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Sächsische Volkszeitung : 22.06.1924
- Erscheinungsdatum
- 1924-06-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192406220
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19240622
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19240622
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1924
-
Monat
1924-06
- Tag 1924-06-22
-
Monat
1924-06
-
Jahr
1924
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 22.06.1924
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Sozialpolitische Umschau Der Achtstundentag und die Arbeiterenzyklika Leos xm. . Unter den sozialpolitischen Fragen der Gegenwart steht die des Achtstundentages heute unzweiselhast im Mittelpunkt des Interesses und des Kampfes. Wie stellt sich der Katholik zur Arbeilszeitftagc? Prinzipielle Klarheit in diesem Punkte fin det man scllen. Universitäts-Professor Dc. Bieder! ack S. I. gibt sie in einem Aussatz, den er in der jüngsten Nummer des „Neuen Reiches"') verüjsentlicht, und der sich in folgenden Ge dankengängen bewegt. In grundlegenden sozialen Fragen richten sich mit Recht die Blicke des Katholiken in erster Linie auf die Arbeiter-En zyklika „lli-rum „ovi'iur,- Leos XII', die auch in der anßenkaiholischen Welt zur Beurteilung der Gegenwartspro- stets hervor. Ec verwirft den achtstündigen Arbeitstag gewiß fanden hat. Tie Frage des Achtstundentages steckte beim Er scheinen dieser Enzyklika (1891s noch ziemlich in den Kinder schuhen. Ec kann darum nicht wundernehmen, daß der acht stündige Albcitstag von Leo XIII. als solcher nicht berührt wird, lieber die Arbeitsdauer im allgemeinen aber sagt der Papst u. a. folgendes: „Wie im Menschen alles seine Grenzen hat, so auch d'e Leistungsfähigkeit bei der Acbwt: und über die Schranken des Vermögens kann man nicht hlnausgehe». In Bezug auf die tägliche Arbeitszeit muß afto der Grundsatz gel ten, dag sie nicht länger sein darf, als es den Kräften der Arbeiter, entspricht. Wie lange die Ruhe aber dauern muffe, da? richte sich nach der A r t der Arbeit, nach Zeit und Ort, nach den körperlichen Kräften." Lea XIII. stellt demnach einen allgemein geltenden Erund- saß an die Spitze, den er dann auf einige wenige Falle anwen- det Als Grundsatz gilt, das Verhältnis von Arbeit und Ruhe müsse abhängig gemacht werden, von der Art oder Schwere d.>: Arbeit. Berg- und Grurenorbeiten erfordern offenbar größere Anstrengung als andere und sind gesundheit?- schädlicher olr andere. Weiter ist Ser Ort der Arbeit zu berück- sichtigen, je , acht em, ob die Arbeit in geschlossenen Fabrikräu- men. ei er lei heißem Klima geleistet werden muh was natürlich auf Kraft m Gesundheit der Arbeiter nicht ohne Einstich lei Ferner 'nutz d'. Heit beachtet merdm sowohl die Jahreszeit, als auch die Dez cs- oder Nnchlzeit. Daraus zieht die Enzyklika die weitere Folgerung: „Was ein er.vicv-u.,-c krustige'. Manu leistet, dazu st't e'ne Frau oder ein Kind nicht imüemde." Aus diesen wenigen Sätzen geht klar die Stellung des Pap stes hervor. Er verwirft den achtchündigen Arbeitstag gewih nicht, wann und wo unter Berücksichtigung aller Umstände die Gesundheit und das Wohl der Arbeiter ihn fordern. Aber der Papst ivill nicht, das; bei der Arbeitszcitgesctzgebung nach der Schablone vorgegangen werde. Das Schematisieren oder Schablonisicren mag den Kopf- und geistlosen Menschen überlassen sein. Das macht die Sozialdemokratie zum hartnäckigsten Verfechter des schematischen Achtstundentages, daß sic von allem Anfang an ans das Schablonenhafte einge stellt ist, diesen Charakter trage» ihre Vorstellungen vom Men schen und den menschlichen Verhältnissen und daher auch ihre Forderungen. In der Zukunftsgesellschaft, die sie sich träumte, sollen alle Menschen gleich reich und gleich arm sein, gleiche Arbeitspflicht und gleichen -Anspruch auf Ruhezeit haben. Das ganze Denken und Wallen der Sozialdemokratie ist auf Gleich heit und Gleichmacherei eingestellt. Darum tragen auch ihre Einzelsorderungen diesen Stempel. Die christlichc Auffassung stellt sich auf den Boden der wirklichen Verhältnisse und folgt keinem Traum- oder Wahn gebilde. Wohl ist eine behördliche Festlegung der Arbeitszeit vonnöten, sie darf nicht der Willkür und Ausbeutungssucht der Arbeitgeber überlassen bleiben, ivie es in der liberalen Wirt- schaflsepoche der Fall war. Aber das Gemeinwohl verlangt keine einheitliche Arbeitszeit für alle Arbeitsarten und alle Arbeiter. Tie heutigen Verhältnisse hindern auch nicht daran, daß der oben angeführte Grundsatz Leos XIII. durchgeführt und die je weilige Arbeitszeit den verschiedenen Verhältnissen angepaßt werde. Wo leichtere und schwierigere Arbeiten sich in einem Be triebe untereinander bedingen, muß natürlich die schwere Arbeit normgebend sein. Gesetzlich müßte vor allem die Frauenarbeit, falls sie nicht völlig verboten werden kann, auf eine weit geringere Zeit als acht Stunden beschränkt werden. Gesundheitsrück sichten und die sonstigen Obliegenheiten der Frauen als Mütter und Hausfrauen verlangt dies: Es soll daher das weibliche Ge schlecht nur für jene Arbeiten verwendet werden, die nicht nur leichter, sondern auch solcher Natur sind, daß sie die Arbeit der Männer nicht bedingen und dal)er, ohne die Arbeit der Männer zu behindern, eine geringere Dauer zulassen. Das würde dem *) „Das Neue Reich", Wochenschrift für Politik und Volkswirtschaft, Herausgeber Dr. Jos. Eberle, Wien, Nummer 87. Sommcrlonnkag vreiter führen alle wehe freut in! lichte Lancl hinan;, L ist, al; wenn ein jeäe; Iran; ries in sützem rrüumen läge. rieser glühen äunkle kosen, sn üie sonnensel'ge Welt — Ueder früchteschwerem feiä webt ein Sang von Lied' unü kosen. Uncl aus allen äeinen wegen rieht ein fromme; Ahnen mit; Leise — lei; — mit güt'gem Schritt Seht äer Herrgott liurch äen Segen. rcier Mn». Ohne Gott kein Wiederaufbau Tas Bekenntnis eines führenden Sozialisten. In einer Schriftcnfolge, „Die Paulskirche" betitelt, er schienen in der Sozictätsdrnckerei, Frankfurt, mehrere Bücher von Anton Fcndrich, dem badischen Schriftsteller und Dichter, in denen Fcndrich „Tic badische Bewegung der Jahre 1818 bij 1849" behandelt. In einem der Bände macht Fcndrich auch folgende interessante Ausführungen. Bei der Beurteilung der „Badischen Bewegung von 1818 bis 1819 sieht Fcndrich die Ereignisse in Baden nicht als einen abgegrcnzten Tatjachenkomplex an, sondern er betrachtet sie aus t>er Vogelschau im Zusammenhang mit der Entwicklung und de» Geschehnissen im übrigen Deutschland und ganz Europa. Er erblickt darin einen Gärungs- und Läuterungsprozcß, der »otweiidig war, um unerträglich gewordene Zustände zu beseitigen »Nb eine freiere Zukunft vorzubereiten. Fcndrich bcftiint sich auch in dieser Schrift erneut zur Sozialdemokratie; aber ihn hat sein Studium und seine reale Erfassung der geschichtlichen Tatsachen auf eine höhere Muse gehoben, die seinem Blick weitere, klarere Ausschau ge- Mttö» rü» beuchst di« rötlich gefärbte Parteibrille. Hat Fendrich Familienleben und damit dem Gemeinwohl nur zum Vorteil ge reichen. Was die männlichen Arbeiter anlangt, so ist eine ge ringere Arbeitszeit in solchen Betrieben vonnöten, die höhere An forderungen an die Kräfte und Gesundheit der Arbeiter stellen. Aus diesem Grunde verlangt Leo XIII. eine geringere Arbeitszeit für die Berg- und Grubenarbeiter. Nicht ohne Grund wird das gleiche zum Beispiel für die Arbeiter in chemischen Fabriken, Glashütten und ähnlichen Betrieben ver langt. Es sei Aufgabe des Staates, solche sozialhygienische Stu dien zu veranlassen und zu fördern, die insbesondere die Inan spruchnahme der Kräfte und Gesundheit der Arbeiter angehen, daß das Gemeinwohl, die Harmonie zwischen dem Produktions- fortschcitt des Landes und der öffentlichen Gesundheit, dieselben notwendig macht. Die Forderung des allgemeinen achtstündigen Arbeitstages stellt sich also nicht dadurch in Gegensatz zur Enzyklika, daß sie gerade auf acht, nicht neun oder sechs Stunden lautet, sondern deshalb, weil sie eine bestimmte Arbeitszeit für alle Arbeits orten und alle Arbeiter will. Unter den heutigen zerrütteten weltwirtschaftlichen Verhältnissen bleibt es selbstverständlich wahr, was ein namhaftes Mitglied der internationalen Arbeits- Konferenz in Gens jüngst erklärte, daß die Frage des Achtstunden tages heute wesentlich national bedingt sei, d. h. daß sie unbedingt mit Rücksicht auf die allgemeine Wirtschaftslage des einzelnen Staates entschieden werden müsse. Daneben aber steht als Forderung der christlichen Weltauffnssung, sowie auch der menschlichen Vernunft, daß im einzelnen der Mensch, das Eben bild Gottes, seine Seele und seine körperliche Gesundheit der seelenlose Materie aus die Dauer nicht zum Opser gebracht wer den darf! Lehrerschaft und Wirtschaftspolitik Selten hat man ein besseres Referat über die Stellung der kath. Lehrerschaft zur Wirts chaftpolitik gehört als das am 10. Juni gehaltene des Herrn Abg. N e k t o r G o t t w a l d gelegentlich der Tagung des kath. Lchrervcrbandcs in Hamburg. Wir bringen nachstehend einen Auszug des Referates. „Alle Kultur beruht auf der wirtschaftlichen Grundlage; der Hochstand des Bildungswescns hängt iminer mit einer Blüte der Volkswirtschaft zusammen. Alle Kulturau'sgaben werden aus wirtschaftlichen Ueberschüssen bestritte». Darum kann es keinen, Zweifel unterliegen, daß die Lehrer für eine Regelung der Bocks- Wirtschaft eintreten müssen, die Ueberschüsse herb ei führt. Auch aus- kulturellen Gründen kann das Kapital nicht entbehrt werden. Die ungeheuerliche Vernichtung des Kapita.s in den letzten Jahren hat nicht die soziale Genieinschaft, sondern die soziale Not gesteigert. Also muß die Regelung der Volks wirtschaft die Kapitalbiidung möglich machen. Weiter beleuchtete der Redner die Frage, ob die Ucberschüsse der Wirtschaft nur der Allgemeinheit zugute kommen sollen, oder ob Privntbcsitz gestattet ist. Er km» zu dem Ergebnis: „Dns Privateigentum ist eine Grundlage der Kultur und eine Sicherung der politischen Freiheit!" lieber all diesen Grundsätzen aber sieht überragend ein anderer: „Die Wirtschaft ist um des- Menschen Willen da; alle Volkswirtschaft hat der Volks gemeinschaft zu dienen!" Die Volkswirtschaft muß von dem Gedanken sozialer Gerechtigkeit getragen werden. Das gilt besonders gegenüber dem arbeitenden Menschen, der doch der Schöpfer der Werte und damit der größte Reichtum eines Volkes ist- Der ungeheure Wirtschaftsaufsehwung der Vorkriegs zeit hat uns diesen Wert nicht gebracht, sondern die Zwietracht vergrößert. Der Grund liegt in dem völligen Versagen der Pädagogik gegenüber den Zeitaufaben. Znin Gedeihen der Volks wirtschaft ist ein Gleichschritt der wirtschaftlichen und der geisti gen Entwicklung notwendig. Hier berühren sich das wirtschaft liche und das Erziehnngsprograinm der Lehrer, von dem aus die Folgerungen aus de,,, Wirtschaftsprogramm für die pädagogische, die Vereins- und staatsbürgerliche Bestätigung der Lehrer gezogen werden muffen. ' Die Wirtschaft entzweit, die Kultur eint. Die Träger der Kultur — und zu ihnen gehören die Lehrer — müssen sich ihrer Schuld und ihrer Verpflichtung in unserer Zeit völliger sozialer Zerklüftung bewußt sein. Wie in ihren Standcsvcrcinen müssen die Lehrer als'Staatsbürger auch in den politischen Parteien für sozialen Fortschritt und soziale Gerechtigkeit wirke», beides auch in Beziehung an die Schule und den Lchrerstand. Für den katholischen Lehrer ist cs dabei selbstverständlich, daß er keiner Partei angchörcn kann, die volkswirtschaftliche Regelung nur von äußeren Maßnahmen und nicht in erster Linie durch die Entwicklung innerer Kräfte ertvartet. Die Pädagogik muß im öffentlichen Leben eine Nolle neben der Wirtschaft spielen; daS zu erreichen ist eine Hauptaufgabe der Lehrer. Neben dieser ge waltigen mittelbaren volft-wirtschaftlichen Wirksamkeit tritt die unmiitelbare weit zurück. Sie besteht im wesentlichen in der Entwicklung der Selbsthilfe. Da zeigen sich Hindernisse mannig facher Art, die überwunden werden müsse». Auch die Erziehung von Krämergeist zu wirtschaftlichem Weitblick gehört zum Wirt schaftsprogramm der Lehrerschaft. früher schon in Schriften die Religion — im Gegensatz zu den meisten „Genossen" — als bedeutsame» Faktor in der Jugend erziehung erkannt, so sagt er in der Rückschau ans die Revolu tion von 1818 bis 1819 und vom November 1918, daß ein gedeihlicher Wiederaufbau ohne Gott nicht zu erwarten sei. — Doch lassen wir Fendrich im Zusammen hang zu Wort kommen. Er jagt S. 68 und 69: „Wir leiden heute noch fast' alle a» dem graue» Elend des Nebels, in dessen Glanz die „Achtundvierziger" sich noch gesonnt haben. Tas war der Geist der Aufklärung, von dem man alle Freiheit erhoffte. Tas war die Geistlosigkeit des Automaten einer materialistischen Geschichtsauffassung, in den man nur oben die schwierigste geistige oder wirtschaftliche Frage hinciiizuwerfen brauchte, um »ulen die einwandfreie Antwort mit Sicherheit zu erhalte». Das war die Ncberhcblichkeit einer Wissen schaft, die sich als ei» Erstes empfand. Der tragende Urgrund des religiösen Lebcnsgcfühls im Mittelalter war versunken, und jetzt verschwand noch dazu der Stahlreif militärischer Gewalt, die letzte Rückendeckung des reinen Materialismus in Deutschland. An der ungenügenden Untermauerung in Führern und Volk ist die achlnndvicrzigcr großdcutsche Bewegung zusammengcbro- chcn. Es ist die Sache der Demokratie in der deutschen Republik, die Entleerung und Entgottung unseres öffentlichen Lebens als schwerstes Gesahrensignal zu erkennen und oaS Zeichen zur Um kehr zu geben. Die deutsche Demokratie wird ent weder religiös sein, oder sie wird nicht sei». — Tic Einsicht, in die Brüchigkeit des politischen und philosophischen Materialismus ist in raschem Wachsen begriffen. Die politische Ehrbarkeit und ein unantastbares bürgerliches Leben haben sich schon Anno 18 als ein Grund erwiese», aus dem allein neue Welte» nicht erwachsen können, Wenn eS noch eines Beweises bedurft hätte, dann hätte ihn die Sozialdemokratie seit 1918 erbracht. Auch die Politiker beginnen zu ahnen,, daß sie die ewige Schvpsermächt der Welten auf die Dauer nicht um- gehen können." Seite 70 fährt Fendrich bann fort: „Die Götzenfabrika- tio» der politischen Philosophie und der wirtjchaftlichen Politik, an der wir uns bis zur tiefsten Ernüchterung betrunken ge macht, bricht zusammen. Die Souveränität des Volkes ist dann ein nicht geringerer Götze "als das Gotlesgnadciitiiin der Fürsten. Sie bringen uns nur um Gott und den Sinn unseres Schicksals. Denn das Tragische in Deutschland ist, das, unser aus dem ver lorenen Krieg und aus dem Vertrag von Versailles stammen- Der Redner schloß: Das Ausstellen eines Programms ist solange eine unfruchtbare Arbeit, als keine Gewähr für seine Ausführung besteht. Es fehlt uns heute nicht an schönen Grund sätzen, im Gegenteil; aber es mangelt unendlich au gruiidsätz. lichem Handeln. Das gilt für alle Gebiete, für das religiöse, das sittliche, das volkswirtschaftliche, das politische, das er zieherische. Der Wert programmatischer Erörterungen besteht in der Hauptsache darin, daß sie anregen und aufrnsen. Die aus. führende Arbeit muß von de» einzelnen geleitet werde», die das Programm in ihr.Sein aufnehmcu. Also: Denkt volkswirtschaft lich! Wirkt sozial! Richtet eure Berufs- und eure staatsbürger liche Betätigung auf das Ziel, die Gegensätze im deutsche» Volke zum Wettbewerb zu gestalten und den verderblichen Bruderkampf auszuschlicßeul" Die soziale Not in Deutschland Die Verarmung der deutsche» Bevölkerung und ihre Unter stützungsbedürftigkeit hat in den letzten Jahren dauernd zugcuom. men. Im April dieses Jahres wurden folgende Personen aus öffentlichen Mitteln unterstützt: 78S OOO Kriegsbeschädigte (mit erheblicher Minderung der Cr- werbsfähigkeil). 633 000 Kriegcrwitwen mit 1 131 000 unterstützuugsberechtigte Kinder; 68 000 Vollwaise»; 200 000 bedürftige Eltern gefallener Soldaten; 1 400 000 Invaliden- und Altersreuteuempfäuger; 623 000 Empfänger von Waisenrente; 1 000 000 Kleinrentner mit Angehörigen. Nicht einbegriffen in diese Zahlen ist die großz: Zahl der Er werbslosen und Kurzarbeiter. Das ans diese» Zah len sprechende Elend koinmt im Verbrauch der Nahrungsmittel deutlich zum Ausdruck. Nach amtlichen Feststellungen ist im Jahre 1922 der Verbrauch an Butter pro Kops um 89 v. H., der Ver brauch an Fleisch um 10 v. H. zurückgegangen, während der Kon sum von Huudefleisch um 116 v. H. zugcnvmiucu hat. Eine Um frage in Berliner Schulen hat ergeben, daß von 72 000 Schul kindern 16,6 v. H. nüchtern, 7,6 v. H. ohne warme Mahlzeit, 31,2 v. H, mit nur einer warmen Mahlzeit, 15 v. H. mit mangelhaf tem Schuhzcug zur Schule gekommen waren. Die Zahl der Armeubegräbnisse ist in München von 400 bis 600 vor dem Kriege auf 2100'im Jahre 1923 gestiegen und der preußische Minister des Innern mußte in einer Verordnung darauf Hinweisen, daß Lei chen in Ersatzsärgcn aus Papier, Pappe, Gips usw. beerdigt wer den dürften, dagegen könne die „Einbettung ohne Umhüllung" nicht genehmigt werde». Die vorstehenden Zeilen sollten zu denken geben und den vergnügungssüchtigen Teil der Bevölkerung an ihre christliche» und menschlichen Pflichten gegenüber der armen Bevölkerung er innern, k Wirtschaftskrisis und Sozialpolitik Die mehr denn fünf Jahre, die seit dem KcicgSabschluß ver flossen sind, haben dem deutschen Volke nicht, wie anfängiich wohl erwartet wurde, den Beginn zu neuem Wiederaufflieg, sondern nur weitern Wirtschaftsverfall, soziale Verelendung und naiiv- uale Erniedrigung gebracht. Der für »nS ungünstige Ausgang der Ruhraktion setzte hinter die Entwicklung den Schlußpnnkt: die Katastrophe. Sollte daS deutsche Volk aber vor dem Aller schlimmsten behütet werden, nämlich dem Wirtschaftschaos und dem Bürgerkrieg, so bedurfte cs des Zusammcnraffens der letzten Kräfte, Das ist in einer Reihe von Notverordnungen der Ncichs- regierung geschehen, die im Augenblick für den einzelnen als wirtschaftliche Einbuße oder neue Belastung und für die breiten Volksmasscn als sozialpolitische Verluste und Beeinträchtigungen erscheinen. Waren diese Maßnahmen im allgemeinen berechtigt? Waren sie notwendig? Bedeuten sie im Endergebnis Gewinn? Oder aber laufen sie auf tatsächliche Verluste hinaus'? Ucber diese Fragen wird zurzeit in der großen Oeffeutlichkeit, vor allem den Kreisen der Arbeitnehmer, lebhaft gestritten, lieber sie gibt, in sonderheit soweit sie das sozialpolitische Gebiet betreffen, eine aus gezeichnete Aufklärung eine soeben erschienene Schrift des ReichS- arbeiisministers Dr. Brauns: „W irtschaftskrisis n iftd Sozialpolitik" (VoftsvereinS-Vcrlag GmbH., M-Gladbach, 0,60 Mark), in der sich dieser mit bekannter Sachkenntnis über die mannigfachen strittigen Fragen verbreitet und zu dem tröstlichen Ergebnis gelaugt, daß die Wirtschaftskrise keine Beeiut'ächtigu'ig der Sozialpolitik von grundsätzlicher Bedeutung und Dauer besagt, und daß, „wenn die koinmeuden Reparations-Verhandlungen die unumgängliche außenpolitische Bcrubiguug bringen, dns deniscke Volk wahrscheinlich über die schlimmste Not hinweg ist". — Die Broschüre ist keine Partcischrift. Sie sollte deshalb auch von den Parteien beachtet und verbreitet werden, die mit dem Zentrum in der Reichsregicrung sitze» und darin gesessen haben, Auch ihre Politik findet demgemäß in der Broschüre ihre Rechtfertigung, des Schicksal in erster Reihe immer nur verwendet wird zur politischen Beweisführung für die Unentbehrlichkeit der monarchi schen oder der republikanischen Staatsform. Noch tragischer ist die erschütternde Tatsache, daß nach allem, was wir in den letzten Monaten und Jahren erlebt haben, die Fürsten mit ihrem strcngmonarchislhe» Anhang die Ereignisse von 1918 noch nie als eine Frage empfunden haben, die Gott und das Schicksal an sie und so sie selbst in Frage gestellt hat. Der gleiche Finger klopft seit sechs Jahren warnend an das Tor der Partei, die den monarchischen Erdrutsch aufgefangcn und noch gerade vor der völligen Verschüttung Deutschlands zum Stillstand ge bracht hat. Aber wer hat es erhört, daß ein Fürst oder ein Feldherr es erkannt oder bekannt Hütte, daß der kategorische Imperativ keine militärische Zauberformel und daß Energie zwar immer ein Zeichen höchster Weisheit, aber Energie ohne Weisheit die typische Eigenschaft aller Zcrfallsdiktatoren und „sture" Maßlosigkeit die große Todsünde des politischen Lebens ist? Vielleicht gewinnt die Sozialdemokratie den Mut, sich um die eignen Ballen selber zu kümmern, solange es noch Zeit ist." Hvchbramatisch schließt Fendrich seine Schrift mit den la pidaren Sätzen: „Das deutsche Volk steht vor seiner Lebens frage. Leben gibt nur Einer. Versagen wir, weil wir aus dem Geist der Aufklärung heraus das Bitten um Leben als eine Zumutung empfinden, so bricht der Friede im Vaterland, in Europa in der Welt zusammen. Es git uns ein LAmgswort, das heute noch befreit uns sammelt, das uns die Kraft) aber, auch Schwung und Freudigkeit gibt zum großen deutschen Befreiüngs- werk: Mit Gott für Volk und Vaterland!" Wenn am Frühmorgcü die Sonne ausgeht, bestrahlt sie zu erst die Firnen und Gipfel der höchsten Berge, und nachher werden auch die Täler und die Ebenen init Sonnenglanz er füllt. Einstweilen hat die Sonne der Wahrheit und der Er- kenntnis erst einige Gipfel der Sozialdemokratie erreicht; möge ihr Licht auch bald in die breiten Niederungew der Volksmassel» dringen. Mögen besonders die noch christlich Gesinnten bei den So zialdemokraten die Worte Fendrichs beherzigen. Mögen st«, auch folgendes sich zur Richtschnur dienen lassen: Die durch Irrtum zur Wahrheit reisen, Das sind die Weisen. Die im Irrtum verharre«. Das sind die Narren.
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