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Deutscher Reichstag. Sitzung vom 4. Dezember 2 Uhr 16 Minuten. Das Gesetz über die Verlängerung der Gültigkeitsdauer deS Gesetzes betr. die militärische Strafrechtspflege im Kicmtschougebiet wird in erster und zweiter Lesung ohne Debatte angenommen. Sodann folgt der Bericht der Budgetkommission über Petitionen von Post- und Telegraphenbeamten und wird durch früher beschlossene Resolutionen für erledigt erklärt. ES folgen sodann die Berichte über 23 Petitionen. Darunter wird eine Petition betr. Festlegung des Osterfestes de« Kommissionsantrag der Regierung als Material über wiese«. Bei einer Petition betr. Ausdehnung der Bestim mungen der Gewerbeordnung auf Gärtnereien beantragt Abg. Behrens (Wirtsch. Bereinig.) entgegen dem An- trage der Kommission auf Ueberweisung als Material: Ueberweisung auf Berücksichtigung. Der Antrag wird ab gelehnt und die Petition entsprechend dem Kommisstons autrag erledigt. Petition des Fischereiverba,»des von Neupommern und Rügen um Einführung eines Schutzzolles auf frische Fische und Heringe. Die Kommission beantragt Uebergang zur Tages- »rdrmng, was nach kurzer Debatte angenonimen wird. Eine Petition betr. Nachzahlung verjährter Pensions beträge wird von der Tagesordnung abgesetzt, die übrigen Petitionen, sämtlich ohne allgemeines Interesse, werden ohne Debatte nach den Anträgen der Petitionskommission erledigt. 86 folgen Rechnungssachen und Etatsübersichten: si- werden ohne Debatte erledigt. Zweite Lesung des Gesetzentwurfes betr. Eisenbahn baute« im ostafrikanischen Schutzgebiet. Reichsschahsekretär Wermuth: In ihrer Budget kommission ist die Frage gestellt worden, ob die Finanzlage deS Reiches eine Mehraustvendung für die Tanganikabahn gestattet. Anknüpfend daran hat sich eine kurze Debatte uber die Neichsfinanzen angeschlossen. Ich sehe mich ver anlaßt. hierauf zurückzukommen, nicht nur, weil die i- tungsberichte über unsere in der Kommission abgegebenen Erklärungen sämtlich ungenau waren (hörtl hört!), sondern auch weit ungünstige Darstellungen über den Etat von 1918 verbreitet worden sind. (Hört! hört!) Es ist gewiß jedermanns gutes Recht, den Finanzen ein bedrohliches Horoskop zu stellen. Aber man darf dies nicht deshalb, weil man mit der Finanzreform von 1909 nicht einver- standen ist. Bei Beurteilung dieser Frage dürfen nicht Partei-, sondern allgemeine Rücksichten maßgebend sein. Wir haben ein dringendes Interesse daran, das Vertrauen zu sehen, wo sie begründeten Anspruch darauf hat, als gut und vollwertig angesehen zu werden. (Sehr richtig! rechts und im Zentrum.) Ich gestatte mir deshalb und nur des halb zu erklären, daß wir Aussicht haben, die Gesundung der Reichsfinanzen mehrere Jahre früher zu erreichen (leb haftes hört! hört!), als man allseitig vorgesehen hat. (Er neutes lebhaftes hört! hört! rechts und bei der Mehrheit, Unruhe und Rufe bei den Sozialdemokraten.) Das zeigt sich ganz deutlich schon aus dem Stande der Anleihen. Mit dem Jahre 1909 ist die Reick)sanleihe jedes Jahr in Stufen von 60 Millionen Mark herabgegangen (hört! hört!), und es darf angenommen werden, Laß sie auch im Jahre 1912 von dein gegenwärtigen etwa 100 Millionen Mark be tragenden Stand wiederum um eine gleiche Stufe herab gestaffelt wird. (Hört! hört!) Damit sind wir dem Ziele, das uns gesteckt ist, überaus nähe gekommen. Wie man den in dieser Zifferreihe sich doch zweifellos ausdrückenden Er folg in sein Gegenteil verkehrte, und wie man hat davon sprechen können, daß der Etat für 1912 nur durch einen PuMP balanciert werden könne, ist mir unerklärlich. (Sehr gut! bei der Mehrheit.) Sie wollen sich aus dem Finanz- gssetzentwurf vom 3. Novenrber 1908 davon überzeugen, daß man in jener Zeit eine wesentlich höhere Anleihe für die Jahre 1909 bis 1912 befürchtete, als sie nunmehr in die Erscheinung getreten ist. Man war damals geradezu ge zwungen, mit erheblich höheren Beträgen zu rechnen. Denken Sie an die unglückseligen Jahre vorher, da so große An leihen ausgenommen worden waren, daß noch Jahre lang eine Last verbleiben mußte, so daß diese Weiterbelastuug des außerordentlichen Etats auch auf die Schuldentilgung späterer Jahre wirken mußte. Bei -er Schuldentilgung ist uns die tatsächliche Entwicklung nachdrücklich zu Hilfe gekommen. Was die Etats für 1910 und 1911 zu wünschen übrig ließen, haben die Ueberschüsse nachgeholt. Wir hatten 1910 einen Uebcrschnß von 117,7 Millionen Mark (hört! hört!) und der Etat für 1911 wird dahinter nicht Zurück bleiben. (Lebhaftes hört! hört!) Rechnen Sie nun die beiden Jahre 1910 und 1911 zusammen, so ergibt sich, daß hier in beiden Jahren die Schuldentilgungsbeträge im vollen Maße, wie sic im Etat standen, zur wirklichen, nicht bloß zur scheinbaren Milderung der Neichsschuld geholfen haben (hört! hört), während die beiden Anleihen durch Ueberschüsse und sonstige Verbesserungen des Etats aus der Welt geschafft worden sind. (Lebhafter Beifall und hört! hört! bei der Mehrheit, große Unruhe und erneute Zurufe: Wahlrede! bei den Sozialdemokraten.) Es ist keine Wahl rede, es ist nur eine Verwarnungsrede zur Feststellung da- für, daß die Finanzen gebessert werden. Ich habe durch niein bisheriges Verhalten keinen Anlaß für eine derartige Vermutung gegeben. Wir haben weder für 1910 noch für 1911 irgend eine Anleihe zip begeben gehabt. (Hört! hört!) Die angekauften Beträge sind höher als die ausgegebenen und außerdem hat -sich unser Fonds für unverzinsliche Schatzanweisungen ganz erheblich vermindert, und endlich sind wir in der Lage gewest m, für die verzinslichen Schatz- anweisnngen einen Teil, näi nlich 40 Millionen, nicht zu ver längern, sondern bar einzul, ksen. (Hört! hört, Bravorufe.) Rechnen Sie diese Beträge zusammen, so ergibt sich eine Verminderung des Schuldei »bestandes, die fast genau den Schuldentilgungen entspricht, die 1910 und 1911 eingesetzt »norden sind. Da man die stnrtschastliche Entwicklung des nächsten Jahres nicht voraus sehen kann, muß man Vorsicht und Nüchternheit wahren, ai ich das steht fest, daß »vir für 1912 mit erheblich steigende»» Zoll- und Steuereinnahmen zu rechnen haben, ebenso wc irden die Nettoeinnahmen für Post rind Eisenbahnen steige» i. Schließlich werden »vir an den 80 Pfennigen Matrikularbeiträgen sesthalten. keine Unsicherheit bestehen, so müssen wir au der wirtschaft sesthalten, um nicht wieder in ein Wirtschafte« von einein Jahr ins andere zu kommen. Darauf beschränke ich mich einstweilen. Es lag »nir nur daran, im allgemeinen zu zeigen, daß die Finanzen sich nach »nie vor auf gute«, Wege befinden. Noch einen kurzen Ruck haben wir «Lti,, und die Hauptaufgabe ist getan. Sie wird solange von Nutzen sein, als wir mit eiserner Kraftanstrengung auf de«» bisherigen Wege bleiben. Ich kann, um auf den Gegen stand der Tagesordnung zurückzukommen (Heiterkeit Ihnen »nit gutem Gewissen die Vorlage empfehlen. ».Leb- Hafts Bravorufe bei der Mehrheit, Unruhe und Lachen links.) Abg. Erzberger (Ztr.): Mit Dank haben wir diele tatsächliche Feststellung des Staatssekretärs eutgege«ge> nommen. Ter Vorwurf, er habe eine Wahlrede gehalten, ist völlig unbegründet. Wir sind ihm dankbar dafür, daß er objektives und unbedingt einwandfreies Material zur Widerlegung der Zeitungsbehauptungen gegeben hat, daß die Reichsfinanzreform Fiasko gemacht habe. Daß der Schatz sekretär Geld hat, beruht darauf, daß er kein Geld a«S gibt, ohne Deckung zu haben. (Beifall im Zentrum.) Abg. Dr. Paas che (Natl.): Wir sind dem Ichatz- sekretär dankbar dafür, daß er klipp und klar die Verhält nisse uns dargelegt hat. Daß die Finanzen günstig sind, hat uns alle gefreut in das Loblied Erzbergers auf die RetchS- finanzreform eiuzustimmen, haben wir aber keinen Anlaß. Daß auch ohne Finanzreform eine Besserung der Finanzen steigen »nüsse, hat seinerzeit das Zentrum stets betont. Abg. Gotheiu (F. Vpt.): Wir werden für die Vor lage stimmen, wie »vir stets für schnelle Erschließung de« Kolonien durch Eisenbahnen eingetreten sind. Die Finanz- debatte ist bei den Haaren herbeigezogen worden, ob di« Haarkünstler auf der Regierungsbank oder im Zentrmn sitzen, lasse ich dahingestellt sein. (Heiterkeit.) Bet der Be willigung von />20 Millionen Mark neuer Steuern muD natürlich etwas mehr einkommen. Nach meinen Berech nungen sind die Ergebnisse um 190 Millionen Mark hinter dem zurückgeblieben, was geplant wurde. Redner geht auf die Erträgnisse der einzelnen Steuern ein Reichssckiahsekretär Wermuth: Der Vorwurf, datz ich eine Wahlrede gehalten habe, ist vollständig hinfällig. Die erste Bemerkung über die Finanzreform ist nicht von meiner Seite gefallen: ich war indessen genötigt, Ver wahrung einzulegeu gegen die Darstellungen, die in letzter Zeit häufiger über unsere wirtschaftliche Lage laut geworden sind. Das wird mir uieniand verdenken. Das »var nöti» in» Interesse der Festigkeit des Reichskredits sotvie im Interesse unseres Ansehens »»ach innen und nach außen. Die Festigkeit unseres Kredits muß ich ohne Rücksicht auf Parteiinteresscn wahren. Aus meinen Besprechungen geht hervor, daß die Steucrergebnisse durchaus zufriedenstellend gewesen sind. (Hört! hört!) Daß die Gesamtbeträge nicht schon i»n ersten Jahre voll eingehen würden, haben wir von vornherein angenommen. Abg. Zietsch (Soz.): Das Prinzip „Anleihen für »verbende Zwecke" ist uns sehr sympathisch, wir glaubep aber nicht, daß es durchgeführt »verdcn kann. Die nächste — 84 — Baron, das »vissen Sie — na also: seid glücklich, glücklich! Meinen Segen habt ihr!" Er drückte erste Alice, dann Weißenhofen an sich und küßte sie «us die Wangen. „Ach, du lieber, goldiger Papa! . . . Und jetzt müßt ihr gleich „du" zu einander sagen." „Natürlich," rief Bergnrann, währe»»- Weißenhofen einen gelinden Stich - i« der Herzgegend empfand. „Ich bin für baldige Hochzeit," erklärte Bergmann, „lange Brautschaft ist nichts. Und jetzt wollen »vir auf euer Glück anstoßen." Er füllte die Gläser »nit Sekt und sie stießen an, lachten und tranken. Eine kleine Vorfeier der Verlobung sollte heute noch stattfinden, ganz im engsten Kreise. Bergmann schrieb die Einladungskarten: an den Pfarrer rmd Bürgermeister und an die höheren Beamten seiner Fabrik. Nur das Souper für den Abend machte etwas Schwierigkeiten: es sollte dem Namen Bergmann Ehre machen. Es stellte sich indes heraus, daß es an Sekt fehlte. Aber Bergniann wußte Rat. „Wozu habe ich denn mein Auto? Ich fahre einfach in die Residenz, laß »nir einen Korb Sekt einpacken und dringe gleich das Diner für zehn Personen mit. Na — was sagt ihr dazu?" „Das ist doch unmöglich!" rief Weißenhofen. „Es ist sechzig Kilometer in die Residenz —" „Bah," sagte Bergmann mit einer großartigen Handbewegung, „da» machen wir in drei Stunden. Es ist jetzt dreiviertel zu drei — um halb acht wird soupiert. Wetten wir?" „Zum Kuckuck — ja!" rief Weißenhofen, den es ärgerte, Laß Bergmann s« schwadronierte. „Bon - es gilt einen braunen Lappen: tausend Reichsmark. Ich ge winne, todsicher!" Er entfernte sich, um in Eile die Vorbereitungen zu treffen. Weißen- h«fen schüttelte den Kopf. „Das ist zu toll," sagte er. „In drei Stunden in die Residenz und wieder zurück. Wo doch ein Bahnzug zwei Stunden hin «-braucht." „Du vergißt, daß ein Auto keinen Aufenthalt hat," sagte Alice. „Und bei gutem Wege ist da« gar keine übermäßige Leistung. Unter fünfzig Kilo meter die Stunde fährt kein anständiger Mensch und ein Rennwagen macht pro Stunde seine hundertzwanzig und hundertdreißig. Du wirst voraus- sichtlich die Wette verlieren. Wird dich das kränken?" „Nein," lachte Weißenhofen, „nicht im geringsten. Denn ich habe ja dich gewonnen — das ist Glücks genug für einen Tag!" Schlag drei hielt die „Weiße Alice" vor der Villa. Der Chauffeur unter suchte nochmals Pneumatik und Benzinbehälter und trat dann zu Bergmann, »er in Gummimantel, die Schirmmütze auf dem Kopfe, auf der Freitreppe stand. „Zur Abfahrt fertig!" „Gut," sagte dieser und reichte dem Brautpaare die Hand. „Adieu!" Er wollte selber fahren und nahm den Platz des Chauffeurs ein, faßte den Hebel, setzte den Fuß aufs Pedal und drehte die Kurbel. Der Wagen setzte sich langsam, mit lautem Rattern in Bewegung. „Auto Heil!" rief Alice und schwenkte ihr Taschentuch. >luto Heil!" gab Bergmann zurück, , — 81 — Als Iris eben eintreten wollte, kam der dreizehnjährige Rudi, ein schlan- :ker, gescheiter Bursche, um dis Hausecke und trug einen ganzen Arm voll Schneeballen herbei, der in dem bevorstehende»» Kampfe als Wurfgeschosse benutzen wollte. Iris hatte den kecken Knaben gern u,»d ging auf seine oft recke abenteuerlichen Gedanken ein. Sie lachte ihm zu. „Nun Rudi, was habt ihr Jungen denn heute vor? Eine große Schlacht? Einen Feldzug?" Rudi nahm eine feierliche Haltung an. „Das Ldriegsbcil ist ausgegraben zwischen den Apachen und den Hunden von Sioux. Winnetou, der große Apachenhäuptling, wird über diese Coyoten wie ein Blitzstrahl niederfahren und sie in -je ewigen Jagdgründe schicken. Winnetou hat gesprochen. Howgh!" Iris machte erstaunte Augen. „Ei der tausend, so habe ich also die Ehre Winnetoi», den berühmten Apachenhäuptling vor mir zu sehen?" Rudi richtete sich stolz in seiner ganzen jungen Größe empor. „Die we»tze Prärieblume sagt es. Will sie in meinen Wigwam treten?" Der Schalk lachte aus Iris Augen Sie grifs schnell nach den Schneeballe»» und sprang ein paar Schlitte zurück. „Aufgcpaßt, Winnetou! Die „Weiße Piärieblume" verteidigt sich." Und die weißen Bälle flogen — einer an Rudis Schulter»», der andere riß ihn» die Mütze vom Kopfe. Rudi war einen Augenblick sprachlos. Dann regte sich die Kampflust in ihm. Ohne sich um die lerloeens "Skalplocke., zu kümmern, griff er nach seinen Bällen und ließ sie wohlgezielt auf Iris' Rücken sausen. Der Schnee stob um sie. Der feine, weiße Staub überschüttete Haar und Schultern: ihre Augen leuchteten, Helles Rot färbte ihre Wangen. Etwas wie Jugendübermut kam über sie und sie griff mit beiden Händen in den weichen Schnee, formte die Bälle und erwiderte die dahersausenden Geschosse. Rudi fiel aus seiner feierlichen Nolle und jauchzte laut, so oft ein vast traf — und das geschah fast immer. „Fräulein Iris," rief er. „wehren Sie sich! Ich werde Sie ganz einhllllen wie einen Schneemann. Hurra! Hurra!" Und vor den sausenden Bällen des starken Knaben mußte sie flüchte«: er trieb sie vor sich her, immer weiter ins Feld hinaus, bis sie keinen Ausweg mehr sah. Der Rückweg war ihr durch Rudi abgeschnitten. Da ersann sie eine List. Sie sank ins Knie, ms ob sie sich geschlagen fühle, raffte aber »nit beiden Armen den Schnee um sich her zusammen. Rudi stürmte daher, voll Siegesjttbel — jetzt wieder ganz Winnetou. „Die „Weiße Blume der Prärie" ergibt sich dein Häuptling der Apachen: er wird sie fesseln und in seinen Wig wam führen." Seine feuerroten Hände wühlten in den Taschen, um einen „Lasso" zu suchen, und wenn es nur ein Stückchen Bindfaden wäre. Aber das wurde sein Verderben. Die „weiße Prärieblume" schleuderte ihm den Schnee ins Gesicht, daß Augen und Mund damit verklebt waren, und eilte an ihm vorüber, den» Hause Wicks zu, damit das tolle Spiel ein Ende nehme. Rudi stand verblüfft, spuckte und schluckte, lief dann in großen Sprüngen hinter ihr her und stieß sein Kriegsgeschrei auS . . . Iris trat in die Stube, wo sich ein bleiches Gesicht aus den Kissen hob. „Verzeiht, Frau Wick," sagte sie, „ich kann jetzt nicht helfen. Rudi und ich haben uns eine Schneeballenschlacht geliefert. Und ich bin besiegt." Sie sank lachend auf einen Stuhl und trocknete sich das Gesicht.