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Sächsische Volkszeitung : 28.03.1924
- Erscheinungsdatum
- 1924-03-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192403282
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19240328
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19240328
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1924
-
Monat
1924-03
- Tag 1924-03-28
-
Monat
1924-03
-
Jahr
1924
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 28.03.1924
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Nummer 75 — 23. Jahrgang »mar wöchentl. vrrulirprelrr für Mär,2.SK Re,t.-Mark' Knrriilktt: Verrchnung der Anzeige» nach Nent.-Mark Preise: Die ringespaliene Vetitzrile rv«j, f. Familien-w vereinsanzrigen, Trsticke IK^. Die Petit.Reklamezelle vvmm breit. I Ossettengebühr sür Selbstabholer 1b<). bei liebe,ieiiduna durck die Post außerdem Portozuschlag. krelr liir Me kinrelnummer io «enten-kkennts- Erschäsllicher T«ilr_ Joses Fohmann, Dresden SücksWe Jreitag, 28. März 192C Im Faste höherer Gewalt erli'ckt jede Verpflichtung auk- Lieferung sowie Erfüllung von Anzeigen-Aufträgen und Leistung von Schadenersatz. Für undeutlich und dnrchFern« sprecher übermittelte Anzeigen übernehme» wir keine Ver antwortung. Unverlangt einge!nndte und mit Siiickvorto nicht verleben? Manuskripte iverden nicht ausbewahrt? Sprechstunde der Redaktion S bis 6 Uhr nachmittags Hauptschristleiter: Dr. Joses Albert, Dresden VMzeLlung Tageszeitung für christliche Politik und Kultur^d^^ wrsaiSftSftcy« der SSchfischen <voIIS««t»o»>O »,,d ÄruN lind U«,Iaa> Eaxonia-Buchdnilkeret GmbH., ^ Lresden-A. IS. kolbeinstratze es. ftermus S27W, Post» schciklottlo Dresden I17S7 WWmtW M Mil' Ae Bell »kl FW ' M Iklik Lebe» MedakUon der Sächsische» Volks,ze!tu»a Dresden <A, IS Hoiboiustrntze 4« gcrnrm »2722 und WS» i Die französische Komödie Die Kabinettskrise als Zwischenspiel der PoinearLsche« Politik — Keine Aenderung des seitherigen Knrses — Die Urteilsverkündigung im Hitlerprozetz am 1. April Der Rücktritt Paris, 27. März. Das Gesamtkabinett PoincareS hat gestern seinen Abschied eingereicht, weil das PrnsionSgesetz von der Kammer nicht angenommen wurde. Bei der Debatte über das Peniionsgesetz blieb die Negierung Poincare mit 7 Stimmen in der Minderheit <271 gegen 2K4>, obgleich der Finanzmintstrr De Lästerte die Vertrauensfrage gestellt hatte. Die Regierun- bcmijsionierte darauf um 12 Uhr. Der Präsident Mille rano genehmigte zunächst nach verschiedenen VermittlungSvorschlägrn den Rücktritt, ersuchte aber dann später Poincare um die Neu- bilbnng des Kabinetts. Und in feiner dritten Unterredung mit Milkerand erklärte Poincare, daß er aus Patriotischen Gründen die Aufforderung, dir Neubildung deS Kabinetts zu übernehmen, nicht ablelinen könne. Er behielt sich jedoch Bedenkzeit bis heute mittag vor, um mit seinen Freunden in Verhandlungen einzutretrn. Paris, 27. März. Obwohl Millerand gestern mittag Poin- rare gebeten hatte, mit seinem Kabinett im Amte zu verbleiben, hat Poincare sein Nücktrittsgcsuch wiederholt schriftlich eingereicht und dem Echo dr Paris zufolge soll Millerand zu ihm gesagt haben: Niemals hat mein Regierungschef so sehr das allge meine Vertrauen des Landes genossen und den Respekt deS Aus- landeS gefunden. Frankreich wird deshalb seinen Entschluß zum Rücktritt nicht begreifen, um so weniger, nachdem die Regierung soeben durch glückliche Maßnahmen den Franken wieder zum siegreichen Steigen gebracht hat und ihr Vorgehen in der aus wärtigen Politik oo» Erfolg gekrönt sei. ES sei deshalb Pflicht der jetzigen Regierung, zu bleiben. Die Kammer sei nur da» Opfer einer Ueberrumpelung geworden, von der sie sich wieder befreien werde. Poincare soll darauf entgegnet haben, daß er mit den geringen Mehrheiten, die er in den letzten SenatSsitzun- en fand, seine große Aufgabe nicht erfüllen könne. Er müsse eshalb seine Demission aus^echt erhalten. Wenn die Kammer in der Lage, wie der jetzigen, wo alle Anstrengungen zur Aufrecht- erhaltung des französischen Kredits unternommen worden seien, In einer Frage, in der cs sich nur um demagogische Stimmungs- Mache handele, die Regierung in die Minderheit dränge, so müßte diese eben einem anderen Kabinett Platz machen. (Anmerkung der Redaktion: Poincare meint damit die Frag« der PensionS- gesehe. in der die Kammer über die Regierungsvorlage mit einer Ausgabe von 809 Millionen Franken hinauSgeyen wollte.) Paris, 27. März. Die Kammer hat sich gestern nachmittag, sobald bekannt wurde, daß Poincare die Demission seines Kabi netts aufrecht erhalte, sofort vertagt und zwar auf Freitag. Unter Führung des Abgeordneten Deines hat die Kammergruppe der republikanischen Linken und der demokratischen Linken, der unter anderen der Kammerpräsident und der Abgeordnete Lon- cheur angehörten und die Kammergruppe Arage gestern nachmit- tag in einer gemeinsamen Sitzung Vertrauensresolu tionen zugunsten PoincareS angenommen und den Wunsch aus gesprochen, daß er sobald wie möglich die Leitung der franzö sischen Innen- und Außenpolitik wieder übernehme. Di« Aufnak«,« in Brüssel und London Brüssel, 27. März. Die Nachrichr von der Demission Poin- careS wurde gestern nachmittag gegen 4 Uhr in Brüssel bekannt und rief eine lebhafte Diskussion im Parlament hervor. Man be klagte lebhaft diesen Umfall in der Innenpolitik, glaubte aber, daß das Votum Poincare persönlich betreffe. Man erklärt, daß der Abgang PoincareS zurzeit, wo die franko-belgische Politik, die er begonnen und realisiert habe, Früchte zu tragen beginne, sehr schmerzlich für die Politik und die Zukunft der beiden Länder wäre. London, 27. März. In maßgebenden Regierungskreisen be spricht man lebhaft die Demission PoincareS. Man ist sich klar darüber, daß eine Annäherung an Frankreich und eine Aus sprache über alle schwebenden Fragen mit Poincare alz Minister- Präsidenten schließlich viel leichter möglich wäre, als mit Poincare als Führer der Opposition. Eine ErkISrunq Milkerand« Ter Präsident Mtllerand gibt eine Erklärung ab, worin eS heißt, daß di« großen Linien der französischen Politik auf keinen Fall aus einem anderen Grunde als dem klar ausgedrücktcn Wunsch des Lanses geänoert werden. Wenn es — was freilich eine Eventualität wäre, die der Präsident der Republik nicht ins Auge saßt — Poincare vielleicht nicht möglich wäre, ein Ministerium zu bilden, dann könne der Staatschef noch ein Ka binett bilden, oaS fest entschlossen ist, sie allgemeine Politik des Landes nach den angeführten Linien weitrrzuleiten. Für den Fall jedoch, daß das Land sich einer Fortsetzung dieser Politik gegenüber feindlich verhielte, würde der Präsident der Republik, was ihn selber betrifft, unverzüglich die Konsequenzen ziehen, die er für angebracht hält. NmmS für KadinkssgMilnq bereit? Paris, 27. März. Der diplomatische Mitarbeiter der Daily Mail ersährt, daß Poincare sich gestern spät abend» zur Uebernahmc der Kabinettsbildung bereltrrklärt hat. Wie wett Poincare sich von einzelnen seiner Mitarbeiter trennen wird, läßt sich zurzrtt mit absoluter Gewißheit nicht sagen. Pari», 27. März. Wahrscheinlich dürste Poincare aber die Kabinettskrise alS Anlaß benutzen, sich von verschiedenen seiner Mitarbeiter zu trennen. Ans jedr„ Fall, wie man annimmt» von dem bisherige» ffinanzmlnister, als dessen Nachfolger Franrot« Marshali genannt wird. Poincare hat gestern um 7 Nhr abends auf dem Ministerium de» Arußern empfangen. Man schreibt dem Ministerpräsidenten die Absicht zu, daS Finanz. Ministerium ln rin Schatzamt umzuwandeln oder dasselbe unab- hängig vom Flnanzmlnlsteriiim zu verwenden. An dessen Spitze Würde der Berichterstatter brr Flnanzkommiision BokanowSkt hängig vom Finanzministerium zu verwenden. An dessen Spitze würde der Berichterstatter der Finanzkommissio» Bokauokowöki treten. Ihm soll die Aufgabe zugewiesen werden, die Milliarden ersparnisse burchzufllhren. Weiter verlautet, daß in daS neue Kabinett wahrscheinlich auch der Landwirtschastsmiuister Cheron nicht eintrrtcn wird. Ferner rechnet man mit der Znsammen- ziehung verschiedener Ministerien, so vor allen des LandwirtschastS- ministcriumS und deS Ministeriums für Handel. Weiter mit der Bildung eines Ministeriums der nationalen Verteidigung, in welchen das Kriegs-, Marine, und Kolonialministerium vereinigt sein würden. Die „RkliiWsckiW" Mkndorffs Tie peinliche „nltramontane Frage". München, 27. März. Die gestrige Verhandlung begann mit dem Plädyyer des Berteidi gers L u d e u d o r s.^s, des JuftizratS Lnrtgebrune, der u. a. auskützrte: .Im September 1923 wnrde der Nus nach der Diktatur allgemein. Ich werde den Gedanke» nicht los, baß man in den Kreisen um Kahr und Lossow zeitweilig wohl mit oem Gedanken eines tatsächlichen Marsches nach Berlin gespielt hat. Weil Llibendorff in seiner Gutmütigkeit Lossow loyale Mitarbeit zusicherte, wird ihm jetzt daraus eine Verpflichtung gemacht, er hätte diese Zusicl>erung erst aufkündigen müsse». Hinsichtlich der Vorgänge im B!i r g e r b r ä n k e l l e r ist es nicht richtig, daß Hitler bereits in seiner ersten Rede irgend etwas von einer Absetzung der Neichsregierung, der bayrischen Negiernug und des Reichspräsidenten gesagt hat. Erst in seiner dritten Rebe hat Hitler die offizielle Entschließung mitgeteilt. Darin ist nichts gesagt von einer Absetzung der Neichsregierung oder oes Reichspräsidenten, sondern oie Worte lauten: Ich teile Ihnen mit, daß soeben die provisorische deutsche Negierung gebildet ist. Ludendorsf sollte nicht Mitglied der Regierung werde». Tie nationale Armee, die Ludcnüorft führen sollte, tollte nicht das Gewa.t nstrumcnt für die Vortreibung eines Direktor,>»»S nach Berlin sein. Der Einmarsch in die Stadt am 9. November sollte nicht eine letzte Kraftanstrengung sein, sondern etwas viel höheres, nämlich die Rettung der ganzen völkischen Bewegung, Ich habe keine Bedenken, zu erklären, daß die Einrichtung eine? Direktoriums durchaus ve r f a s s u n g s m ä ß i g wäre. Eine Verfassungsänderung ist Weyer im allgemeinen, noch durch das angestrebte Direktorium, noch durch die angestrebte Absetzung des Reichspräsidenten gegeben. Ludendorsf war übri gens bei einer Gewaltanwendung, also zu Beginn der Verhand lungen im Bürgerbräukeller gar nicht zugegen, geschweige dem, beteiligt. Man wollte Ludendorsf auch nicht an einer etwaigen bayrischen Negierung beteiligen. Er war lediglich a>4 Führer der Nationalarmee für das Reich beanftragt. Weder der Wille zu einer Aendening der oentschcn ReichSverfassuiig, noch der bayrischen Landcsvcrfasstliig könne bei Ludendorsf i» irgendeiner Weise fcstgestcllt werde». Am Schlüsse seiner Ausführungen erklärt der Verteidiger, er halte sich für berechtigt, als Ergebnis seiner Ausführungen vom Gericht zu fordern den Freispruch des Angeklagte» Luoeu- borff als den gerechten Spruch vor der deutschen Wissenschaft und als den ersehnte» Spruch vor dem deutschen Herze»! Die Nachmittagssitzung beginnt mit dem Plädoyer oes zweiten Verteidigers Luoendorffs, Justizrat Zezschwitz, Ter Verteidiger nimmt auf den Vorwurf Bezug, Ludendorfl habe eine Aeußerung getan, die für das Haupt der Familie Wittelsbach verletzend sein muß. AuS der Verteidigungsrede Ludendorsfs ergebe sich aber unzweideutig, daß dieser den bay rischen Interessen volles Verständnis.entgegenbringe, allerdings aus dem Gesichtspunkte des großen Deutschland heraus. Zezschwitz nimmt dann zu den Angrissen gegen Luaen- dorfs wegen 'einer AuSführniig über di« »l tra »> o » t a n e Frag« Stellung, und bemerkt, die Angriffe der Presse kämen daher, daß jede mit der »ltrainontauen oder römischen Politik zusammenhängende Erklärung sofort in eine Aciißrrniig arge» daö katholische Bekenntnis umgedcutet werde. Ter Verteidiger würdigt in,seinen weiteren Ausführungen daS segensreiche. Wirken des deutschen Episkopats namentlich i» der Sorge »m die Kriegsgefangenen. Tie Bemühungen seien aber erfolglos geblieben. (Ter Verteidiger scheint recht schlecht Bcscheio zu wissen! Die Red., Alle diese guten Willensäuße rungen durften uns nicht abbalte», Kritik dann zu übe», wen» wir Deutsche als Volksbestandteil die schweren Schäden an un serem Leibe zu spüren haben. Ans diesem Geiste heraus habe Ludendorsf seine Worte gesprochen. (Ludendorsf hat sich aus jeden Fall genügend entlarvt und alle BemäutelmigSversuche wirken geradezu peinlich. Die Red.) In seinen weiteren Ausführungen geht Zezschwitz auf die Tat deS 8. November selbst ein, wobei er bemerkt, daß der Spiritus rector mit der Zeit General Lossow geworden sei. Als Gesamtergebnis der Gerichtsverhandlung stellte er fest, es be stehe die Hoffnung, daß oie völkische Bewegung »unmehr auf eine viel breitere Basis gekommen sei (l). Nach kurzer Pause beginnt Justiz rat Kohl, der Ver teidiger ves Angeklagten Brückner, mit seinem Plädoyer. Er fordert vom Gericht die Freisprechung seines Mandanten, da o!« Vorgänge vom 8. November nicht den Tatbestand seS Hoch verrats enthielten. Wenn oaS Gericht das nickt anerkenne, so komme für Brückner auf alle Fälle nicht das ^verbrechen der Beihilfe in Frage. Das Volk denke über die Weimarer Ver fassung ganz ander-, als man hier in diesem Saale denke. München, 27. März. (Drahtbericht.) Im Hitlrrprozeß «rklärte »ach Beendigung oe» Schlußwortes Hitlers der Vor- sitzende die Hauptverhandlung für geschlossen. Sr tcslte mit. d ß die NrtrilSverkünoung am 1. April. 10 Nhr vormittags ersolarn werde. MiilM ZniisckkliW De» letzten Anstoß sür die Demission des französischen Kabinetts gab der Umstand, daß die Regierung bei der Debatte über das Pensionsgesetz in der Kammer »nt sieben Stimmen in der Minderheit blieb. Dieses Ergebnis war um so schwerwiegen der, weil der Finanzminister de Lasteyrie gleichzeitig die Ver trauensfrage gestellt hatte. Das ZahlencrgebniS ist allerdings über raschend. Die Unzufriedenheit mit dem Abbaugesctz ist die Veran» lassung gewesen, aber sicherlich wäre eS Poincare leicht gewesen, noch einige Deputierte kurz vor Toresichluß auf seine Seite zu ziehen, wenn nicht immerhi» eine tiefere Mißstimmung, die aus den verschiedensten innerpoliiischcn Gründen herrührt, schon seif Wochen sich bei der Mehrheit der Kammer angesammell hätte, Dem Ermächtigungsgesetz wnrde s. Zt, in der Tat nicht mit großer Begeisterung zugcstimmt. Auch begann man in gewisse» Kreisen Poincare einen Teil der Mitschuld am Frankensturz zu zuschreiben. Und trotzdem heute der Frank sich gut erholt bat, ist doch das Gespenst einer neuen Katastrophe noch nicht für alle Zeit gebannt. Man denkt schließlich auch an das deutsche Beispiel der Markentwertung. Auch wir hatten gewisse Stadien der Besse rung,-in denen inan glauben konnte, der Höhepunkt sei über, schritten. Aber das Ende kam erst, Paris hat nun Gelcgcnbcit, dasselbe Schauspiel zu wieder holen, daS soeben Brüssel geboten hat. Das dritte Ministerium Thcuiiis wurde aus der Taufe gehoben und die alte belgische Politik wird damit in ihren Grundzügen ungefähr dieselben bleiben. Hat Millerand Herrn Poincare etwa auch nur eins» kleinen Stoß versehe» wollen, um ihn nachher wieder in Gnaden aufzunehmen? Der Sturz PoincareS wird natürlich in der ganzen Welt mit dem nötigen Pomp besprochen und debattiert. Aber ist wirk lich dieser Vorfall so überaus wichtig und überraschend? Wir sind der Meinung, daß das ganze doch nur ein Komödienspiel, ein reines Manöver ist. Allerdings hätte es vielleicht eine gew'sse Bedeutung, wenn der Name Poincare von der Weltbühne ver schwände, aber wir müssen uns- klar sei», daß im Höchstfall- auch nur der Name weggewischt wurde, daß aber daS altgenbte System getreulich weitergeführt werden wird. Nu-, da? ist daS Wichtigste, Wie sich dieses System nach außen hi» in ihren Per sönlichkeiten repräsentiert, kann uns gewissermaßen gleich sein, lind eS sind in der Tat keine Anzeichen dafür oa. daß Frankreich nun plötzlich einen neuen Kurs cinschlageu wollte. Ja, wir haben nicht einmal die Olarantie, ob dieser Kurs bei einer Personcn- ändcrung nicht noch eine Verschärfung e"knhre. Darum ist jeder deutsche Enthusiasmus über den fetzigen Vorfall durchaus unge rechtfertigt, Ja, Poincare wirkt schließlich im Vergleich zu Briand, noch als der mildere. Poincare selbst aber hat letzten Endes dieses Manöver doch bei vollem Verstände gemacht, Wir können zwar seine Gedankengänge nicht ganz erraten, jedenfalls aber bot die jetzige Zeit den besten Moment, ein Nücktritlsmanöver einz», leiten. Ma» kan» den Gedanken nicht ganz abweise», daß Poiu- care mit einem gewissen Pessimismus an sein,- zukünftige Dauer stellung als Ministerpräsident gedacht hat. Die innervolilischen Schwierigkeiten sind, wie schon im Anfang crwäbnl. auf die Dauer noch nicht behoben. Und er hätte wahrlich schon vor Wochen Ver anlassung gehabt, sein „überaus schwere?" Amt niederzulcgen, um einem eventuellen gewaltsame» Slurz zuvorzukommen. Noch vor kurzem aber hätte ein solcher Rücktritt anders auSgelcgt werden könne» als heute. Damals hätte man sein,- Politik für abgewirt schaftet erklären können. Heute aber, nackdem sich vor allem die französische Währung so bedeutend erhebt bat, ist dieser Vorwurf ausgeschlossen. ES wa»-also jetzt eine günstige Gelegenheit, unbe scholten, ja umgeben mit einem Glorienschein von der Tribüne abzutreten. Vielleicht um sich in den Wahlkampf zu stürzen. Mit dieser Spekulation aber konnte gleichzeitig, die anders verbunden sein: Wenn Poincare nach seinem Rücktritt von der aroßen Mehr heit gedrängt wnrde, von neuem das Amt dc? Ministervräsideuteu anzuuebmen, daun war seine Stellung als Rcvräsentnnt de? fran zösischen Volk.-S um so acfcstigtcr. Bei diesem ganzen Svie!»lcmute Poincare also nur für sich gewinnen. Mau müßte die Intelligenz PoincareS wissentlich unterschätzen, wollte mau ihm diese Klugheit nicht zutrauen. Bei diesem französischen Zwischenspiel offenbart sich also Von neuem der ausgezeichnete politische Instinkt PoincareS, Der Endefsekt wird sein: daß das außenpolitische Moment von neuem um so schärfer in die Erscheinung tritt. Tie Kammer bat sich aus inuervolitischen Gründen dazu hiureißeu lassen, an dem RücktrittSgcsnch Poincare? mitzuwirke». Aber schon gleich nach Bekanntgabe des Ergebnisses scheint die Stimmung umgescblageu zu sein, sodaß sogar von verschiedenen Richtungen guu Vertrauens votum eingebracht wurde. Man erinnert sich sofort von neuem der außenpolitischen Aufgaben, deS sranzösischeu Nationalismus. Die Erfolge PoincareS in der Außenpolitik stehen diesen .Klein gläubigen", die ihn „stürzten" gegenüber. Und dieser Gedanke bat bereits feste Formen angenommen. Das alles wußte Poincare, und er kannte zu genau die „nationale" Einstellung keines Volkes. So könnte man sein ganzes Zwischenspiel als eine» Putsch bezeichnen. Und schließlich dient dieser Putsch dazu, übe» die innerpolitischen Schwierigkeiten hinwegzutäußben. Sobald man in Frankreich daran erinnert, daß man die glorreich« Sieger nation mit den unbeschränkten Erfolgen ist, tritt alles anders zurück. Und selbst wenn Poincare nickt wieder Ministerpräsi dent würbe snack oen letzten Meldungen sckci..t er die Neubildung deS Kabinetts bestimmt zu übernehmen), wäre diese» Moment ntchj auS der Welt zu schaffen. Sein Name bleibt mit diesen Dingen verflochten. Und was das für Poincare bedeutet, da» weiß e« am besten selbst. Er sieht seine Zukunft darin verankrrtt So hat Poincare also neuen Boden gewonnen. Und ivenit man bedenkt, aaß in Frankreich die Mahlen vor der Tür stehen! so muß man auch in dieser Beziehung den jetzigen Vorfall zn werten wissen. Deutschland aber hätte auch aus diesem Zwischen» spiel manche» zu lernen. I. A<
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