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Sächsische Volkszeitung : 24.06.1921
- Erscheinungsdatum
- 1921-06-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192106247
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19210624
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19210624
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1921
-
Monat
1921-06
- Tag 1921-06-24
-
Monat
1921-06
-
Jahr
1921
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 24.06.1921
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Dantes religiöse u. ethische Persönlichkeit Bon Tr. Mar Fischer. TanleS religiöse Persönlichkeit erweist sich uns als einge bettet in die herrschende Geistigkeit des Mittelalters, in die Leh ren und die Traditionen der Kirche. Hierin ist zugleich der fun damentale Gegensatz ausgesprochen, der eine Persönlichkeit von Dantes Gevräge von den religiösen Männern der Neuzeit unter scheidet. Bis in das Zeitalter Dantes hat die Kirche mit ihren Glanbensavrnussetzungen, Formen und Symbolen das abend ländische Leben in seiner Ganzheit umspannt; so reich auch das damalige Leben an geistigen Richtungen und Individualitäten war, die Kirche bildete doch den Rahmen, der all diesen Reich- t> m umschlost und den Alltag ständig in lebendige Beziehung zu ihren ewigen religiösen Forderungen setzte. Im 15. Jahr hundert hat dann die antike Reaktion gegen das mittelalterliche Christentum »nd wenig später der kirchenzerspaltende Geist der Glanbenoerncuerung die geschlossene Einheit der katholischen Christenheit zersetzt. Erst seit diesem Siegeszug von Humanis mus und Protestantismus verlor das christliche Leben des Abend landes seine organische Selbstverständlichkeit, wurde die Kirche immer inehr zur starren Wahrung ihres erworbenen Besitzes und zur Abwehr wider den Geist der Außenstehenden genötigt »nd der religiöse Mensch begann immer mehr sich in Oppo sition zu der in seinem Zeitalter vorherrschenden Weltanschau ung suhlen zu müssen. Ter Glaubensschatz der Kirche und das riulturbewußtsein Europas, die im Zeitalter Dantes noch als eine Einheit empfunden wurden, sind in den Jahrhunderten, die »ns von dem Dichter der Dwina Comedia trennen, immer schmerz licher einander entglitten und in bewußten Gegensatz getreten. Daher ist an eine religiöse Persönlichkeit unserer Zeit mit ganz anderen Maßstäben heranzutreten, als an einen Dante. Bei einer »ns zeitnahen religiösen Gestalt interessiert uns in erster Linie, wie sie in ihrein Empfinden sich zur unreligiöseu Um welt einstellt und i» ihrem Denken und Tun gegen sie ankämpst. Bei Tante handelt es sich um ein grundsätzlich Anderes: seine religiöse Kraft strömt in die künstlerische Formgebung des über« nominellen Glaubensschatzes. So müssen wir auch alle jene Aenße- rungen, welche der Mensch unserer Zeit allzuleicht geneigt ist, aus einem religiösen Reformwillen zu erklären, vielmehr be greifen ans der traditionellen Einstellung Dantes, aus seiner weltanschaulich durchaus konservativen Persönlichkeit; seine Lehre von den zwei Schwertern, sein Kampf gegen die Verweltlichung der Kirche ergaben sich ihm gerade aus den Konseguenzen der mittelalterlichen Weltanschauung, aus der Bcsürchtung, mit denen ihn die zunehmende Verweltlichung der Kurie erfüllte, und den Belrcichlungen über die Mission des Kaisertums in den voran- gegailgencu Jahrhunderten. So willkürlich auch im konkreten Einzelfalle die Zuwei sung einer historischen Persönlichkeit oder eines Zeitgenossen in eines der drei metaphysischen Reiche der .Hölle, des Läuterungs- bcrges und des himmlischen Paradieses erscheinen mag, der Ab sicht nach will Tante keine persönlichen Lehrnieinungen, keine individuellen Forderungen, keine ihm eigentümliche Frömmigkeit dar- bielen, sondern die wahrhaftige Weltsorderung darstellcn. Und dennoch ist dieses so ungemein sachliche Epos der einzige wesen« haste Zugang zur Persönlichkeit Dantes, weil von seiner Ge sinnung uns keine persönlichen Dokumente Ausschlüsse vcrini teln und wir ganz auf die Einblicke in sein Seelenleben angewiesen sind, die seine Werke uns gestatten. Aber weder die philosophi schen Erörterungen des „Convito", noch die politischen der „Mo narchin", ja selbst nicht die der Form nach autobiographische, dem Wesen nach konstruktive und novellistische „Vita Nuova" ermöglichen uns die Erkenntnis von Dantes religiöser Per sönlichkeit, wir sind inimer wieder gerade aus sein objektives Werk, die Divina Comedia, angewiesen, weil in ihre gestaltete Sach lichkeit das ganze religiöse Innenleben Dantes eingeströmt ist. Wenn wir nun das religiöse Weltbild der Divina Comedia in seiner Gesamtheit ans uns wirken lassen, so fällt uns auf, daß eine persönliche Eigentümlichkeit Dantes sich nicht im Inhalt lichen seiner Weltanschauung manifestiert, sondern höchstens in den Wertakzenten, mit denen er das mittelalterliche Weltbild er füllt. Bei keinem der großen Denker der ihm vorausgehenden Jahrhunderte finden wir mit solcher Wucht die ethische Forde rung betont, die sich als Konsequenz des religiösen Weltbildes ergibt und doch mit solcher Klarheit auszeigt, wie weit religi öses Leben noch über die Grenzen des Ethischen hinausreicht. Ethische Forderungen sind überhaupt nur vom Standpunkt eines ganz bestimmten Weltbildes und einer ganz bestimmten Lebensanschauung aus möglich. Für Menschen, denen die Welt ein ewiges Spiel der Gottheit ist wie in den ästhetisiercnden Wcllanschauungen Heraklits oder Nietzsches ist eine ethische For derung ebenso sinnlos wie für die Weltverneinung Buddhas oder Schopenhauers, welchen diese Welt schlechthin ein Böses ist, das man nicht wandeln kann, sondern vor dem man entfliehen muß. Nur von einem Weltbilde aus, welches das Leben dieser Erde weder grundsätzlich bejaht, noch grundsätzlich verneint, son dern an einem außerirdischen, überirdische» Maßstabe den Wert des irdischen Lebens »rißt, wird das Ethos zur Möglichkeit, za zur Notwendigkeit. Tas Christentum stimmt mit dem Buddhismus darin überein, daß cs die eigentlichste und tiefste Wirklichkeit außerhalb des irdischen Werdens und Vergehens, in der Welt des ewigen Seins erkennt. Tenn dort thront die Kraft des Schöpfers; dort ist das Sächsische Volkszeitung — Nr. 143 — 84. Juni 1081 Der Gänsebub Fränkischer Dorsrvmau von Di»a Ernstberger (Nachdruck verboten.) (41. Fortsetzung) Er rief sich nochmals alles ins Gedächtnis zurück, bis er suhlte, das die weicheren Regungen aus seinem Herzen wieder verdrängt waren. Mit finsterem Blick verfolgte er die lohe, schlanke Gestalt. Von einem Herrn, mit dem er sich längere Zeit unterhalten hatte, erfuhr er. daß Lore mit ihrem Knabe» erst vor ganz kurzer Zeit hierher gekommen war. Später sah er, wie sie in Gesellschaft einer ihm bekannten Familie den Ball saal verließ. Ta befahl auch er seinen Wagen und fuhr beim. Er konnte in dieser Nacht nur wenig schlafe». Mit offenen Augen lag er noch stundenlang im Bett und überdachte die Er lebnisse des Abends. Ob wohl Marianne wußte, daß Lore hier ist? Sicher, Marianne hatte ja nicht verhehlt, daß sie mit ihrer Verwandte» noch im Verkehr stand. Warum sie nie von Lore erzähl!«? Dachte sie. daß die Erinnerung »och heute nach so vielen Fahren ihm Weh bereitete? Gleich morgen wollte er au seine Mutter schreibe» und Marianne bei dieser Gelegenheit es wissen lasse», daß er Lore wicdersah. Sie sollte nicht glaube», daß er »och um den verlorenen Jugendlraum traucrle. Als er am nächsten Morgen erwachie, glaubte er. er bättc all daß Erleblc nur geträumt. Er mußte sich erst nach und »ach alle Einzelheiten wieder >» das Gedächtnis zurückrufcu. Noch bevor er sich zum FrühstnckStisrh setzte, holte er das Adreßbuch herbei. Nichtig, da stand es ganz deutlich: Fellner, Fabrikanten witwe! Und genau in derselben Straße wohnte sie wieder, w«> sic als Mädchen mit ihrer Mutter gewohnt hatte. Er wußte nun, daß er über kurz oder lang mit ihr i» Gesellschaft zusain nienlrcsfen würde. Ein kalter, harter Zug erschien i» seinem Gesicht; vielleicht würde jetzt endlich für ihn der laiigcrsehntc Tag der Vergeltung kommen. Aber Woche um Woche verging, und cö wollte ihm c!» Zusainmculrcssc» mit Lore immer noch nicht glücken. Ta erhielt er eines Tages eine Einladung zu einem Teeabend bei der Familie, mil welcher Lore den Ball damals besucht balle. Ohne lange zu überlegen, sagte er sein Kommen zu. Sehr sorgfältig machte er an diese», Abend Toilette. ES war ei» kleiner Kreis, den er da beisammen fand, meistens liebe Bekannte. Enttäuscht blickte er umher; Lore war Licht und die «ahrhrlt. «a» «eich Christi ist nicht von dieser Welt. Aber eS ist für diese Welt. Da« Reich Gottes sordert von dem Christen nicht, daß man um seinetwillen dieser Welt ent slieht, sondern da- man e« in dieser Welt verwirklicht. Da« irdische Leben ist nach christlicher Ueberzeugung »ine Prüfung, die über da« Heil unserer Seele entscheidet. Ohne den Glauben an die metaphysische Realität der drei Reiche, durch die Dante den Leser seiner Divina Comedia führt, wäre sein christliches Ethos wurzello« und unkonsequcnt. Aus einer rein diesseitigen Orientierung können stets nur soziale Nützlichkeitsforderungen abgeleitet werden, nicht aber ewige, über zeitliche Forderuilgen. Von diesem Leben au« gibt es nur ein Wollen; erst aus dem Glauben an die verschiedene Seinsqualität der menschlichen Seelenzustände erwächst das Sollen, das reli giöse Gebot über die Willkür der menschliche» Triebe. Diese ethischen Konsequenzen seines religiösen Weltbildes nimmt Tante mit einer so unerbittlichen Leidenschaft auf, wie sie seit Augustinus vielleicht kein mittelalterlicher Mensch wieder so urmächtig empfunden hatte. Und auch in der ganze» Be gründung des ethischen Weltbildes und seiner Verknüpfung mit dem Metaphysischen berührt sich Dante, bewußt oder unbewußt, ganz besonders stark mit dem Manne, dessen Persönlichkeit so wuchtig und eindringlich am Anbeginne der mittelalterlichen Gei stesgeschichte steht. Dari» liegt ja eben das philosophische Hauptverdienst des heiligen Augustinus, daß er den scheinbaren Dualismus von Gut und Böse in die monistische Metaphysik eiubaute. Der all mächtige Gott des Christentums steht in unversöhnlichem Wi derspruch zu einer Lehre, die in Gut und Böse zwei rivali sierende Weltprinzipieu erblickt. Die Liebe, die Bewegerin aller Tinge, muß sich in jeder Sphäre des LebeuS, nur eben auf ver schiedene Weise auswirke». Die vollkommene Liebe gehört dem vollkommenen Gotte. Wer seine Liebe auf Gott gerichtet hat, ist ein guter Mensch. Seine ethische Qualität resultiert aus sei nem metaphysischen Sein. Je mehr der Mensch von der Got- teslicbe, der Liebe zum höchsten Gute, sich abwendet, und seine Liebe geringeren und vergänglicheren Dingen schenkt, desto un zulänglicher ist sein ethisches Verhalten. Wo die Liebe zu Gott erloschen ist, herrscht Unmoral. Durch die ganze Divina Comedia tönt die dringende Mahnung: wende Dich ab von den, Irr tum einer nichtigen Liebe zu der Liebe, die Dich zu einem Kinde des Reiches Gottes macht. Es gibt grundsätzlich zwei extreme Typen ethischer Lehre, eine objektive und eine subjektive Begründung der Ethik. Der, objektive Thp erkennt in der bestimmten Kategorie des Tims de» Maßstab der Schuld, wie etlva in den Augen des Sophokles OedipuS als ein Sünder erscheint, obgleich er seine Taten ohne eine böse Gesinnung vollstreckt hat. Für den entgegengesetzten Typ, der sich gerade in unserer Zeit der Auflösung besonderer Beliebtheit erfreut, beruht die ethische Qualität einer Tat nur auf der persönlichen Gesinnung des Täters. Schon seit alterSher hat die Philosophie darum gerungen, die unbefriedigende Ein seitigkeit beider Anschauungen zu überwinden, den Gegensatz ob jektiver Begründung der Ethik in einer höheren Synthese zu versöhnen. Plato versuchte, aus der ewigen Geltung der Ideen, ans der Einheit des Wahren, Schönen und Guten, die Objektivi tät des EthoS anfzu,zeigen als eine absolute Forderung, die in jedem individuellen Einzelfalle in besondere» Weise zur Gelinng tominen muß. Hier war bereits der Grundgedanke der christlichen Ethik AngnstinS vorweggenoinmen, die nur an Stelle des ab strakten Reiches der Ideen die konkrete Persönlichkeit GatteS setzt. In seiner christlichen Philosophie wird die Synthese des objek tiven und subjektiven Elements noch deutlicher. Gottes unver änderliches Wesen ist ein absoluter Wertmaßstab, und doch spie gelt sich das Verhältnis jeder Seele zu Gott, die Verschiedenheit des Seelciizustandes bei gleichem äußeren Tatbestand in tcmscnd- säliiger Individualität. Diese ethische Betrachtungsweise ersullt auch Dantes dichterisches Werk; in jedem Kreise der Hölle und des Läi'.tcruugsberges zeigt er uns die spezifische Stellung dieser Seelen zu Gott; sowohl aus dem objektive» Wesen der von ihnen begangenen Sünden, als auch aus der Gesinnung ihres Handelns. In selbstverständlicher Harmonie fügt sich die ethische Wirklich keit in die metaphysische ein; ja sie ist mit ihr identisch. Während die Harmonie zwischen dem physischen und metaphysischen Welt bilde Dantes sich als eine durch den damaligen Standpunkt der Wissenschaft historisch bedingte erweist, bilden Metaphysik und Ethik Dantes ein Ganzes, das man zertrümmert, wenn man eS zu trennen versucht. Teiinoch führt das Weltbild Dantes über die Sphären des EthoS hinaus. Tenn ethische Vollkommenheit ist bereits dann erreicht, wenn der Mensch, durch Buße gereinigt, von aller Schuld genesen, der Erbsünde ledig, den Garten Eden, das irdische Para dies betreten hat. lieber das Ethische noch hinaus wölbt sich das Religiöse; wo eS kein Streben um Reinigung mehr gibt, hebt das mystische Leben an. Hier gibt es nicht mehr das Emstdr- steigen von Stufe zu Stufe; hier hat das suchende Mcnschenherz seine Erlösung gesunden, die eS in der Unrast seiner LänterungS-- sehnsucht stets erstrebt hat Am Anbeginn des christlichen Mittelalters stand die religiöse Persönlichkeit AngnstiiiS, die sich in leidenschaftlichem Secleakampse von dem Relativismus der Spätaatike zu der Unbedingtheit christlicher Lebensanschannng und Lee Foriiigebundenheit der Kirche durchgern »gen hat. Am Ausgang des Mittelalters steht Dantes religiöse Persönlichkeit, der noch einmal die zur Knltiusorm ge wordene augustinische Weltanschauung intensiv durchlebt und im nicht zu sehen. Schrill tönte die Glocke noch einige Male durch das Haus; erwartungsvoll sah er stets die Tür sich öffnen und neue Gäste kommen. Lore war aber nie unter ihnen. Sein Nachbar verwickelte ihn später in ein Gespräch und so über hörte er es, wie die Tür sich abermals öffnete und nochmals Gäste kamen. Erst, als er seinen Namen hörte, sah er über rascht auf. Man wollte ihn eben einer fremden Dame vorstellen — es war Lore. Obwohl er ein Zusammentreffen mit ihr gesucht hatte, setzt war cS ihm doch überraschend gekommen. Ein Riß ging durch seinen Körper, dann reckte sich seine Gestalt; mit kaltem, fremden Blick sah er, sich verbeugend, in ihr stolzes, schönes Ge sicht. Fetz!, da er ihr so nahe gegenüberstand, bemerkte er, daß die einst ko liebreizenden Züge den Schmelz der Fugend ver loren hatten. ES erfüllte ihn diese Wahrnehmung mit einer ge wissen inneren Befriedigung. Nur der hochmütige Zug mn den Mund war »och ganz der gleiche geblieben. Auch sie hatte sich mit oberflächlichem Blick kurz verneigt. War cS Ler finstere, unnahbare Ausdruck seines Gesichtes, der ihr anfsiel, oder dämmerte plötzlich die Erinnerung in ihr aus. Las; sie diese Züge schon einmal gesehen hatte? Ihr Gesicht wandte sich ihn, nochmal zu und fragend sah sie ihn sekunder!- lang an. Seine Züge blieben aber starr und sremd, und nichts verriet ihr. daß er sie kannte. Da mochte sic wohl glauben, daß diese Achnlichkeit auf einer Täuschung beruhte. Plaudernd wandte sie sich nun einigen ihr bekannten Da men zu; Joseph hörte sie ganz deutlich sprechen. Ihre Stimme hatte nicht mehr den harten, hochmütigen Klang, den er ver nahm, als er sie znm letztenmal hörte. So, wie sie jetzt sprach, redete sic immer im Dorf mit ihm. Wie ihn doch diese Stimme an die vergangenen Fugcndtage erinnerten! Mitten in der llnicrhaünug ertappte er sich immer wieder, daß er mit halbe», Ohr ans jenen trauten, wohlbekannten Ton aus fernen, schönen Tagen lauschte. Fm Laufe de-S Abends rief einmal der Gastgeber Joseph beim Namen und fragt-: ihn als Sachverständigen mn sein Ur teil über ein Unternehmen der Stadl. Joseph sah, wie Lore bei Nennung des Namens schnell aufsah und nochmal forschend ibre Augen auf seine Züge richlcle. In lebhafter Unterhaltung sah er sie gleich nachher mit der Dame des Hauses reden. Er fühlte cS, daß inan sich von ihn, rinlechielt. Da erhob er sich von seinem Platz. Ihm war cs peinlich, so ruhig hier zu srtzcn, während andere von ihm sprachen. Fn einem anschüctzendcn Gemache saßen ältere Herren rauchend »nd trinkend Lei einer Partie Whist; dorthin wollt« Kunstwerke Plastisch ausgestaltet. Sein Werk ist die glänzende Abendröte eines Zeitalters, dessen Untergang bevorstand. Aber als mahnendes Zeugnis des seelischen Gehaltes und der Kultur jener Epoche ragt es in unsere ganz anders geartete Gegenwart. Aus der katholischen Kirche Von einer K o n v e r t i t i n *) 1. Der Geist der katholischen Kirche. Beim Durchblättern der Artikel der Monatsschrift „Hoch- kirchliche Bereinigung", 1020 (Berlin), wird man den Gedonici, nicht los: Wie kann man die Früchte anerkennen und Lcn Baum schmähen? Messe, Brevier, Exerzitien, OrdenSwesc» — alles dies ist aus dem Geist und Leben der katholischen K-cche hervorgegangen. von ihr Jahrhunderte hindurch gehütet, ge pflegt und lebendig erhallen worden, indem der Gebrauch ilncn Gliedern zur Gewissenspflichf' gemacht wird. Dennoch wird der Geist der heiligen Kirche abgelehnt. Wahr und wahrhaftig, dieser selbe religiöse Geist lebt noch heute und mehr denn je in der katholischen Kirche fort. Wenn er von Außenslehenden übersehen oder verkannt wird, so spüren ihn doch die unter seiner heiligenden Einwirtmig iic- henden Kinder des Hauses. Die katholische Kirche gleicht einem uralten, in der (AL-; tief und breit verwurzelten Nieseulmnin, dessen Rinde ieoh! durch die Zeit, Wetter und Stürme knorrig geworden, in Leisen Mitte aber der mit unzähligen Jahresringen umschlossene Kern voller Saft und Kraft ist. Davon zeugen das inäckitige Gezweig!-, das dichte Blätterdach, Blüten und Früchte. Wenn auch hie und da ein Ast kahl und abgestorben, eine Frucht faul geworren, so leidet darunter nicht der Wert des Trägers. „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!" Warum rich tet der Protestantismus nicht sein Augenmerk auf Laö Große. Schöne, Heilige inmitten der katholischen Kirche? Auf i!> .n Geist der Innerlichkeit? Auf ihr intensives Ringen, Lie Menschheit mit Religion zu durchdringen und die Völker wieder für das Christentum zu gewinnen? Statt dessen stirbt m,» herbei, wak an menschlicher ischwäche, Fehlsanikeit oder Sibde in der Vergangenheit und Gegenwart sich bei ihr findet. Ist der Protestantismus denn davon frei? Der Konberüt, der durch den Wall von Vorurteilen, Verzerrungen, Mißdeu tungen hindnrchgedrungen ist, und de»! sich die katholische K de nach ihrem innersten Sein und Wesen offerbart, steh! vor d.r feindseligen protestantischen Beurteilung wie vor einem R-i s s. Dem im religiösen Leben geschulten und erfahrene» Kon vertiten bleibt ein mühereiches Einleben in niiderSorlige An schauungsweisen und in fremde Formen nicht erspar!. Abc je vertranter man mit den Ideen und mannigfaltigen Gebräu-d u geworden ist, desto mehr gibt man der heilige» Kirche rem!, auch worüber man zuerst den Kopf schüttelte; ja, mau bewi'n- dert ihre Weisheit als Lehrerin in religiöser ErteiniliiiS und Erzieherin zum religiösen Leben. Die Geschichte lat sie a!4 solche in der Vorzeit anerkannt; warum spricht ihr die Neuzeit diese aroße Fähigkeiten ab? Der Protestantismus stößt sich an ihrer traditionel len Gesinnung und streng koiiserbalibe» Gewissenhai ch- keit in Lehre und Kultus, an ihrer pietätvollen Bewahrung a"G dessen, was aus ihrem Schoße hervorgegangen, an ihrer ^ samkeit und weitherzigen Liberalität kindlich-frommen Ve ' gebrauchen gegenüber, besonders bei Verehrung der Mm e Gottes und der Heiligen. Der mütterliche Sinn der Kirche läßt dem Frömmd keitsdrang des Volkes weitesten Spielraum, wie sic auch 'een des einzelnen, so lange er sich in den gebotenen Grenzen hält, nnterstützs. Auf den Neuling macht die Fülle von An dam' - Übungen und Formen, solange er noch nicht da? VersiänduA- fiir sie gewonnen, einen fast verwirrenden Eindruck; aber g- rade diese Fülle ist das Kennzeichen stark pulsierenden Lebe- ' inmitten der legitimen Kirche. All das kennt der Protestantismus nicht; denn das Volt- tüniliche, wie die kultische Produktivität hat sich nie in dem Maße in das Luthertum eingebürgert, wie das in der koüwst- scheu Kirche der Fall ist. Dagegen an den Schatzkammer» der Litnrgil »nd Asketik geht der Protestant vorüber, obwohl gerade hier Geist der Kirche seinen tiefsinnigsten und innigsten Austn u! *) I» den Artikeln ist die Bezeichnung „evangelisch" ab sichtlich »eini'Lden worden: 'enn »er darf der katholisa-u Kirche das Evangelium abstreiten? Ihr, die „erbauet auf Lc» Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der NA- stein ist" Ephes. 2, 20). — Die Schreibern! entstammt streng gläubigen, orthodoxen Kreisen, einer Oase des ProtestamiSmuS. Ein eingehendes, mehrjähriges Studium vermittette ihr die Ec keinitiiiS, daß die Quellen dieser reichgesegneten, fruchtbare» Oase ans katholischem Boden liegen, der legitimen Kirche zu e gehorcn. Ihnen ist sie gefolgt und fand das allgewehmc Evangelium, den echten Glaubensgeist nicht nur »nieder, sondern alles, was dem Protestantismus fehlt und noch viel mehr. -- Predigen denn die Wirrnisse und Nöte in Lehre und Verfaisting dein Protestantismus nicht überlaut den Jrrium des selbst,,e- schafsene» Kirchenlunis? Die Zukunft wird eine noch crstmst- ternde Sprache reden! Mil!,»» ! er sich zurüctziehcn. Da stand plötzlich Lore vor ihm. Ver bindlich lächelnd sah sie ihn au. „Ich erfuhr eben erst genau Ihren Namen. Jetzt m-iz ich doch, warum Sie mir gleich so aussielen; mir war es immer, als Hütte ich Sie schon mal gesehen. Nun freue ich mich, Laß ich mich nicht getäuscht habe, und daß ich hier einen liebe», alle» Bekannte» wiederfinde. Sie erinnern sich meiner wohl garmcht mehr?" fuhr sie frügcnd fort, als Joseph so gar keine Miene machte, seiner Freude über das Wiedersehen Ausdruck zu gebe». „Habe ich mich denn so sehr verändert? Können Sie sich nicht mehr der kleinen Lore erinnern? Sie war ja der alljähr liche Sommergast Ihres kleinen HeimatdorfesI" Wie Enttäuschung klang eS durch ihre Stimme. Sic hatte erwartet, daß er sie nicht nur sofort wieder erkannt, sondern auch ihre sich stets gleichbleibende Jugendlichkeit bewundert hätte wie sie cs von anderen gewöhnt war. Statt dessen war er fremd und steif vor ihr stehen geblieben und sah sie mit gleich, gültiger Miene an. als wollte er sie fragen: „Ja, was willst d» denn eigentlich von mir, ich kenne dich ja garnicht!" „Doch, gnädige Frau", erwiderte er nun ruhig und ein- fach. „Die kleine Lore habe ich nicht vergessen." „Sie ist es. die mit Ihnen eben spricht. Erkennen Sie mich nun?" „Nein!" Bestürzt sah sie ihn an. „Täusch ich mich denn? Sie waren doch der kleine flei ßige Mckschusterjunge, der mit der kleinen Lore Gänse ans die Weide trieb; ihr Spielgenosse und ihr ständiger Begleiter?" „Elanz recht! Der war ich, gnädige Iran." „Erwachsen dann sah man sich dort im stillen Dorsche» wieder. Die Freundschaft, die die kleinen Herzen einst ver band, war auch den Herzen der Erwachsenen nicht fremd ge worden. Es waren schöne, sonnige Tage, die wir da zusammen mit Marianne verlebten. Ich habe Ihrer später oft gedacht." „Das mag für Sie wohl sehr unterhaltend gewesen sein, dies lustige Spiel mit jenem dummen gesühlscligen Boncrii- jungen. Auch ich »rußte später oftmals daran denken. So et was Tolles bleibt in der Erinnerung wohl haften; inan locht darüber noch nach langen Jahren." Betroffen sah Lore den Sprechenden an.' Seine sonder baren Worte und mehr noch der Ton, in dein sie gesprochen wurden, ließen plötzlich in ihr die Erinnerung an daö Wieder sehen in ihrem Salon erstehen. Das machte sic verlegen und unsicher. (Fortsetzung folgt.)
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