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Der falsche Freiherr. Roman von Ludwig Blümcke. 1, (Nachdruck verboten.) chim v. Nordendahl saß am Schreibtisch seiner beschei denen Leutnantsbude, blies den Rauch einer schweren „Importen" in feinen blauen Ringeln an die Decke und schien über ein nicht leicht zu lösendes Problem nachzusinnen. Vielleicht hatte das vor ihm aufge ichlagen liegende umfangreiche Generalstabswerk tiefe Gedanken and große Ideen in seinem gerne grübelnden Hirn geweckt, viel leicht war es auch das ungewöhnliche Lob aus des gestrengen Herrn Obersten Munde, das er heute früh geerntet, was ihn an eine Arbeit fesselte, die ihm vor wenigen Monaten,üoch unerträgliche Qualen, scheußlichste Langeweile bereitet hakte. „Ein Offizier von Ihrer Begabung wird im Generalstab noch einmal etwas Bedeutendes leisten." Genau so lauteten des „Alten" Worte. — Und darum stand es von heute an fest bei ihm, mit aller Energie auf ein Ziel loszuarbeiten, das ihm früher unerreichbar schien, so sehr es seinen Ehrgeiz auch lockte. Aber allzu lange sollte die anstrengende Geistesarbeit nicht währen, denn des Wolfsspitz lebhaftes Bellen kündete Besuch an. „Ruhig doch, Tierchen! Halt die Schnauze, alter Kläffer!" hörte Achim eine Helle, fast knabenhafte Stimme im Hausflur, und ärgerlich klappte er das dickleibige Buch zu, schob die Kladde, in die er sich allerlei Wich tiges notiert, in eins der Schreibtischfächer und erhob sich dann hastig, um dem Ankömmling entgegenzugehen. Ein baumlanger, über schlanker blonder Leutnant von kaum zwanzig Jahren mit fri schem, mädchenhaft zartem, beinahe unmännlichem Gesicht bot ihm lachend die Hand, schlug ihm mit der Linken gleichzeitig auf die Schulter und rief aus: „Nun, alter Schwede, hast wohl wieder ge büffelt, was? Hörte schon von dem kolossalen Lob. Na ja, sagte es ja schon immer. Will übrigens nächstens das Leben auch von der rauheren Seite aufzufassen beginnen. Werde gwor bei dir ein Privatissimum nehmen." - Dann warf Kurt Peterfon Handschuhe und Mütze auf ei nen Stuhl, ließ sich ungenö tigt ins Sofa fallen, daß es bedenklich ächzte, fetzte eine etwas ernstere Miene auf, zündete sich eine Zigarette an und fuhr fort: „Muß dir doch zunächst mal von unserm gestrigen Abend etwas erzählen. Begreife nicht, daß du dich so gar nicht mehr unter Menschen sehen läßt. War nämlich urgemütlich in der ! ,Reichskrone' bei Vater Ivenack. Sekt floß in Strömen, wurde drei Uhr. Neuer Stammgast angekommen, exquisite Marke, sage ich dir: Freiherr von Ravenburg, Millionär, weitgereist, Löwen jagden in Indien mitgemacht, Bären in Rußland geschossen, äußerst interessanter Herr." „Freiherr von Ravenburg? Und was treibt den in unsere verrufene Grenzfeste?" „Hat von unserm Moor- und Solbad zufällig Wunderdinge gehört und gedenkt nun, sich über Sommer hier zur Kur aufzu- hasten. Hat etwas Podagra und angegriffene Nerven. Scheint auch mal Artillerist gewesen zu sein, denn er interessiert sich sehr für unsere Waffe. Muß aber wohl Pech gehabt haben, wollte nicht so recht mit der Sprache heraus. Jedenfalls hat er in unserer Armee nicht gedient." „Das ist ja eine nette Einleitung der Kur! Na, wenn Sanitäts rat Hellers Reklame schon solche Größen in unser idyllisches Hard- burg lockt, dann werden wir am Ende noch mal Weltstadt." „Und nun rate mal, wo der Baron sich einquartiert hat! — Beim alten Hauptmann von Grunow, deinem Spezialfreund und Lilis treusorgendem Papa, bewohnt er die obere Etage, die Jahr und Tag leer stand. Ist das nicht ein Glück für die Leute? Wird ihnen natürlich eine anständige Miete zahlen — und sie können's brauchen." Achim von Nordendahls feingeschnittenes, wettergebräuntes Gesicht mit den großen, ernsten Blauaugen und dem herben Zug um den selten lächelnden Mund färbte sich rot bis an die Wurzeln des kurzgeschorenen dunkelbraunen Haars, und wie Heller Sonnen schein glitt es zugleich darüber hin. .Seine schlanke, sehnige Ge stalt reckte sich zu ihrer ganzen stattlichen Länge empor, und einen Schritt näher an den jüngeren Kameraden herantretend rief er in eigentümlich weichem Ton aus: „Das ist ja großartig! Das gönne ich Grunows von ganzem Herzen!" „Na, ich auch. Da braucht die arme Lili sich nun vielleicht nicht mehr mit Stundengeben abzuplagen. Muß ja für eine Offizierstochter von ihren Ga ben und Eigenschaften was Fürchterliches fein, sich da tag täglich mit den drei halb blöd sinnigen Gören dieses Protzen von Rosenauer rumzuärgern. Der Kerl soll sie gar nicht mal nett behandeln, so ganz von oben herab wie ein besse res Dienstmädchen." „Ich weiß das", unterbrach Achim ihn hastig, und seine Züge verdüsterten sich wieder. „Ist der Baron ein älterer Herr? Wie sieht er denn aus?" fragte er gleich darauf mit un verkennbarer Spannung in den lebhaften Augen. „Nun, er wird gut vierzig sein. Hat beinahe deine Größe, ist auch schlank und muskulös, sieht ein bißchen verlebt aus, aber besitzt doch was Rassiges, sehr Forsches. Jedenfalls ein interessanter Herr. Verträgt auch einen guten Stiebel, denn er soll, wie Ivenack mich vorhin ver sicherte, zuletzt noch vollkommen nüchtern gewesen sein. Von uns andern kann das kaum jemand behaupten." Achim verschränkte die Arme über der Brust und durchmaß das Zimmer mit gesenktem Kopf eine Weile, als befände er sich ganz allein darin, nur ab und zu auf Petersons Gerede mit einem „Hm" oder „Ach was!" zerstreut antwortend. Erst als dieser auf das Generalstabswerk und auf die Arbeit, mit der er sich be schäftigte, zu sprechen kam, wurde er wieder aufmerksamer und freute sich des Interesses, das der Kamerad für diese bezeigte. „Wenn du mit der Ausarbeitung fertig bist, leihst du sie mir wohl mal. Ich werde sie mit Genuß durchstudieren", sagte zum Das neue Schwestern-Erholungsheim am Walchensee. (Mit Text.) Phot. Filip Kester, München.--