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—162 - wollen sich hier niederlassen?" fragte sie kopfschüttelnd, „ja, das kommt doch gleich nach dem Lebendig-begraben-werden!" Er lachte fröhlich auf. „Gnädiges Fräulein, sehen denn meine Eltern so ,lebendig begraben' aus? Ich meine, eher das Gegenteil! Und sie sind so lange schon hier — wie lange ei gentlich, Väterchen?" „Da war an dich noch gar nicht zu denken, mein Jungchen! Als blutjunger Kandidat kam ich zur Aushilfe nach Hohensdorf, hab' Mütterchen hier gefunden und bin dann auch geblieben! Keine Stun de noch hat es mich gereut!" „Und ich hab' eine so schöne Jugend in meinem Dörfchen ver lebt, um die mich mancher Groß städter beneiden könnte. Das Her umstreifen in Wald und Feld, frei vom Zwange der Straßen lind Häuser, war köstlich! Die armen Jungen in der Stadt können gar nicht ermessen, wie gut wir, die wir auf dem Lande aufwachsen dürfen, es gegen sie haben. Welche Herr lichkeiten einem da aufgetan wer den, von denen sie gar keine Ah- nung haben." „Sie sind ein gar beredter An walt des Landlebens, Herr Dok tor !" bemerkte Dagmar. Ihr war es unfaßlich, daß dieser schöne und auch elegante Mann als Land arzt versauern und verbanern wollte. Welche Chancen könnten sich ihm wohl in der Stadt bieten! Sie sprach das auch aus. Er zuckte die Achseln. „Chancen! Was heißt das? Ich bin nicht ehrgeizig genug, danach zu streben, daß ich ein beliebter und gesuchter Modearzt werde, um dadurch vielleicht eine gewisse Eitelkeit zu befriedigen. Ich will nicht meine Smderinteressen in den Vordergrund stellen. Ein Arzt muß auf vieles verzichten. Er gehört sich nicht selbst; er gehört den Kranken und Leidenden. Und denen will ich meine ganze Kraft widmen; ich möchte sie gesund machen und ihnen in ihrer Leibesnot helfen, wie mein Vater ihre Seelennot fo gut zu lindern versteht! In der Stadt hat man genügend tüchtige Arzte; warum ihre Zahl noch vergrößern und vielleicht einer von den Überflüssigen sein? Und hier bin ich nötig, denn wenn unser guter Doktor Riemann fortgeht, entsteht in dem ganzen Umkreis eine gar empfindliche Lücke, die ich nach allen Kräften ansfüllen möchte. Eine Haupt sache ist da, die Leute kennen mich zum Teil schon als »Wag ners Bern hard', und sie wer den schnell Vertrauen zu mir als meinesVa- ters Sohn haben." Dagmar lächelte et was zu sei nen letzten Worten und sagte in necken der Weise: man ernsthaft zu forschen und zu arbeiten, um auf der Höhe zu bleiben; versimpeln und verbauern werd' ich nicht!" Fest und bestimmt kam das von seinen Lippen, und ruhig tauchte er seine Blicke in Dagmars schwarze Augen, die ihn weich und lockend ansahen. „Nun ja, Herr Doktor, das alles geb' ich ja zu, aber wenn Sie mal heiraten? Sie können doch einer jungen Frau nicht zu- muten, sich hier zu vergraben! Und heiraten müssen Sie auf je den Fall, denn ohne Frau können Sie hier doch gar nicht sein." „Ist auch gar nicht meine Ab sicht, gnädiges Fräulein! Sobald ich bier etwas eingerichtet bin, werde ich Umschau halten unter den Töchtern des Landes. — Ein verwöhntes Prinzeßchen, das von vornherein den Gedanken hegt, mir ein Opfer zu bringen, kann ich allerdings nicht gebrauchen!" Galt das „verwöhnte Prinzeß chen" ihr? Doch nein, er blickte zu harmlos; sicherlich hatte er mit dieser Äußerung überhaupt keine bestimmte Person gemeint. Eifrig nahm da die Pfarrerin das Wort. „Da wüßt' ich gleich eine Frau für dich, mein Jungchen! Emma Leonhardt — du weißt doch, die Tochter der verwitweten Majorin, die drüben in Gröben wohnt, die ist wie geschaffen für dich! Jetzt hat sie auch einen Kursus in der Krankenpflege genommen. Und so häuslich und wirtschaftlich ist sie — nur eben, daß kein Vermögen da ist! Na, darauf brauchst du, mein Jungchen, nicht zu sehen! Erinnerst du dich ihrer nicht?" „Ja, ich erinnere mich — sehr gut sogar! Das hübsche Mädchen mit dem reichen Blondhaar und der tadellosen Figur, um das sich Kurt Nikolai so sehr bemühte", meinte er sinnend. „Jawohl die ist es!" bestätigte die Pfarrerin eifrig. „Sie hat ihm aber einen regelrechten Korb gegeben; von vielen Seiten ist es ihr damals recht verdacht worden — der reichste Gutsbesitzer im ganzen Kreise —" „Aber doch ein wüster Patron! Sie hat recht gehabt, das Mädchen ist zu schade für ihn." „Vielleicht hat Fräulein Leonhardt, die nach der Beschreibung eine Perle sein muß, eine stille Liebe für Sie, Herr Doktor!" neckte Dagmar. Sie sah, wie eine leichte Röte sein Gesicht färbte. Er entgegnete aber nichts daraus, sondern wandte sich mit einer ganz fern liegenden Bemer kung an seine Mut ter , und Dagmar hatte in diesem Au genblick das beschä mende Ge fühl, eine große Un zartheit be gangen zu haben. Sie är gerte sich, trotz aller Mühe kam sie wäh rend des Phot. Leipziger Prcise-Büro. Der Flissakbrnnnen in Thorn. Mit Text.) Ein zweirädriges Automobil. (Mit Text.) ganzen Abends „Aber ,Wagners nicht darüber hinweg. Und als sie ihr Lager aufgesucht, lag sie noch lange wach; in ihre Augen kam kein Schlaf; sie mußte an Dr. Wagner denken. Er gefiel ihr, gefiel ihr sehr, — und er im ponierte ihr, wie wohl noch nie ein Mann zuvor. Oder kam dieser zwingende Eindruck daher, weil sie während einer langen Zeit Bernhard' hat doch sicher fo viele Interessen, die ihm ein Leben auf dem Lande nicht befriedigen kann!" „Dann muß ich mir Ersatz dafür in etwas anderem suchen! Ich bin zu alt, um nur zu spielen; glauben Sie, gnädiges Fräulein, in meiner Wissenschaft gibt es kein Ausgelernthaben, täglich hat