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Sächsischer Landtag. Dresden, den 8. November 1911. Die Zweite Kammer hielt heute vormittag ihre zweite öffentliche Präliminarsitzung ab. Am Ministertische bemerkte nian die Staatsminister DDr. Beck und v. Seyde- witz, später auch Dr. v. Otto und Freiherr v. Hausen. Präsident Dr. Vogel eröffnet die Sitzung und macht zunächst auf die einschlägigen Bestimmungen des Landtags gesetzes betreffend die Präsidentenwahl aufmerksam, um dann die Präsenzliste durch Namensaufruf festzustelleu. Abg. Hettner (Ntl.) schlägt dem Hanse die Wieder wahl des bisherigen Präsidenten Dr. Vogel vor, der sich in der letzten Landtagssession außerordentlich bewährt habe. Bei der Wahl fielen auf Dr. Vogel 35 Stimmen, auf den Abg. Fräßdorf 25 Stimmen, während 28 weiße Zettel abgegeben worden waren. Dr. Vogel war somit znm ersten Präsidenten der Zweiten Kammer gewählt. Präsident Dr. Vogel dankt allen denen herzlich und aufrichtig, die ihm bei seiner Wahl ein volles Vertrauen entgegengebracht haben. Trotz der großen Schwierigkeit der Lago sehe er es als seine Pflicht an, das gewiß nicht leichte Amt zu übernehmen und die Wahl anzunehmen. Er werde es für seine Pflicht halten, die Würde und Ehre des Hauses zu wahren, strengste Unparteilichkeit walten zu lassen und nach besten Kräften bemüht sein, die der Zweiten Kammer gestellten Aufgaben nach Möglichkeit einem guten Ende znzuführen. Wenn diese Ziele erreicht werden soll ten, dann bedürfe er auch der Unterstützung aller und richte deshalb die dringende Bitte an die Kammermitglieder, ihm ihre Unterstützung und Nachsicht zuteil werden zu lasse». Wohl alle, die hier im Hause versammelt seien, seien es den Interessen des Landes und der Kammer schuldig, daß die Aufgaben ordnungsmäßig gelöst werden. (Lebhaftes Bravo!) Hierauf Vorschrift die Kammer zur Wahl des ersten und zweiten Vizepräsidenten. Abg. H.e t t n c r (Ntl.) schlug den bisherigen ersten Vizepräsidenten Geheimen Hofrat Opitz und den bisherigen zweiten Vizepräsidenten Kaufmann Bär zur Wiederwahl vor. Nach allgemeiner parlamentarischer Sitte würde für einen der Posten des Vizepräsidenten auch die sozialdemo kratische Fraktion mit in Frage kommen. Diese sei befragt worden, ob sie alle verfassungsmäßigen Verpflichtungen der Mitglieder des Präsidiums erfüllen wollte, lieber diese Frage bestehe eine Meinungsverschiedenheit zwischen der nationalliberalen und der soziademokratischen Fraktion. Die nationalliberale Fraktion stehe auch heute noch auf dem gleiche» Standpunkte wie vor zwei Jahren und auch die Sozialdemokraten hätten erklärt, daß sie auch heute noch bei ihren früheren Ansichten beharren. Abg. Schulze (Soz.): Die sozialdemokratische Frak tion beanspruche wie vor zwei Jahren einen der beiden Vizepräsidentensitze und sei bereit, alle hiermit verbunde nen verfassungsmäßigen Verpflichtungen zu übernehmen, mit Ausnahme derjenigen, die soeben vom Abgeordneten Hettner interpretiert worden seien. Er schlage deshalb den Abgeordneten Fräßdorf als zweiten Vizepräsidenten vor. Die nun erfolgende Wahl ergab 33 Stimmen für den bisherigen Vizepräsidenten Opitz, 27 Stimmen für den Abgeordneten Fräßdorf und 28 weiße Zettel. Präsident Dr. Vogel konstatiert, daß der bisherige Vizepräsident Opitz wiedergewählt sei und fragte denselben, ob er bereit sei, die Wahl anzunehmen. Abg. Opitz (Kons.) dankt allen denen, die ihre Stimme für ihn abgegeben haben. Er sei jedoch nicht in der Lage, das Amt anzunehmen, weil die konservative Fraktion nach einem einmütig gefaßten Beschlüsse darauf verzichtet habe, im Präsidium vertreten zu sein. Abg. G ü nthe r (freis.) beantragt angesichts der Lage, die Sitzung auf eine halbe Stunde zu vertagen, damit sich die Parteien besprechen könnten. - Abg. Hettner (Ntl.) bedauert den Entschluß des Abg. Opitz. Die nationalliberale Fraktion habe durch ihre Abstimmung bekannt gegeben, daß sie gesonnen sei, in ein freundschaftliches Verhältnis mit den Konservativen zu tre ten, doch die konservative Fraktion habe dies nicht akzeptiert. Im Interesse eines gedeihlichen ZusammenarbeitenS der Kammer sei dies lebhaft zu bedauern. Abg. Opitz (Kons.) bemerkt, die nationalliberale Fraktion hätte diese Freundschaft für die Konservativen da durch betätigen können, daß sie der stärksten Fraktion des Hauses den ersten Präsidentensitz zugebilligt hätte, wie dies allgemeiner parlamentarischer Brauch sei. Abg. Hettner (Ntl.) entgegnet, daß von einem all gemeinen parlamentarischen Brauche nach dieser Richtung hin keine Rede sein könne. Dies sei auch den Konservativen bereits nachgcwiesen worden. Es bestehe aber der parla mentarische Grundsatz, daß man Männer, die sich in ihren Aemtern bewährt haben, nicht aus diesen vertreibe. Es würde eine allgemeine Mißstimmung hervorgerufen haben, wenn der bisherige verdiente Präsident Dr. Vogel nicht wie dergewählt worden wäre. Abg. Günther <freis.) bedauert gleichfalls die Er klärung des Abgeordneten Opitz und konstatiert, daß eine Verstärkung der konservativen Fraktion überhaupt nicht stattgefunden habe. Abg. Opitz (Kons.) bezweifelt, daß die von dem Abg. Hettner veranlaßte Debatte überhaupt einen Zweck habe. Auch die konservative Partei habe stets den Grundsatz hoch- gehalten, daß sie verdiente Männer nicht von ihren Plätzen verdränge. Dies habe sie in früheren Sessionen bewiesen. Die konservative Fraktion wolle auch durchaus die Ver dienste des bisherigen Präsidenten Dr. Vogel nicht schmä lern, doch müsse sie darauf bestehen, daß der stärksten Frak tion des Hauses auch der erste Präsidentensitz zugebilligt werde. Hierauf vertagte sich das Haus auf eine halbe Stunde Nach Wiederaufnahme der Verhandlungen schlug Abg. Günther zum 1. Vizepräsidenten den Abgeordneten Fräßdorf vor, da seine Fraktion für denselben stimmen werde. Die Wahl ergab folgendes Resultat: Fräßdorf 35 und Bär 25 Stimmen, außerdem wurden 28 Weiße Zettel abge geben. Der Abgeordnete Fräßdorf war somit zum ersten Vizepräsidenten gewählt. Abg. Brodaus (freis.) schlug den bisherigen zweiten Vizepräsidenten zur Wiederwahl vor. Tie Wahl ergab füc Bär 57 Stimmen sowie 28 weiße Zettel. Abg. Günther (freis.) schlug nuumehr zu Sekre tären die Abgeordneten Anders, Fleißner vor. Bei der Wahl wurden Abg. Anders mit 60 zum ersten und Abg. Fleißner mit 16 zum zweiten Sekretär gewählt. Außerdem wurden noch für Dr. Schanz 28 und für Dr. Mangler 27 Stimmen abgegeben. Zu stellvertretenden Sekretären wurden gewählt die Abgeordneten Dr. Roth und Hartmann. Dresden, den u.Nomn'ver 1911 Die Erste Kammer trat mittags 1 Uhr zu ihrer 1. öffentlichen Präliminarsitzung zusammen, der die Staatsminister Tr. v. Otto, Tr. Beck und v. Seydewitz bei- wohnte». Präsident Dr. Graf Bitzthu m v. E ck st ä d t gedachte des Ministers Tr. v. Rüdiger als Reorganisator der sächsi schen Staatsfinanze». Dann widmete er den verstorbenen Mitgliedern einen Nachruf. Hierauf begrüßte der Präsi dent den neuen Finanzminister v. Seydewitz und wünschte ihm für sei» Wirken Glück und Erfolg. Dann gedachte er noch der Internationalen Hygiene-Ausstellung, an deren Zustandekommen auch die Erste Kammer mitgewirkt habe. Nach dem glänzenden Gelingen des Unternehmens halte er cs für angebracht, dem genialen Veranstalter der Aus stellung den Ausdruck des Dankes und der Bewunderung zu zollen. Nach Mitteilungen schloß Graf Vitzthum v. Eckstädt dis Sitzung mit einem dreifachen Hoch auf den König. Mrche und Unterricht. Ic Der Kampf gegen den Priesterzölibat wird neuer dings von modernistischer Seite systematisch geführt. Die „Revue moderniste internationale" schreibt dazu: „Die Aktion gegen den Zwangszölibat der Priester wird seit einiger Zeit mit besonderem Nachdrucke betrieben. Man kann ohne Uebertreibung sagen, daß der größte Teil des süditaliemschen Klerus für die Idee der Priesterehe gewon nen ist (??), Dank besonders den Anstrengungen der napo- litanischen Modernisten, dis sich um die Zeitschrift „Vattaglie d'Oggi" gruppieren. Die Erfolge dieser Kam pagne konnten dem Vatikan natürlich nicht unbekannt blei ben. Darum untersucht die kirchliche Autorität genau, ob die Weihkandidaten etwa antizölibatären Tendenzen hul digen (!). Man ist sogar noch weiter gegangen: Entgegen den bisherigen strikten Gebräuchen hat der Apostolische Visitator in Neapel mehrere suspekte Diakons, die vor der Priesterweihe standen, laizisiert. In Frankreich hat das Werk des Abbö Delome „Der Klerus unserer Zeit und der Zölibat" eine große Verbreitung gefunden. Es wird dem nächst eine Volksausgabe von diesem Buche hergestellt und in mehreren tausend Exemplaren im französischen KleruS gratis verteilt. Die Broschüre des württemberger Geist lichen Siegfried Hagen gegen den Zölibat ist ins Tsche chische übersetzt worden. Die Prager Polizei hat diese Bro schüre zweimal beim dortigen Erzbischöflichen Ordinariat denunziert, und die Polizei in Graz hat die deutsche Aus gabe der Broschüre beschlagnahmt. Die Böhmische Revue „Volna Myslenka" (Freier Gedanke) veröffentlichte im tz — 164 — „Zwei herzige Jungen! Hör, wie sie jauchzen," sagte Lisa zu Trude. „Ich will sie rufen." „Nein, laß nur. Wir wollen lieber zu ihnen gehen. Wollen, wir? Ja? —" Sie gingen in den Garten. Auf dem Wege fragte Erich nach einem alten Bekannten — nach Baron Klingenberg. „O der" — lachte Trude, „der sammelt jetzt Witze und hilft Ada von Sternfeld, daß ihre Memoiren nicht gar zu trocken ausfalle». Sie schreibt nämlich an ihren Memoiren. Aber ich glaube, daß das nur ein Vorwand ist, — und daß die „ewige Braut", wie Klingenberg sie nennt, diesem über kurz oder lang nebst ihren Memoiren auch — ihre Hand reiclM wird." „Glücklicher Klingenberg I" rief Erich. „Dann kann Ada wenigstens dem Hause Sonnenberg nicht mehr gefährlich werden. Diese holde Dame war nämlich die Klippe, an der wir Sonnenbergs alle scheiterten." Sie lachten und gingen weiter. Da kamen ihnen Erichs beide Knaben mit heißen Wangen entgegen. Beim Anblicke der fremden Dame stutzten sie. ' Als ihnen die Mutter sagte, daß das ihre neue Tante sei — da waren sie erst etwas schüchtern, aber bald war das überwunden, und nach einer Stunde waren sie dicke Freunde. „Du mußt mit den Jungens bald zu uns kommen," bat Trude. „Wenn Großpapa die strammen Buben sieht — und wenn er hört, daß der blonde Schlingel da General werden will, dann ist er besiegt und das Herz hüpft ihm vor Freude. Was meinst du, Erich — dürfen sie kommen?" „Gern. Und Lisa auch." „Dann ist's gut. Wir beide — Lisa und ich — wir »vollen erst die Wege ebnen und freie Bahn machen. Dann, wenn alles so weit ist. mußt auch du kommen, Erich. Dann wird alles gut und wir feiern ein schönes Friedensfest." „Du lichter Friedensengel," sagte Erich bewegt, „du bringst unserem Hause Heil und Segen. Sei gesegnet!" Trude errötete. „Was machst du so viel Wesens aus meinem kleinen Dienste! Es ist das schönste Vorrecht der Frauen, zu versöhnen, was im Leben getrennt ist. die Gegensätze zu mildern, die Wunden zu heilen, die das Leben schlägt. Wie freue ich mich, daß wir einen frohen, Hellen Ausblick in die Zukunft haben! Haus Sonnenberg wird durch den Zusammenschluß seiner Glieder erstarken, blühen und zu neuem Ansehen gelangen. Für das Wahre, Edle und Gute wirkend, wird es Segen stiften im Lande. In seinen Martern aber sollen die köstlichsten Güter gehütet werden wie ein heiliger Hort: Friede und Liebe!" „Gott schütze und segne unser Geschlecht!" sagte Erich ernst. — Am Abend fuhr Trude heimwärts. In ernster, gehobener Stimmung schieden sie von einander, um fortan in regem, liebevollem Verkehr zu bleiben. Erich und Lisa sahen der Scheidenden nach und lächelten sich verständ nisinnig zu: Die »veiße Friedenstaube trug den FriedenSgruß vom neuen Geschlechte zum alten, schwebte als lichter Engel über „Haus Sonnenberg"! Ende. — 161 — In ernster Stimmung fuhren sie nach Hause. Der nächste Tag brachte neue Arbeit und neue Sorgen, aber auch neue Freude in ihrem Glück und in ihren Kindern. Eine Woche verging. Da fuhr eines Mittags ein eleganter Landauer an der Villa vor. Erich und Lisa saßen eben beim Kaffee auf der Terrasse unter dem rot- und weißgestreiften Zeltdache, und draußen im Garten spiel- tcn im Schatten der Bäume die Kinder. Da brachte der Diener die jlarte. „Trude von Sonncnbcrg," las Erich und beide sprangen zu gleicher Zeit auf. Erich lief dem Besuch entgegen. „Gnädige Frau, diese Freude . . ." Trude von. Sonnenberg stand in der Tür, schlank und fein und vor nehm, in Hellem Kleide und weißem Strohhütchen. Sie blickte ein wenig scheu auf den Fabrikherrn. Dann reichte sie ihm die Hand. „Ich weiß nicht, ob ich gelegen komme. Aber ich wollte nicht länger mehr warten, ich —" Sie errötete und blickte auf Frau Lisa. Einen Augenblick sahen sich die beiden in die Augen, dann gingen sie aufeinander zu, reichten sich die Hände und küßten sich auf die Wange. Trude setzte sich zwischen beide an den Tisch und sagte, sich zu Erich ncndend: „Ich Knne Sic seit lange, Herr von — Pardon: Herr Sonnenberg. Durch andere, von denen ich inr'iches aus Ihrem Leben gehört habe. So sehe ich es bedauerte, daß Sie Haus Som.enberg verließen, so schr bewundere ich Ihre Tatkraft und Ihren Mut, mit denen Sie aus den Trümmern des alten Lebens sich ein neues Glück bauten. Graf Wangenheini ist Ihr warmer Freund, im Grunde auch mein Mann, nur gesteht er es nicht ein." „Und mein Vater?" „Er spricht nie von Ihnen," sagte Trude langsam. „Aber neulich, nach der Begegnung bei dem Negimentsjubiläum, da fing er von selber davon an. Ich bin nämlich gewissermaßen sein Liebling —" „O — das begreife ich," sagte Erich galant, der aufs angenehmste er freut war von Trudes sympathischem Wesen. Trude lächelte und erhob abwehrend die Hand. „Bitte, keine Schmeick»e- leien! — Da erzählte er mir also von dem Zusammentreffen und — nun, ich will es nicht beschönigen — er wetterte gehörig über seinen ungeratenen Sohn — Pardon —" „O, ich bin wirklich aus der Art geschlagen," sagte Erich. «Ich sagte kein Wort, denn ich kenne seine Art. Wenn er in dieser Weise loswettert, dann reut ihm irgend etwas oder er hat eine Torheit be gangen, und dann muß ich ihn trösten. Diesmal aber habe ich den alten Herrn tüchtig zappeln lassen. Dann kam ein Brief von Herrn von Spitzberg. Als den Papa las, wetterte er wieder. — Am anderen Tage aber sagte er mir:: Du, Trude, ich bin mein Lebtag galant gegen Damen gewesen, die Ritterlichkeit steckt uns Sonnenbergs sozusagen in den Knochen. Und nun — das mit — mit seiner Frau, das war, glaube ich, nicht ganz taktvoll, was? — Und kurz und gut, nun klopfte er so ganz leise an, ob ich nicht mal herauS- fahren und ihn entschuldigen wollte. Nun, wie ich da froh gewesen bin! — „Aber daß du mit — mit Erich kein Wort verlierst!" rief er mir noch nach. Darauf bin ich natürlich nicht eingegangen — und nun bin ich da und bitte Sie, Frau Sonnenberg, dem alten Herrn zu verzeihen —" äil HauS Sonnenberg/