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Nr. L«8 LS. Jahrg. Donnerstag den 11. Mai 1916 Sächsische Geschäftsstelle und Redaktion r Dresden.A. 16. Holbcinstrahe 4« Fernsprecher 21366 Postscheckkonto Leipzig Nr. 14727 vezogspreiO, Ausgabe X mit tllustr. Beilage vierteljährlich S.IO In Dresden und ganz Deutsch land frei Haus S.SS m Oesterreich 4.4» X. «»«gab» S dierteljührli« 1.80 In Dresden und ganz Deutschland frei Haus SS» in Oesterreich 4.07 X. Linzel-Nummcr 10 Die Küchstsche VolkSzcitung erscheint an allen Wochentagen nachmittags. Anzeigen« Annahme von MelchilstSanzeigen bis 10 Uhr. von Familienanzelgen bis 1t Uhr vorm. Peel» sü, die Petit-Svaltzeile SO im Rekln, mctcil 80 gür undeutlich geschriebene, sowie durch Fern- svrechcr ausgegebcne iluzeige» können wir die Beranlworlltchkcit für die Richtigkeit des Texte» nicht übernehmen. Sprechstunde der Redaktion: I I—IS Uhr vorm. Organ der Jentrumspartei. Einzige Tageszeitung für die katholische Bevölkerung im Königreich Sachsen. Ausgabe ^ mit illustrierter Unterhaltungsbeilage und relig. Wochenbeilage Feierabend. Ausgabe k nur mit der Wochenbeilage. Rasputin ermordet? Rußland verhaftete schon 3 Tage vor Kriegsausbruch deutsche Beamte in Ostsibirien! Von einem uns Schlesien stammenden Ingenieur, der mehrere Jahre in Sibirien gelebt »nd an der Ver teidigung von Tsingtau als Kriegsfreiwilliger teilge nommen hat, ist, wie die „Schlesische Zeitung" berichtet, aus der japanischen Gefangenschaft ein Brief in die Heimat gelangt, der zu der Behauptung, das; Rußland seit langem den Krieg vorbereitet habe, ein weiteres wichtiges Beweisstück liefert. In dem Briefe heißt es: „Vor nenn Jahren war ich zuerst in Tsingtau Inge nieur auf der Kaiser! Gouvernementswerst. Dar nach nahm ich eine besser bezahlte Privatstellung an und arbeitete in Tordobina als Montageingenieur amerika nischer Dampfpflüge und aller Arten landwirtschaftlicher Maschinen. Später leitete ich den Bau einer Eisenbahn (Lokalbahn). Nach Erledigung dieser Arbeiten ging ich nach Sibirien und fand in kurzer Zeit Anstellung auf den Goldminen des Zaren in Transbaikalicn. Natürlich hatte ich inzwischen genügend russisch gelernt. Tie letztgenannte Stellung gefiel mir nicht recht und ich nahm eine pekuniär bessere Stellung in der Mongolei an bei einer russischen Goldminen-Aktiengesellschaft. Zwei Jahre später, in Si birien, begann ich selbständig zu arbeiten mit einem Kompagnon (deutschen Kaufmann). Am. 3 0. Juli l 9 1 4 , nachts, wurde mein Kompagnon (früher aktiver Soldat) von den Russen verhaftet und per Bahn „ver schickt", zusammen mit vielen andern Deutschen, die das gleiche Schicksal ereilt hatte. Ich selbst kam mit knapper Not.und dank meiner guten Kenntnis der russisch« „Me thoden" über die Grenze nach China und reiste nach Tientsin. Von da aus meldete ich mich freiwillig nach Tsingtau und erhielt den telegraphischen Bescheid vom Gouvernement: „Sofortige Abreise erwünscht." In Tsing tau meldete ich mich als Kriegsfreiwilliger und wurde taug lich befunden. Das Glück war mir hold und ich blieb un verletzt. Bei der llebergabe kam ich natürlich auch in japa nische Gefangenschaft. Hier beschäftigte ich mich sowohl mit technischen, als auch mit Sprachstudien. Ich bin Lehrer der russischen Sprache und habe dafür zwei Kurse einge richtet, den einen für Mannschaften und den andern für Offiziere, Teckoffiziere und Unteroffiziere. Außerdem habe ich noch das Amt eines Abtoilnngsführers." Dazu bemerkt die „Schlesische Zeitung": „Wenn die Russen in dem entfernten Sibirien schon drei Tage vor der deutschen Mobilmachung alle Deutschen verhaftet haben, so kann man daraus schließen, wie lange vorher sie alle Vorbereitungen für den Krieg mit den Zentralmächten getroffen hatten. Aus dieser wie ans andern schon ange führten Tatsachen ergibt sich die Fadenscheinigkeit ihrer Be hauptung, daß sie, zum Kriege gedrängt, ihn unvorbereitet hätten beginnen müssen." Kamerad Hindenburg Ans dem Osten schreibt man der „Königsb. Hart. Zeitung": Nach den großen Schlachten bei Kowno, als die Kraft der Russen vor ihrem großen Weichsclfestungsring durch Hindenburg endgültig gebrochen war, hatte der Kaiser seinen Besuch ungesagt, um seinem Feldmarschall persönlich für die neue große Tat zu danken. Alles erwartete des halb den Marschall, der vor solchen Besichtigungen durch den obersten Kriegsherrn erst selbst überall gern nach dem Rechten zu sehen Pflegt. Bald traf denn auch der Kraftwagen mit Hindenburg cin, und Hindenburg entstieg ihm, von Hunderten um jubelt. In ihrem Jubel vergaßen die Umstehenden, dem großen Heerführer Platz zu machen, so daß es ihm unmöglich war, sich einen Durchgang zu verschaffen. Da sprang ein sächsischer Landsturmmann heran, schrie mit Stentor stimme zwischen die Menge und machte dem Feldherrn den Weg zu dem Punkte frei, von wo ans man die großen Scharen der gefangenen Russen am besten übersehen konnte, die auch dem Kaiser gezeigt werden sollten. Der Marschall zog seine Zigarrentasche und hielt sie dem Landsturmmann als Anerkennung für sein entschlossene? Vorgehen hin. Ter einfache Mann zögerte. „Nehmen Sie, Kamerad," ermunterte ihn der Feld marschall, „Sie rauchen doch gewiß gerne!?" „Aber sehre, Exzellenz," stotterte der Sachse glücklich, wagte aber doch nicht, in die Tasche zu greifen. „Geben Exzellenz mich lieber selber eine," bat er schüchtern. Das Neueste vom Tage Lkl MlIiA llMk MMIU (W. T. B. Amtlich.) Großes Hauptquartier, 11. Mai 1016. Westlicher Kriegsschauplatz. Deutsche Flugzeuge belegten Dünkirchen und die Bahn anlagen bei Adinkerke mit Bomben. Auf dem westlichen Maasnfer griffen die Franzosen nachmittags beim „Toten Mann", abends südöstlich der Höhe 301 unsere Stellungen an. Beide Male brachen ihre Angriffe im Maschinengelvehr- und Sperrfeuer der Ar tillerie unter beträchtlichen Verlusten für den Feind zu sammen. Eine bayerische Patrouille nahm im Camard-Walde 64 Franzosen gefangen. Die Zahl der bei den Kämpfen seit dem 4. Mai um Höhe 304 geinachten uuverwundeten gefangenen Franzosen ist aus 53 Offiziere, 1515 Mann gestiegen. Auf dem östlichen Maasnfer fanden in der Gegend des Cailettewaldes während der ganzen Nacht Handgranatcn- kämpfe statt, ein französischer Angriff in diesem Walde wurde abgeschlagen. Oestlicher Kriegsschauplatz. Nördlich des Bahnhofes Selbnrg wurden 500 Meter der feindlichen Stellung erstürmt. Hierbei fielen 309 un- verwundete Gefangene in unsere Hand. Einige Maschinen gewehre und Minenwerfer wurden erbeutet. Balkan.Kriegsschauplatz. Keine besonderen Ereignisse. O b e r st e Heeresleit u n g. Rnsputin ermordet Berlin, 11. Mai. Laut „Bcrl. Lokalanz." berichten aus Petersburg in Bukarest eingetroffene Privattele- gramme, daß Raspntin, der Wnndermann am Zaren hofe, ermordet worden sei. Tie Nachricht sei um so wahrscheinlicher, als Nasputin zahlreiche Feinde hatte, die ihm seinen Einfluß beim Zaren neideten. (Wir haben am letzten Sonnabend über die Tätigkeit des Wundermannes berichtet.) Die Tabaksteuer fällt Nach verschiedenen Morgcnblättern wird in Reichstags kreisen angenommen, daß der Steneransschuß des Reichs tages heute die Tabaksteuer ablehnen, dagegen die Er- Höhung der Zigarettensteuer bewilligen wird. Das „Berl. Tagebl." schreibt: Das erwartete Kom promiß in den Steuerfragen ist noch nicht zustande gekom men. Fest steht einstweilen nur, daß die Zigarettenstener heute oder morgen im Ausschüsse endgültig angenommen werden wird. Ob dagegen der inzwischen eingegangene Antrag Müller-Fulda, der unter völliger Ablehnung der Tabaksteuer lediglich die schärfere Heranziehung der Ziga retten anstrebt, in dieser oder jener Form beschlossen wer den wird, ist noch völlig ungewiß. Trauung im Hanse Zeppelin In der Panluskirche in Darmstadt fand gestern die Trauung deS Grafen Ferdinand Zeppelin mit der Gräfin Mariette v. Alvenslcben statt. Der alte Graf Zeppelin, der Onkel des Bräutigams, wohnte der Trauung bei. Er wurde von dem zahlreichen Publikum lebhaft begrüßt. Nach beendeter Trauung umkreiste ein Zeppelinlnftschiff die Kirche. Der neue Blaubart Budapest, 10. Mai. Ein bei dem der Mordtat ver dächtigen Klempnermcister Bela Kies bedienstct gewesener Arbeiter ist in einem Krankenhause anfgefunden worden und soll morgen verhört werden. Eine Fra» Jakubek hat seinerzeit von Kiß ein Paket Briefe erhalten, die morgen von Gerichtswegen geöffnet werden sollen. Sie teilt ferner mit, sie habe von einem Bekannten des Kiß ans Serbien einen Brief erhalten, in dem sie als Frau des Kiß bezeich net und ihr mitgeteilt wird, daß Kiß in serbischer Gefangen schaft gestorben sei. Es ist erwiese», daß Kiß systematisch Frauenspersonen an sich lockte und nun höchst wahrscheinlich sich der ihm Lästiggewordenen auf mörderische Weise zu ent ledigen gesucht hat. Das schien dem Marschall Freude zu machen. „Nein, lieber Kamerad, hier, nehmen Sie, betrachten Sie mich ganz als Kameraden, nicht als Vorgesetzten, dieser bin ich vor getaner Arbeit: jetzt bin ich ein Kamerad!" Herzhaft griff nun der einfache, bärtige Mann in die Zigarrentasche und dankte mit tiefer, herzlicher Freude, die ihm aus den Augen lachte: „Gehorsamsten Dank, Herr Kamerad!" Ter Marschall lächelte und hielt die Zigarrentasche immer noch offen. Da trat ein anderer Landstnrmmann des nämlichen Regiments, ebenfalls ein Sachse, mutig ans den Feldmarichall zu. Grundstellung nehmend, sagte er: „D ann geben Si e m ich ooch eene Zigarre, Herr Kamerad!" Ohne ein Wort zu sagen, reichte ihm Hindenburg freundlich die Zigarreutasche, nahm den Tank des mutigen Mannes lachend entgegen und ging nun weiter. Er und seine Offiziere wurden von den beide» Beschenkten als Bahnbrecher durch die russischen Gruppen begleitet. Dort hin gekommen, wo der Kaiser ankommen sollte, fielen dem Marschall zwei Vertreter großer Zeitungen auf. „Wer sind denn diese Herren?" fragte er. Der erste der sächsischen Landstnrmmänner glaubte, diese Frage sei an ihn gerichtet, und auf die mit einem „lt." (Berichterstatter) versehenen Abzeichen der Herren hinweisend, entgegnete er: „Das sind doch die Herren von der Bresse, Exzellenz." Schallendes Gelächter aus der Hindenburgschen Begleitung lohnte diese Landsturm-Weisheit, und Hindenburg winkte ihm für seine in der Sache durchaus nicht unrichtige Ant wort freundlich dankend zu. Deutscher Reichstag Berlin, <0. Mai. Die erste Beratung des Gesetz entwurfes über die Feststellung von Kriegsschäden im Reichsgebiet wird fortgesetzt. Abg. Haase (Soz. Arbeitsg.) bemängelt, daß der Entwurf keine Arbeiteransschüsse vorsehe und überhaupt zu wenig Rücksicht auf die ländlichen Arbeiter und die Kleinbauern nehme. Abg. Tr. Haegy (Elf.) bgrüßt es, daß auch die Be wohner Elsaß-Lothringens an der Schweizer Grenze, die vom Kriege schwer betroffen worden sind, ebenfalls ent schädigt werden sollen. Abg. Wald stein (Vp.): Auch die Bewohner der Insel Helgoland seien schwer geschädigt worden und hätten ihre Heimat verlassen müssen. Der Schaden, der den Be wohnern durch Entziehung ihres Eigentums entstanden ist, mnß aber voll ersetzt werden. Die Vorlage wird darauf einem Ausschuß von 25 Mitgliedern überwiesen. Daraus wird in die erste Beratung des Gesetzentwurfs der Aendcrung des Vereinsgesetzes von 1003 eingetreten. Der Entwurf trifst eine Aenderung dahin, daß die Gewerk schaften und Berufsvereine nicht als politische Beweine an gesehen werden sollen, womit gewisse gesetzliche Fesseln für sie beseitigt werden. (Vcrgl. Leitartikel in der Dienstag- Nummer.) Ministerialdirektor Lewald begrüßt den Gesetzent wurf, der die Einlösung eines Versprechens sei, das die Re gierung im Reichstage abgegeben habe. Das Vereinsgesetz habe die Grenzen für alle Vereine weitergezogen. Auch die Gewerkschaften hatten gemäß einer Erklärung des da- maligen Staatssekretärs des Innern, des jetzigen Herrn Reichskanzlers, einen freieren Spielraum, und die Ver waltungsgerichte hielten sich ohne Ausnahme an diese Er- klärung. Diese Praxis soll jetzt eine gesetzliche Unterlage erhalten: denn die immerhin entstandene Rechtsunsicher, heit muß im Interesse der Gewerkschaften beseitigt werden. Eine Schwierigkeit liegt nur in der Zulassung der fügend- liehen Arbeiter, die aber für die Regierung doch nicht ent scheidend ist. Anderseits kann sie sich auf Erweiterungen des Gesetzentwurfes nicht cinlassen. Abg. Becker (Arnsberg, Ztr.): Wir beantragen, den Gesetzentwurf einer besonderen Kommission von 23 Mit gliedern zu überweisen. Die gewerkschaftlichen Organi sationen aller Richtungen begrüßen den Gesetzentwurf aufs wärmste, weil sie hoffen, daß mit dessen Annahme manche Beschwerden, die die Gewerkschaften mit Recht vorgebracht haben, in Zukunft verstummen werden. Lewald hat in manchen Kreisen lebhaften Widerspruch hervorgerufen. Dieser Gesetzentwurf hat mit dem Streikrecht der landwirt schaftlichen Arbeiter nichts zu tun. Wir haben bereits in Deutschland landwirtschaftliche Organisationen, auch natio nale. Nun gibt es allerdings in Preußen ein Gesetz von 1354, das den landwirtschaftlichen Arbeitern zwar nicht