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- Erscheinungsdatum
- 1900-11-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id426614763-190011011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id426614763-19001101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-426614763-19001101
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk des Amtsgerichts ...
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Jahr
1900
-
Monat
1900-11
- Tag 1900-11-01
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Monat
1900-11
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Jahr
1900
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sügige Aendcrung der bestehenden Verhältnisse sträuben, und jedenfalls wird du der ganze Einfluß aufgeboien werden, um dem Vorhaben Griechenland« entgegen zu treten. Allerdings hat der Prinz Georg, der Lebensretter de« Zaren bei dem auf diesen s. Z. in Japan verübten Attentat, in Ruß land einen Stein im Brett, aber — Rußland hat trotzdem die Demüthigung Griechenland« im letzten Kriege nicht verhindert. Tagesgeschichte. — Deutschland. Wieder wird die Erwerbung einer Kohlenstation durch Deutschland gemeldet. Nach dem „New- Dork-Herald" verlautet gerüchtweise, Venezuela erwäge die Ver pachtung der Insel Margarita auf 99 Jahre an Deutschland al« Kohlcnstation. Unbestimmter konnte die Fassung nicht gewählt werden. Die Sache ist diesmal noch weniger wahrscheinlich, al« in den früheren Fällen. — Der deutsch-französische Fernsprechverkehr wird mit dem I. 'November wiederum eine Erweiterung erfahren. Von dem genannten Tage ab werden auch Leipzig und Hamburg zum direkten Telephonverkehr mit Pari» zugelassen. — Oesterreich-Ungarn. Wien, 29. Oktober. Mit Rücksicht auf den andauernden Kohlenmangel hat die Regierung eine wesentliche Erweiterung de» Betriebe« in den staatlichen Kohlenbergwerken zu Brüx beschlossen, wodurch zunächst eine Er höhung der Kohlenförderung von mindesten« 480,000 Tonnen jährlich erreicht werden wird. Die einschlägigen Vorkehrungen sind bereit« im Zuge. — Frankreich. Au« Brüssel kommt die überraschende Meldung, Präsident Krüger wolle auf Grund der Haager Kon vention die Vermittelung Frankreich« zur Einsetzung eine« Schieds gericht« anrufen. — England. Bei dem Einzuge der au« Südafrika zurück gekehrten City Volunter« in London kam e« am Montag zu wüsten Scenen, da die Menschenmenge an mehreren Punkten den Mikitärkordon durchbrach. Am Ludgate-Cirku« brach ein Wagen mit Zuschauern zusammen, und bei der dadurch entstehenden Panik wurden 140 Personen schwer verletzt und vier gelöste!; auch an anderen Stellen sanden Unfälle statt, sodaß die Ambulanzen un unterbrochen Arbeit halten. Von einer einzigen Ambulanz wurden an verschiedenen Punkten 2000 Personen behandelt. In die Krankenhäuser wurden 57 Personen eingeliefcrt und dort, weil schwer verwundet, zurückbehalten. — Amerika. New-Jork, 29. Oktober. Heute Mittag fand am unteren Broadway in der Droguen- und Chemikalien fabrik von Tarrant u. Co. eine furchtbare Explosion statt. Die Gebäude bildeten ein Flammenmeer; eine Reihe weiterer noch heftigerer Explosionen folgte. Die Hochbahn vor der Fabrik wurde zerstört. Trotzdem die Direktion der Firma Tarrant u. Co. erklärt, daß alle Angestellten ihr Leben gerettet haben außer einem, über dessen Verbleib nicht« bekannt zei, behaupten die Blätter, die Zahl der getödtetcn und vermißten Personen belaufe sich aus 100 bi« 200. In den benachbarten Gebäuden und Straßen sind viele Personen durch Herumfliegen der Glasspitter und anderer Trümmerstückc verletzt worden. Eine davon getrof fene Person ist im Krankcnhause gestorben. 20 Verletzte sind dort in Behandlung. Der Gesammtschaden wird aus 1,500,000 Dollar« geschätzt. — China. Au« Südchina liegen weitere bedenkliche Nach richten vor. In Kanton ereignete sich Sonntag früh vier Häuser vom Damen de« Gouverneur» entfernt eine Explosion, durch welche 14 Personen um« Leben kamen. E« heißt, daß die Explosion in einem von Reformern al« Wafsenplatz benutzten Gebäude erfolgte, da« sie mit Pulver und Schießbaumwolle an füllten, um den Jamen in die Lust zu sprengen. Da die Be hörden von ter Richtigkeit dieser Annahme überzeugt sind, wird der Vorfall wahrscheinlich zu scharfem Vorgehen gegen die Re former führen. Gerüchtweise verlautet, die Franzosen seien vor bereitet, für den Fall von Unruhen in Kanton 1000 Mann au« Saigon zu Schiff dorthin zu schaffen. Die Reformer behaupten, wenn französische Truppen zur Besetzung Kanton« schritten, würde die Stadt von den Bewohnern selbst in Trümmer gelegt werden. — Zur Lage im Kiautschougebiet meldet der Gouver neur amtlich: „Da« am 23. Oktober gestürmte Dorf Namen« Kelan war Sammelpunkt der Aufrührer de« Haulidistrikt«. Die Erstürmung zeigt gute Wirkung. Die übrigen befestigten Dörfer legen ihre Wälle nieder und liefern Waffen au«. Die Ruhe wird jetzt wiederhcrgestcllt werden, so daß die Bahnarbeilen fort gesetzt werden können." — Nach einer dem Deutschen Flottenverein au« Tientsin, 27. Oktober, zugegangcncn telegraphischen Meldung wurde die Bagage de« Generalleutnant« von Lessel, Kommandeur« de« Oslasiatischcn Expeditionskorps, bei einem Dangtsin genannten Orte am 26. Oktober von Boxern angegriffen, der Angriff aber abgewicsen, anscheinend von den zur Bedeckung der Bagage kom- mandirten Truppen. — Eine fernere Drahtmeldung de« Deut schen Flottenverein« besagt: Tientsin, 28. Oktober. Ein deut sche« Truppendetachcment hat die Boxer bei Tsai yu-tschang an gegriffen. Zwei Orte wurden von der Artillerie vollständig zer stört. 50 Boxer sind gefallen. — Da« „Rcutersche Bureau" meldet au« Tientsin un- «erm 29. Oktober: Die Expedition, welche am 23. Oktober von hier nach Hsiangho und Paoti abgegangen war, kehrte heute früh zurück, ohne zum Kampfe gekommen zu sein. 4000 Boxer hatten sich beim Herannahen der Expedition in der Nähe von Paotingfu zerstreut. General Gaselee meidet au» Paotingfu vom 24. Oktober: Nach den vom Generalfcldmarschall Grasen von Waldrrjee getroffenen Anordnungen kehren die britischen Truppen nach Peking und Tientsin zurück, wo sie am 5. November ein treffen werden. Sie werden mit den deutschen und italienischen Truppen gemeinsam operiren. Die nach Peking zurückkehrcnden Abheilungen marschieren in 3 Parallellinien, um die auf rem Wege befindlichen Boxer abzufangen. Eine RecognoScirungS- Abtheilung bengalischer Lanzenreiter traf am 22. Oktober dreißig Meilen von Paotingfu auf Boxer und tödtete etwa 20 derselben. Der Gesundheitszustand der Truppen ist gut. — »Wolff« Telegraphisch?« Bureau" meldet au« Peking, 29. Oktober: Der Marsch auf Paotingfu hat sich al« sehr wirksam erwiesen. Die regulären Truppen der Chinesen sind bei und östlich von Paotingfu ohne Kamps zurückgegangen; die Boxer wurden in großer Zahl zerstreut. Aber noch immer terrorisiren größere oder kleinere Böxerschaaren die Ort«einwohner und greifen Meldereiter und schwache Posten an. Zahlreiche fliegende Kolonnen sollen die vollständige Sicherung und Beherrschung de« besetzten Gebiete« herbeisühren. Zu dem gleichen Zwecke kehren die Truppen von Paotingfu in 4 Kolonnen aus verschiedenen Wegen nach Peking zurück. — Nach amtlichen Angaben haben die russischen Trup pen bi« jetzt im Ganzen 194 Geschütze der verschiedensten Sy steme sowie 26 Fahnen regulärer chinesischer Truppen erobert. Außerdem fielen große Mengen von Gewehren — theilweise neuester Konstruktion —, von Patronen, Boxersahnen usw. in ihre Hände. Local« und sächsische Nachrichten. — Eibenstock, I. Nvvbr. Heute Abend findet im Feld schlößchen der letzte der beiden von Herrn Kade au« Zwickau arrangirten Familien-Abende statt. Wir wollen nicht ver fehlen, auf die ebenso hochinteressanten al« amüsanten Vorführ ungen hinzuweisen. — Leipzig, 30. Oktober. Der kommandirende General de« 19. Armeekorp«, General der Infanterie v. Treitschke, ist heute mit dem Pferd gestürzt. Se. Exzellenz erlitt einen Unterschenkelbruch. Da« Allgemeinbefinden ist befriedigend. — Leipzig, 30. Oktbr. Baronesse v. Eberstein bestimmte testamentarisch da« Rittergut Schönefeld zu einer Stiftung für verwaiste, unverheirathete Töchter von Staatsbeamten und Offi zieren. — Zwickau, 27. Oktober. In der heutigen Sitzung der zweiten Strafkammer befand sich der 16 Jahre alte, mehrfach vorbestrafte Bürstensabrikarbeilcr Friedrich Paul M. au« Schön- heide auf der Anklagebank. Derselbe hatte seinem Gesländniß zufolge am Abende de« 21. Mai d. I. eine der Wilhelmine vcrw. Viehweg in Schönheide gehörige Weckeruhr gestohlen. Wi der ihn erkannte man aus 3 Wochen Gesängniß wegen ein fachen Diebstahl», zusätzlich zu der ihm durch Urtheil de« Land gericht« Altona auserlegten achtmonatlichen Gefängnißstrafe. — Auerbach. Der Möbelauflader Kalbskopf von hier stürzte am Sonnabend Abend zwischen Rodewisch und WerneS- grüu von einem schwer beladenen Wagen herab und wurde von dem Vorder- und Hinterrade überfahren und lebensgefährlich verletzt. Am Montag wurde Kalbskopf, der schwerlich mit dem Leben davonkommen wird, dem Kreiskrankenstift Zwickau zugesührt. — Klingenthal, 29. Oktober. Von Wilddieben ange- schosscn wurde in der Nacht zum Sonnabend auf Kottenhaider StaatSforstrcricr der Forstgehilfe Werner. Ein Schrotschuß drang Werner in den linke» Arm und in die linke Seite und verletzte ihn so schwer, daß er da» Bewußtsein verlor und die Attentäter entkamen. Al« Werner wieder zur Besinnung kam, schleppte er sich bi« in« „Tannenhaus" und erstattete Anzeige. Zwei Ver dächtige sind gefänglich eingezogen worden. — Breitenbach, 28. Oktober. Ein ganz unglaublicher Fall hat sich hier zugetragen. Eine Familie, bestehend au« der Mutter, zwei erwachsenen Töchtern und einem Sohn, setzte c» sich in den Kopf, in den Himmel fahren zu wollen. Sie be reiteten sich durch Fasten, Beten und sonstige fromme Hebungen gehörig vor, dann verschenkten sic ihre bewegliche Habe, schnitten sich die Haare ab und erwarteten da« Zeichen zur Auffahrt. Der Schäfer de» Dorfes, der um die Sache wußte, wollte dann auch einen Hellen Schein über dem Hau« wahrgenommen haben und verbreitete die Mär von der vollbrachten Himmelfahrt. Be sonnenere Nachbarn, die durch da« Brüllen de« hungernden Viehc« aufmerksam gemacht waren, fanden die vier Himmclfahrer gänzlich erschöpft und völlig entkleidet zusammen in einem Bette liegend in einer verschlossenen Dachkammer. — Aus den sächsischen Schmalspurbahnen sind in letzter Zeit besonder« konstruirte Wagen in größerer Anzahl in Betrieb gestellt worden, aus welche die Wagen der normalspuri- gcn Linien aufgefahren werden können. Aus diese Weise können die normalspurigen Güterwagen auch auf die Schmalspurlinien übergehen, und da» für da« befördernde Gut häufig recht schä digende Umladen auf den Spurwechselstationcn kommt hierdurch in Wegfall. Die Beförderung der Güler wird überdies durch Vermeidung der Umladung beschleunigt. — Der soeben erschienene Amtskalender für Gutvvorstcher, Gemeindevorstände und Standes beamte aus« Jahr 1901 iVerlag v. E. Mauckifch in Frei berg) enthält außer anderen wissenSwerthen Nachrichten auf Seite 127 bi« 153 verschiedene Schemata für Haushallpläne, Kassen bücher und Rechnungen der Gemeinden und werten die Herren Gemeindcvorstände darauf besonders aufmerksam gemach». Vor hundert Jahren. 1. Kovemller. Die Halloren 1800. „Zu Hall- im Magdeburgischen findet sich ein eigenes Menschengeschlecht, welches Halloren genannt wird; sie sind bei dem dasigen Salzwesen angestellt und verpflichtet, dem Könige in Feuer und Wasser zu dienen." So heißt es in einem 1800 erschienenen W-rkchen, in dem die Besonderheiten und Eigenthümlichkeiten der Völker beschrieben sind. Die Halloren sind, seitdem sie von ihrem eigenthümlichen Rechte, den Lan desherr» durch Neujahrsgratulation persönlich begrüßen zu dürfen, wieder holt Gebrauch gemacht, in neuerer Zeit sehr bekannt und populär geworden, anscheinend bekannter als vor 100 Jahren, obschon sie damals noch eine geschlossene Gemeinschaft bildeten und tnehrcre 1000 Köpfe zählten. Gerühmt wird von den Halloren jener Zeit, daß sie bei Feuersgefahren sehr wesent liche Dienste leisten: „sie springen in das Wasser, durchnässen sich tüchtig und dann eilen sie mit vielem Muth nach den gefährlichsten Stellen des Brandes, wo sie mit vieler Fertigkeit einreiben und Wasser zugießen." ES wird ferner das Halloren-Stechen beschrieben: weiß gekleidet, mit Musik und Fahnen ziehen die Halloren an das Wasser und in die Kähne, in denen sie mit einander „turniren"; derjenige, der in s Wasser gestoßen wird, ist besiegt. 2. Voocmller. Politische Sprüche 1800 <11. In dem Werke eines ungenannten Verfassers jener Zeit finden sich eine Anzahl Sentenzen, die zum Theil so gcist und sinnreich sind, daß sie Wohl eine Wiedergabe verdienen. So heißt es z. B.: Um den Monarchisten zum Republikaner und diesen in jenen um- ,»schassen, muß man Ersterem viel «in- und Letzterem viel auSzureden »er- stehen. — Ferner: im monarchischen Staat ist Alles Personal, mithin auch die Anhänglichkeit an die Regierung, wodurch aber die Menschheit en xroo mehr gewinnt, al« der Mensch en siotail verliert. — Großer Verstand und eine Krone haben Beide etwas Furchtbares, jener durch eine natürliche, diese durch eine positive »Überlegenheit. — Manche Staatsprojekte sind wahre Eselskinnbacken in der Hand eines Dienstsimsons, der fleißige Philister nicht zu behandeln versteht. Alter Seelen. Zum S. November. Von R. I. Werke.« Der kurze düstere Novembertag neigt sich seinem Ende und ganze Schaaren schwarz gekleideter Menschen pilgern nach dem Friedhof. Dort wimmelt e« bereit« von Besuchern — tiefer Ernst liegt auf ihren Mienen, Kränz: und Palmzweige tragen sie in den Händen. Sie stehen gesenkten Blicke« an den Gräbern oder knieen weinend vor den Hügeln, auf die sic Spenden der Liebe legen. Wieder Andere drängen sich suchend durch die Pfade zwischen den Gräbern — Alle denken sie Derer, die darin liegen und schlafen den langen traumlosen Schlaf nach heißem, mühevollen LedenStagewerk — aller Seelen — Tag der Todten. Und jetzt — hier flammt e« aus einem Grabe auf, eine Kerze ist angezündet, ihr Licht strahlt rolh durch die feuchte, dunstige Lust — dort leuchtet e« blau und noch weiter hin blitzt e« grün; die Oellämpchen mit ihren farbigen Glasglocken er strahlen wie die Sterne de« Himmel« und die Grabsteine und Kränze glänzen im magischen Lichte. Wo sich auf einem Grab hügel »ine Büste dessen erhebt, der darunter ruht, da scheinen diese huschenden Lichtreflexe Leben in die marmornen Züge zu zaudern und die todten Augen schauen tiefen Ernste« auf da» Gewimmel all der Sterblichen, die, früher oder später, hier eben- sall« autruhen werden von allem Jammer und aller Plag» diese» Erdenvasein«. Ein großer stattlicher Herr mit männlich schönen Zügen und stark ergrautem Haar und Schnurrbart steht, in tiefen Be trachtungen versunken, an einem Grabhügel, auf dem er eine prachtvolle Kranzspende niedergelegt hat. Seine einfache elegante Kleidung läßt ein Mitglied der besseren Gesellschaft »ermuthen, während die Straffheit seiner Haltung und die Energie seiner Bewegungen sofort den ehemaligen Militär erkennen lassen. Da« Grab, an dem er steht, trägt die Marmorbüfte seine stillen Bewohner«. Ein jugendlich schöne« Antlitz von idealem Au-druck, ein prächtiger Lockcnlopf mit unverkennbarem künstler ischem Gepräge. Auf dem Sockel, vor der Büste, sind die Embleme de» Berufe« de« Verblichenen in Slandstein: Ein Jn- santeriehelm, zwei gekreuzte Säbel und da« eiserne Kreuz. Lange schaut der Mann am Grabe die Büste an: „Vergieb, o vcrgicb", murmeln seine Lippen und wieder versinkt er in dumpfe« Brüten. Seine Hände falten sich, seine Lippen bewegen sich lautlo«. „Hast Du noch nicht verziehen? Kannst Du mir den Frieden meiner Seele nicht wicdergeden? Habe ich die Unglück«- that nicht gesühnt mit allem wa» ich bin? Mit einem Leben voll Reue und Pein, mit dem Verlust meine« Berufe«, mit dem ich ein Stück meine« Selbst« verlor?" und er betet heiß, unablässig. Seit vicrundzwanzig Jahren steht er nun hier am Tage aller Seelen an diesem Grabe. Wenn die Dämmerung ihren grauen Schleier über die Erde breitet, dann kommt er, legt seine Kranzspende aus den Hügel und stehl lange, lange in sich ver sunken da — bi« ihn nach Eintritt der völligen Dunkelheit der rauhe Abendwind daran gemahnt, daß e« Zeit ist, an den Heim weg zu denken. Dann scheint die Energie au« seinen Beweg ungen geschwunden, sein Gang ist müde und schleppend. Trübe, schwere Gedanken sind e«, die ihn dann bewegen — aber nicht nur am Tage aller Seelen; sie sind e«, die ihm sein Dasein zerstören, die Freude am Leben vernichtet haben. Vor sechsundzwanzig Jahren — und heute! Er war al« junger Hauptmann vom Generalslab gekommen, um in seiner schönen, großen Vaterstadt, bei dem Regiment, au« dem er hervorgegangcn, nach Beendigung der großen Herbstübungen eine Kompagnie zu übernehmen. Rasch war er befördert worden, denn er hatte sich fünf Jahre früher in Frankreich al« Premier und noch früher in Oesterreich und Dänemark al« ganz junger Offizier glänzend hcrvorgethan und besaß viele hohe Ordensaus zeichnungen. So war c« gekommen, daß er schon mit dreißig Jahren Hauptmann war und daran denken konnte, Umschau zu halten unter den Töchtern de« Lande«. Und er halte ein entzückende« Weibchen erkoren — gleich ausgezeichnet durch Schönheit und Anmuth, wie durch Geister und Herzensbildung. Ein Jahr war ihnen dahingegangcn in stillem, ungetrübten Glück. Der junge Hauptmann war beliebt bei seinen Vorge setzten, verehrt von allen seinen Untergebenen, beneidet von allen, die gesellschaftlich mit ihm in Berührung kamen, um seine ent zückende junge Frau. Ueberall feierte sie Triumphe ohne sie zu suchen. Wiederum war e» Herbst geworden. Da kam nach den großen Uebungen ein jüngerer Kamerad zum Regiment, der bald zu den eifrigsten Bewunderern von Frau von Gylffingen gehörte. Er war eine eigenartige Erscheinung, dieser Premierleutnant Ruthard: straff militärische« Wesen mit liebenswürdiger Offen heit und künstlerischer Nonchalence zu einem Ganzen gemischt, da« unwiderstehlich die Herzen eroberte. Die hohe, schlanke, ge schmeidige Figur war wie für die Uniform geschaffen, aber da« große geistvolle Auge und da« prachtvolle lockige Haar, allerdings militärisch gestutzt und gescheitelt, schien unfehlbar den Maler oder Bildhauer zu verrathen. Und in der Thal — er war Künstler gewesen — und er war eS noch, wenn er auch äußerlich Schlapphut und Sammet- jacket mit Helm und Wafsenrock vertauscht hatte. Wie da« ge kommen war, pflegte er oft in seinem liebenswürdigen Plauder ton zu erzählen. „Ja, eine« Tags", sagte er dann — „e« war kurz vor Ausbruch de« französischen Kriege« — ließ mich mein Vater zu sich bitten, da ich mir eine Garcjonwohnung mit Atelier in der Nähe der Kunstakademie gemiethet halte und auch in jener Stadtgcgenv speiste. „Mein Sohn", begann er tief ernst, „ich muß Dir eine traurige Miltheilung machen. Deinen monatlichen Wechsel von siebenzig Thalcrn kann ich Dir nicht mehr gewähren. Ich habe kolossale geschäftliche Verluste gehabt und kann Dir höchsten« noch zwanzig Thaler den Monat geben. Du mußt nun zusehen, ob Du bald etwa» verdienen kannst. —" „Ich —" „Ja ja, mein Sohn, e« ist Ernst, furchtbarer Ernst. Ich bin mit meinen Berechnungen noch nicht zu Ende, aber soweit ich« bi» jetzt übersehen kann, habe ich drei Viertel meiner gejammten Habe eingebüßt, — vielleicht etwa« mehr, viel leicht auch etwa« weniger — kündige morgen Deine Wohnung" — e» war nämlich der 30. Juni — „die Du doch nicht behalten kannst und denke darüber nach, ob Du Illustrator werden, Dich der Photographie zuwenden oder sonst eine produktive Thätigkeir auSüden willst." Ganz zerstört ging ich von dannen, kündigte die Wohnung und überlegte und überlegte. Noch nicht drei Wochen später brach der Krieg au» und ich hatte vorläufig auS- gesorgl. Bekanntlich wurde bei Beendigung de« Feldzuge« einer Anzahl von Reserve-Offizieren sreigeftellt, die Kriegsschule zu besuchen und in den aktiven Heeresdienst einzulrctcn." „Zwanzig Thaler?" sagte ich mir — „hübsche Leutnant«zulage — wird gemacht. Ja, sehen Sic, meine Herrschaften, so bin ich Offizier geworden und habe e« nicht bereut — denn für die böse Lieb haberei de« Schmieren» und de« Klexen« bleibt immer noch hie und da ein Stündchen übrig — und verdient wird so nicht» da mit und so nicht. —" Hauptmann von Gylffingen gewann den jungen Kameraden bald von Herzen lieb und bat ihn häufig zu einem kleinen Abend im engsten Familienkreise. Die zarten sinnigen Huldigungen, die der Leutnant seiner schönen Frau darbrachic, beunruhigten ihn keinen Augenblick, im Gegcntheil, sic erfüllten ihn mit Ge- nugthuung, denn er nahm sie al» selbstverständlichen Tribut, der einem so vollkommenen Wesen wie seine Gattin, gebühre. Eifer- fucht kannte er nicht. Mochte er dreist in den bewundernden Blicken manche« Begegnenden unverhüllte» Begehren lesen — mochten sie doch — er war ihrer ehelichen Treue völlig sicher. Eine« Tage« rief ihn sein 8ataillon«kommandeur heran. „Lieber Gylffingen, halten Sie ein wachsame« Auge aus den Ruthard — er kompromittirt Ihre Frau Gemahlin." „Herr Major —" war er aufgefahren. „Nun nun, fahren Sie nur nicht so aus", sagte der ältere Vorgesetzte wohlwollend, .nicht« lag mir ferner, al« die Absicht, Sie zu verletzen. Man fagl nämlich — na, egal — jedenfalls
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