Volltext Seite (XML)
108 Noch ein rascher Händedruck, hinter dem Hinauseilendcn schlug die Tür zu, uud der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Mah rührte sich nicht, aber sie konnte es nicht hindern, daß zwei dicke Tränen über ihre Wangen rannen. Theodor bemerkte es erschreckt. Ob sie ihm den Scherz so übelge nommen hatte? Aber freilich, er hatte sie ein ganz klein wenig zum Vesten gehabt, in aller Form, das ließ sich nicht leugnen. Er mußte sie nm Verzeihung bitten, sie durfte doch nicht zürnend von ihm gehen, und wie leicht war es möglich, das; sie aus der nächsten Station den Wagen verließ. Leise und vorsichtig tastete er nach ihrer Hand, aber fast heftig wurde sie ihm entzogen. „Bitte, liebes, gnädiges Fräulein", begann er zu flüstern, seien Sie mir doch nicht böse, verzeihen Sie meine Unart —" Da segelte ein Paket ans dem Drahtnetz herunter, gerade in Tante Betsehs Schoß. Sie fuhr mit einein Schrei ans. Sie hatte soeben von dunklen Fluten des Weltmeers geträumt und griff, noch schlaftrunken, mit beiden Armen in die Luft. „Mah, ich finde dich nicht, wo bist du?" Da junge Mädchen hatte sich schon erhoben. „Hier, liebe Tante. Hast du dich sehr erschreckt? Wie sind ja doch auf dem festen Lande." Die Dame kam nachgerade zu sich und als sie erkannte, daß weder eine Gefahr drohte, noch Anlaß zu einer Sorge vorhanden sei, galt ihr erster Gedanke der Provianttasche. „Du hast gewiß Hunger, Kind, pack doch unsere Vorräte aus. Theodor hatte sich schon erhoben, nm die Tasche herabzulangen. Von Mah wurde ihm als Dank nur ein kühles Kopfneigen zu teil. Die alte Dame betrachtete die schlanke, stolze Gestalt des jungen Mannes aber mit vielen: Wohlgefallen. Theodor war das Ebenbild seines Vaters, eine edle, fesselnde Er scheinung, aus den dunklen Augen strahlte Willenskraft uud Herzensgüte und um den schöngeschnitteneil Mund lag ein Zug stolzer, vornehmer Ruhe. Die Natur hatte ihm jenes kostbare Geschenk mitgegeben, sich die Herzen im Fluge zu erobern. Liebe, Freundschaft und Verehrung erntete er in reichem Maße, wo er auch erschien, aber keine Auszeichnung war imstande seinen schlichten Sinn aus dem Gleis zu bringen. Die Bescheidenheit war ein Teil seines Selbst, doch jene stolze Bescheidenheit, wie sie bedeutendeil Männern eigen zu sein pflegt, die ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen. „Wenn Sie Appetit haben, mein Herr, so langen Sie nur," lud Tante Betsey freundlich ein, „und vielleicht kennen Sie die Gegend und können uns sagen, wie weit es noch bis Erlau ist!" „Bis Erlau?" Ein freudiger Schreck durchzuckte Theodor, seine Nieder geschlagenheit begann sich in Helle Zuversicht zu verwandeln. Wenn er auch nur wenige Tage mit der jungen Dame an ein und demselben Orte weilen durste, gelang eS ihm sicher, sie zu versöhnen. W.', — „Hellte noch, Herzeustaiitcheu. Aber daß du dich beklagst, finde ich undankbar. Die Verpflegung auf dem Saloudampfer war einfach unüber trefflich, wie du selbst rühmend anerkanntest." „Man konnte sich während der Mahlzeiten betäuben, dem Gedanken, daß mai: mitten auf dem gefahrdrohenden Meere schaukelte, entfliehen, auch während des Mittagsschlases ließ sich Vergessen träumen —" meinte spöttelnd die Taute. „Ach, Tantchen, lind des Abends erst au: Spieltisch', gib es nur zu, daß diese Fahrt übero Meer Deinetwegen nie ein Ende hätte nehmen brauchen." „Deinetwegen verhielt ich mich ruhig," seufzte die Tante, „aber ange nehm ist das auch nicht, beständig unter verdorbenem Magen zu leiden." Der junge Manu, welcher Map gegenüber saß. lächelte versteckt. May aber sah e<- doch. Er gefiel ihr ausnehmend, lind sie gebrauchte eine kleine List, die ihn: eine Annäherung ermöglichte. Sie lies; ihre Reiselektüre, einen schlecht gehefteten Band, zur Erde gleiten. Die Blätter flogen nach allen Richtungen auseinander. Tie Tante machte ein böses Gesicht, Man schlug bedauernd die Hände zusammen, aus ihren Angeil blitzte der Schalk. Der Reisegenosse bückte sich galant, suchte die einzelnen Seiten zusammen uud sah flüchtig auf das Titelblatt. „Erste Liebe. Roman von Richard Adler" las er. Mit einer flüchtigen Verbeugung reichte er ihr das Buch zurück, um seine Lippen zuckte ein Lächeln, das May geriugschätzeud erschien. „Kennen Sie den Schriftsteller Adler, mein Herr?" fragte sie in ihrer reizend offenen Art. „Ich finde seine Schreibweise sehr fesselnd lind interessant." „Ich nicht!" lautete die kurze Entgegnung, „und ich begreife nicht, wie sich jemand für das oberflächliche Geschwätz des Herrn Adler erwärmen kann. Mir scheint, er muß noch gehörig lerne», um mit Ehren bestehen zu können, oder am besten — er überließe die Schreiberei Berufeneren!" May sah ihr Gegenüber prüfend an. Das frische Gesicht mit dem dunklen Schnurrbart uud dem braunen, über der Stirn leicht gekrausten Haar gefiel ihr ganz ausnehmend, seine Worte aber empörten sie. „Ich weiß nicht, mein Herr, was Sie unter Berufeneren verstehen," sagte sie ein wenig von oben herab. „Ich für mein Teil bekenne mich ganz offen zu einer glühenden Verehrerin Richard Adlers. — er ist mein Lieblings schriftsteller." „Aber ich glaube doch gehört zu haben, daß Sie aus dem Auslande kommen, mein Fräulein." Die Züge des Fremde» drückten neben einiger Verlegenheit wachsende lleberraschung aus. „Nun ja! Glauben Sie vielleicht, daß uns Amerikanerinnen die deutschen Schriftsteller fremd sind?" „Nein, nein, aber dieser hier —" May wurde rot vor Zorn. „Von Richard Adler lese ich in jeder Woche einige Novellen," rief sie mit Nachdruck, „seine Geisteskindor erscheinen in allen vielgelesenen amerikanischen Zeitungen." „Aber das ist ja unberechtigter Nachdruck, geradezu Diebstahl. Ich weiß aus bester Quelle, daß — Richard Adler nie eine seiner Arbeiten einer amerikanischen Zeitung verkauft hat." 2U