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Nr. 8 Mittwoch, den 18 Januar 1V1V N- Jahrgang Erlchcint täglich nachm, mil kluinahmo der Sonn- und Festtage. Angabe l.i Nit »Die Jett in Wort und Md" diertetjährlich- 8,10 -V. In Dresden durch Loten 8,10^. I» ganz Deutschland >:et Hau» 8,88 iUuSgabe!>.: Ohne illustrierte Beilage dtcrtelj. 1,80 I» Dr-eSden d. Boten 8,10 „V, In ganz Deutschland srct Hau» 2,88 - Emzel-S!r. 10 F. — ZeitungKprctSl. Nr. 0888. Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit Inserate werden die Ngeirmltene Petltzeile oder deren Raum mit 18 ^.Reklamen mit 8!» .! die Zeile berechnet, bei Wiederholungen entsprechende» Naball. Bnchdruiferei, Nedaklion und lNeschäftdstelle! Trcedcn, Pillniqcr Strastc 18. — Fernsprecher 1800 FürRiickgabc unverlangt. Lchrifrseücke keine Vcrbtndllchkelt NedaltionS-Sprechstunde: II 18 Uhr. Regierung und Zentrum. Dresden, den 11. Januar 1910. Deutschland hat keine Parteiregierung, so wird wenig stens versichert, auch soll es nach den Versicherungen des Reichskanzlers nie eine solche erhalten. Allerdings halten wir diese Kardinalsätze der Reichspolitik nicht für zutref fend, denn die deutsche Negierung entzieht sich ebenso wenig den Strömungen in den Parteien wie eine andere Re gierung, sie ist nur nicht so eng mit einzelnen Parteien ver- kniipst, als es in parlamentarisch regierten Ländern der Hall ist. Aber das; wir deshalb gar keine Parteiregierung haben, ist falsch: Deutschland hat so gut seine Parteiregie- rnng wie andere Länder: sie ist bei uns nur den eigenarti gen Verhältnissen der Parteien angepatzt. Ein Blick in die Vergangenheit lehrt dies recht deutlich. Im ersten Jahrzehnt des Bestehens des Reiches litten die deutschen Katholiken unter der nationalliberalen Negie rung. Tie Nationalliberalen stellten die Mehrheit im Reichstage und nach ihrer Pfeife wurde der Knltnrkampf- walzer getanzt: sie waren die Herren der Situation. Her vorragende Nationalliberalc waren in den Ministerien und schließlich scheiterte das Regiment der Nationallibera len an ihrer Unersättlichkeit: als Bennigsen von Bismarck drei weitere liberale Minister forderte, da warf der Reichs kanzler die ganze liberale Gesellschaft zmn Hanse hinaus. Das zweite Jahrzehnt des Reiches sah eine konservative Regierung am Ruder. Mit deren Hilfe wurden die Knltnr- kampftrüinmer abzntragen versucht und das System des Schutzzolles geschossen. Im Parlamente stützte das Zen trum diese Regierung, in der es selbst keine Vertretung batte. Tann folgte 16 Jahre hindurch die Negierung der Mittelparteien. Konservative, Zentrum und Nationallibe rale bildeten das Rückgrat derselben. Tie Konservatwen stellten die Minister, die Nationalliberalen die Geheimräte und das Zentrum — mutzte für die Mehrheit im Reichs tage sorge». Eine sehr ungleiche Verteilung der Lasten und Rechte, aber tatsächlich mar es so. Auch in diesen 16 Jahren kann nicht ein einziger Minister oder Staatssekretär genannt werden, der dem Zentrum angehörte. Ihm am nächsten standen Freiherr von Stengel, Graf von Posa- dowsky, Graf Zedlilz-Trützschler und Herr von Studt; sie waren wenigstens objektiv gegenüber dem Zentrum. Mit dem Beginn des Blockes hatte sich sofort eine libe rale Negierung im Reiche etabliert. Die zentrnmsfreund- Uchcn Minister PosadowSkh, Stndt und Stengel wurden de; Reihe nach ausgeschisft und ein reines Blockministerimn gebildet. Ter leitende Mann desselben verband sein Ver bleiben im Amte mit der Haltung der liberalen Parteien. Das war ein solch ausgesprochenes Parteiregiment, wie es nur irgendwie gedacht werden kann, es war im Kern das parlamentarische System und der Rücktritt des Fürsten Bülow nach autzen die Etappe für dasselbe. Wenn Herr von Bethmann-Hollweg sich diese milerlebten Zeiten in Er innerung ruft, dann wird er seinen stolzen Satz, das; Deutschland nie eine Parteiregierung haben werde, doch er heblich einschränken müssen. In irgend einer Form haben wir sie stets gehabt, nur ein Gedanke kehrt konsequent wie der: Ausschluß des Zentrums! Welche Regierung haben wir jetzt? Das ist recht schwer Zn sagen. Im letzten Winter war es die des Schweigens, letzt ist es die des Tastens und der unbeholfenen Versuche. Im Reichstage will sie die Mehrheit nehmen, wo sie solche findet: der Liberalismus aber gibt Oppositionstöne ab. Das Zentrum jedoch wird durch eine Reihe von Handlun gen vor den Kopf gestoßen und nachgerade eine Situation geschaffen, die cs demselben leicht unmöglich machen könnte, die Regierung zu unterstützen. Will man dieses? Ist die ses die geheime Triebfeder des Verbotes der polnischen Sprache auf einer Arbeiterversammlung des Katholiken tages, der Maßregelung der Kattowitzer Beamten, der Massenabsetzung der geistlichen Ortsschnlinspektoren in Westfalen und im Fnldaschen oder des Straßburger Zwi- sthenfalles? Die Hänfling von Vorkommnissen, die im Zen trum Erbitterung Hervorrufen müssen, legen die Annahme nahe, daß System in der Sache steckt, indem man das Zen trum verärgern will, nin ans dessen Ausschluß im Parla mente hinznarbeiten. Nur wenn inan dies annimmt, koniint eine Spur von Logik in die letzten Maßnahmen der Regierung, anderenfalls bleibt die Gcsamthaltnng der Ne gierung »»verständlich. Durch Mißhandlung von Zen- triimswählern und geflissentliche Mißachtung von berechtig ten Zentriimswünschen will man der Oeffcntlichkeit zeigen, daß man unabhängig ist von demselben und daß man dessen Unterstützung nicht wünscht. Das Zentrnin wird sich nicht ausdrängen und keine nn- erbctcne Hilfe leisten, cs- wird unbekümmert um Persona lien seineil Weg gehen, den Vergangenheit, Pflichtgefühl und Programm in gleicher Weise verschreiben. Nadelstiche solcher Art können es nicht i» Aergcr versetzen, aber es wird sic in sein Notizbuch cintragen, damit sie ja nicht vergessen werden. Das Zentrum wird angesichts solcher Verhältnisse mehr als' je sich den Satz vor Augen halten, daß seine ge samte Kraft in der Treue seiner Wähler ruht. Staats- männischeS Verantwortlichkcitsgefühl und die Rücksicht auf seine Wähler werden daher die einzelnen Leitsterne des Zentrums in der neu beginnenden Parlamentsarbeit sein und bleiben. Der Straßburger kompelenzkonflitt beschäftigt die gegnerische Presse sehr lebhaft. Von libe raler Seite wird alles getan, um die Angelegenheit im pro testantischen Volke anfznpeitschen: man scheut vor direkten Fälschungen nicht zurück. Wir haben kürzlich dargelegt, wie die „Tägl. Rundschau" in das Hirtenschreiben der bel gischen Bischöfe einen Satz hineinlog, um die katholische Religion verächtlich machen zu können. Das Blatt hat diese Lüge bis heute nicht widerrufen. Nun leistet sie sich (Nr. 12 vom 8. Januar) ein ganz ähnliches Stück, indem sie sich von einem Apostaten ans Nom depeschieren läßt: „R o m, 8. Januar. Ich erfahre, daß die Kurie das Eintreten der Bischöfe von Metz und Straßburg für einen konfessionellen gegen den paritätischen Lehrerverein voll billigt, weil es ans Grund ihrer Instruktion geschah. Auch die Modalität des Eintretens wird gebilligt wegen der Ansprüche der Kirche ans die Volksschule ausschließlich der Lehrer. Dagegen wird der Brief Benzlers an Zarn von Bulach namentlich in einer Schlnßklausel „nicht ganz" gebilligt, weil er direkt einen Konflikt herbeisühren muß. Angeblich fürchtet die Kurie den Konflikt nicht, weil sie hofft, daß die Regierung nachgibt und still bleibt. Eine energische Aktion der Regierung würde zweifellos zu öffentlicher Desavouierung des Benzlerschen Schreibens an Zorn von Bnlach führen." Jedes denkende Kind sieht hier die Phantasie des Be richterstatters. Man halte sich nur das eine vor Augen, daß die Antwort der beiden Bischöfe so rasch auf das Schreiben des Staatssekretärs erfolgte, daß in der Zwischenzeit selbst ein Tepescheiuvcchsel mit Nom ganz unmöglich war. Die Antwort erfolgte ja innerhalb weniger Stunden. Die Bi schöfe hatten in dieser einfachen Sache gar nicht nötig, sich nach Nom zu wenden. Was dann der Apostat über die Hal tung der .Kurie schreibt, ist natürlich seine Phantasie, aber cs hat den ganz bestimmten Zweck, die Protestanten anfzn- peitschen. Die Berliner Redaktion hat diesen „Wink aus Rom" auch schon verstanden und fügt daher dieser Schwin deldepesche folgende Sätze bei: „Hieraus mag die deutsche Neichsrcgiernng ersehen, wie weit wir in den kurzen sechs Monaten schon wieder gekommen sind. Vor dein I I. Juli 1909 wäre es nicht möglich gewesen, das; man in Nom zu erklären wagt: Die Kurie fürchtet den Konflikt nicht, weil sie hofft, das Kaisertum werde sich still ducken! Nom hat deutsche Schlappheit bereits wieder als den besten Faktor in seine Berechnung eingestellt: die nächste Zeit muß belehren, ob es zu unserer aller nationalen Schande damit recht hat." So wird systematisch gegen Nom gehetzt, wo dieses sich um eine deutsche Angelegenheit gar nicht kümmert. Nun mehr befaßt sich auch die „Krenzzeitg." eingehend mit der Sache: sie lehnt den von liberaler Seite gewünschten Kul turkampf ab und meint dann. „Was wir von unserem Standpunkte ans den Bi schöfen Angehen können, ist dies, das; sie anS kirchlichen Gründen alle legitimen Mittel anzuwenden sich für ver pflichtet halten müssen, um die katholischen Lehrer vor dem Eintritt in den der katholisck>en Kirche und der evan gelischen Kirche gleich feindlich gegenüberstehenden Allge meinen Tcntschcn Lehrervcrcin zu warnen. An und für sich wäre in einer solchen Warnung noch kein Eingriff in das Koalitionsrccht der Lehrer zu erblicken, das zu beschränken einzig und allein Sache des Beanitengesotzes ist. Daß aber eine Warnung der katholischen Bischöfe an die gläubigen Angehörigen ihrer Kirche einem Zwange gleichkommt, ist nicht zu bestreiten: es ist aber auch nicht zu ändern, denn der kirchcntrene Katholik ist nun einmal in allen Gewissensfragen der Hirten- und Lehrgelckalt eines Bischofs unterworfen; die Ausübung dieser Lehr gewalt zu verbieten, wäre gleichbedeutend mit einem Verbote der katholischen Kirche; daran kann nie mand denken. Auf der anderen Seite haben die Bischöfe alle Ursache, in ihrer kirchlichen Einwirkung ans die ka tholischen Staatsbeamten alles zu vermeiden, waS in die Disziplinargewalt der Vorgesetzten Staatsbehörde und in die staatsbürgerlichen Rechte der Beamten eingreist. Und zwar ans einem sehr einfachen Grunde. Ter Staat hat darauf zu sehen, daß er allein und ausschließlich Herr ist über das amtliche Tun »nd Lassen seiner Beamten, und er hat ferner das größte Interesse daran, das; seine Beamten in ihrem Privatleben alle diejenigen staats bürgerlichen Rechte genießen, die mit ihrer Stellung als Diener des Staates und Untergeben" der staatlichen Zen- tralgcwalt nur irgend vereinbar sind, weil sonst die Männer von starkem Charakter und innerer Freiheit den Staatsdienst meiden würden. Greift also die Kirchen gewalt in die Aiifsichtsbefii'gnis des Staates gegenüber de» Beamten und in die staatsbürgerliche Freiheit der Beamten ein, so hat der Staat dies znrückznweisen, »nd sollte er damit auf einheitlichen »nd griindsätzlichcn Widerstand bei der Kirchcngcwalt stoßen, so wäre er im Interesse des Dienstes gezwungen, ans die Anstellung von Beamten zu verzichten, die dieser konkurrierende» Gewalt unterworfen sind." Diese Sätze verraten eine wohlwollende Behandlung der Sache, vorausgesetzt, daß der Staat von seinen Beam ten keine gegen das Sittengesetz verstoßende Amtshandlun gen fordert. Ter ganze Streit dreht sich auch gar nicht um eine Amtshandlnng der Lehrer, sondern um deren privates Verhalten und da ist kein Verbot der Vereinigungsfreiheit ergangen, sondern nur eine Aufklärung über einen anti- katholischen Verein. Tie katholischen Lehrer haben gar nichts von den Bischöfen zu befürchten, wenn sie Vereine bilden oder solchen beitreten, die gegen den kirchlichen Geist nicht verstoßen. Eine Beschränkung der staatsbürgerlichen Freiheit kommt also absolut nicht in Betracht. Die „Kreuz- zeitnng" bemängelt an dem Vorgehen der beiden Bischöfe nur, daß ihre „Warnung" in „beleidigender Form" ge schehen sei, da der zngesendetc Artikel nicht einwandfrei sei. Zur richtigen Würdigung dieses Artikels darf man nicht aus dem Auge verlieren, daß er von einem greisen Semi nardirektor stammt, durch dessen Schule fast alle lothringi schen Lehrer gegangen sind und der von diesen hoch verehrt wird. Wir geben gern zu, daß man an manchen Stellen dieses Artikels Anstoß nehmen kann, wenn man diesen Sach verhalt nicht kennt; aber allen Adressaten war er bekannt. Daher kann man auch von einer Beleidigung, gegen die der Staat einschreiten müsse, nicht sprechen. Der Staatssekre tär von Straßburg hat zudem diesen untergeordneten Punkt gar nicht in den Mittelpunkt seines Schreibens ge stellt, sondern wollte den Bischöfen generell verbiete», sich in Fragen der Seelsorge an die katholischen Lehrer zu wen de», das sollte nur durch das Filtriersystem der Straßburger Negierung geschehen und gegen diesen Eingriff in daS Hir- tenanit wehrten sich die Bischöfe und das katholische Volk mit ihnen. Man darf diesen Kern der Streitfrage nicht verschieben: die „Krenzzeitg." gibt zu, daß hier die Bischöfe im Rechte sind, sie tadelt nur die Form und weirdet sich auch gegen die französische Sprache der Erlasse; aber das Blatt vergißt, das; Französisch in den Ncichslanden auch Landessprache ist. lieber die Lehrervereinssache selbst schreibt die protestantische Zeitung sehr zutreffend: „Tie Frage der Berufsorganisation zu einer Ge- wisseiiSfrago zu machen, ist nicht zu mißbilligen, denn die Treue zur Kirche »ins; sich unzweifelhaft auch darin be währen, daß man nicht einer kirchcnfeindlichen Berufs organisation beit ritt, namentlich wenn eine gleichwertige »entralc oder ausgesprochen konfessionelle leistungsfähige Organisation vorhanden ist." Diese zutreffenden Sätze muß man sich in allen katho lischen Vcrufsständen merken und danach handeln. Es ist zu hoffen, das; der Straßburger Konflikt nun bald bcige- lcgt wird; zieht der Staatssekretär seinen generellen Ein sprnch zurück, so läßt sich rasch ein Ausgleich finden, der beide Teile befriedigt. Politische Rundschau. Dresden, den !1. Januar 1!>I0. — Die Thronrede zur Eröffnung des preußischen Landtages wird die von der Regierung angcbotcnen Ver besserungen des Wahlrechtes darlcgcn. Diese Zugeständ nisse sind mit der Einführung der direkten Wahl und einer bedingten Verbindung von drei Klassen mit dem Plural- wahlsiistcm im wesentlichen erschöpft. — Das Kalishndikat hat die Verhandlungen mit den Amerikanern abgebrochen und erwartet nun vom Reichs tage ein Notgesetz. — Die Tklcgicrtenversammluug der Freisinnige» Ver einigung hat sich am Sonntag mit der Fusion der drei linksliberalcn Parteien einverstanden erklärt, jedoch wurde beschlossen, einige Acuderungen für verschiedene Punkte des Einigungsprogrammes vorznschlagen. — Der engere LandcSansschuß der Deutschen Volks- Partei in Bahcrn erklärte, daß nach den Beschlüssen der nationalliberalen LandcSParte' die bisherige liberale Block organisation nicht länger aufrecht erhalten werden könne. — In einer Versammlung des HansabnndeS in Mann heim am Sonntag sprach Präsident Professor Dr. Nicßer über den Gedanken einer Reichscisenbahn-Gemeinschaft aus föderativer Grundlage. — Die Haltung der Straßburger Negierung. In einer längeren Ministerialsitznng zu Straßburg wurde über die Antwort der Regierung an die Bischöfe beraten. Die Regierung will ihren bisherigen Standpunkl aufrecht er halten. Die Antwort soll wieder in Form eines vom Staatssekretär »ntcrzeichncten Schreibens erfolgen. — lieber Staatssekretär Ternbiirg und das Zentrum liest man in der „Weserzeitq.": „Ter Kolonialstaatssekretür bat bekanntlich mit einer auffallenden Geschicklichkeit die Drehung des Kurses so schnell voranSzuabnen gewußt, das; noch in der letzten Session der Aera Bülow die Kreise Erzbergers seine eif rigsten Verteidiger wurde». Trotzdem scheint man nicht alles verziehen zu baben, Mas Herr Ternbnrg in der Tezcmberkrise des Jahres- 1906 getan. Wenigstens hat noch in der Sommcrtagiing der vorigen Session ein nam hafter süddeutscher Abgeordneter der Ientrumspartoi sich