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Nr. 275. Humoreske von A l w i u p> ö nr c r. In der „Feieraüendpost" hatte eine Anzeige gestanden: „Witwer, Rentier, Kirchcnrat, Mitte der Vierzig, sucht für die Leitung des Haushalts und die Erziehung seiner Kinder älteres wirtschaftliches Fräulein selbstlosen, sanften Cha rakters. Bei soliden, anspruchslosen Lebensgewohnheitcn angenehme Altersversorgung. Offerten usw. usw." „Ich würde mich entschieden melden, Natalie I" riet Theobald Molkenbechcr seiner Schwester, die mit einem säuerlichen Gesicht und zusammcngekniffenen Lippen auf dem alten Nipssofa saß und mit spitzen Fingern an einem zweck losen Viereck von schreckhaften Dimensionen herumhäkclte. Er hatte nämlich die Absicht, sich demnächst noch, etwas ver spätet, in den heiligen Ehestand zu begeben und fürchtete, daß seine altjüngferlich-eigenwillige Schwester seiner jungen Frau die Herrschaft im Haushalt nicht ganz freiwillig ab treten würde. Und Natalie, die die Hoffnung auf einen herbstlichen Liebestraum noch immer nicht ganz aufgegcben hatte, und „Frau Kircheurat" für eine ganz passable An rede hielt, setzte sich zurechr und schrieb. Und nun hatte sie sich in ihr Schwarzseidenes geworfen, das einen fast zu würdigen Eindruck machte, den Hur mit der großen Straußenfeder auf die gut unterlegte kleidsame Frisur gesetzt und den Zug nach Herrlingstadt bestiegen, um sicb dem zu erobernden Witwer, Mitte vierzig, vorzustellen. Der Zustrom zu Bädern und Sommerfrischen war schon im Gange; deshalb war es nicht leicht, in dem O-Zugc einen Platz nach Wunsch zu finden. Die Abteile für Frauen zeigten sich in allen Fensterplätzen vergeben, und auf einen anderen reflektierte Natalie Molkenbecher natürlich nicht. Schließlich entdeckte sie in einem Nichtraucherkupec einen merkwürdigerweise freigebliebcncn Ecksitz an der großen Außenscheibe. Zwar bedeutete ihr einer der Insassen, daß auch dieser Platz schon belegt sei. Der Herr weile augenblicklich nur im Speisewagen. Indes kehrte sie sich nicht daran. Es wird schor ein Kavalier sein, der Dich nicht nötigen wird, aufzu stehen, wenn er wirklich vor Herrlingstadt aus dem Speise wagen zurückkehren würde, dachte sie optimistisch. Selbstherrlich machte sie cs sich bequem, verstaute ihre Tasche im Netz, schob die Zeitungen des Abwesenden cin Stück weiter und musterte mit vornehmer Ueberlegenheit die Kupeegefährten. Bei der nächste» Station drängten sich noch zwei reise lustige Gesellen in das Abteil trotz aller feindseligen Blicke, mit denen sie die Unverschämten spickte. Und gleich danach tauchte auch der Schlemmer auf, der das teuere Diner her- untcrgegessen hatte und sich wohl gar ein Mittagsschläfchen leisten wollte — auf ihrem Eckplätze! Nun, das würde er sich hoffentlich vergehen lassen, wenn er sah, daß jemand auf diesem Platze saß, dem man zart entgegenzukommen hatte. Aber sie hatte sich bitter getäuscht. > Es war kein Ka valier. Trotz seines eleganten Aeußeren, trotz der dicken goldenen Uhrkette und dem Brillantring am kleinen Finger. „Ich glaube, meine Gnädigste, Sie sitzen auf meinem Platz!" sagte er nach einem kurzen Rundblick. „Wenn Sie die Güte hätten . . Und dabei machte er eine Handbewegung, die seine Auf forderung ohne jedes Mitgefühl ergänzte. „Der Platz war frei!" entgegnete sie harthörig und rückte sich zurecht, als wenn sie ihn für das nächste Achrzehnt ganz gewiß nicht aufgeben würde. „Bitte, hier ist meine Platzkarte!" sagte er kühl, und als sie noch immer nicht Miene machte, zu rücken, rief er sich den Schaffner. Natürlich hörte da aller Widerstand auf, obgleich sie ge reizt war wie ein gehänselter Papagei. Eigentlich wollte sie sich ein anderes Kupee suchen. Aber das hätte wie Flucht ausgesehen vor diesem Banausen, der sich in seinem Eckplatz räkelte und seinem Gegenüber die Speisenfolge mitteilte, für die er soeben „nur" drei Mark zu erlegen gehabt hatte. Nein, sie blieb. Selbst als er weiter renommierte, daß auch der Sekt durchaus solide notiert fei, und dabei mit einem Champagnerpfropfen spielte, den er aus seiner Jackett- tasche selbstgefällig hervorgckramt hatte. Das war doch wirklich nur zum Belächeln. „Ich sammle diese Dinger schon feit Jähren!" erklärte er vergnügt dabei. „In meinem Zimmer habe ich eine Erker- portiere. Da kommen sie sozusagen als Fransen dran. Sieht famos aus und beweist, wie man gelebt hat! Das ist Nummer 275! Alle kann mau sie ja nicht mitnehmeu. Sonst wären's schon ein ganz Teil mehr!" Der andere machte ein sehr respektvolles Gesicht. Er Ivar offenbar in einer weniger einträglichen Stellung und beneidete den Genüßling um seine Renommier-Portiere sehr. Fräulein Molkenbecher schürzte die Lippen voll Ver achtung und schloß die Augen. Der ungalantc Nachbar musterte sie währenddessen nicht gerade wohlwollend. „Hören Sie mal, Fräulein," sagte er plötzlich, „nehmen Sie Ihre Hutnadel aus dem Haar, so lange Sie hier drin sitzen. Das ist lebensgefährlich. Und zwee Oogcn habe ich bloß!" Da fuhr sie auf wie eine beleidigte Königin. „Belästigen Sie mich nicht, mein Herr! Meine Hutnadel geht «ie gar nichts an!" zischte sie wütend. „Es steht aber im Eisenbahnreglemeut, daß . . ." „Wollen Sie nicht wieder den Schaffner rufen?" unterbrach sie ihn höhnisch. Andere mischten sich in den Streit: Der Herr habe recht. Es sei wirklich ver boten, die langen Hutnadeln ohne Sicherung zu tragen. Sie blieb hartnäckig und ließ sich nicht belehren. Dann verstummte die Debatte. Der Störenfried mochte es wohl selbst für kindisch halten, den Schaffner schon wieder zu zitieren. Sie schloß die Augen von neuem. Und der Zug sang im Rollen seine eintönige Melodie weiter. Es war kein Wunder, daß aus dem erheuchelten Schlaf langsam ein echter wurde. Plötzlich weckte sie ein heftiger Ruck. Die Lokomotive pfiff wie besessen. Die Schaffner schrien: „Herrlingstadt". Sie schrak empor und merkte mit einiger Beklemmung, daß sie ihrem verabscheuten Widerpart im Frau: „Aber Mann, jetzt kommst Du heim. Es ist jetzt morgens vier Uhr — ich habe noch kein Auge zugetan!" Mann (schwer bezecht): „Na dann sei wenigstens jetzt geschxit und drück' jetzt eins zu!"