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Ne. »«5 — L«. Jahrga«G Dienstag den LZ. November LVIt »rschelnt tSgUch »achm. mst »uSiiahm« der Eon», und gelttage. >»<gabe L mit .Die Zeit in Wort und Bild' vierteljährlich >k,t« In Dresden durch Boten »,40 In gan» Deulschiand ftet Hau« ».8» in Oesterreich 4.4» L Hau >ab« » ohne illustrierte Beilage vierteljährlich l.tSft X. Dresden durch Boten »IO In ganz Deutschland frei l, ».»» Fk; in Oesterreich 4.07 L. - Linzei-Nr. 10 4. Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit Inserate werden die Sgestialtene Betttzeile oder deren Raum wi>. 4L 4, Reklame» mit 80 4 die geile berechnet, bei Wiederholung« entsprechenden Rabatt. Bochdrnikeret, Redaktion und Geschäftsstelle! Dresden, Pilluttzer Ttraste 4». — Fernsprecherl»«« Für Rückgabe unverlangt. Schriftstücke keine >verbtodUchrei> Redaktions-Sprechstunde: 14 biS 1» Uhr. SelbstLeferti^te pvirwanLN wie Lclislo, ziulks, KoUicr», vackelts, llullluscston, Decken usvv. empliestlt ru billigen preigon Zperisl-Pelrwareii- uncl lVsüiüvngeücliskl bernspr. 5Y7Y lilngstralle 2ü Kocnspc. 5974 unveil licke Viktoriastrave. gegenüber ller I.oixl- 8l3Nl1i8clwlI iLUNK. Der nalionalliberale Parteitag ist am Sonntag in Berlin zusammengetreten, nin Stellung zu den kominenden Wahlen zn nehmen. Wer von diesem Vertretertage eine klare Stellungnahme gegenüber dem Borgehen der nationalliberalen Partei bei den Wahlen in Hinsicht auf die Sozialdemokratie erwartet hat, sah sich ge täuscht. Es wurde zwar einstimmig ein Wahlanfrin ange nommen, aber derselbe bedeutet nichts weniger als eine Entscheidung über die wichtige Frage, ob eine Partei, die ihre nationale Gesinnung durch ihre Parteibezeichnnng zum Ausdruck bringen will, es mit ihrem nationalen Ge wissen vereinbaren kann, die Sozialdemokratie bei den Wahlen zu unterstützen, um im Verein mit dieser Umsturz- Partei und der Volkspartei in einem Großblock die kün >e Politik im Reiche zn bestimmen. Es liegt nahe, einen .. . r- gleich zwischen dein gestrigen Berliner und dem Kasseler Parteitag der Nationalliberalen anzustellen. Bei beiden war die Delegiertenwahl eine sehr stattliche. In Berlin wurden am Sonntag nahezu tausend Delegierte gezählt. Wie in Kassel, so waren auch in Berlin die Führer der Partei fast vollzählig erschienen. Während aber in Kassel die Stimmung des Parteitages eine äußerst gedrückte war, wie Bassermann am Sonntag in Berlin selbst zugab. und während in Kassel sich die Meinungsverschiedenheiten in der .Hauptsache hinter den Kulissen abspielten, herrschte in Berlin eine zuversichtlichere Stimmung in bezug ans die kommenden Wahlen. Grund dafür sind die inzwischen er zielten Erfolge der Nationalliberalen bei den Ersatzwahlen. Wie man sich in Kassel nach außen hin geeinigt hat, so ist das auch in Berlin, und zwar durch den Wahlaufruf, ge schehen. Aber wie die Gegensätze in Kassel nicht znm Ans- gleich kamen, so hat auch die Berliner Versammlung einen Ausgleich der Auffassungen über die Stellungnahme zur Sozialdemokratie nicht gebracht und daran ändert die einstimmige Annahme des Wahlaufrufes nichts. Im Gegen teil, im Gegensatz zu Kassel sind in Berlin die Meinungen in dieser Frage heftig aufeinandergeplatzt. Diese Gegen sätze — und das haben die Diskussionsredner deutlich er kennen lassen — werden auch nach Berlin noch fortbestehen und in der Wohlkampagne ihre praktische» Folgen haben. Trotzdem sehen wir aber einen wesentlichen Unterschied zwischen Kassel und Berlin. Nach Verlauf der Berliner Versammlung kann kein Zweifel darüber obwalten, daß die führenden Kreise der nationalliberalen Partei und ein crheblicl-er Teil der Partei selbst, man darf wohl sagen die Mehrheit, die Verbrüderung mit der Sozialdemokratie will. DaS hat die Rede des Abgeordneten Basscrmann am Sonn tag gezeigt, das zeigt der Wahlaufruf und das haben ver schiedene Diskussionsredner und der ihnen gespendete Bei fall erkennen lassen. Bassermann hatte am Sonntag das Referat über die politische Lage. Was dem Referat voran ging, war unwesentlich. Er wurde von der Versammlung stürmisch begrüßt. In seinem ganzen GesichtsauSdrnck lag eine siegesfrohe Zuversicht. Das Referat betrug ungefähr eine Stunde und war vom Standpunkte Bassermanns aus taktisch klug und geschickt gemacht. Schon gleich zu Beginn seiner Rede führte er aus, daß der Wahlaufruf kein Pro gramm der nationalliberalen Partei sein solle. Warum er dies tat, ist leicht ersichtlich, denn der Wahlaufruf enthält auch nicht mit einem einzigen Worte die Aufforderung zum Kampfe gegen die Sozialdemokratie oder der Zurückweisung einer Unterstützung derselben. Der Wahlaufruf beschränkt sich in Hinsicht auf die Sozialdemokratie ans den nüchternen Sah, daß die nationalliberale Partei die Agitation der Sozialdemokratie verurteile und ihren Terrorismus be kämpfe. Ganz anders steht es aber mit dein Wahlaufruf in Hinsicht auf das Zentrum. Hier wird erklärt, daß die nationalliberale Partei in seiner Bekämpfung eine ihrer ersten Aufgaben erblicke, da der UltramoutauismuS mit der Autorität des Staates und der freiheitlichen Entwick lung des Volkslebens »»verträglich sei. Genau diesem Wahlaufruf entsprechend, vermied Bassermann in seiner Rede die Aufforderung zum Kampfe gegen die Sozial demokratie im allgemeinen. Nur da wollte er von einem Kampfe gegen die Sozialdemokratie etwas wissen, wo der nationalliberale Besitzstand gefährdet sei. Ebenso vermied er es, hervorzuheben, daß eine nationale Partei der Um- stnrzpartei ihre Stimme geben könne. Dagegen fordert er den schärfsten Kampf gegen das Zentrum und lehnte schroff jeden „Verbrüderungsversuch" ab. Wir heben diese gegen sätzliche Behandlung des Zentrums und der Sozialdemo kratie nur hervor, um zu zeigen, daß man, wie man ans der Debatte sieht, dem Großblockgedanken gar nicht abge neigt ist. In seiner langen Rede hat der Führer der national liberalen Partei, die zn Anfang und zum Schlüsse des Parteitages ein Hoch auf den Kaiser ansbrachte, nicht ein Wort gefunden, durch welches er znm Ansdruck gebracht hätte, daß die nationalliberale Partei gesonnen sei, die Partei des Umsturzes und der Revolution im Interesse der Monarchie zn bekämpfen. Aber wir tun Bassermaun Un recht. Wie die Diskussion zu erkennen gab, konnte er sick- gar nicht dahin erklären, daß die nationalliberale Partei sich im Kampfe gegen die Sozialdemokratie um den Kaiser schare, denn, wie schon erwähnt, die Mehrheit dieser Partei will nicht Kampf gegen die Sozialdemokratie, sondern Ver brüderung mit ihr. Das ging klar aus der Rede des Großblockmannes Neb m aun - Karlsruhe hervor, welcher für die Verbrüderung mit der Sozialdemokratie eintrat und zugleich den schärfsten Kampf gegen das Zentrum prokla mierte, weil die Sozialdemokratie nur ein Produkt der wirtschaftlichen Entwicklung sei, während das Zentrum die Machtansprüche einer uralten Zeit über den Staat darstelle. Ter stürmische Beifall, den Redner erzielte, ließ den Ruck nach links seit Kassel deutlich in die Erscheinung treten. Rebmann hatte bei dem Referat von Bassermann und bei dem Wahlaufruf ursprünglich gar nicht nötig, für Vasser- manns Großblockpolitik in die Bresche zu springen, aber ein Diskussionsredner, Dr. K reiner ans Hagen, und der Abgeordnete Schifferer hatten einen gewaltigen Protest gegen die Verbrüderung mit der Sozialdemokratie erhoben, und das unter dem Beifall eines Teiles der Versammlung. Gegenüber dem Satze des Wahlaufrufes, daß der Kampf gegen das Zentrum die erste Aufgabe sei, bezeichnete Dr. Schifferer als den ersten und vornehmsten Zweck der Natio nalliberalen, grundsätzlich und energisch die Sozialdemo kratie zu bekämpfen. Was man von dem Wahlaufrufe der Nationalliberalen zu halten hat, und von der ganzen Ber liner Debatte, das mag daraus hervorgehen, daß Dr. Schifferer trotz dieser seiner Stellungnahme sich für den Bassermaunscheu Wahlaufruf erklärte. Rebmann mochte geglaubt haben, daß er den Karren wieder eingereukt hätte, da hatte er sich aber getäuscht, denn bald erhob sich der Abgeordnete Dr. L 0 h m a n n und erklärte in feierlicher Form daß es die Nationalliberalen nicht mit ihrem natio nalen Gewissen vereinbaren könnten, wenn sie direkt oder indirekt die Sozialdemokratie unterstützten. lieber die weitere Diskussion können wir uns nähere Angaben ersparen, weil durch das Vorstehende der Ber liner Nationalliberale Parteitag mit seinen Beschlüssen ge nügend ckjarakterisiert ist. Man will die Verbrüderung mit den Sozialdemokraten, man wagt es aber nicht, dies deutlich im Wahlaufrufe auszusprechcn ans nationalen Rücksichten und auf die Realitäten im eigenen Lager. Das ist nationalliberale Zielbewußtheit, die sich gezeigt bat in Kassel und die sich gezeigt hat in Berlin! Der italienisch-türkische Krieg. Der .Hauptvorstand des Reichsverbandes der deutschen Presse ersucht uns um llebermittlnng nachstehender Er klärung: „Ter Hauptvorstand des Reichsverbandes der deutschen Presse hat in seiner Sitzung vom 19. November folgende Erklärung einstimmig beschlossen: In der italienischen Presse ist gegen die deutschen Kriegsberichterstatter der schwere bis jetzt unerhörte Vorwurf erhoben worden, daß sie in ihren Darstellungen der Ereignisse auf dem tripolita- nischen Kriegsschauplätze, soweit sie die italienische Kriegs führung betrafen, sich nicht sowohl von den Tatsachen als vielmehr von Rücksichten anderer Art hätten bestimmen lassen. Tie italienische Presse hat sich nicht gescheut, offen zu behaupten, daß die deutschen Kriegsberichterstatter ihre für die italienische Kriegführung abträglichen Mitteilungen im Interesse von Börsenspekulationen gemacht hätten, um den Kursstand der italienischen Staatsrcnte herabzusetzen. Der Hanptvorstand des NeichSverbandes der deutschen Presse legt gegen diese vollkommen wahrheitswidrige, die Ehre der deutschen Kriegsberichterstatter tief verletzende Unterstellung die schärfste Verwahrung ein. Die deutschen Kriegsbericht erstatter haben lediglich ihre Pflicht gegenüber der Oeffent- lichkeit erfüllt, indem sie gleich vielen österreichischen, ameri kanischen und namentlich englischen Kollegen gewissenhaft die Vorgänge auf dem Kriegsschauplätze der Wahrheit ge mäß zur allgemeinen Kenntnis brachten. Mit derselben Schärfe weist der Hanptvorstand des Reichsverbandes der deutschen Presse die beleidigende Unterstellung des italie nischen Ministerpräsidenten. Herrn Giolitti, zurück, daß deutsche Blätter in ihrer Beurteilung der italienischen Aktion sich durch Berücksichtig»,m finanzieller Interessen hätten leiten lassen." Heinrich v. Kleist. Zu seinem lO . Tc,deSta>.c am 2l. November U>tt. Von M. in der Hellen. Das letzte Menschenalter hat zwei Kleistjnbiläen ge sehen: die Jahrhundertfeier seiner Geburt 1877 und heute die seines Todes 1911. Am 18. Oktober 1777 zu Frankfurt a. O. geboren, ent stammt der Dichter einer alten, durch Dichter- und Kriegs ruhm ausgezeichneten märkischen Adelsfamilie. Nach dein frühen Tode deS VaterS wurde der Fünfzehnjährige, gemäß der Tradition, in das Potsdamer Garderegiment eingereiht, mit dem er 1793 zur Rheinarmee stieß, ohne an den Er eignissen des Feldzuges Anteil zn nehmen, da ihn der Tod der Mutter nach Frankfurt zurückrief. Seit 179a hielt ihn das eintönige Garnisonleben fest, 1797 wurde er Leutnant. Sein Beruf befriedigte ihn bald nicht inehr und in heim- lichen Studien bildete er sich zur Universität vor. 1799 er hielt er seinen Abschied und warf sich in Frankfurt auf das Studium der Mathematik und Physik. Ans dem benach barten Hause des Generals v. Zenge wählte er sich die treue, reine Wilhelmine zur Braut. Hauptsächlich die Rücksicht auf sic und eine baldige Versorgung veranlaßtcn ihn. 1800 nach Berlin zu gehen und Beschäftigung im Zoll- und Akzisedepartement zn nehmen. Von hier führte ihn eine geheimnisvolle Reise nach Würzbnrg, mit seinem Freunde v. Brockes, wo sie etiva einen Monat lang verweilten. Doch auch nach seiner Rückkehr kehrte die alte Verstimmung, die ihn so viel im Bann hatte, wieder, da er sich in seinem Be rufe nicht wohl fühlte und keine Möglichkeit sah, sein eigent liches Ziel, freieste Ausbildung der Persönlichkeit, zu der- wirklichen. Dieses Ziel ward ihm auch noch genommen, als ihn die Bekanntschaft mit der Kantschen Philosophie über die Unvollkommenheit des menschlichen Wissens auf- klärte und ihn innerlich vollständig nmwarf. Um das seelische Gleichgewicht wiederzugewinnen, unternahin Li mit seiner treuen Schwester Ulrike eine Reise nach Paris. Auf derselben Straße, die ihn vor acht Wochen nach Würz bürg geführt, reiste er zunächst wieder nach Dresden, das ei- offenbar das erste Mal nur ganz flüchtig berührt. Er gab sich mit ganzem Eifer den Kunstsammlungen hin. Nirgends aber fand er sich so im Innersten gerührt, wie in der katbo lischen Kirche, „wo die größte, erhebenste Musik -n den andere» Künsten tritt, nm das Herz gewaltsam zu be st egen". Seine innere Qual ward wenigstens zur wüste» Schwermut beruhigt „in dem holden, freundlichen Tal" von Dresden, wo ihm „der Boden so wohl gefiel und die Lüste so warm wehten". In dieser Verfassung kam er nach Paris. Während ihn seine erste Tragödie beschäftigt, macht er seiner Brant den Vorschlag, mit ihm in die Schweiz zn gehen, wo er sich ci» Anwesen kaufen und Landmann werden will. Als sie sich aber aus begreiflichen Gründen weigerte und :lm be schwor, nach Frankfurt zurückznkehren, reiste er allein nach der Schweiz und brach das Verlöbnis kurz und hart ab. Zwar wurde der Plan in Rücksicht auf die politischen Ver hältnisse aufgegcbcn: doch verlebte er eine glückliche Zeit auf der Deloseainsel im Thnner See und schloß seine ernste Tragödie „Tie Familie Schroffcnstein" übereilt ab, da größere Dramenpläne, vor allem der „Guiskard", ihn drängten. Das Ringen mit diesem Stoff, in dessen Be handlung er sich nicht genug tun konnte, machten ihn krank. Auf diese Nachricht hin eilte die treue Ulrike wieder zu ihm und pflegte ihn. bis er genesen. Mit ihr kehrte er nach Deutschland zurück und zwar nach Weimar, wohin der Sohn Wielands, mit dem er bekannt geworden war, anfgefordert hatte. Er fand die begeisterte Anerkennung Wielands, eine väterliche Aufnahme in seinem -Hanse und zu alledem noch die heftige Zuneigung der vierzehnjährigen Tochter Luise. Doch trotz alledem trieb es ihn fort, und er begann nun, den unvollendeten „Guiskard" in der Tasche, ein wildes Hin-' und Herreisen. In Paris packte ihn die Verzweiflung, er verbrannte das Manuskript und eilte nach Boulogne. wo Napoleon eine Landung in England vorbereitete, um sich unter seine Fahnen zn stellen. Nach einiger Zeit tauchte ec wieder in Paris auf und machte sich scheinbar ruhig auf die Heimreise, doch warf ihn in Mainz ein heftiges Nerven- sieber nieder und nur sehr allmählich erholte er sich 1804 stellte er sich in Potsdam dem König wieder zur Verfügung und erhielt ein provisorisches Amt in Königsberg. Hiec »erbrachte er trotz schwankender Gesundheit geistig höchst angeregte und produltive Jahre. „Amphitrion", „Der zer brochene Krug", „Penthesilea" entstanden. Im Zer brochene» Krug", den er in der Schweiz 1802 entworfen und in Dresden 1803 z„ schreibe» begonnen hatte zeigt er eine stannenswürdige Beweglichkeit, mit der er eine ganz neue, kleinmalende Vortragsweise geschaffen hat. Er wurde zun« erste» Male in Weimar anfgefübrt und nicht ohne Goethes Schuld vom Publikum abgelehnt. Die in Dresden entstandene „Hermannsschlacht" konntS er wegen der Politischen Verhältnisse weder jetzt noch später zur Aufführung bringen. Sein reichstes Drama schuf er mit dem „Prinzen von Homburg". Vor allein aber galt seine Tätigkeit in Berlin, Ivo er 1810 war, der von ihm gegründeten Tageszeitung „Die Abendblätter", die erst einen Erfolg hatte», aber als bald unter eine scharfe Zensur gestellt wurden, so daß daS Blatt eingehen mußte. Kleist stand nun völlig mittellos da, und im Sommer 1811 war es in Berlin nm ihn ganz einsam geworden. In dieser traurigen Einsamkeit erhielt er durch ein königliches Handschreiben die Anssicht, entweder eine Koin«