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3. Hochschulreform - Klassenauftrag Dozent Dr. sc. med. H. Böhm und Dr. W. Wolz Stud ien begleitende Leistungskontrollen als immanenter Bestandteil moderner hochschufpädagogischer Methoden der Erziehung und Ausbildung von Medizinstudenten - dargestellt am Beispiel des Faches Sozialhygiene Die Aufgabenstellung der 3. Hoch- der lernpsychologischen Erkenntnis Schulreform erforderte unter anderem Rechnung getragen, daf aktives Wis- eine Neugestaltung des Medizinstu- sen leichter reproduzierbar ist als pas- diums in der DDR, die eine gleichzei- sivcs Wissen. Deshalb wird den Stu- tige Verkürzung der Studiendauer auf denten innerhalb der Lehrveranstaltun fünf Jahre beinhaltete. gen weitgehend die Möglichkeit der Um trotz dieser reduzierten. Zeit spanne disponible Ärzte ausbilden und erziehen zu können, war die konse quente Trennung von Studenten- und Facharztwissen sowie die Erhöhung der praxisorientierten Anteile der Er ziehung und Ausbildung erforderlich und unter besonderer Berücksichtigung der Integration der Hochschule in das Territorium zu realisieren. Dieses Ziel ist jedoch nur durch grundlegende Veränderungen der Lehr veranstaltungen nach Inhalt und Form zu erreichen. Das bedeutet besonders: • verstärkte klassenmäßige Erzie hung ; • Übergang zu einer forschungs bezogenen Lehre; • Umgestaltung der Ausbildung im Sinne eines wissenschaftlich-produk tiven Studiums unter Beachtung seiner erzieherischen, seiner Bildungs- und seiner pragmatischen Funktion. Unerläßlich ist in diesem Zusammen hang eine aktive Anteilnahme der Stu denten und ihrer Bereitschaft, sich so wohl für den Inhalt und die Formen ihrer Ausbildung als auch für die Qualität der zu erreichenden Ergeb nisse mitverantwortlich zu fühlen. Das erfordert jedoch ein hohes Maß an Selbständigkeit, wodurch die Erziehung der Studenten zur Selbsterziehung eine wesentliche zu lösende Aufgabe darstellt. Charakter und Zielstellung des wis senschaftlich-produktiven Studiums sowie die verschiedenen Formen sei ner Realisierung fordern die Schaffung eines Systems der Leistungskontrolle und -bewertung’), das neben der Fest stellung von intellektuellen Leistungs ergebnissen insbesondere eine Objek tivierung der Qualität der Gesamtper sönlichkeit der Studenten ermöglicht. Dabei ist neben der Leistungskompo nente die des Verhaltens der Studen ten mit Hilfe von Verhaltensbeobach tungen durch das Lehrkollektiv sowie durch Selbsteinschätzung der Studen ten (individuell bzw. kollektiv) von besonderer Bedeutung. „Auf Grund sei ner personellen Struktur - es geht in jedem Falle immer um den in einer bestimmten Weise geformten Men schen - ist das Erziehungsziel die Pro jektierung und das Resultat die Wider spiegelung aller Seiten der Persönlich keit im Ergebnis des Erzichungspro- zesses" 2 ). Die Überwindung der häufig noch vorherrschenden Beschränkung auf die Ermittlung nur von Teilelementen der Gesamtpersönlichkeit der Studenten im Rahmen der Leistungsobjektivierung muß also dringend angestrebt werden. Am Institut für Sozialhygiene der Medizinischen Akademie Dresden er folgt die Planung, Organisation und Durchführung der studentischen Aus bildung unter Berücksichtigung des Er kenntnisprozesses und der im Lernpro zeß wirkenden dialektischen Einheit rezeptiver, reproduktiver und produk tiver Elemente. Soweit möglich, wird „Akademie-Echo" Seiten 4/5 aktiven freien Wiederhplung,/ dem Sprechen über einen bestimmten Stoff in' Form kleinerer Referate gegeben, um so die dauerhafte Aneignung von Kenntnissen zu unterstützen. „Die Not wendigkeit, frei zu reproduzieren und den Stoff selbständig darzulegen, hilft sehr, den Merkstoff sinnhaft zu durch dringen" 3 ). Notwendige Voraussetzung dafür war die Umgestaltung der Lehrveran staltungen zu einem horizontal und vertikal integrierten System wissen schaftlich-produktiven Studiums, wor auf an anderer Stelle’) näher einge gangen wurde. Entsprechend der Wirkungspyramide akademischer .Lehrveranstaltungen hin sichtlich ihrer Kommunikationsmöglich- keiten 1 ) werden in der augenblick lichen Etappe des Aufbaues eines Systems studienbegleitender Leistungs- Objektivierung und Persönlichkeitser fassung folgende Hauptformen praxis wirksam : • schriftliche Formen (zum Beispiel Kurzbelege, Belegarbeiten, Klausuren, Vorbereitungen auf Leistungen in Podiumsgesprächen, Seminaren u. a.); • mündliche Formen (zum Beispiel Konsultationen, Prüfungsgespräche. Mitarbeit in den verschiedenen Lehr veranstaltungen) ; • Verhaltensbeobachtungen (zum Bei spiel Einstellung zum Studium als ge sellschaftlichem Auftrag, Studien disziplin). Problemvorlesungen sind bezüglich der Kommunikation einseitig. Um auch in ihnen Studenten wirksam werden zu lassen, werden einige von ihnen be auftragt, Einzelthemen bzw. bestimmte Aspekte ausgewählter Vorlesungen (zum Beispiel Unfall. Kariesprophy laxe) unter Anleitung selbständig zu bearbeiten und im Kolleg ihren Kom militonen vorzutragen. Der Lehrver antwortliche, der sich vorher auf Grund erfolgter Konsultationen der Studenten von der notwendigen Quali tät der Ausarbeitung überzeugt hat, überwacht den ordnungsgemäßen Ver lauf dieser Vorträge. Die von den Stu denten erbrachten schriftlichen und mündlichen Leistungen werden be wertet. Für die Podiumsgespräche werden jeweils durch vier bis sechs Studenten kleinere Untersuchungen zur anstehen den Thematik vorgenommen. Diese Stu denten treten als Gesprächspartner neben Fachexperten anderer Diszipli nen auf und verteidigen notwendigen falls ihre Untersuchungsergebnisse, die als Nachweis erbrachter Leistungen eine entsprechende Bewertung er fahren. In Vorbereitung der Seminare wer den Seminaraufträge erteilt. Darüber hinaus kommt es zur Diskussion von Kontrollfragen, die im Fakten material 1 ) vorgegeben sind. In diesem Rahmen erfolgen auch schriftliche Lei stungskontrollen. Alle mündlichen sowie schriftlichen Leistungen werden unter Berücksichtigung der individuel len bzw. kollektiven studentischen Ein schätzung bewertet. Die Übungen, insbesondere aber die Praktika (einschließlich der mehr wöchigen Praktika), dienen gezielt der klassenmäßigen Erziehung und der direkten Konfrontation mit der sozia listischen Demokratie. Im Interesse der weiteren Integration der Hochschule in das Territorium und der Schaffung von Kooperationsbeziehungen mit Einrich tungen des Territoriums hinsichtlich der Ausbildung und Erziehung der Stu denten wurden entsprechende schrift liche Vereinbarungen mit der Bezirks direktion Dresden der Sozialversiche rung im FDGB, der Bezirksdirektion Dresden der Staatlichen Versicherung der DDR sowie der Abteilung Gesund- heits- und Sozialwesen beim Rat der Stadt Dresden getroffen. Da jedoch speziell bei den bisherigen Famulatur arbeiten die Gefahr bestand, daß es in der kurzen Zeitspanne der Famulatur zu einer arbeitsmäßigen Überforderung der Studenten kam, die sich außerdem bei der Durchführung der Arbeit mehr oder weniger selbst überlassen waren, werden seit Herbstsemester 1970 mit dem Ziel der Niveauerhöhung die bis herigen Famulaturarbeiten als Beleg arbeiten durchgeführt. Sie werden im Herbstsemester vergeben und bis Mitte Frühjahrssemester abgeschlossen. Es handelt sich grundsätzlich um Kollek tivarbeiten, die während ihrer etwa halbjährigen Laufzeit kontinuierlich von Mitarbeitern des Instituts und von Vertretern der Praxis überwacht wer den. Da Mentoren, Kreisärzte und Ärzt liche Direktoren der jeweiligen Ein richtungen sowie leitende Ärzte des Territoriums und leitende Mitarbeiter der Sozialversicherung und der Staat lichen Versicherung Wissen, Fähig keiten und Fertigkeiten der Studenten beurteilen, tragen sie maßgeblich zur Urteilsfindung der studentischen Lei stungen bei. Es wird die Ansicht ver treten, auf diese Weise Leistungsfähig keit und Leistungswillen der Studenten realer einschätzen zu können. Darüber hinaus werden die objekti ¬ vierten Leistungen, die Studiendiszi plin, die Mitarbeit sowie das Verhal ten der Studenten und ihr Bewußtsein wie auch die Qualität und das Ergeb nis des Erziehungs- und Ausbildungs abschnittes aus studentischer Sicht in jedem Semester mit den FDJ-Sekretä- ren im Sinne einer Zwischenbilanz ausgewertet. Jeweils am Ende des Studienjahres erfolgt eine abschließende Beratung mit den an der Erziehung und Aus bildung beteiligten Mitarbeitern über jeden Studenten. Dabei wird fest gelegt, welche Kommilitonen unter Be rücksichtigung der erzielten Gesamt ergebnisse (Durchschnitt nicht schlech ter als „2") sowie ihrer Einstellung zum Fach und zum Studium vom mündlichen Staatsexamen befreit wer den. Studenten, die mit „2” von der Prüfung befreit werden, haben das Recht, sich auf „1" prüfen zu lassen. Die Reaktion der Studenten auf alle vorgenannten Maßnahmen war posi tiv; ein Überangebot an freiwilligen Meldungen zur Übernahme bereits ge nannter wissenschaftlicher Aufträge so wie eine große Zahl guter bis sehr guter Leistungen ist festzustellen. Die genannten Formen der studienbeglei- tenden Leistungskontrollen werden als gerechter empfunden als die in Inhalt und Form oft anfechtbaren Prüfungs- methoden. Unter Berücksichtigung der genann ten Kriterien wurden von insgesamt 97 Studenten 45 von der mündlichen Staatsexamensprüfung im Fach Sozial hygiene befreit, davon 11 mit der Note „1" und 34 mit der Note „2". Um zu prüfen, ob durch das prakti zierte Auswahlverfahren tatsächlich die besten Studenten erfaßt werden konnten, wurde nachträglich für jeden Studenten die Durchschnittsnote aller 14 bisher geprüften klinischen Fächer ermittelt und deren Verteilung bei den befreiten und geprüften Studenten gegenübergestellt. Folgendes Ergebnis wurde gefunden; Verteilung der Durchschnittsnoten (aller klinischen Fächer) der im Fach Sozialhygiene von der Prüfung befreiten Studenten und der geprüften Studenten Die Abbildung zeigt, daß die Ver teilung der Durchschnittsnoten zwi schen beiden Studentengruppen unter schiedlich ist. Dabei sind die Durch schnittsnoten der befreiten Studenten wesentlich besser als die der geprüften Studenten. Ter Unterschied zwischen beiden Gruppen ist mitd = 0,001 (-7.07>1(0.001;95) • 3.41) hochsignifikant. (Fortsetzung auf Seite 6)