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—i- 106 Schluß der lange Leutnant mit dem Mädchengesicht. „Es ist nämlich wahrhaftig meine Absicht, etwas solider und arbeitsamer zu werden. Mein alter Herr hat mir im letzten Brief die Hölle verdammt heiß gemacht. Und nun »Uäio, ich muß zum Geschütz exerzieren nach der Königsschanze." Achims Gedanken ließen sich, nachdem der andere gegangen Ivar, nicht mehr auf die begonnene Arbeit konzentrieren, sie schwirrten ihm wie lose Vögel im Kopf umher, und während er wieder den Rauchwolken nachschaute mit versonnenem Gesicht und zwei tiefen Grüblerfalten auf der hohen, ein wenig hervor tretenden Stirn, da tauchte ein Häuslein mit Weinlaub um sponnen, nicht am grünen Rhein, aber am grünen Wald gelegen, vor seiner Seele auf, das ihm vor allen wert war, in dem er so gern weilte und das er doch nicht alltäglich zu betreten wagte: es war die Villa des Hauptmanns a. D. von Grunow, deren Ober wohnung der freiherrliche Badegast gemietet haben sollte. Er sah im Geiste des alten Herrn faltiges Gesicht vor Freude strahlen, hörte seiner liebenswürdigen, von Sorgen und Kümmernissen früh gealterten Gattin etwas lautes Lachen, das immer klang wie der Ton eines lange, lange nickt benutzten Instruments, sah Lilis liebliches Engelsgesicht mit dem verklärenden Zug helden haft getragenen Martyriums einmal voll Ju gendlust uud Jugendfrohsinn und sah jenes goldig glänzen de Lächeln der entzückenden Rehaugen, das ihn ein einziges Mal so ganz und gar bezau bert hatte. „Er soll sie nicht nett behandeln, der Rosenauer, die ser Empor kömmling mit den groben Ma nieren" , sagte er dann zu sich selber. „Und sie muß deuuoch sein Haus im mer wieder be treten, weil sie ein gutes Ge halt bekommt für den Unter richt. Oh, das muß bitter sein! Ja, ja, die knappe Haupt mannspension reicht nicht zu, und das geringe Honorar für gelegentliche militärwissenschaftliche Beiträge spielt auch keine Rolle. Dabei die drei Jungens aüf der Schule. Graues Elend, nichts als graues Elend! Das ist ihre Welt, und sie verdiente es besser; ganz gewiß. Arme Lilli l Aber der Baron hilft über manche kleine Sorge vorläufig hinweg. Was mag er zahlen?" Sich plötzlich aufrichtend und auf die über zwei vergoldeten gekreuzten Geschützrohren stehende kunstvolle Stutzuhr schauend, rief er dann halblaut aus: „Du hesuchst Grunows heute. Es ist Don nerstag. Der Mieter kann dir als Vorwand dienen, sie werden es schon nicht aufdringlich finden. Oder doch? Ach was, du mußt dem alten Herrn doch gratulieren." -i- * Draußen vor dein alten.Festungswall, etwa eine Viertelstunde von der Stadt entfernt, lag an einem anmutigen Laubwäldchen die „Villa Friederike", das Ziel von Achims Spaziergang. Es war Maienzeit, und Lenzeszauber erfüllte die Erde, soweit das Auge zu schauen vermochte. Klcrblau wie von durchsichtigem Glas wölbte sich der Himmel über der grauen Festung mit ihren altertümlichen Giebelhäusern, über dem silbern schillernden Strom, der leise rauschend an ihren Mauern vorüberglitt, und über den hoffnungsgrünen Fluren mit ihrem prangender. Blütenschmuck, mit den pe umsäumenden waldigen Höhen. Blühende Apfel bäume, duftende Syringen, Drosselschlag und Lerchensang, jubelnde Kinderscharen, Wonne und Lust allüberall. — Und dennoch seufzte der junge Offizier und schaute mit düstern Blicken in die lachende Lenzeswelt. Am Gartenzaun vor der Villa machte er halt, holte tief Atem, ließ seine Blicke Hinüberschweifen zu den Buchen am Wall, deren zartes, lichtes Grün sich in leuchtenden Farbentönen abhob von dem dunklen, ins Bläuliche spielenden der mächtigen, höher stehen den Tannen und Föhren, sah dann mit stummer Bewunderung wieder das Häuslein im Villenstil an mit seinem grünen Reben gerank und sagte vor sich hin: „Er wohnt vorzüglich hier! Ich beneide ihn." Da bewegte sich' etwas hinter den Büschen, von denen ein süßer Fliederduft herüberwehte, und ehe Achim die Pforte noch geöffnet hatte, hörte er eine silberhelle Stimme ausrusen: „Guten Tag, Herr Leutnant! Das ist ja prächtig, daß Sie uns auch einmal in der Woche besuchen. Papa wird sich sehr freuen!" Eine hohe, gertenschlanke Müdchengestalt in luftigem, Hellen: Sommerkleide erschien nun auf dem frisch beharkten Kiessteg, und Achim schaute in das reizende Roiengesichtchen mit jenen: goldigschimmernden Lächeln, von dem er vorhin geträumt. Dich tes blondes Gelock umkräuselte die alabasterweiße Stirn, und du ganze Erscheinung hatte so etwas von berückendem Maien- und Blütenzauber an und um sich, daß es dem Offizier schwer wurde, seiuem Entzücken nicht mit lebhaften Worten Ausdruck zu geben Er tat es nicht, verbeugte sich nur zu ehrer bietigem Gruß, küßte flüchtig die ihm darge botene kleine, zarte Hand und sprach dann: „Ich bin heu te nachmittag gerade dienst frei, und das Wetter ist ja so himmlisch, da trieb es mick hinaus. Hof fentlich geht es Ihnen und den werten Ihrigen gut, mein gnä diges Fräu lein?" Das klang so banal, so steif, so ganz anders, als sie es nach der letzten Un terhaltung mit ihm erwarten mußte, und da bei sah sein Ge sicht so kalt ans, daß auch ihre Miene sich schnell wieder umschleierte und das Lächeln aus ihren rehbraunen Augen verschwand wie Sonnenstrahl hinter dunk lem Gewölk. „Danke, es geht uns ja so leidlich. Bitte sehr, Herr Leutnant, treten Sie näher", erwiderte sie mit leise zitternder Stimme. „Sie werden drinnen die Bekanntschaft unseres neuen Sommergasts machen. Vielleicht hörten Sie schon davon, daß wir unsere Ober- Wohnung vermietet haben, endlich einmal wieder." „Ich hörte es von Peterson bereits. Ein Baron von Ravenburg ist der Glückliche, erzählte er mir. Ich beneide ihn und freue mich zugleich herzlich mit Ihren Eltern. Ist er denn ein netter Herr?" „Er gefällt uns sehr gut. Jedenfalls ist er äußerst anspruchs los und versteht Papa vorzüglich zu unterhalten. Hoffentlich er holt er sich gut in unserem Badeort und trägt zur Hebung unserer Kultur wesentlich bei. Verschiedene Herren von der Artillerie hat er gestern abend schon kennen gelernt. Sie nahmen an dem so genannten gemütlichen AbeniL also nicht teil?" „Nein, ich muß mich einschränken. Meine Mittel erlauben mir keine Sektgelage", klang es resigniert zurück. „Aber Sie fühlen sich, wie Sie mir neulich sagten, bei uns dennoch wohler als früher in der Residenz, wo Sie sich so etwas doch leisten konnten, nicht wahr? Oder denken Sie heute schon anders darüber?" „Gewiß nicht! Die Jahre liegen hinter mir. Sie können nie wiederkehren und sollen nie wiederkehren. Ich lerne hier den Segen der Arbeit schätzen und habe ja gottlob auch liebe, gute Freunde gefunden." Licbenzell im württembcrgischen Schwarzwald. (Mit Text.)