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Zuirites Blatt Bschsürke ^n^rk 2. Dezember 1H!0 Nr. 274 Deutscher Reichstag. Sitzung vom 30. November. 1 Uhr 20 Min. Die nachgesuchte Genehmigung zur Strafverfolgung deS Abg. Pachnicke wegen Uebertretung ortspolizeilicher Vorschriften (Dr. Pachnicke hatte sich als Kurgast nicht an gemeldet) wird von der Geschäftsordnungskommifsion ab gelehnt. Abg. Dove (Freis. Vp.) betritt mit sechs Büchern «usgestattet die Tribüne. (Heiterkeit.) Er schildert den Vorgang, damit keine falschen Gerüchte entstehen. Pach nicke soll für ein Dienstmädchen in Füssen die Kranken- kassenbeiträgs nicht bezahlt haben, aber man hat sie ihm nicht abgefordert. Der zweite Fall ist, daß Dr. Pachnicke sich in der Sommerfrische nicht angemeldet habe, wie es eine Polizeiverordnung von 1868 vorschreibt. Diese wird im Streit zwischen Regierung und Parlament um ein neues Stück bereichert. Abg. Dr. Arendt (Rp.): Ilnima non curat praotrerl muß es auch hier heißen. Wir bedauern, daß ein Mitglied des Reichstages durch einen solchen Antrag belästigt worden ist. Abg. Dr. Mayer-Kaufbeuren (Ztr.) schildert den Vorgang in seinem Wahlkreise in anderem Lichte. Der AmtSanwalt war einfach verpflichtet, den Strafantrag wei- , ter zu verfolgen; er hätte sich gegen 8 346 des Strafgesetz buches verfehlt und eine Straftat begangen, die mit bis zu fünf Jahren Zuchthaus bestraft wird. Die freisinnige DolkSpartei hat sich aber dagegen gewehrt, daß das Legali tätsprinzip durchbrochen werden soll (hört!), wonach solche Kleinigkeiten nicht mehr verfolgt werden. (Sehr gut!) Nach einer kurzen Bemerkung des Abg. Dove wird der Antrag angenommen. ES folgt die erste Lesung des Kurpfuscher- - e s e tz e s. Staatssekretär Delbrück: Der Entwurf sieht die Bekämpfung der Mißständc im Heilgewerbc vor; dann soll gegen das Geheimmittelwesen vorgegangen werden. Ge rade auf letzterem Gekieste sind viele Mißstände einge schlichen. Ich empfehle den Entwurf Ihrer wohlwollenden Prüfung. Abg. Dr. Faßbender (Ztr.): Der Inhalt des Ent wurfes entspricht nicht dem Titel, denn es soll nur ein Teil der Mißstände getroffen werden; ein allgemeines Vor gehen findet sich nicht. Bei aller Hochachtung vor dem «erztestande muß man sagen, daß auch hier sich Mißstände finden. Alle die Schattenseiten im Apothekerwesen werden nicht beseitigt und doch wäre hier Abhilfe geboten. Man geht jetzt nur gegen freie Personen vor, die die Heilkunst pflegen, gegen Naturheilknndige, Kneippianer usw. Das Examen schützt nicht vor Mißgriffen. Im Entwürfe ist zu bedauern, daß Menschen und Tiere in einem Gesetze ver einigt find. Für die sogenannten Kurpfuscher soll eine An meldungspflicht geschaffen werden. Aber werden dadurch die Mißstände beseitigt? Mit nichten! Ganz unhaltbar ist, daß man solchen Leuten Buchsührungszwang auferlegen will und daß man diese Bücher den Behörden zur Durch sicht vorlegen lassen muß; dadurch wird das Vertrauen der Kranken geschwächt. Abg. Hennig (Kons.): Die Vorlage hat sehr große Bedenken. (Sehr richtig!) Man darf die Nichtapprobierten nicht gänzlich unterdrücken. Für die Aerzte muß ein Kurierzwang eingeführt werden. Die Laienärzte darf man nicht über einen Kamm scheren. Abg. Zietz (Soz.) hat gegen den Entwurf ungemein starke Bedenken. Die Vorschläge gegen das Geheimmittel sind zu weitgehend. Die heutige Praxis hat ganz eigen tümliche Entscheidungen gezeitigt. Die heutigen Vorschrif ten sind vollkommen ausreichend. Der Rückgang an Ge burten hängt mit den wirtschaftlichen Verhältnissen zusam men. Kurpfuscher hat es immer gegeben und wird es immer geben; aber man darf nicht jeden Laienpraktiker als Kurpfuscher betrachten. Auch in der Neichsregierung hat sich das Kurpfuschertum schon stark geltend gemacht! (Hei terkeit.) Nach dem Entwürfe soll jeder Nichtarzt Kur pfuscher sein. Das ist eine Doktor-Eisenbart-Kur. Die ganze Naturheilkunde will man totschlagen und die Kurier freiheit beseitigen. Die Naturheilkunde muß in den wissen schaftlichen Betrieb der Universitäten ausgenommen wer den. Das Volk muß aufgeklärt werden über die Gesund heitspflege; man streiche dafür den Religionsunterricht in den Volksschulen, dann wird ein gesunder Geist entstehen, der für einen gesunden Körper sorgen wird (Beifall links.) Abg. Dr. Müller-Meiningen (Freis. Vp.): Wir haben sehr oft die gesetzliche Regelung dieser Materie ge fordert; aber im jetzigen Zeitpunkte hätte man uns nicht eine solche Vorlage unterbreiten sollen; das ist legislato rische Kurpfuscherei. Im ersten Teile des Entwurfes wird gegen die Laienpraktiker zu scharf vorgegangen; er geht viel zu weit. Der Bundesrat fordert zu viele Rechte für sich; das muß beschnitten werden. Auch im Geheimmittelwesen seien die neuen Vorschriften ganz ungenügend; die schlechten Mittel treffe man vielfach nicht, aber gute Hausmittel werden unterdrückt. Auch für die Presse seien die Vorschrif ten die reinsten Fußangeln. Direktor v. Jaquidres: Die Auffassung als handle es sich uni einen Gesetzentwurf zum Schutze der Aerzte, ist grundfalsch. Die Angriffe gegen die Aerzte werden von diesen selbst zurückgewiesen werden. Wir wollen die Volks gesundheit schützen gegen horrende Mißstände. Die Vor schriften des Gesetzes sollen nicht dazu führen, um den Kranken die nötige Hilfe zu versagen. Abg. Dr. Arning (Ntl.) polemisiert gegen Abg. Zietz. Die Angriffe auf die Aerzte seien unbegründet. Der Entwurf hält eine mittlere Linie ein. Die Kommission muß den Entwurf entsprechend ausgestalten. Abg. Höffel-Dr. (Np.) schließt sich dem Vorred ner an. Abg. Dr. Lattmann (W. Derg.): Ter Entwurf geht uns zu weit und unterdrückt auch berechtigte Bestrebungen. Das Haus vertagt die Fortsetzung auf Donnerstag 1 Uhr. Schluß V4? Uhr. Gemeinde- und Vereinsnachrichten. * Schirgiswalde. Wie sehr die hiesige katholische Be völkerung Interesse an den Bestrebungen der übrigen sächsischen Katholiken nimmt, zeigt die weite Verbreitung der „Sächsischen Volkszeitung" in unserem Ort. Die Zahl der bestellten Exemplare wird bekanntlich weit übertroffen durch die Zahl der Familien, in die sie Eingang gefunden. Auch der Preßverein hat manche Mitglieder am Ort, und sogar sehr viele, wenn man sie mit der Zahl der Mitglieder in manchen Großstädten Sachsens vergleicht. Doch soll eS in beiden Punkten noch immer besser werden, das haben sich besonders die Vertrauensmänner deS Volksvereins für das katholische Deutschland zum Ziele gesetzt. — Eine Zweig- stelle des B o n i f a t i u s s a m m e l v e r e i n s ist in Schirgiswalde neulich auch begründet worden. Möge eS ihrem eifrigen Vorsitzenden gelingen, recht viele Scherflein dem Vereine zuzuführenI 8 Bautzen, 29. November. Am konnnenden Sonntag abend veranstaltet wie alljährlich der hiesige Cäcilien verein in der Donikirche eine geistliche Musikaufführung, an die sich eine Segensandacht anschließt. 8 Lcipzig-Lindenau. (Katholischer Arbeiter verein.) Sonntag den 4. Dezember abends 7 Uhr Ver sammlung im Pfarrhaus mit Vortrag, darauf Besprechung der Weihnachtsfeier. Alle Mitglieder werden gebeten, zu erscheinen. Gäste sind herzlich willkommen. 8 Plauen. Am vergangenen Sonntag fand in der katholischen Pfarrkirche eine musikaliscl)e Aufführung deS hiesigen Cäcilienvereins statt. Das Programm umfaßte folgende Punkte: Orgelsätze: Introduktion und Passacaglia aus den Monologen von Max Reger; Chor gesang: Kyrie und Gloria aus der achtstimmigen Messe von Haller; Orgelsatz: Trauergeläute von Aug. Clausnitzer; Sologesang: „Gott sei mir gnädig" von Aug. Klughardt: Engelterzett, dreistimmiger Frauenchor von Aug. Klug hardt; Vater unser, achtstimmiger gemischter Chor von A. Höscheler: Tantum ergo von Haller; Präludium E-Moll von C. Bernecker. Durch den Vortrag des stimmungS- und wirkungsvollen Vater unser, „das für einen gut geschulten Chor berechnet ist", sowie auch der übrigen Gesänge, vor allem das Kyrie und Gloria, zeigte der Verein, daß er unter der bewährten Leitung seines verdienstvollen Dirigenten, des Herrn Bürgerschullehrers Nitzsche, den großen Anforde rungen gewachsen war, die das Programm stellte. Herrn Nitzsche gebührt aber nicht bloß als dem Leiter des Ver eins, sondern auch als dem Organisten der katholischen Ge meinde Plauens die Ehre des Tages. Denn der kunstvolle Vortrag der Orgelsätze hat ihm von seiten maßgebender Kritiker, die der katholischen Gemeinde fern stehen, nur reiches Lob eingebracht. —v— Kirche und Unterricht. Ir Ein Obcrkonsistorialpräsidrnt als Zeitungsschreiber. Ein Mann, der den Wert der Presse für Verkündigung des Evangeliums erkennt, scheint der oberste Geistliche der Protestanten Bayerns zu sein. Wir finden nämlich in der „Abendzeitung" Nr. 318 folgende Notiz: „Sch. Die Leser des „Evangelischen Sonntagsblattes für Bayern" wird es interessieren, daß die wöchentliche biblische Betrachtung in diesem von Beginn des neuen Kirchenjahres an von Herrn Oberkonsistorialpräsidenten — 48 — Frau Largeval richtete sich aber mit überraschender Heftigkeit empor, stieß ihn wild von sich und sagte: „Lassen Sie mich! Berühren Sie mich nicht!" Entmutigt wagte Georg nicht bei seiner Absicht zu beharren. Er sagte sich, daß seine Frau von einer so unbestechlichen Rechtschaffenheit und Ge- rechtigkeitsliebe sei, daß sie niemals einwilligen würde, einen durch Betrug gewonnenen Wohlstand mit ihm zu teilen. „Für sie und mein Kind begehe ich diese zweifelhafte Handlung, diese Unehrenhaftigkeit," sagte er sich im stillen. „Ich bringe ein schweres Opfer und verurteile mich vielleicht zu einem recht traurigen Leben. Schon empfinde ich eine namenlose Oual darob, daß ich ihr keinen Trost spenden kann, und daß ich für sie, wenistens im Anfänge, ein Feind, ein verhaßter Mensch sein werde." Laurenca gab sich rückhaltlos ihrem tiefen Schmerze hin. Witwe!... Sie war Witwe geworden!... Dieses Wort tönte ihr ohne Unterlaß in den Ohren. Ihr armer Georg war gestorben, ohne Zeit zu haben, sie zu um armen, von ihr Abschied zu nehmen. Hinter seiner Gattin stehend, wartete Georg geduldig, bis sie zu weinen und zu beten aufgehört. Endlich richtete sie sich empor, und zu dem vermeintlichen Schwager ge wendet, sprach sie: „Sie werden die Güte haben, Herr Largeval, den Leichnam im Laufe des Vormittags in meine Wohnung schaffen zu lassen." „Hören Sie mich an. Laurenca," gab Georg zur Antwort; „es wäre ani besten, wenn Sie alle Unannehmlichkeiten, Formalitäten und Aufregungen, die mit dem Begräbnisse Georgs verbunden sind, mir überlassen wollten." „Wie meinen Sie das?" „Es wäre besser, den Leichnam hier zu lassen und die erforderlichen Formalitäten hier zu erfüllen, derart, daß mein Haus für die Wohnung meines Bruders gelten könnte." „Sie wollen also, das Begräbnis möge von hier aus stattfinden?" „Dies wäre viel einfacher als die von Ihnen beabsichtigte Prozedur, «rd hätte noch den Vorteil für Sie, daß Sie das traurige Ereignis vor Genevidve geheimhalten könnten, so lange diese vom Fieber gequält wird." „Was soll ich ihr aber sagen, um ihr die Abwesenheit des Vaters zu »klären?" „Was Sie für gut finden. Vielleicht, daß Georg unerwartet eine Reise antreten mußte, die keinen Aufschub duldete." Laurenca vernahm seine Worte nicht einmal. Sie dachte an die ver letzte Tochter, und unwillkürlich kehrte sie zu dem Leichnam des Gatten zu rück, während ein neuerliches krampfhaftes Schluchzen ihren Körper er schütterte. „Nun, was meinen Sie?" fragte Largeval. „Ich glaube, daß Sie recht haben. Vielleicht — ja — handeln Sie nach eigenem Ermessen — ich will Sie nicht daran hindern . . ." Und damit kehrte sie zu dem Sofa zurück, vor welchem sie langsam nicherkniete, um zu beten. — 45 — Will sic nichts davon wissen, so habe ich zu mindest Zeit gewonnen. Wie wird sie mich aber empfangen! Sie stand mit Remi auf sehr schlechtem Fuße. Seit fünf Jahren weigert sie sich hartnäckig, ihm einen Besuch abzu statten, und gestattet auch Gencviöve nicht, ihren Onkel zu besuchen." Er wollte das Zimmer verlassen, wurde aber von einem neuerlichen Zögern erfaßt. „Noch ist es Zeit, zurllckzutreten," sagte er sich. Doch im nächsten Moment hatte er seinen Hut genommen, ohne daran zu denken, daß er den seines Bruders nehmen mußte. Zum Glück wurde er noch rechtzeitig seines Irrtums gewahr, und nachdem er denselben gut ge macht, verließ er den Pavillon. Es war zwei Uhr morgens, als er an das Fenster der Loge pochte, in welcher Pascalin schlief. „Oeffnen Sie, rasch!" rief er dabei aus. „Mein Bruder ist plötzlich ge storben; ich muß hinaus!" Der aus dem Schlafe emporgeschreckte Torwart wußte nicht recht, wo von die Rede sei, und öffnete mechanisch dad Tor. „Der Portier," sagte sich Georg, während er nach der Rue Hautefeuille schritt, „könnte nicht angeben, welcher der beiden Brüder zu ihm gesprochen hat. Sobald ich zurückkchre, werde ich wissen, ob ich Georg oder Remi Large val sein soll." Eine Viertelstunde später klingelte er an seiner eigenen Tür, und Lau renca, die bereits von tödlicher Angst verzehrt wurde, öffnete eiligst. „Sie sind es!" rief sie bei seinem Anblicke aus. Georg atmete auf; seine Frau hatte ihn nicht erkannt. Schweigend, mit düsterer, schmerzbewegter Miene trat er ein. Sein« ganze Haltung verriet, ohne daß er sich indessen hätte verstellen müssen, daß er eine schlechte Nachricht zu melden habe. „Wo ist mein Gatte?" fragte Laurenca angstvoll. „Liebe Laurenca," Hub er an, „Sie müssen stark und recht mutig sein." „Georg ist krank, vielleicht auch verletzt, am Ende gar schon tot?" „Bitte, sprechen Sie nicht so laut. Ich iveiß, daß Genevidve einen Un fall erlitt, und jetzt schläft sie gewiß." „Ja, sie hat ein wenig Fieber." „Sie wird noch immer früh genug von dem Unglück, welches unS be troffen. Kenntnis erhalten." „Aber was für ein Unglück? Wo ist mein Gatte? Weshalb haben Sie ihn nicht mit sich gebracht?" „Ach, meine liebe Schwägerin, Genevidve ist Waise geworden." „Waise!" schrie Laurenca auf. „Georg . . „Georg ist nicht mehr." „Er hat einen Selbstmord verübt?" forschte die Unglückliche angstvoll, und da diese Frage Largeval ein wenig außer Fassung brachte, fügte sie hinzu: „Er hat also nicht den Mut gehabt, das unser harrende Elend zu er- tragen, und unS, mein Kind und mich, ohne jedes Hilfsmittel zurück-