwiesen hat. Höhenflug des Parseval-Ballons. Der Parseval-Ballon trat gestern mittag zwischen 12 und 1 Uhr seine zweite Abnahmefahrt vom Tegeler Schießplatz aus an. Diese Priifungsfahrt sollte ein Hochflug sein, der das Verweilen des Aerostaten in der Luft eine Stunde lang und in einer Höhe von 1400 Metern verlangt, um die Felddienstfähigkeit und die vertikale Beweglichkeit des Ballons in Anbetracht der heutigen weittragenden Geschütze zu erweisen. Der Ballon stieg nach kur zer Fahrt zu einer Höhe von 800 Metern an, um kurz nach 1 Uhr über Reinickendorf in den Wolken den Blicken zu entschwinden. Zwischen 3 und 4 Uhr landete der Ballon wieder. Weitere Mel dungen besagen: - Berlin, 23. Oktober. Nachdem heute das Parseval-Luftschisf 2',!. Stunden in der Luft geschwebt hatte, um vor der Abnahme kommission die vierstündige Höhenfahrt abzulegen, sank der Bal lon aus 1500 Metern Höhe von Zieldorf schnell herab. " Berlin, 23. Oktober. Der Parseval-Ballon hat auf der heutigen Hochflug-Prüfungsfahrt eine Höhe von über 1500 Metern erreicht und ist nach mehrstündigem guten Fluge wohl behalten gelandet. Nach der Landung kam das Luftschiff infolge eines Windstoßes einem Birkengeäst zu nahe, wodurch die Hülle einig« unbedeutende Schrammen erhielt. Vor der Abnahme durch die Militärbehörde hat der Parseval-Ballon al» letzte Aufgabe noch die Füllung im Freien mit nachfolgendem kurzen Ausstieg zu bestehen. Politische Tagesschau. Aue, den 24 Oktober. Kaiserreden al» Gedenkblatt zur Nekrutenoereidigung. Nach der Korrespondenz Heer und Politik finden die diesjährigen Rekrutenvereidigungen in Gegenwart des Kaisers am Ende dieses Monats statt. Die Potsdamer Garnison wird am 30. Oktober vereidigt. Für die Berliner, Eharlottenburger, Spandauer und Kroß-Lichterfelder Garnisonen ist der 31. Oktober festgesetzt wor den. Dabei wird eine neue Einrichtung ins Leben treten. Der Kaiser hat angeordnet, daß die Reden, die von ihm und von den beiden Geistlichen zur Vereidigung gehalten werden, in Druck erscheinen und den beteiligten Rekruten als Erinnerungs blatt an diesen Tag übergeben werden. " Stiftung einer Denkmünze durch den Kaiser. Der Kaiser hat anläßlich der gegenwärtig in Berlin tagenden zweiten Inter nationalen Konferenz zur Revision der Verner Ueberein- knns t, betreffend die Bildung eines internationalen Verbandes zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst «ine Erinne rungsmedaille gestiftet. Die Denkmünze wird auf Antrag des Kaisers mit dem Midmungsblatt des Reichskanzlers den Mit gliedern der Konferenz überreicht. Bundesratssitzung. In der gestrigen Sitzung des Bundes rats wurden die Vorlagen über den Entwurf eines Gesetzes be treffend die Preisfeststellung beim Markthandel mit Schlacht vieh, über die Gebühren für den P o stzü b e r w e i s u n g s- und Scheckverkehr, über die Erweiterung der der Hamburg- Amerika-Paketfahrt-Aktiengesellschaft und dem Norddeutschen Lloyd erteilten Erlaubnis zur Beförderung von Auswanderern den zuständigen Ausschüssen überwiesen. * Trauerfeier für Ministerialdirektor Althoff. Gestern nach mittag fand in der Kirche in Steglitz die Trauerfeier für den verstorbenen Ministerialdirektor Althoff statt. Der Kaiser, der einen Lorbeerkranz gesandt hatte, ließ sich durch Geheimrat v. Valentini vertreten, die Kaiserin durch Kammerherrn v. Vehr- Pinnow. Für den Reichskanzler erschien Unterstaatssekretär v. Günther. Das Kultusministerium, das Reichsamt des Innern, die Universitäi Berlin, die Stadt Münster, deren Ehren bürger der Entschlafene war, hatten Vertreter entsandt. Pro fessor Harnack hielt die Trauerrede. An die Trauerfeier schloß sich die Beerdigung im Botanischen Garten zu Dahlem. " An die Errichtung der Chemischen Neichsanstalt wird man, nach der Voss. Ztg., wohl bald gehen können, wenn auch im Augenblick auf eine finanzielle Unterstützung durch die Reichs regierung bei der mißlichen Finanzlage nicht gerechnet werden kann. Inzwischen ist ein Fonds von 030 000 Mark gesammelt worden. Die jährlichen Beiträge belaufen sich bereits auf 52 000 Mark. Die Negierung hat für die Chemische Reichsanstalt ein Gelände aus dem Areal der Domäne Sahle m , nicht allzu weit vom preußischen Materialprüsungsamt in Eroßlichter- f e l d e unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Die jährliche Unter- haltungpsumme der Anstalt dürfte 2 ,0000 Mark betragen. * Ein neues englisches Geschoß. Am letzten Donnerstag fand in Foversham der erste Versuch mit einer von Martin A'e er fundenen und ans einem In'antcri gcivehr mittels gewöhnlicher P 'ne abzuschießenden Schrepnellgewehrgranate in Gegenwarr von e ^tischen und fremden Sachverständigen statt. Die Gra nate wiegt etwa i>50 Gramm, hat eine Maximalschußweit-e von etwa 300 Meter und berstet beim Ausschlagen auf den Erdbeben. Aus dem WmsireiH Slchfctt. Sitzung der Whlrechtsdeputation. Die Wahlrechtsdeputation hielt gestern in Gegenwart des Staatsministers Dr. Graf v Hohenthal, sowie der Herren Gcb- Reg.-Rat Dr. Heink und Neg.-Rat Dr. Adolph ihr« 5 0. S i tz u n g ab. Die Beratung über die Verhältniswahlen wird fort gesetzt, es findet jedoch nur eine längere Aussprache darüber statt, ob bei den Verhältniswahlen «ine Vereinigung der Par teien vor den Mahlen stattfinden soll. Von der Mehrheit der natioiralliberalen Mitgliedern wird dieses System befürwortet. Die Abgeordneten Lang ha mm er und Merkel erklären sich gegen jede Art der Verhältniswahl. Staatsminister versäumt hatte, auf der Briefadresse die Hausnummer anzugcben, war das verbrecherische Schreiben irrtümlich erst einem anderen Hempel zugestellt worden und hatte seinen richtigen Bestim mungsort erreicht, als Herr Gottfried Hempel sich schon seit vierundzwanzig Stunden in seinem stark coupierten Jagdrevier befand. In aller Unschuld hatte Frau Agathe von seinem In halt Kenntnis genommen, und so unfaßlich mar ihr anfangs er schienen, was sie da las, daß sie erst nach vier- oder fünfmaliger Lektüre alles begriffen hatte. Nun aber war jeder Schlag ihres Herzens ein Schrei nach Rache. Ob Gottfried der Verführer mar, oder der Verführte — die Dicke, die cs wagte, sich von einem verheirateten Manne die Zeit vertreiben zu lassen und ihm hunderttausend Grüße zu senden, sie sollte es entgelten. Ein Glück, daß Liebn ow in Eaum zweistündiger Eisen bahn fahrt zu erreichen war; denn länger hätte Frau Agathes äußere Hülle wohlh kaum dem Hoch druck der Leidenschaft widerstanden, der sie zu zersprenge» drohte. Der Goldene Löwe war schnell erfragt, und wie «in Linienschiff nach dem Kommando Volldampf — voraus! brauste Frau Agathe in das nachmittägig leere Gastzimmer. Ein wohlbe leibter, behäbiger Alter kam ihr freundlich lächelnd entgegen. „Madame befohlen?" „Ich bin di« Frau Hempel. Sind Sie der Herr Muhsmann?" „Ja, liebe Frau Hempel, das werde ich wohl sein." „Ich bin nicht ihre liebe Frau Hempel, wollen Sie sich das gefälligst merken! — Wo ist mein Mann?" Die freundlich verschmitzten Augen des Verhaßten musterten sie mit einem langen prüfenden Blick. Dann sagte er mit einem Achselzucken: „Ja, wo mag er wohl sein, Ihr armer Mann? Ich denke, er ist auf der Jagd?" „Nein, das ist er nicht. Und warum nennen Sie ihn meinen armen Mann? Er hat, soviel ich weiß, niemals Mitleid nötig." „Na, darüber kann es vielleicht zweierlei Ansicht geben, liebe Frau Hempel! — Darf ich Ihnen ein Glas Selter wasser anbieten oder sonst 'was Beruhigendes?" „Wollen Sie mich verhöhnen? — Noch einmal frage ich: wo ist mein ehr vergessener Mann? Ich habe den schamlosen Brief gelesen, den Sie ihm geschrieben haben, und ich weiß, was Sie aus ihm ge macht haben." Peter Mühsmanns freundliche Augen wurden zu sehends größer. „Was ich aus ihm gemacht habe? — Und einen schamlosen Brief? Ja, meine gute Frau, ich denke, Sie sollten sich lieber bei mir bedanken, daß Ihr unglücklicher Mann in meinem Hause ein Plätzchen gefunden hat, wo er sich hier und da ausruhen kann von der Tierquälerei, di« Sic mit ihm trei ben." Frau Agathe lachte schrill und schneidend auf. „Das ist das Höchste! Tierquälerei! — Ich!" „Ja, wie wollen Sie cs denn sonst nennen, wenn Sie einen armen dicken Menschen, der auf der Welt nichts haben möchte, als sein bißchen Ruhe, vom Mor gen bis zum Abend durch Dick und Dünn Hetzen — wenn Cie ihm ein Ding umhängen, das seine Schritte zählt — wenn Sie ihn morgens und abends wie einen Hampelmann an Gummi strippen ziehen lassen und ihm seinen Schlaf minutenwcise zu- meisen? Weil er sah, daß ich ein Mensch bin, hat er mir sein Herz ausgeschllttet, als er zum ersten Male hierher kam, und hat mir erzählt, daß er auf Ihren Befehl nun auch noch über Stock und Stein Hüpfen und durch Lehm und Schnee waten sollte, um dünner zu werden. Da hatte ich denn freilich ein menschliches Rühren und hab' ihm gesagt: „Js nicht, mein lieber Hempel! So oft Sie hierher kommen, schlafen Sie sich erst 'mal vierund zwanzig Stunden lang gründlich aus. Und dann setzen Sie sich gemächlich mit einem Krug Vier in die Eck« und spielen Ihren Skat oder Schafskopf oder was sonst am besten zu Ihnen paßt. Inzwischen schieße ich Ihnen schon irgendwas, womit Sie Ihrem Satans- — Ihrer lieben Frau, mein' ich — in die Augen treten tonnen!" — So hab' ich gesagt, und so haben wir's gehalten bis aus den heutigen Tag." Frau Agathe atmete schwer. „Und das — das Frauenzim mer?" „Welches Frauenzimmer, meine gute Frau Hempel?" „Die, der ihr hier die Zeit vertreibt und für die Sic den Postillon d'amour machen, indem Sie ihre hunderttausend Grüße aus richten?" Peter Muhsmann schüttelte den grauen Kopf. „Ich bin mein Lebtag so wenig ein Postillon wie ein Tambour gewesen, liebe Frau Hempel! Und ich versteh' wirklich nicht, was Sic mcinrn." Da riß Frau Agathe den zerknitterten Brief aus der Tasche und hielt ihn ihm vor die Augen. „Wollen Sie Ihre Handschrift verleugnen? Steht da nicht groß und breit: „die dicke"? Peter Muhsmann las und lachte, daß ihm die Tränen über die Backen liefen. Dann winkte er Frau Agathe zu und führte die halb Verwirrte in das erste Stockwerk hinauf, wo er eine der Zimmertüren öffnete. „Da," sagte er schelmisch, „nun können Sie mit eigenen Augen sehen, wie er's treibt." Frau Agaltze stand- sprachlos. In dem Zimmer befanden sich ein Ruhebett, ein .Tisch und ein uralter, bequemer Großvaterstuhl. Auf dem Tisch standen vier geleert« Bierflaschen, in dem Graß- vatcrstuhl ruhte schlummernd Herr Gottfried Hempel, ein halbes Dutzend Spielkarten in den über dem Magen gefalteten Händen; auf dem Divan aber lag, den einen Fuß dick verbunden, in nicht minder tiefem Schlafe, ein rotbärtiges, männliches Wesen, das Herrn Gottfried Hempel an Leibesumfang sicherlich noch um ein Beträchtliches überlegen war. „Darf ich Ihnen meinen alten Freund und langjährigen -Kostgänger vorstellen, liebe Frau Hempel," sagte Peter Muhsmann, „Herr Kreistierarzt Dicdicke, der mit keinem Menschen aus der Welt so gern tarockt als mit Ihrem guten Mann — besonders deshalb, weil sie in der Regel beide gleichzeitig einschlafen. Das nennt Diedicke die schönsten Stunden seines Lebens. Sollen wir sie wecken?" Frau Agathe sah das unaussprechlich glückliche Lächeln, mit dem ihr Gatte entschlummert war, und ihr Herz wurde weich. „Lassen wir sie immerhin noch ein Weilchen schlafen, Herr Muhsmann! Aber ein andermal, wenn Sie wieder einen Namen schreiben, so schreiben Sie ihn gefälligst nicht mit einem Zwischenraum ge rade an der bedenklichsten Stelle." Der Wirt vom Goldenen Löwen lächelte wieder. „Ja, ich kann nun 'mal mit der Feder nicht so gut umgehen, wie mit einem Menschen, meine beste Frauk Svas aber ein richtiges eheliches Vertrauen ist, das läßt sich auch durch die schlechteste Orthographie nicht erschüttern." Frau Agathe erwiderte nichts; aber Herr Gottfried Hempel ist noch heutigen Tages der glückliche Pächter des Jagdterrains in der Umgebung von Liebenow.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)