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DonnerSiag den 21. Apnl 1921 Wiedereröffnung des Reichstages Berlin. Ll. April. Am gestrigen Mittwoch ist der Reichstag zu erneuter Ar beit zusainmengctrcten. Bei Eröffnung der Sitzung wirs das Hans noch große Lücken auf. Man tauschte zunächst freundliche Bcgrüßungoworte, alte Freunde drückten sich warm die Hand. Des Präsidenten Loebes Wiltkommengruß folgten markige deutsche Worte über den Abstlmmungssieg in Oberschlcsien, wo bei er den siegreichen Wahlberechtigten den Tank des deutschen Reichstages auösvrach. Unter den Eingängen befand sich eine Erklärung des bisherigen kommunistischen Abgeordneten Dr. Le ui, daß er nickt geneigt sei, fein Mandat niederzulegen, ob- fchon er bei der Wahl ein dahingehendes B.lancoformular hätte unterschreiben müssen. Das HauS zeigte volles Verständnis für Levis Anhänglichkeit. Die begleitenden Heiterkeitöausbrüche zeigte» de» armen .Verstorbenen", daß der, der den Schaden hat» für den Spott nicht zu sorgen braucht. Nachdem die Abgeord neten Ledebone tlknabh.) und Schulz-Bromberg den Wunsch geäußert hatten, daß die augenblickliche außenpolitische Lage baldigst besprochen werde, widmeten bei der ersten Beratung des Gesetzentwurfes zwischen dem Deutschen Reiche und den alli ierten Hauptinächtrn über die Festsetzung einiger Ab schnitte der Grenzen des SaargebieieS die Abge ordneten Korrel (Dem.), Schulz sDeutscknat.) und Hoff man» sZcritr.) unseren armen saarländischen Brüdern teil nehmende und verständnisvolle Worte. Die Verhandlungen wur den lebhafter, als der Antrag Ader hold wegen Aufhebung der Verordnungen über Ausnahmebestimmungen in G r o ß - H a n, b » r g . der Provinz Sachsen, in Düssel dorf, Arnsberg und Münster, sowie die Beseitigung der S o » d e r g e r i ch ! e zur Beratung kani. Verbunden wird da mit ein Antrag Müller lFranten) auf Abänderung der Sondergerichte. Abg. Nosenfeld (Komm.) begründet den kommunisti schen Antrag und die Nolwendigkeit der Aufhebung, weil die Voraussetzungen jetzt nicht mehr zuträfen. Die Ausnahme gerichte seien zudem ein glatter Verfassungsbruch. Die Recht sprechung richte sich eben nur gegen die Arbeiter. Hierhin ge höre auch das Urteil in der SiegeSsäulen-Angelegenheit. Die Zweifel, ob hier wirklich ein Attentat Vorgelegen hat, seien nur zu berechtigt und Aufklärung sei m nickt geschaffen worden. Gegen die „Note Fahne" sei ohne jeden NechtSgrnud eingeschrit ten worden. Mit Lüg-nnachrichtei, und Grenelmärchen werde geoen die Arbeiter gewülei und Staatsanwälte und Richter stürzten sich mit einer wahren Wollust auf solches Material. Ja, davon, daß Sylts Mörder vor ein Sondergericht komme,> sollten, verlaute nichts, dagegen werde gegen die eiagcschritte» werden, die an die Ermordung glauben. Justizminister Heinz«: Die Ansicht, als entsprängen die Verordnungen einem Nachcgefühl, bestehe» nicht z» Recht. Was Abgeordneter Nosenfeld vorgcbracht hat, seien Ucbcrtreibungen, auch Entstellungen. Tie Berliner K o m m u n i st e » z e »- trale habe offiziell die Aufnahme des Kamps es an. geordnet. Die Aufständischen hätte» zuerst geschossen, nicht die Sipo. Das stehe dokumentarisch fest. Redner ver'ieii eine kurze Ziisannnenstellimg aus dein amtliche» Bericht, ans Grnnd dessen die Verordnung erfolgt sei, schildert die Mißhand lung e» der gefallenen Sinoleute, die ein Schlaglicht auf das ganze Milieu werfen. Es handle sich hier um Ausnahme- fälle, die auch im Ausnabmeverfahrcn geregelt werden müß ten. Pflicht der Justizverwaltung war eS. eutsvrechent zu ban deln. Hier lägen ganz konkrete Fälle vor, die besonders zusam- mengestcllt und gleichzeitig zur Erledigung gebracht werden soll ten. Diese Dutzende von Hockverratsprozessen hätten ans dein gewöhnlichen Wege gar nickt so rasch erledigt werden tonnen. Tie Verordnung widerspreche auch nicht der Vcrsasiung Der Artikel -18 gestehe dem Reichspräsidenten ansdrück'ich das Recht zu. gewiß'« Gesetze abäudern zn können. Weiter sei nichts geschehe». «Vrotest links. Anruf: Wo steht das geschrie- ben?> De« Sanderrichter sei genau so berechtigt wi« der ge wöhnliche Richter. Vor einer Aendernng der Verordnungen müsse er ennckneden warnen. Jugendliche Angeklagte würden ja »ach Möglichkeit nicht vor diese Gerichte kommen. Verschlev- punoen bei den Verhandlungen solle» vermieden werden. Es handle sich ia hier »m frische Fälle, wo nock alle Zeugen bgrhande» sind, da sei ja auch eine rglcke Beweisführung mög lich Hier werde von Blntnrteilen n»d schweren Strafen geredet. Redner gibt Beispiele dafür, wie rasch und wie milde die Son- dergcrickte urteilen. tZnriif: ünwahrbeit, Demagogie!) Habe das gesamte Volt erst die Neberzeugnng, daß wieder Ge rechtigkeit herrsch t, daß der Verbrecher seiner Strafe rntgcgengebt. dann wird die Gesundung des Volkes um so schneller erfolgen. sBeifall.) Präiident Lobe ruft den Abaeordneten Höllen (Komm.) der de» Mitgliedern der Rechten „teuflische Subjekte" zugerusen hat, zweimal zur Ordnung. «ächr«,q« vol,»,«,,««, Da» HauS bricht nunmehr di« Weiterberalung ab und er- ledigt eine Reih« von »usschußberichten. Morgen nachmittag 2 Nbr Interpellationen, kleiner» Vor lagen, Weiterberatung. Schluß gegen S Uhr. Der Reichsetat Das Reichsfinanzministerium veröffentlicht einen Nebcrblick über den R e i ch s ha u s h a l t für 1021. Der ordenlllche Etat schließt in Einnahmen und Ausgaben, ohne die Betriebsverwaltungen, mit 46S45 202 051 Mark ab. Das ist gegen das Vorjahr, einschließlich des noch zu erwartenden Nach trages, ein Mehr von 2 485 887 674 Mark. Von den Betriebs verwaltungen wird nur bei der Neichsdruckerei ein Ueberschuh erwartet <3 203 548 Mark). Die Neichspost- und Telegraphen verwaltung beanspruchen einen Zuschuß von 8445 582 830 Mark. Die Verwaltung der Reichseisenbahnen schließt im ordentlichen Haushalt mit einem Fehlbetrag von 377 834 000 Mart und im außerordentlichen Haushalt mit einer Mehrausgabe von 5 848 000 000 Mark ab. Sie erfordert also insgesamt einen Zu schuß von 9 223 834 400 Mark. Vorbehalte» bleibt die Anforde rung derjenigen Mehrausgaben, die aus der Durchführung des Be>oIdungSgesetzes vom t7. Dezember 4020, aus den Verände rungen der Ortsklasseneinteilung, aus der Erhöhung der Teue- rungszuschläge, aus der Durchführung des PcnsionSergän- zungsgesctzes und der Erhöhung der Arbcitcrlöhne erwach sen werden, und die aus etwa 2,5 Milliarde» Mark zu veran schlagen find. Beim außerordentlichen Haushalt werden 43 887 104 308 Mark angefordert, denen Einnahmen in Höhe von 10 556 468 118 Mark gegenüberstehen, so daß durch Anleihe noch auszubringen stnd 33 110 836 190 Mark. Unter den Ein nahmen befindet sich ei» Bclrag von 7 800 MO 000 Mark auS dein NeichSnotopfer, das zur Deckung eines Teiles der Ausgaben des außerordentlichen Haushaltes herangezogen werden soll. Für den Abbau der Ausgaben sind zwei M ahnahmen vorgesehen: a) eine Verringerung des BeamtcnkörperS um ein Viertel soll, von wenig Ausnahmen abgesehen, im Laufe der Zeit dadurch herbeigeführt werden, daß von den planmäßigen Beaiiiteustcllen im Falle ihres Freiwerdens so jede zweite wie der besetzt werde» darf; b) die Ansätze zu fortdauernden Aus gaben mit Ausnahme der Ansätze für planmäßige Beamten- stellen dürfen ini Rechnungsjahre 1921 nur in Höhe von 75 Pro zent der HauShaltansätze in Anspruch genommen werden. Die Besitz- und V e r k e h r s st e u e r n sind im ganzen angcseht mit 25 703 Millionen Mark sgegcn 23 750 Millionen Mark im Vorjahre), also mehr 1953 Millionen Mark. Veranschlagt sind n. a. die Umsatz sten er mit 541V <gege» 1920 mehr 17501 Millionen Mark, die Neicksstempelabgabe mit 1308 Millionen Mark <478 Millionen Mark) mebr), die Abgabe vom Personen- niid Güterverkehr mit 1200 Millionen Mark <570 Millionen Mark mehr. Niedriaer veranschlagt sind das ReickS» st opfe r mit 2200 Millionen Mark <1300 Millionen Mark weni ger), die Besttzstcuer mit 2,5 Milliarden Mark <75 Millionen Mark Wenigerl. And dem Reichsnotopfer wird für 1921 ein Ertrag von lO Milliarde» erwartet, wovon, wie erwähnt, 7,8 Milliärden ln den anßerordcnlliche» Haushalt eingestellt werden sollen. Der Rückgang d«s außerordentlichen Etats von 84,5 Milliarden >920 auf 43,6 Milliarden 1921 erklärt sich in der Hauvtsache durch ein Minus nn» rund 8 Milliarden dein: Reichs, niiiiisieriiim sü- Ernährung und Landwirtschaft sFortfall der Lebc»8»iilleszusckiiD'p von 9 Milliarden bei dc» Zuschüsse» zu Eisenbahn >>"d P-n't, p»,, 4 Milliarden bei Abmickliingskosten für die o'te Webrinackt und von beinabe 17 Milliarden bei dem Pasten „N"-^fübruog des Frie^ensvertroaeS". Dazu wird n. a. beii'eelt, daß die Ausgaben für die Rbeinlaudbewackung »m mehr als 7 Milliarde, geriuaer erscheinen, weil ei» großer Teil der E"tschäd>gnnae., auS rückliegender Zeit noch nicht ailgefc» dert oder sestgestellt ist. Die Hohenzollernabfindmiq Dis prtußß'ch« ^inanrminlsterstim bat dem vreußisckie» Kabinett den An« aa unterbreitet, tun bekannten Verglich mit de» Koben- -ollern über die Vermönensanseinond-rsttzuna vmn Jrniiar 1920 auk- ,»beben. Der Antraa des F nan,ministe, ums siüh, sich daraut daß Br'nz Frie'r ch Leavold von Preußen gegen den vreiißstckrn Siaat k a brr geworden ist; er llagt auf Feststellung, daß die Herrichasten Flatow und Kroiaoke hin Privaietoen > m stien. Da diese Be- sih»»nen einen inie rieienven Besta-deeil des Vergleichs an S machten, erickiien es dem F-nanimintsbrinm rfcht mehr inö'll'ck. den alten Ver gleich in te'iwr Ge'amtlie't omr-ckt >» »'ballen. U der ten "rllrag des Finan,Ministeriums w rd naiürlich erst das neue p,kubische Ka binett zu enticheiden haben. Nr. 91, Seite » Fertig zum Sprunge an Teulsch'ands Kehle Paris, 20. April. „Matin" berichtet, ^dcr Ministerpräsident Brtand werde sich am Sonnabend nach Lympne begebe». Er werde begleitet sein von dem Generaldirektor im Ministerin,» für äußere Angelegenheiten Berthelot. Marschall Fach. General Weygand. einem Dolmetscher und einigen Sekretäre». Eng- UscherseitS werden außer Lloyd George an der Beratung teil, nehmen Lord Curzon. vielleicht auch Chamberloin und Marsch ,ll Wilson. Nach dem „Matin" war in London gestern das Gerücht verbreitet, daß auch Italien und Belgien vertrete» s.-m würden. Der Berichterstatter glaubt jedoch nicht, daß es sich i:>, mehr als eine vorbereitende Konferenz handle. „Matin" glaubt zu wissen, daß Vriand und Lloyd George die von der gemischten, noch am Doiiuerstag und Freitag tagenden Kmw s- sion ausgearbeiteten Pläne vor legen mürbe» für den F l, daß Zwangsmaßnahmen gegen Deutschland ergriffen wer: Der Entwurf besteht auS einem strategischen Plane, das I» Angaben über die Zahl der Truppen und über die Ausdehnung der Besetzung, Er werde dann ein w i r t s ch a f t l i ch - s Pro. gram in vorlegen, das Andeiitmigen darüber enthält, w, >> wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem neubesetzle» Grlü sio» anSgearbciteten Pläne vor legen werden für den F s Fall, daß Deutschland nach der Besetzung seine Verpflicht»,'! nicht erfüllt, sieht der Entwurf ein besonderes Verwa!. tungs-, Wirtschafts, und Zollsystem vor. „Mai in" sagt, man wisse, daß Belgien und Italien keine Einwendm > „ machen würden. Es bleibe also die Hoffnung, daß Lloyd Gew - gegen diese französischen Vorschläge sich günstig verhalten web . Pertinax sagt im „Echo de Paris", von der Unterredung ui Lumpur werde der weitere Verlauf der Ereignisse abhä, :g sein. Er glaubt, daß man in der Zwischenzeit die deutschen V- >. schlage erhalten habe, also vor Sonnabend, daß also auch in r Villa Lympne die Frage geregelt werde, ob der Oberste Rot in eine Aussprache mit den Vertretern des Deutschen Re> ,4 eintreten werde. Die französische These sei verneinend. Die Stunde sei nicht mehr für Unterredungen geeignet. Der 1. Mit sei dann verflossen, ohne daß die Verpflichtungen von De»t-ch. land erfüllt wurden, das heißt die Zahluna der 12 Milliard n Goldmark. Briand sei auf dem rechten Wege. Er habe sich von all den Theorien von Brüssel entfernt und werde nunmehr mit Takt und Kraft die Absichten Frankreich» vertreten. — Reuter erfährt von französischer Seite: Frankreich werde das Ruhrgebiet nur besetze», wenn Deutschland scin,m Verpflichtungen nicht Nachkomme. Wenn die deutschen Arbei! r nach der Besetzung die Arbeit niedcrlegc» sollte», würde Deullch. land keine Kohle erhalten, da das einzige außer Oberschlcitzm Deutschland zur Verfügung stehende Kohlrngebiet, das sächsisch-, sehr wenig fördere. Dadurch werde Deutschland von einer „ü. gemeinen Betriebseinstcllung bedroht und nach Ansicht der Frau, zosen gezwungen werden, seinen Vertragsveivfliclitiiiigen »ach. znkouiine». Frankreich könne die militärische Besetzung d>» Nnhrgelüetes allein durchführen nnd werde wahrscheinlich „u diesem Zwecke nnc eine Jahresklasse einbernfen müssen. Frwck. reich denke keinesfalls an eine Anglicderung weder de? Rill-r- geknetes noch des linken RheinnferS. Der Zweck sei einfach der, Deutschland znm Zahlen z» bringen. — „Daily Ehroniele" schreibt ln einem „Volle Harmonie zwischen den Verbündeten" überschriebene» Leitartikel, an der Besetzung des Ruhrgebieg i würden englische Trnvven nicht t e i l » e b », e ». da keine verfügbar seien. Der Plan habe viel für sich. Ec versetze die Verbündeten in die Lane. Dcntschland gegenüber zu sagen: Kein Wiederaufbau, keine KahlenI Bezahlt eure Schulden, ent laßt eure Soldaten und verurteilt ihr eure Kriegsverbrecher, dann bekommt ihr euren Brennstoff! Das einziae andere wich tige Kokckengcbiet Deutschlands liege in Obersckkesien, und dieses Kohlcngebiet werde wahrscheinlich bald den Polen zu gewiesen werden, angesichts der durch die Abstimmung erwiesenen großen polnischen Mebrbeit unter de» ansässigen Einwohner» Deutschland könne sich infolgedessen kaum lange seinen Verpflichtungen entziehen. Französisch« Gem«inhe?t n Varl«, 21. April. Der augenblick i b in Berlin weilende Sonde,berichterstnlter deS „Journal" schreibt: Das einzige M llcl, Deutschland in den Fri- dens »stand z» verletzen, ist das, bei den Risten elnznseyen, d e dwser Ni- senklock von 80 Millionen answeist Zwei'elloS >st eS nach dem Frieden von 1SI9 unmöglich gewest». D utkchland in lauter kleine Smaten zu pnlver sieren, wie »s durch den wobltätigrn westfälischen Frieden ce>'chelien war. Aber es hätte nichts Phantastisches darin gelegen, eS in ztv-i oder dr i Stück» zu zerichneiden: Norddentschland. Cüddent-chland n»d Rheindeutschland. Vielleicht ist r» auch jetzt noch nicht zu spät da >«. Französische Ein« «nv Auasnhr Bari«, 20. April. Die Gcsamtelnful r betrug im erslm Vierteljahr 1921 885S307000 gegenüber 9377460000 im Vorjahre, die Aussuhr 5489488000 gegenüber 4 505732000 im Vorjahre. Sächsische Volkszeitung — Nr. 91 — 21. April 1921 Der Schimmelreiter Von Tbsodor Storni <27. Fortsetzung.) Das Kind klammerte sich angstvoll an seinen Vater nnd deckte dessen Hand über sein Gesichtlein: Die Sceteufell ' rannte es zitternd zwischen seine Finger; „die Seeteufel!" Er schüttelte den Kopf: „Nein, Wienke, weder Wasscrwei- ber »och Seeteufel, so etwas gibt es nicht; wer hat dir davon gesagt?" Sie sah mit stunipfcm Blicke zu ihm heraus; aber sie ant- woriclc nicht. Er strich ihr zärtlich über die Wangen: „Sieh nur wieder bin!" sagte er. „das sind nur arme buuarigc VögelI Sieh »nr, wie jetzt der große seine Flügel breitet; die holen sich die Fi'che, die in die rauchenden Spalten kommen." „Fische," wiederholte Wienke. „Ja, Kind, das alles ist lebia, so tvie wir; es gibt nichts anderes; aber der liebe Gott ist überall!" Klein Wienke hatte 'hre Angen fest ans den Boden ge richtet »ick biclt den Atem a»; ed war. als sähe sie erschrocken in einen Abgrund. Es war vielleicht nur so; der Vater blickte lange ans sie bin er bückte sich »nd sah in ihr Gcstchtlcin; aber keine Regung der verschlossenen Seele wurde darin kund. Er hob sie auf de» Arm nnd steckte ihre verKommene» Händchen in e.incn seiner dicken Wollkiandschnhc: „So. mein Wienke," und das Kind vernahm wohl nickt den Ton von heftiger Innigkeit in seinen Worten —, „so wärm dich bei >.,!r! Du bist doch unser Kind, inner einziges. Du hast u»S lieb! . . ." Die stimme brach dem Manne: aber die Kleine drückte zärtlich ihr Köpfchen in seinen raube» Bart. So gingen sie friedlich heimwärts. Nach Neii'ah, war wieder einmal die Sorge in das HauS getreten; ein Marlchfieber batte den Deicharascn erariften; auch mit ihm oiiig eS „ab am Rand der Grube her, nnd als er nntcr Frau Elkes Pftea nnd Serge wieder erstanden war, schien er ka-'in derst-'b« Mai n, ^st M-'tti«ke>t des Körpers lag auch ans seinen! Geiste, nnd Elke sah mit Besorgnis, wie er allzeit leicht zufrieden war. Dennoch, gegen Ende deS März, drängle eS ihn, seinen Schimmel z» besteige» und zum ersten Male wieder ans seinem Teich entlang zn reuen; e» war an einem Rachmit» tage, und die Sonne, die zuvor geschienen hatte, lag längst schon wieder hinter trübem Duft. Im Winter hatte eS ein paarmal Hochwasser gegeben; aber eS war »ich, von Belang gewesen, nur drüben am anderen Ilfcr war ans einer Hallig eine Herde Schafe ertrunken und ein Stück vom Vorland abgerissen worden; hier an dieser Seite und am neuen Kooge war ein nennenswerter Schaden nicht ge- schcben. Aber in der letzten Nacht batte ein stärkerer Sturm getobt; jetzt mußte der Teichgraf selbst hinaus und alles mit eiacncm Aug besichtigen. Schon war er unten von der Südost ecke aus ans dem neueil Deich hernmacrittcn, und es war alles wohl erhallen: als- er aber an die Nordostecke gekommen war. dort, wo der neue Deich auf den alten stößt, war zwar der erstcre unversehrt, aber wo früher der Priebl den alten erreicht hatte »nd an ihm entlang geflossen war, sah er in großer Breite die Grasnarbe zerstört und sortgerisien und in dein Körper deS Deiches eine von der Flut gewühlte Höhlung, durch die über dies ein Gewirr von Mäusegängen bloßgelegt war. Hanke stieg vom Pferde nnd besichtigte den Schaden in der Nähe: das Mäuse- Unheil schien uiiverK-mibar noch unsichtbar weiter f-»tz»lauscn. Er erschrak heftig; aegcn alles dieses hatte schon beim Bau k«s neuen Deiches Obacht genommen werden müsse-, da eS da- u al>: ,' I-ccltbcn worden, so mußte eS jetzt ,-lch'«b:n! — DaS Vich wa- noch nickt ans den Fen.iei, ^>s Gras war nngen-al-nt zi-rü.ckaeb'n-hen, wohin er blickt-.', cs sab ihn leer u.id öde an. Er bestieg wieder sein Pferd »nd ritt am Ufer hi» und her: eS war Ebbe, nnd er aewahrte wohl, wie der Sckrom von au--e>' her sich wieder ein neues Bett im Schlick gewühlt hatte nnd setzt von Nordosten ans den alten Deich gestoßen war: der neue aber, soweit cs ihn traf, batte mit seinem sanfteren Profil« »ein An prall widerstehen können. Ein Hansen neuer Blag und Arbeit erhob sich "or der Seele des Deichgrifen: nickt nur der alte Deich mußte hier ver stärkt. auch dessen Profil dem deS neuen angcnähert werden; v"r allen, aber mußte der als gefährlich wieder ausgetretene Prichl durch neu zn leaende Dämnie oder Lahnungen abac- leitet werden. Noch einmal ritt er ans dem neuen Deich bis an die äußerste Nvrdwestecke. dann wieder rückwärts, die Angen unablässig ans das ne» aewüblte Bett des Priehlcs heftend, der ibm zur Seite sich deutlich genug in dem bloßgclegtea Schlick- grnnd abzeichnete. Der Schimmel drängte vorwärts »nd schnob und schlug mit den Vorderbufen; aber der Reiter drückte ihn zurück, er wollte langsam reiten, er wollte auch die innere Un ruhe bündigen, die immer wilder in ihm aufgor. Wenn eine Sturmflut wiederkäme — eine, wie 1855 dage- wcsen. wo Gut nnd Menschen ungezählt verschlungen wurden — wenn sie wiedcrkäme, wie sie schon mehrmals «inst erklimm«« wart — Ein heißer Schauer überrieselte den Reiter — der alte Deich, er würde den Stoß nicht auShalten, der gegen ihn heranf« schößel Was dann, was sollte dann geschehen? — Nur eines, ein einzig Mittel würde eS geben, um vielleicht den aue» Koog und Gut und Leben darin zu retten. Hauke fühlte sein Herz still stehen, sein sonst so fester Kopf schwindelte; er sprach cs nicht auS. aber in ihm sprach es stark genug: Dein Koog, dcr Hauke-Haienkoog müßte preisgegeben und der neue Deich durch stochen werden I Schon sah er im Geist die stürzende -Hochflut hereinbrechcu und GraS und Klee mit ihrem salzen schäumenden Gischt be decken. Ei» Spornstpcich fuhr in die Weichen des SchimiiiciS, und einen Schrei ausftohend, flog er auf dem Deich entlang »ul» dann den Akt hinab, der Deichgräflichen Werste zu. Den Kopf voll von innerem Schrecknis und ungeorducwu Plänen kam er nach Hause. Er warf sich in seinen Lehnstuhl, und als Elke mit der Tochter in das Zimmer trat, stand er wie der auf und hob das Kind zu sich empor und küßte cs; dann jagte er das gelbe Hündlein mit ein paar leichteil Schlägen von sich. „Ich muß noch einmal droben nach dem Krugl" sagte er nnd nahm seine Mütze vom Türhaken, wohin er sie eben erst ge< hängt hatte. Seine Frau sah ihn sorgvoll an: „Was willst du dort? ES wird schon Abend, Hauke!" „DcichgcschichtenI" murmelte er vor sich hi», „ich ticsse von den Gevollmächtigten dort." Sie ging ihm nach nnd drückte ibm die Hand, denn er war mit diesen Worten schon zur Tür hinaus. Hauke Haien, d^r saust alles bei sich selber abgeschlossen hatte, drängte eS etzt, cm Wort von jenen zn erhalten, die er sonst kaum eine? Anlcstl wert gehalten hatte. Im Gastzimmer traf er Oie Peters mit zweien der Gevollninchtigten nnd einem Kcogscinwohiier am Kartentisch. „Du kommst wob! von draußen, Deichgras?" snme der crstere, nahm die halb ausgcteillen Karten aus und warf sie wieder hin. ,Ja, Oke," erwiderte Hanke, „ich war dortl cs sieht übet aus." „Nebel? — Nun, ein paar hundert Soden und eine Be- stickung wird'S wohl kosten, ich war dort auch am Nachmittag.* „So wohlfeil wird'S nicht abgchcn, Ole." erwiderte dcr Deichgraf, „der Priebl ist wieder da, nnd wenn er jetzt auch nicht von Norden auf den alten Deich stößt, so tut er'S doch von Nordwesten!" ^ . „Du hätl'st ihn lassen sollen, wo du ihn fandeftl sagte Ol« trocken. (Fortsetzung solat l