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Sächsische Volkszeitung : 03.07.1924
- Erscheinungsdatum
- 1924-07-03
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192407038
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19240703
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19240703
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1924
-
Monat
1924-07
- Tag 1924-07-03
-
Monat
1924-07
-
Jahr
1924
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 03.07.1924
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17 uterlialtun^ Allier» Nack den deutschen Inseln Kaum ein Land des europäischen Kontinents kann sich rüh men, einen gleichen Reichtum an verschiedenartigen Landschafts- bilaern zu besitzen, wie Deutschland. Welche Fülle immer wech selnder, stets reizvoller Gegenden von der Küste des Ozeans bis zu den ewig schneebedeckten Gipfeln der Alpen. Mächtige Strome und tannenbewaldete Gebirge, einsame rotblühende Heide und saftiges Wiesenland findet der Reisende und mehr noch der Wanderer, der sein Vaterland durchstreift, es kennen zu lernen. Deutscher Wald und deutsche Berge, deutsche See und deut sches Flachland sind uns wohl bekannt. Weniger reich ist unser Land, oder vielmehr unser Meer an Inseln. Und doch haben wir eine Perlenkette von Inselgruppen, die sich in zivei Strän gen längst der Küste der Nordsee hinzieht. Wohl besitzt auch die Ostsee ihre Insel, sogar die grötzte deutsche Insel Rügen. Aber diese Insel ist so grotz, daß sie den eigentlichen Inselcharakter fast verliert und dem Besucher eher als Festland erscheint. Die beiden Inselgruppen, in die die N o r d s e e i n s e l n zerfallen, sind die O st f r i e s i s ch e n und die Nordfriesi- schen Inseln. Jede von beiden Gruppen hat ihre Eigenart, ihre Vorzüge an landschaftlicher Schönheit wie an Einrichtun gen, Bauten und Charakter als Badeort. Und nicht nur das, jede einzelne Insel der Nordsee fast untersclpndet sich durch ihr Aeußcres und ihre Besucher vor der anderen. Das sieht man so recht an den beiden dicht beieinander ge legenen und gleich beliebten Badeinseln Borkum und Norder ney. Die Insel Borkum, der rechte Bürger- und Familienbade- ort, zeigt in der Hochsaison das Bild eines großen Schulhofes während der Pause. Kinder, Kinder, Kinder . . . Wer Freude hat an unseren lieben Kleinen, wer selbst mit dem Segen des Nachwuchses bedacht ist, der reise in dies Kinderparadies. Es gibt aber Leute, besonders überanstrengte Geschäftsleute und Menschen, deren Reiseparole lautet: „Mei Ruh' will i' Han". Denen sei Borkum nicht so sehr empfohlen — aber deswegen auch noch nicht Norderney. Norderney ist der Nordseebadeort der Berliner. Und daß gerade die Berliner besonders schweigsame Menschen wären, zumal, wenn sie Ferien machen und in Schwärmen auftreten, wie die Wanderheuschrecken, das kann wohl niemand behaup ten. Ein komfortables Bad mit eleganten Restaurationen, Amüsements, Tanzreunions und Sommernachtsbällen, ja sogar Pferderennen und Totalisatorbetrieb, das ist schon Norderney. Wer also ein an die Nordsee verlegtes Klein-Berlin besuchen will, der fahre dorthin. Er wird alle Genüsse eines modernen Bademenschens kosten und außerdem schönsten Wellenschlag, den die Nordsee bietet, genießen können. Gehört man aber zu jenen stilleren Naturen, die Meeres einsamkeit und verlassene. Sanddünen mit Mövengeschrei lie ben, so nehme man, zwischen Borkum und Norderney die Mitte, die kleine Insel Juist zum Aufenthaltsort während des Som- mernrlaubes. Hier wird man weniger Vergnügungen und Lust barkeiten, weniger Kinder und Kinderfeste haben, dafür aber alles, was die Nordsee an natürlichen Schönheiten bietet. Aehnlich Juist sind die drei am weitesten östlich gelegenen ostfriesischen Inseln: Lange Oog, Wanger Oog und Epi ker Oog. Auch sie sind nicht so überfüllt und übervölkert wie Norderney und Borkum. Manck)e Annehmlichkeit, die die bei den letztgenannten Plätze gewähren, wird man hier vermissen. Man nimmt aber vielleicht, auch wenn man verwöhnter k^oß- stüdter ist, den oder jenen Mangel an Komfort gern in Kauf, wenn Sand und Meer und der blaue Himmel rings umher leuchten und man bei jedem Atemzuge merkt, wie der Körper sich wohlig dehnt und reckt, wenn man jeden Tag seststellt, daß man sich wirklich erholt, daß man zunimmt an Mast und Ge wicht. Die oft friesischen Inseln erreicht man wohl am bequemsten über Bremen. Man verfehle nicht, auf der Hin oder besser noch auf der Rückreise, wenn man braun gebrannt mit neuer Kraft der lieben Heimat zufährt, einen Tag der alten Hansastadt mit dem berühmten Rathaus und seinem noch be rühmteren Ratskeller zu widmen. Sticht man die Insel Nard- sriesland auf, so reist man bequemer über Hamburg. Es ist interessant, einen Vergleich zwischen den beiden -Hafen- und Kauf mannsstädten zu ziehen. Wer ganz schlau ist und es sich ein oder zwei Tage kosten läßt, der besuche auf dem Hinwege Hamburg, auf dem Rückwege Bremen. Wer nach den Nordfriesischen Inseln reist, dem steht noch ein ganz besonderes Ereignis bevor, wenn er den Seeweg wählt. Wie eine Verbindungslinie zwischen den beiden Inselgruppen liegt Helgoland. Einst Stützpunkt der deutschen Kriegs flotte und eine schwimmende Festung, ist Helgoland heute nur noch Badeort. Mn kleiner und vielleicht nicht ganz bequemer Badeort, denn wer sich in die Wogen stürzen will, muß erst die senkrechte Wand des roterdigen Eilandes hinuntersteigen zum eigentlichen Badestrande. Dafür hat Helgoland seinen besonderen Reiz als malerisches und unvergeßliches Erlebnis für ein schön- heitsdürstiges Auge. Das blaue Meer, die roten Felsen, der weiße Strand und die grünen Matten in luftiger Höhe sind für den, der Helgoland auch nur einen kurzen Besuch abgestattet hat, unvergeßlich. Man sollte also wenigstens eine Stipvisite dem eigenartigsten deutschen Eiland machen, wenn man weiter- sährt zu längerem Aufenthalt auf den nordsriesischen Inseln. Es ist eine große Anzahl von Inseln und Inselchen, die sich an der Schleswig-Holsteinischen Küste entlang ziehen. Einen Ruf als Badeorte und Sommerfrischen haben eigentlich nur die drei nördlichsten von ihnen. Fast schon im Bereich der dänischen Küste liegt die langgestreckte T-förmige Insel Sylt mit dem Weltbade Westerland. Was von Nor derney als Modebad gilt, das gilt in vielfackwm Maße von We- sterland-Sylt. Hier herrscht nicht nur das Berliner Leben, hier herrscht ein internationaler Bndebetricb, der hinter Schevenin gen, Biarritz und Trouville nicht zurücksteht. Hier sicht man die elegantesten Toiletten der letzten Pariser Mode, nicht nur auf der Kurpromenade und im Scheine der roten Lampions auf den nächtlichen Hotelterrassen. Natürlich gibt es wie überall auch in Westerland stillere Plätzchen und billigere Pensionen. Wer aber nicht ganz cha rakterfest ist und fürchtet, den Verlockungen des Weltbadebetrie- bes zu erliegen, der fahre lieber nach den Inseln Föhr und Am rum. Es besitzt nicht weniger als zwei Dutzend über das Land verstreut liegende Fischerdörfer. Nichts ist reizvoller als eine Wagenfahrt über diese mit grünen Wiesen, ährenwogenden Ge treidefelder und schindelgedecklen Fischer- und Bauernhäuser be deckte Fläche. Der Hauptbadeort auf Föhr ist Wyk, ein gutes und nicht zu teueres Seebad mit einem guten bürgerlichen Pub likum. Eine Sensation bildet ein Marsch oder eine Wagenfahrt durch das Watten ni cer nach Amrum. Zur Zeit der Ebbe tritt das Meer hier auf einer meilenweite Strecke zurück und hinterläßt in einigen Mulden nur kleine Wasserlachen. Zwei Trost cier Kreatur wie schlafenst unterm fliigel ein stfau üen Schnabel hält von lnlt'gen vogeiträumen clie blaue vrust geschwellt, Sestuckt aus einem fuße, staun plötzlich oft einmal fm Traume phantasierend lla? funkelrast er stellt: So hing betäubt unst trunken, aurreckenst verg unü Tal, ver große lvunüeriiogel in tiefem Schlaf, Sie Welt-, So schwoll ster blaue stimmet von Träumen ohne 2ahl, Mit leistem Knistern schlug er ein Käst, sta; Sternenzelt. oonsrle» »euer Stunden lang hat man also das eigenartig anmutenöe Vergnü gen, auf dem Meeresgründe einherzuspazieren und zurückge bliebene Seesterne und Taschenkrebse zu sammeln. Diesen selt samen Spaziergang aber mache man keinesfalls ohne einheimi schen Führer. Auch auf dem Meeresgründe kann man sich ver irren, gerade in der Nordsee treten überraschend schnell Nebel auf, und wehe dem Wattenmanderer, der bei Eintritt der Flut nicht das rettende Ufer der Amrumer Inselküste erreicht hat. Dieses Eiland ist von einer schmalspurigen Lokalbahn durch zogen, die die Nordspitze mit dem am Süduser gelegenen Haupt badeort W i d d ü n verbindet. Am einsamsten und romantischsten ist die schmale Nordspitze. Hier wohnen Tausende von Möven in den mit Riedgras und Strohblumen und in den seltenen, durch Naturschutzverordnungen vor der Vernichtung bewahrten Strande disteln bewachsenen Dünengebirgen. Der Strandlüufer findet manchen toten an das Ufer geschwemmten Delphin, Trümmer von den in Winterstiirmen gestrandeten Schiffen. Keiner, der die Inseln Nordfricslands besucht, sollte eine Fahrt nach den Halligen unterlassen. Nur um wenige Zen timeter über dem Spiegel des Meeres hinansragend, liegen wo- genumbraust jene kleinen, dem Untergang geweihten Eilande, auf denen ein zähes, an Entbehrungen und Gefahren gewöhntes Fischervolk seine hübschen Häuschen erbaut hat. Der blau graue Schlickerboden tragt nur dürftig Getreidefrucht und er nährt notdürftig einige Schaf- .und Ziegenherden. Im Innern der Häuser kann man durch die Liebenswürdigkeit der gutmü tigen' Bewohner die alten echt friesischen stilvollen Bauernmöbel bewundern. Manche Inneneinrichtung stellt für den Kunstken ner ein kleines Museum dar. Die berühmteste der Halligen und die größte zugleich ist Hallig-Oede, die sogar eine kleine schmucke Holzkirche trägt. Unser kleiner Ausflug durch die Inselwelt der Nordsee wird gezeigt haben, daß hier eine der schönsten und abwechslungs reichsten Landschaften Deutschlands für den Reisenden und Er holungssuchenden zu erschließen ist. Er wird nach seiner Heim kehr eine Fülle von Eindrücken mitbringen und sich gern und dankbar erinnern der Wunderwelt der deutschen Inseln. Norwegische Sommmernacht Von Hans Rothhardt. (Nachdruck verboten.) Bergen, im Juni 1924. Jeder, der es erlebt hat, weiß, wie reizvoll das Wandern in einer warmen Sommernacht ist, wenn in der feierlichen Stille die geheimnisvollen leisen Stimmen der Natur lauter sich ver nehmen lassen, wenn das Mondlicht wie lautloser Silberregen von allen Blättern der Bäume tropft, an den Konturen aller Gegenstände sanft hinflutet und alles in seinen zartduftigen Schleier einspinnt. Die herrlichsten Schönheitsojfenbarungen brachte mir aber eine Sommernachtswanderung im Röldal in Norwegen. Unbeschreiblich zart ist die kl--:?, von flimmerndem Däm merlicht durchtränkte Luft, die alle Grenzlinien der Dinge so scharf und deutlich in den Himmelsspiegel zeichnet und doch wie in einem kristallhellen See alles versunken erscheinen läßt, farb los, kalt und tot. Das enge, zerklüftete Tal, das nur eine schmale, in den Felsen gehauene Saumstraße zuläßt, tunnelartig von mächtigen Gesteinsstirnen überdacht, scheint noch enger zu werden. Der schäumende Bergfink tief unten in der zerrissenen Felsschlucht scheint noch lauter und ungestümer zu tosen und zu brausen als am Tage, und doch liegt ein tiefer, unendlicher Frieden über dem wilden heroischen Naturbilde. Hoch von den Felsgraten, die steilen Wände hinab, stürzen in zierlichen Kaskaden unzählige Wasserfälle, an denen Norwe gen überreich ist. Alle schillern und leuchten in diesem köstlichen Sommernachtslichte wie edles Geschmeide. Während ich mich dem gewaltigen Nöldalsvand-See näherte, der in ungetrübter Glätte wie ein schneeweißes Tuch dalag, rings zackig eingeschnitten von den scharfen Silhouetten der oft seltsam geformten Berggrate, gesellten sich mir zwei junge Nor weger zu. Wir verständigten uns leicht und wurden bald ver traute Weggenossen. Auch sie wollten die Nacht durchwandern und ihre zarten Wunder genießen, Die jungen Norweger, schlichte Menschen, machten mit ihrer tiefbegeisterten Liebe zu ihrer herrlichen Heimat mich erst recht sehend für die heimlichsten Reize dieser Sommernacht, für das verschwiegene Leben der wundervollen Bergwelt. Sie deuteten mir die in weiter Ferne von den Bergen aufklingendcn Lieder und Jodler als das nächtliche Liebesiverben der jungen Burschen. Wir bekamen dann auch noch ein prächtiges Stück norwe gischen Volkslebens zu schauen, als wir durch einen einsamen Bauernhof kamen, wo gerade eine Landhochzeit gefeiert wurde. Die Hochzeitsgesellschaft in ihrer reiz- und phantasievollen Tracht lagerte im Freien auf einer Wiese, und wir sahen hier die unge- zähmte Wildheit des Springtanzes, und die eigenartigen, bald ticfschwermütigen, bald leidenschaftlichen Volksgcsänge schlugen in ihrer derb-natürlichen Frische an unser Ohr. Der Einladung der froherregten Festgeber, den Rest der Nacht als ihre Gäste zu verbringen, folgten wir gern, und ich sog mit durstigen Augen diese kräftig-schönen Bilder norwe gischen Lebens ein. Sie schienen wir die wahrhafte Verkörperung der über die Maßen schönen lichtdurchfluteten norwegischen Sommernacht. Die erste Begegnung mit einem Wilden Diese erste Darstellung ist dem soeben bei Strek- ker und Schröder in Stuttgart erschienenen Buch „Siidsee, Urwald, Kannibalen" von Felix Spei ser entnommen. Es wird wohl kaum jemand, der für derartiges empfänglich ist, nicht die Weihe des Augenblicks empfinden, wenn er zum ersten Male dem unverfälschten Naturmenschen gegenüberstcht. Treten wir zum ersten Male in die Tiefen des Urwaldes mit einem frommen Schauer ein, so stehen wir in verstärktem Maße vor einer Offenbarung der Natur, an den Tempelstusen eines Heiligtums, vor der unverbildeten Natur selbst, wenn der erste nackte dunkle Mensch vor uns auftaucht. ' Unhörbar hat er sich durchs Dickicht gewunden, und die Zweige geteilt, unerwartet steht man sich auf dem engen Pfade gegenüber, wir staunend, er scheu. Nur wenig hebt er sich ab vom Grün der Büsche, und von den dunklen Schatten in der Laubwanü, eiugeglicdert in die schweigsame, üppige Natur, ein uns fremdes Wesen: ein Stück Natur selbst. Ein Wort bricht das Schweigen, Verständ nis huscht über seine Züge, und was uns zunächst als ein frem des, eher zum Tierreich gehöriges Wesen vorgekommen ist, wird durch die Sprache ein Mensch und uns gleichgestellt. Also der endlose Wald, unwirtlich für uns. ohne Lichtungen, ohne Stra ßen, ohne Wiesen oder freie Flächen, dies dichte Gewirr von Lianen und Stämmen birgt Menschen wie wir. Uns mag es bei nahe als grausig erscheinen, daß in diesen Tiefen, dumpf und dicht wie das grüne Meer, auch Menschen leben können, Men schen mit gleichem Leid und Freud wie wir selbst, und so ist es früheren Generationen kaum zu verargen, wenn sie die Ver wandtschaft mit solchen Wesen nicht anerkennen wollten, denn nie zeigt sich der Naturmensch mehr als ein Wilder, als wenn er den Wald durchstreift. Nackt bis aus den Nindengürtel und die SäMNbinde, in wilder Haartracht, mit flattterndcn Federn, nur mit Pfeil und Bogen versehen, kommt er uns besonders tie risch, heimatlos, menschlicher Hilfsmittel bar vor. Scheu drückt er sich zur Seite, und plötzlich hat ihn das Dickicht ausgenommen, seine Heimat und seine Beschützerin, so, daß weder Auge noch Ohr ihn wiederfinden können. Er ist versunken in grüne Tiefe, aus der er aufgetaucht ist. Anders ist es, wenn wir das Heim dieses Menschen be treten: den Tanzplatz miss den großen Trommeln, mit den ge heimnisvollen Steintischen, den Statuen und den geschnitzten Pfosten, in einem Kranze sattsarbiger Blattpflanzen: rot, pür- Das Handtuch in der japanischen Kunst Das -Handtuch nimmt in der japanischen Kunst: im Tbeater, auf dem Ball, in der Malerei, in der Poesie und im täglichen Leben eine sehr hervorragende Stellung ein. In Europa wäre es geradezu lächerlich, wenn eine Ballerine mit einem hin-- und her flatternden Handtuch über dem Arme tanzen würde, oder wenn ein Künstler das Portrait eines hübschen Mädchens malte, daS auf dem Kopfe ein Handtuch trägt. In Japan findet man der artiges ganz selbstverständlich, weil dort das Handtuch nicht die Nolle eines Gegenstandes engster Intimität spielt, der die Schwelle des Toilcttenzimmers nicht überschreiten darf, wie bei unS im Abendlande. Es ist ein Kunstobjekt, das als Zierde im sozialen Leben der Japaner didnt. Das japanische Handtuch (tenugui) hat ein bestimmtes tra ditionelles Maß: 40 Zentimeter Breite bei einem Meter Länge. Es besteht aus einfacher Baumwolle und ist niemals ganz weiß: unbedingt weist es irgendein Dessin oder einige Worte in meistens blauer oder schwarzer, der für die Handtuchgeichnungen so beliebten Farben auf. Für Ausflüge in der Frühjahrs'aison verkauft man Handtücher mit Zeichnungen in lebhafter Farbe: rosa oder purpurrot. Die Ausflügler, auch die durch die Fröhlichkeit mit fortgerissene ältere Männerwelt, tragen es gewöhnlich in brei tem Knoten verschlungen um den Hals, ähnlich wie die Ritter des Settecento ihre enormen Halskrausen. Zu Neujahr beschenken sich die Japaner gegenseitig. DaS Geschenkgeben gehört gewissermaßen zum guten Ton. Die ein fachste Gabe — toscidama (buchstäblich „Jahreskugel" genannt — besteht fast immer aus einem Handtuche. In jedem lapanischen Schreibwarenladen verkauft man elegantes Papier mit Zeichnun gen eines misuhrhi (6 rote Fäden nach einer, 6 goldene nach der andern Richtung hin, in der Mitte in SchmetterlingSform ver knotet), ein wifci (zierliches mit Wünschen, und GlirckssymSolcn bedrucktes Kuvert); Papier und Kuvert werden lediglich zur Ein- wicklung des als Geschenk bestimmten Handtuches verwandt. Nicht wenige japanische Sammler gibt eS, die solch' oft luxuriös auS- gcstatteieS Papier für Handtücher älteren und neueren Ursprungs «n errncrbe« juchen. Die Künstler und Künstlerinnen der Variete- Tlbeater illokel verteilen zu Neujahr oder «n ihrem BeneftLrbenü an Freunde und Bewunderer ihrer Kunst Hunderte von Handtücher mit ihrem Wappen (mon) oder mit ihren: Künstlernamen (ghcsi- mio) verziert. Wenn die Frauen das Handtuch um den Kopf herum ge schlungen tragen und damit ihre Frisur nach arabischer Weise ver decken, so beißt dies anesan-haburi. So tragen sie cs, wenn sie sich mit häuslichen Angelegenheiten beschäftigen: beim Nähen. Kochen oder Waschen, amd in solclicm Falle dient es dem prak tischen Zwecke, die Haare nicht zu beschmutzen. Arbeiten die Bauernweiber draußen in den Reisfeldern (ta-nohnsa toris um das Ilnkraut auszujäten, oder um frische Teeblätter (ciatsumi) zu sammeln, Beschäftigungen, die sich in pittoresken Szenen, voller Poesie abspiclen, dann tragen diese Frauen das .Handtuch auf anesan-haburi Art, um sich vor Staub und vor der Sonnenhitze zu schützen. In diesem Falle macht das Handtuch den Eindruck einer zierartigen Kopfbedeckung. Wird ans dem Bilde e^er im Theater ein fliehende? junges Pärchen dargestellt, so ist das Gesicht der Beiden stets durch ein über der Nasenwurzel znsammengeknotetes Handtuch ver borgen. In Europa würde man ein Gemälde höchst komisch fin den, auf dem zwei jugendliche aus dem Hause weggclaufene Per sonen mit einem Handtuch auf dem Kopfe abgebildet würden. Wenn die Handwerker an der Arbeit sind, trägen sie das vier fach in der Länge gefallene Handtuch wie ein Doppelband um die Stirn geschlungen. Diese Tragwcise nennt man hacimaki; sie ist ein Zeichen des Ansporns, der Freude, der Begeisterung. Die Löschmannschaften (hikesci) der ältesten heute noch existierenden Organisationen, tragen mitten in entsetzlichen FeuerS- brnnsten, besonders aber die Fahnenschwenker (mcttoimoci), die von Flammen umhüllt rittlings auf dem Dach des brennenden Hauses sitzen und mit einer Flagge anzeigcn, auf welchen Punkt der Wasserstrahl konzentriert werden muß — unfehlbar das über der Stirne nach haciniali Art befestigte Handtuch. Der japanische Krieger ans alter Zeit (samurai) trug auf dem Schlachtfelds oder im Zweikainpf daS Handtuch in ähnlicher Weise, aber im Nacken verknot«. In solchem Fall« diente eS dem praktischen Zwecke: da? Sehen bei einer etwaigen Kopfwunde durch da? heräb- rieselnde Mur nicht unmöglich zu machen. Zum ilnterschicd von dem auf der Stirn,. zusammengebiuidenen Handtuch, da? Arbeits lust oder Freude auSdrücke« will, und de« zur Muwbwehr dienen» den, am Hinterkopf geknoteten, heißt diese'? usciro hacimaki ihiu- ten gebunden), während die andere Art muko hacimaki „auf der Stirn befestigt" benannt wird. Bei Port Artbur im russisch-japanischen Krieg organi sierten die Schlitzäugigen ein Stoßtruppenkorps, sciro-dasnhi tal, „Truppe der weißen Binde" genanrit. Diese Krieger, die nicht mit Ähußwaffcn ausgerüstet waren, trugen das japanische Hemd, dessen Aermel an de,, Handgelenken mit einem weißen Band (sciro dasuki) befestigt waren, und das Handtuch uni den Kops ge schlungen, hinten geknotet nach usciro hacimaki Art; mit Ungestüm stürzten sie sich auf die feindlichen Schützengräben, indem sie nur den katana, den Säbel alten Modells schwangen. War jene Tracht eine Erfindung der Neuzeit? Nein; e? war die althergebrachte, für derartige Halle dienende spezielle Tracht. Der Zweikampf aus Rache (kataki-uci) war vor der politischen Erneuerung Japans gang und gäbe; nicht nur war er von der Behörde nicht verboten, sie autorisierte und ermutigte ihn, indem sie ihn als moralische Pflicht hinstellte. Trat der Fall ein, daß irgend welche Person ans einer Familie ermordet wurde, so gingen die betreffenden Angehörigen aller ihrer amtlichen Stellun gen und Liegenschaften verlustig, und nur wenn einer von ihnen den Mord rächte, konnte er Grad und Gut zurückerlangen. Um dies zu bewerkstelligen, erbaten die Hinterbliebenen von de» Be. Hörden Erlaubnis, Blutrache auszuüven, und machten sich dann auf den Weg, den Feind aufzusnchcn. Sobald sic sicher waren, ihn ausgekundsckiaftet zu haben, zeigte mau der betreffenden OrtS» behörde die amtliche Bewilligung vor und ersuchte sic, alle Er leichterungen zu gewahren, nm zur rituellen Ausführung der Rache schreiten z„ können. Datum und Ort wurden — wie wir einem Bericht Harukicln-Shimoi's im Mezzogioruo entnehmen — dem Publikum seitens der Behörde bekannt gegeben, und der Dnellplatz wurde mit einem Zaun von Bambusstäben — takeyarai genannt — umgeben. Die Zweikämpfer waren ganz in Weiß gekleidet; die Acrniel hatten sie mittelst eines weißen Streifens zusammengebunden. Das Handtuch trugen sie nach nsciro-haeiinaki Weise. Das blütcnwciße Band für die Aermel und da? am Hinterkopf zusammeugebandene Handtuch gekörten, zur rituelle» Tracht des mit kurzen Waffe» ausgefochteuerk, Kampfes auf Leben und Tod. R. Kappenberg.
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