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Sächsische Volkszeitung : 08.06.1924
- Erscheinungsdatum
- 1924-06-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192406089
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19240608
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19240608
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1924
-
Monat
1924-06
- Tag 1924-06-08
-
Monat
1924-06
-
Jahr
1924
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 08.06.1924
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Sozialpolitische Umschau 25 Jahre Christliche Gewerkschaften In den Pfingsttagen 1899 trat in dem altehrwürdigen Mainz der erste christliche Gewerkschaftskon- r c k zusammen. Damit war der Grundstein siir die Zu- unstsentwicklung einer deutschen christlich-nationalen Arbeiter bewegung gelegt. LS Jahre sind an dem Werke gebaut worden und voll Befriedigung kann man heute aus die Entwicklung zurückblicken, die diese Organisation genommen hat. Aus einem Häuslein von 56 000 Mitgliedern <1899) sind heute Millionen ge- worden. Insbesondere die letzten Jahre mit ihren gewaltigen sozialen Aufgaben haben der christlich-nationalen Gewerkschafts bewegung einen erstaunlichen und erfreulichen Aufschwung ge bracht. Der Zusammenschlub mit den gleichberechtigten Gesamt- verbänden der Angestellten und Beamten im „DeutschenGe - wcrkschastsbund" hat die christlich-nationale Gewerk- chastsbewegung zu einem der Hauptsaktoren unseres Wirt- chastslebens gemacht! Voll Dank und Anerkennung mutz man heute zurückblicken auf das Werk, das seine Entstehung nicht zuletzt dem freien und aufrichtigen Geist eines Franz'Hitze verdankt. Hitze war es, der schon im Jahre 1898 aus der Ge- neraloersammlung des „Arbeiterwohl" die mahnenden Worte aussprach: „Soweit die Sozialdemokratie noch keinen Boden ge fotzt hat. organisiere man doch beizeiten, erziehe man die Arbeiter zur richtigen Selbstverwaltung, soweit es sich um ihre Angelegenheiten handelt, zu Einsicht und Selbstbeherrschung, so weit es sich um die Fragen der Fabrik handelt. Der demokra tische Zug, der durch die Welt geht, wird alle Arbeiter früher oder später mit sich sortreitzen, und eS gilt, durch solche Orga - nisationen vorzubauen, um den Sturm aufzunehmcn!" Organisation tat not! Anders sind die Massenprobleme der Gegenwart einfach nicht zu meistern. Ohne sie wäre das so ziale Leben längst Chaos. Heute haben wir den Sturm erlebt, wir haben aber auch erlebt, wie sich die von Hitze aufgezeigten Formen als fähig erwiesen haben, den Sturm aufzunehmen. Eine spätere Zeit vielleicht wird erst voll zu würdigen wissen, was der christlich-nationale Gewerkschaftsgrdanke in den ver gangenen Jahren zu bedeuten hatte. Die Christlichen Gewerk schaften haben sich als notwendiger Gegenpol der Klassenkamps- iüeen des Sozialismus erwiesen; sie betrachten sich nicht als Klassen-, sondern als B e r u fs o r g an i s a t i o n e n. Die Zu gehörigkeit zu einem bestimmten Berufe und die Bcrufsehre verbindet die Arbeiter hier zu einer festen natürlichen Gemein schaft. Unternehmer und Arbeiter sind nicht feindliche Klassen, beide sind Schichten in dem gleichen Berufe, verbunden durch eine echte Gewerbesolidorität. Intercssenkonfliktc können auch hier nicht ausbleiben, aber das dauernde Verhältnis bleibt aus fried liche Arbeitsgemeinschaft und auf gegenseitige Achtung hinge ordnet. „Nicht der Kampf zwischen dem Arbeitgeber und Ar beiter mutz das Ziel sein, sondern ein recht mäßiger Friede", wie schon im Jahre 1869 der große soziale Bischof von Kettel er seinen Arbeitern aus der Liebsrauenheide bei Mainz zugerusen hatte. Wahrhaft Großes ist in den vergangenen 25 Jahren er reicht worden. Die christlich-nationale Gewerksckastsbewegung kann für sich in Anspruch nehmen, daß sie einmal die Arbeiter zur richtigen Selbstverwaltung erzogen, das; sie aber iveiter vor allen Dingen ein Heer von Führern hcrangebildet hat, die heule ihre Stärke und ihr Rückgrat ausmachen. In diesem Punkte ist die Christliche Gewerkschaftsbewe gung anderen Organisationen weit voraus. Sie kann stolz sein auf das Heer von Führern, das sie sich in großzügiger und ernster Schulung herangebildet hat. Und wenn die Zukunft unser Vaterland vor noch größere soziale Aufgaben stellen wird, als die Vergangenheit, dann wird die christlich-nationale Gewerk schaftsbewegung ihr Teil dazu beitragen, die soziale Frage ihre»- Lösung näher zu bringen und als Bahnbrecherin einer gesunden sozialen Ordnung in unserem deutschen Baterlande weiter wirken! M. D. 6. Internationale Arbeiterkonferenz Von Hermann Henseler, (Beamter am Internationalen Arbeitsamt in Genf.) In wenigen Tagen — am 16. Juni — beginnt in Genf die v. Internationalen Arbeitskonferenz. Es' erscheint geboten, im Hinblick auf die bevorstehende Tagung einige erläuternde Bemerkungen über diese internationale Institution zu machen, au deren Tätigkeit auch das deutsche Reich lebhaften Anteil nimmt. Das Bestreben, Sozialpolitik auf internationaler Grund lage zu machen, ist so alt wie die Tätigkeit der Sozialreformer selbst. Schon der Friedenskonferenz der Heiligen Allianz von 1818 ni Aachen lag ein Plan des bekannten englischen Sozialreformers Robert Owen über eine internationale Arbeitsgesetzgebung vor, der allerdings damals unbeachtet blieb. Als in der weiteren Ent wicklung des vorigen Jahrhunderts die Sozialreform immer zahl reichere Anhänger und Befürworter fand, tauchte auch immer häufiger der Hinweis auf ihre internationale Bedeutung auf, die mehr noch als von Arbciterseite von Nrbeitgeberseite unterstrichen wurde. Es ist in der Tat nicht zu verkennen, das; mit der steigen den internationalen Verknüpfung der Wirtschaft jede Belastung der heimischen Produktion mit sozialpolitischen Matznahmen üble Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmärkte haben kaum In dem Matze, in dem auch der deutsche Handel auf dem Weltmärkte in die Erscheinung trat, und gleichzeitig sozial- refomerisches Drängen und ander« innerpolitische Notmenoigkeiten zu sozialpolitischen Matznahmen größeren tlmianges führten — Arbeiterschuh, Arbeiterverficherung, Gewerbeanfsicht usw. —, in demselben Maße machte sich auch in Deutschland der Ruf nach internationaler Sozialpolitik bemerkbar. Die erste internationale Diplomatenkonferenz, die der Lösung einer Anzahl von Arbeitcr- schutzfragen gewidmet war, tagte auf Einladung des deutschen Kaisers im März 1890 in Berlin, nachdem sich bereits Mi Jahre 1882 nicht nur die sozialdemokratische Fraktion des Reichstages, sondern auch die Generalversammlung der deutschn Katholiken für die Nottvendigkeit des internationalen Arbeiterschutzes aus gesprochen hatten. Im Jahre 1897 kam es unter reger deutscher, besonders aber auch katholischer Beteiligung zum 1. Internationa len Arbeiterschuhkongreß in Zürich, an dem von heute noch leben den deutschen katholischen Sozialreformern vor allem Prälat Dr. Pieper und Reichstagsabgeordneter GieSberts teilnahmen. Gelegentlich der Weltausstellung im Jahre 1900 wurde dann in Paris die Internationale Vereinigung für gesetzlichen Arbeiter schutz gegründet, die auf die Entwicklung des internationalen Ar- beiterschutzcs bestimmenden Einfluß ausübe» sollte. Diese Ver einigung gründete das in Basel unter Leitung des Professors Stephan Dauer noch heute bestehende Internationale Arbeitsamt. Trotz der rege» Arbeit dieses Amtes und der Landessektionen der Vereinigung (in Deutschland die Gesellsclpft für Sozialreform) kam es nicht zu größeren Erfolgen auf internationalem Gebiet. Insgesamt hielt die Vereinigung vor dem Kriege sieben internatio nale Konferenzen ab, aus denen die sogenannten Berner Konven tionen gegen die Verwendung des weißen Phosphors in der Zündholzindustrie und gegen die Nachtarbeit der Frauen (1906) entstanden. Eine zweite Berner Konferenz 1913 hatte neue inter nationale Vertragsentwürfe bctr. die Abschaffung der Nachtarbeit für Jugendliche unter 16 Jahren in allen Gewerben, betr. den Höchstarbeitstag von zehn Stunden für Frauen und Jugendliche in der Industrie vorbereitet, jedoch hat die zur weiteren Be arbeitung dieser Fragen für 1914 vorgesehene diplomatische Kon ferenz nicht mehr stattgefunden. Während des Krieges tauchten dann aus Arbeiter- und Gewerkschaftskrcisen aller Länder immer nachdrücklicher Forderungen auf, die darauf hinzlelten, die inter nationale Entwicklung der Soziaircform durch feierliche Ver ankerung ihrer Grundlage im kommenden Friedensvertrag zu be schleunigen. Diese Forderungen beantworteten die leitenden Staatsmänner auf beiden Seiten der Front mit bestimmten Ver sprechungen, zu deren Einhaltung sie sich um so mehr veranlaßt sahen, als um die Zeit des Friedensschlusses die revolutionäre Welle die Arbeiterschaft aller Länder mit sich zu reihen drohte. So kani.es bei der Friedenskonferenz von 1919 in Paris zur Bildung einer ans Regierung?-- und Gewerkschaftsvertretern zu sammengesetzte» Kommission, die unter dem Vorsitz des amerikani schen Arbeiterführers Gompers den Entwurf eines der inter nationalen Regelung des Arbeiterschutzes gewidmeten in den Friedensvertrag aufzunehmenden Hauptsiückes ausnrbeitete. Dieser auf einer englischen Vorlage beruhende Entwurf wurde mit ge ringen Aendcrungen, allerdings ohne Berücksichtigung der von der deutschen Friedensselcgation beantragten Verbesserungen, der Teil XIII des Friedens Vertrages von Versailles und damit durch das Gesetz über den Friedensschlus; vom 16. Juli 1916 in Deutschland geltendes Recht. Zur Durchführung der in der Einleitung zu diesem Teil umschriebenen Grundsätze, denen nicht nur die Sozialreformer, sondern die gesamte katholische Welt vorbehaltlos zustimmcn können, schafft der Teil Xlll des Fric- densvcrtrages einen selbständigen Stnatcnbund: die Internatio nale Arbeitsorganisation mit ihren drei Organen: der Internatio nalen ArbcitSkoufcrenz, dem Internationalen Arbeitsamt und dein Verwaltungsrat. Mit dem Völkerbund hängt dieser an sich selbständige Staatenbund nur insofern zusammen, als die Mit gliedsstaaten des Völkerbundes „co ipso" Mitglieder der Inter nationalen Arbeitsorganisation sind (Artikel 387 des Friedens- Vertrages), daß die Sitzungen der Konferenz, wenn nicht mit Zwei drittelmehrheit anders- bestimmt wird, am Sitze des Völkerbundes- stattfinden soll (Artikel 391), das; das Internationale Arbeitsamt am Sitze des Völkerbundes errichtet werden mußte und einen Bestandteil des Bundes- bildet (Artikel 392) und die Kosten der Organisationen vom allgemeinen Haushalt des Völkerbundes be stritten werden (Artikel 399). Weiter besteht eine lose Beziehung zum Völkerbund darin, das; ratifizierte, internationale Ileberein- kommen der Organisation vom Generalsekretär des Völkerbundes einzutragen sind (Artikel 406). Die Hauptaufgabe der Internationalen Arbeitsorganisation besteht darin, sozinlreformcrische Maßnahmen auf inter nationaler Grundlage vorzubcrciten und unter gewissen Bedingun gen ihre Durchführung zu überwachen. Dies- geschieht zunächst durch das Jnteriinticnale Arbeitsamt, dessen Aufgabe» im Artikel 896 umschrieben sind: Zentralisierung und Verteilung aller Auskünfte in bezug auf die Internationale Regelung der Arbeitcrverhältnisse und Arbeitsbedingungen, ins besondere die Bearbeitung der Fragen, welche der Konferenz zum Zwecke des Abschlusses internationaler Abkommen borgelegt wer den sollen, srwie die Ausführung aller durch die Konferenz be schlossenen besonderen Ermittelungen, Vorbereitung der Tages ordnung der Konferenzsitzungen, Erfüllung bestimmter Obliegen heiten bei internationasen Streitigkeiten, Herausgabe bestimmter Veröffentlichungen sczialer Art usw. An der Spitze des Amtes steht ein Direktor, augenblicklich der bekannte frühere französische Minister Albert Thomas, der seiner seits für die Leitung des Amtes dem Verwaltungsr.it verantn ort- sich ist, der auf Grund des Artikels 393 aus 24 Personen begeht, darunter 12 Negierungsvertretern, 6 Arbeitgeb-rvcrtretern und 6 Nrbeitnehmervertretera. Auf Grund eines Beschlusses der Inter nationalen Arbeitskonferenz von 1922 wird der Verwaltnngsrat ab 1925 aus 36 Personen unter entsprechender Verteilung der Mandate auf die dre> Gruppen: 16 — 8 — 8, bestehen. Bon den 12 Negierungsvertretern werden 8 ton den Mit gliedsstaaten ernannt, denen die größte industrielle Bedeutung zu- komint, dazu gehört auch Deutschland, das unbesckadet seiner Nichtmitglicdschaft im Völkerbund auf ausdrücklichen Beschluß der 1. Internationalen Arbeitskonferenz (Washington 1919) zur Inter nationalen Arbeitsorganisation zugelassen wurde. Die vier übrigen werden von den Mitgliedstaaten ernannt, die von den Negierungs- Vertretern in der Konferenz bestimmt werden. Die Arbeitgeber- und Arbeitnehmermitglieder des VerwaltungsrateS werden von den Vertretern ihrer Gruppe in der Konferenz gewählt. Tie Mau- datsdauer beträgt drei Jahre. Die wesentlichste Bedeutung für die Durchführung der Auf gaben der Internationalen Arbeitsorganisation kommt der In ternationale» Arbeitskonferenz zu, die nach Besarf, mindestens aber einmal jährlich, zusammentritt. Zu dieser Kon ferenz entsenden die Mitgliedsstaaten je vier Vertreter, von denen zwei die Delegierten der Regierungen sind, während von den bei den andern je einer die Arbeitgeber bezw. Arbeitnehmer des bctr. Landes vertritt. (Artikel 389.) Die Negierungen sind verpflichtet, diese im Einvernehmen mit den hervorragendsten Berufsorgani sationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer ihres Landes zu bestimmen Im Gegensatz zu den internationalen Arbcitcrschutzkonferen- zen der Vorkriegszeit, welche ihre Aufgaben in getrennten und nacheinandertagenden Sachverständigenkonferenzen zur Ausarbei tung der technischen Einzelheiten der Konventionen und Tiplo- mntenkouferenzen zwecks endgültiger Beschlußfassung lösten, er füllt die Internationale Arbeitskonferenz beide Funktionen zu gleicher Zeit. Sie ist sowohl für die technische Ausarbeitung ihrer Beschlüsse als auch für ihre endgültige Formulierung zuständig. Sie kleidet ihre Beschlüsse nach ihrem eigenen Ermessen in die Form von „Entwürfen zu internationalen Ilebereinkommen" oder von „Vorschlägen". Der Unterschied zwischen diesen beiden For men besteht darin, daß die Entwürfe zu Ilebereinkommen nach Ratifizierung durch die einzelnen Mitgliedstaaten eine bestimmte Völkerrechtliche Bindung bedeuten (wobei die Ratifizierung jedoch in das freie Ermessen der zuständigen, gesetzgebenden Behörden jedes Mitglicdstaale'S gestellt wird), während die „Vorschläge" lediglich Empfehlungen bestimmter gesetzgeberischer Maßnahmen sozialpolitischer Art ohne jede internationale Bindung dar» stellen. Die Zusammensetzung der Konfcruz aus NegirrungSver- treteru, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerdelegierten gibt ihr den Charakter einer internationalen „Arbeitsgemeinschaft", deren moralischer Einfluß in Zeiten normalerer internationaler Beziehungen und ruhigerer wirtsckmftlicher Entwicklung als heute gewiß nicht zu unterschätze» ist. Bisher haben fünf internationale Arbeitskonterenzen stalt- gefundeu: die erste in Washington 10!9. die zweite in Genua 1920, die dritte, vierte und fünfte in Genf 1921, 1922 und <923. Die Tagesordnung der diesjährigen Konferenz, der sechsten, umsaht folgende Punkte: 1. Nutzung der Freizeit der Arbeiter. 2. Gleichmäßigkeit in dec Behandlung ausländischer und einheimischer Arbeiter bei ArveilSiin'älleii. 3. Die 24stündige wöchentliche Ruhezeit in Glashütten mit Wannenöfen. 4. Die Nachtarbeit in den Bäckereien. Die Frage der Nutzung der Freizeit steht in engem Zu sammenhang mit der Frage der Arbeitszeitverkürzung. Löstmg dieses Problems ist in gleichem Maße -ni Allg-'mciiiintcressc als im Interesse der Arbeiterschaft selber gelegen. Es ist beabsichtigt, Richtlinien über diese Fragen in die Form eines „Vorschläge'?" zu kleiden, der den einzelnen Negierungen prakt-iche Fingerzeige für die Ausgestaltung gesetzlicher Maßnahmen gibt. Außer mit diesen vier Punkten der Tagesordnung wird sich die Konferenz mit dem Bericht dcS Direktors über di>: Tätigkeit der Internationalen Arbeiterorganisation im vergangene» Jahre und mit etwaigen Anträgen zu befassen haben. Es ist zu erwarten, das; auch in diesem Jahre, wie in den früheren Konferenzen, ge rade die Besprechung des Berichts des Direktors- zu Kundgebungen einzelner Redner als auch der gesamten Konferenz führt, deren Bedeutung über den eigentlich durch das sozialpolitische Aufgaben gebiet gezogenen Nahmen der-Konfcrcnz hinausgeht. Ein heiliger »Kommunist" im zwölften Jahrhundert In der kleinen Portiunkulakapelle bei Assist reifke In der seraphischen Liebesglut, welche die Seele des heiligen Franzis kus umlohte, am Baume der christlichen Nächstenliebe eine Frucht, deren Genuß auch heute noch dem an eincin schweren „Magenleiden" erkrankten Europa Hilfe und Rettung bringen könnte, wenn nur die todkranke europäische Menschheit dieser an sich so köstlichen Frucht mehr Geschmack abgeminnen könnte. Diese Frucht ist der dritte Orden des großen heiligen Or densstifters Franziskus. Europa wankt in seinen sozialen Grundfesten. Der hochselige soziale Papst Leo XIII. faß die so zialen Erschütterungen, unter welchen Europa jetzt zuckt, mit o -cstolischem Scherblick voraus und schrieb für die kranke Menschheit in feiner unsterblichen Enzyklika „Novarum rerum" c.n Rezept siir diese Krankheit, welches längst auch von den roten Mrzten als vortrefflich erkannt wird. Die Pfusck)cr frei lich kümmern sich nicht darum. Neben der Theorie der Enzyklika „Novarum rerum" sorgte Leo XIII. aber auch für «ine heilige Praxis, indem er den dritten Orden des heiligen Franziskus wieder dringend -Hur Wiederbelebung empfahl und zu diesem Zwecke die ursprüngliche Fronziskusregel reformierte und so sehr milderte, daß die Beobachtung der neuen Regel keine Schmie rigkeiten mehr bietet, wohl aber geeignet ist, den tiefsten Grund zur wahren sozialen Liebe der Stände untereinander zu legen. Die dritte Ordensregel des heiligen Franziskus hat im zwölften Jahrhundert geradezu eine heilige soziale Revolution der Näch stenliebe in ganz Europa hervorgerusen, und zwar als Gegenrevolution gegen den „Bolschewismus" der Albigenser- Sekte, zu deren wirksamen Bekämpfung der große Freund des heiligen Franz von Assisi, der heilige Dominikus, im Aufträge der Muttergottes der katholischen Menschheit als Schleuder den Rosenkranz in die Han- drückte. Sozialismus ist heutzutage das Zauberwort, mit welchem man Europa, ja die ganze Menschheit in ein soziales Paradies verwandeln will. Zumal der rote Sozialismus träumt diesen an sich märchenhaft schönen Traum. Allerdings entsprach die wachs Wirklichkeit bisher nicht dem Trau Urzustände. Der rote Sozialismus wogte den golbbeschuppten Etter de» Manchester kapitalismus mit dem Beile der Revolution erschlagen; jedoch er scklna io gründlich daneben, dos; er nur die freilich auch arg dünnen Stricke zerhieb, mit welchem dos längst zum poldcnen Stier herangemucherte goldene Kolo im monarchischen Europa wenigstens noch einigermaßen gefesselt war. Heute nun erleben wir es, daß der losgelasseac Stier des Kapitalismus so unver schämt unter dem Volke herumrast, wie es in den Zeiten der Monarchie einfach unmöglich gewesen märe. Oder was ist denn der R e v o l u t i o n s k a p i t a l i s m u s anderes als wie der vorrevolutionäre Kapitalismus im umgekehrten Fracke, mit dem „knall- und blutroten" Untersntler nach außen gekeimt? Die re volutionären Arheitermosien sehen das anck immer mehr ein und mit zornig geballten Fäusten rufen sie immer lauter: „Fort mit einem solchen sozialistisch maskierten Nevolutions- und Schie ber-Kapitalismus und dafür den reinen Kommunismus her!" Reiner Kommunismus! Mein Gott! Den gab es nur einmal, und zwar im goldenen Katakombcnzeitalter des Ur- katholizismus. Doch zwischen jenem heiligen Kommunis mus der Urkirche und dem bolschewistischen Kommunismus un serer Tage ist ein Unterschied wie zwischen katakombennacht schwarz und barrikadenblutrot. Denn der Kommunismus der christlichen Urzeit wurde verwirkticht nach dem Grundsätze: Was mein ist, das sei auch dein!, während der Kommunismus un serer Tage fordert: „Was dein ist, das sei auch mein!" Gerade ccker das heilige kommunistische Ideal der christlichen Urzeit schwebte dem heiligen Franziskus vor, als er die Regel zum Ordenskommunismus der Franziskaner und die heiligen „kom munistischen" Regeln des dritten Ordens aufstcllte. Dieser hei lige, braune Sozialismus des Franziskaner-Or dens hat dag zwölfte und dreizehnte Jahrhundert mit einer sozialen Liebesglut bestrahlt, von welcher unsere liebe- leere Zeit einfach keine Ahnung hat. Bolschewik heißt auf deutsch Bettler. Nun, ein sogenannter Bettlerorden auf hei- liger kommunistischer Grundlage ist der Franziskaner-Orden, und heilige Bolschewiki. das heißt heilige Bettler im Dienste -der christlichen Nächstenliebe, sind heute noch die Söhne des heiligen Franziskus. Der braune Sozialismus des heiligen Vaters Franziskus ist der reinste, heiligste Kommunismus der christlichen Urzeit, welcher sich nirgends auf der Welt so un verfälscht erhalten hat, als wie in den katholischen Klöstern. In einem einzigen Franziskanerkloster steckt deshalb mehr echter, christlicher Kommunismus und mehr echter, christlicher Sozialts- MUS als wie im ganzen sozialistischen Deutschland und im ganzen bolschewistischen Rußland zusammengenommcn. Die revolutio nären Proletariermassen von Mittel- und Wcsteuropn stieren jetzt mit brennenden Blicken nach dem bolschewistischen Rußland wie nach einer grandiosen Vision und meinen, über dcn politischen Steppen Rußlands flamme das Morgenrot der wahren neuen Zeit. Bolschewiki, Bettler, nennen sich die russischen Revoluiio- näre. In der Tat war ja das russische Proletariat fett Peter dem Großen ein Volk von Bettlern vor den Prunk- und Pracktloren. vor dem Kreml in Moskau und den Prachtschlössern in und bei Petersburg. Diesem revolutionären Bolschewismus, dieser re volutionären Bettlerbewegung des geknechteten russischen Vol ke? können wir den heiligen Bolschewismus, den heiligen kari tativen Beitierorden der Franziskaner und des dritten Ordens entgegenstellen. In der Tat, der heilige Balschewiki, das heißt der lpnltge Bettler des zwölften Jahrhunderts, Franz van Assisi, hat das weltgeschichtliche Verdienst, durch die Grün dung des Bettlerordcns der Franziskaner der Welt gezeigt zu haken, und zwar schon vor 700 Jahren, das; der Reichtum nur dann eine Berechtigung hat, wenn er nicht daraus veigißt, das; er auch die heilige Pflicht hat, die Krücke der Armen zu sein, und zwar eine goldene, zum mindesten ober eine silberne Krücke, .In diesem Sinne bleibt die hehre Lichtgestalt der heiligen Eli sabeth von Thüringen das strahlende Barbild siir die Reichen aller Zeiten. Wie der heilige Franziskus sein reiches Erbe unter die Armen verteilt hat, so hat auch die größte Heilige des drit ten Ordens die Burg des Landgrafen verlassen, aber nicht, um bloß einen Spaziergang in die Spitäler z» machen, sondern um den ekelhaften Kranken wirklich eigenhändig helfend unter die schivürigen Arme zu greisen Hätten die Königinnen, die alle im Geiste und nach dem Beispiele der heiligen Dritten-Ordens- schwester Elisabeth van Thüringen gehandelt, wahrhaftig, der Nitz zwischen den deutschen Stämmen und ihren Fürstenhäusern wäre nicht so groß geworden und die Stammburgen der deut schen Fiirstengeschlechter wären heute keine politischen Ruinen. Kurz, würde Europa sich heute noch !m Geiste oer Portiunkula. Kapelle nach dem sozialen heiligen Franziskusideal resormicren lassen und die soziale Idee des dritten Ordens tn moderne so- ziale Formen gießen, dann und nur dann könnte der Iciden- ddn Menschheit jener soziale Friede gegeben werden, welchen nun einmal die Welt nicht geben kann und mag ihr Wille dazu noch so gut sein
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