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Sächsische Volkszeitung : 01.07.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-07-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192207010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19220701
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19220701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1922
-
Monat
1922-07
- Tag 1922-07-01
-
Monat
1922-07
-
Jahr
1922
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 01.07.1922
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Sonnabend den 1. Juli 1922 Nr. 149, Seite 2 Reichstags zu erzwingen. Es verdient noch bemerkt zu werden, daß die Betricbsrätczentrale in Berlin die drei sozialistischen Parteien und den Allgemeinen Deutschen GewerkschastSbund wie den Afa-Bund in einer besonderen Kundgebung, die ebenfalls eine Reihe tm'eitgeheuder Forderungen enthält, verpflichtet hat bei einem eventuellen Versagen der gegenwärtigen Regierung, ge- meinschastlich eine Arbciterregierung zu bilde» und die hieraus resultierenden Wahlen gemeinschaftlich zu führen. Und hier liegt auch der Punkt, an dem die gegenwärtig noch schwebenden Verhandlungen zwischen Sozialdemokraten und Unabhängigen einsetzen. Nicht um eine Verschmelzung der beiden Parteien, wohl aber darum handelt es sich, für beide eine ge meinschaftliche Arbeitsbasis und eine gemeinsame Marschrute sür kommende Wahlen zu sinken. Inzwischen haben die Verhandlungen in dieser Frage jedoch einen etwas günstigeren Verlauf genommen, so daß man für den gegenwärtigen Augenblick immerhin von einer gewissen Ent spannung sprechen darf. Jedoch zwingt die ganze politische parla mentarische Lage nach wie vor zur größten Aufmerksamkeit, und sie bildet für alle Bürger eine Mahnung, auf der Hut zu sein. Aus dem Ausland Ultimatum der amerikanischen Eisenbahn werkstättenarbeiter Paris, 29 Juni Nach einer Meldung au» Neuyork sollen 400 990 Arbeiter der Eiscnbahnreparaturwerkstätten ein Ultimatum an die Diicktiomn gestellt haben, in dem sie für nächsten Sonnabend dm Streik androhen, wenn bis dahin ihre Forderungen nicht erfüllt sind. Die Hilfsaktion des sranzöfische« Note« Kreuzes Paris, 29. Juni. Die Hilfsaktion de» französischen Roten Kreuzes sür Nnk'and wird in den «sie» Tagen des Juli durch die Abreise deS Hilfskomitees nach Petersburg ihren Anfang nehmen. Gleichzeitig w rd von der Türkei aus der Dampfer Nelson mit 9000 Tonnen Lebensmitteln, die sür die Notleidenden Rußland» bc- stimm! sind, nach Rußland abgehen. Abnahme der amerikanischen Steuereinkünfte «m 1 Milliarde Dollar Nach einem Berichte des amerikanischen FinanzdepartementS sind die Steiieieiiilünfle für die eisten eis Monale deS SteiirijahreS »m 1 Milliarde Dollar zuriickaegangen. Die Gesamteinnahmen für das letzte Siruerjahr haben 2732 Millionen Dollar betragen, sodaß über ein Driit-.l der Einkünfte weggefallen ist. Mexikanisch-amerikanischer Zwischenfall Der mexikanische Nebellensübrer Grorczabe hat 40 Angestellte der Amer klinischen Pciroleumg-sellschafi gefangen genommen und 250000 Tollar geraubt, die der Gesellschaft gehörten. Er verlangt jux die Freilassung der Gefangenen ein Löseoeld. Die Regierung der Vereinigten Staaten hat den Botschafter in Mexiko und de» General konsul in Tampico beauitragt, von den wexikanilchen Behörden Maß regeln zuin Schutze der amerikanischen Bürger und de» amerilanifchen Eigentum« zu verlangen. Russische Programmpunkte im Haag Amsterdam, 29. Juni. Aus dem internationalen Kongreß der >!o»u»»nisten gab der Vorsitzenoe der holländische» Partei folgende Erklärung ab: Die Verhandlungen im Haag mit den Sowjetdelegierten »erden zu keinem Restiliat führen. Tie Sowjetrcgicruna wird keine Konzessionen mache», soweit die Wiederherstellung des PrivatbesiycS an Grund und Boden und die Ausbeulung der Bodenkultur in Be tracht kommt. Die Kriegsschulden werden nicht bezahlt. TaS seien feststehende Programmpunkle der Negierung, an denen nicht zu rütteln sei. Die Unruhen in Dublin. Paris, 29. Juni. Me aus Dublin gemeldet wird, hat dort der Kamps zwischen den Rebellen und den regulären Truppen des Freistaates den ganze» Tag über angedauert. Gegen 11 Uhr morgens waren die große» Eingangsiüren des Jnstizpalastes, in dem sich die Rebellen festgesetzt habe», vollkommen zertrümmert. Dagegen hält die Fassade des Gebäudes noch immer Stand. Die regulären Truppen Das heilige Deandl Eine Pajjionsjpicl'Geschichie von Franz Wichmann (NaOiruck verboten.) (18. Fortsetzung.) .Der Priester ixu den Leib unsers Herrn empfang»," mur melt Regula, «ös alle habts eahn mitgenossn, aa i, aba mi bcennts rvia Gift im Leid, dös is da Böse, der in mir mit dem Herrn; i ertrags net länga, i muatz wijsn, wer von uns zwo« zuerst hinüber must" Mit diesen Worten befestigt sie eine Kerze neben derjenigen Vronis und zündet sie an. Die beiden sind gleich lang, gleich ruhig brennt ihre Flamme. »Gib acht," mur- mclte sie, »die stirbt zuerst von uns zwei, deren Kerze zuerst er- lischt." Vroni wird cs immer unheimlicher neben der Irren. Sie 1 will sich erheben, die Kirche verlassen. Aber wie ein eiserner z Lchraubstoä klammert sich die .Hand RcgnlaS um ihren Arm. „Da bleibstI" flüstert sie heiser. »Was soll dös? ES >s do net Lichlmeßtag heut." „Freili is's Lichlmeßtag." die sich etwas einbildet, kann es Uw niemand ausreden. „Am Lichtmesstag erfahrt inan die Wahrheit," fährt die Ätahnsinnige fort. „Ein uiichrijilicher Abergialiben is's, unser Herr Pfarrer will »i.r davon wijsn," wehrte Vroni ab. „Aba i woas, daß eS wahr iS. Warum willst nacha furt? Du bist rein nnd schuldlos, du brauchst den Tod net zu furcht», aba i, i will net stcrbn, mir grausts vor der Höll und dem Teufel." Schanerlich tönen die Worte der Irren durch die Stille. „Da — da brennts, dös is die Hölle, schall nur dü feurige Glut!" Negnla weist, vor Entsetzen bebend, nach den, Hochaltar!" „Versündig di net," sagt Vroni, als ihr Blick auf die ewige Lampe fallt, die blutrote Strahlen auf den Altar wirft. „Dort ist nick» die Hölle, sondern der Himmel nnd die ewige Liebe." Da dringt durch das Schweigen der Morgenfrühe ein hei serer schriller Schrei herein. Regula zuckt zusammen. „Hörst dns, da Hahn kräht? Der Hahn, der woa cs, wia Petrus den Herrn verraln hat. Der kennt aa mei Schuld. I muß wicda hingchn und Christum Vorrat»." „Sei do vcrnniifti, Schmiester, schau, wia dö Kcrzn schon herabbrennt sau." flüstert Vroni mit leisem Erschauern. Sonst dem Aberglauben nicht zugänglich, kann sie, so nahe vor den, lang erträumte», höchsten Glücke stehend, der geheim nisvollen Gewalt des Mystischen dach ihre Seele nicht ga»z ver schließe». Wenn es trotz allem wahr wäre, wenn es wirklich estvas bedeutete! Ihre Kerze nähert sich schneller als die andere dem Ende. Sic soll vor der Schwester sterben, im gleichen Jahre noch, wie die Leute glauben I „Die Irre verfolgt mit starren, glühenden Augen die bei den Flammen. „I, i werds net sei, i soll no Feit zur Buße habn. lßott will mir gnädig sein!" Aber plötzlich erstickt ihre Stimme ein jäher Schrecken. Durch die hall' geöffnete Kirch-n- tür dringt ein frischer Morgcnhanch herein. Der Lustzng streicht über ihre Kerze, während er die Vrvnis nicht erreicht. Das Wachs tropft herab, die Flamme steigt, wird größer und größer, schwarz und Heck, ragt der verkohlte Docht heraus, in wenigen Augenblicken muß das Licht hcral>get>raiint sein und verlöschen. „JesuS Maria!" stöhnt Regula, „mi tiifstS do zuerst. ES gibt ka Gnad für mi, i soll stcrbn und verwarf» sein." „Glaub net dran," stickst Vroni die Verzweifelnde zu trösten, ,'^a fall is'S, kö Straf für bei sündig? Spiel." haben im Laufe de» Tage» Geschütze in Stellung gebracht und die Beschießung mit größter Heftiakeit fortgesetzt Die Höhe der Ber- luste auf beiden Seiten war bisher noch nicht festzustrllen. Leider ist auch unter der Zivilbevölkerung eine ganze Reihe von Opfern zu beklagen. Wie der Berichterstatter der Times meldet, nimmt in den übrigen Stadtvierteln da» Leben ruhig seinen Fortgang, während in den Vierteln um den Juftizpalast der Kampf an Heftigkeit zu nimmt. Der Kommandant der Rebellen hat einen Bericht heraus- gegeben, in dem er ankündigt, daß die Verluste seiner Mai nschaft bisher nur ganz geringe seien, und daß er entschlossen sei, bi» zum Ende durchzuhalten. In der Graischaft Donegal an der Westgrenze von Ulster findet eine starke Konzentrierung von regulären Freistants- truppen statt. Man nimmt an, daß diese von Griffith zur Unter drückung der Unruhen bestimmt find. Die Rebellen haben ihrerseits die Kasernen von Llaue besetzt und in Verteidigungszustand versetzt. Deutsches Reich Ein neuer Kriegsbeschädigten-Prozeß Vor dem Reichsaericht begann am Mittwoch der Prozeß gegen den l878 geborenen Cpezialarzt sür Frauenkrankheiten und Geburts hilfe Dr. Oskar Michelsohn au» Berlin-Wilmersdorf, der von der französischen Regierung beschuldigt wird, hauptsächlich in den Jahren 1917 und 1918 in de» Lazaretten Essty und Trelon kranke KriegS- oeiangene mißhandelt oder ihre Mißhandlung geduldet zu haben. Weiter soll er durch fahrlässige Behandlung den Tod von Keicgl- gesangenen verschuldet und auch Unterschlagungen begangen haben. E» sind 84 deutsche und 14 französische Zeugen geladen. Die fran zösischen Zeugen sind nicht erschienen, auch eine französische Kommission ist nicht anwesend. Ebenso fehle» fravzösische Pressevertreter, lieber- Haupt ist da» Interesse de» Publikum» a» diesem Prozeß nicht so groß wie früher- Der Angek agte, der sich bei Kriegsausbruch frei- Willig als Arzt zur Verfügung gestellt hatte, leitete von 191b bis August 1918 ein Lazarett, das sich zuerst in Dizy-le-Gros befand und am 17. Februar 1917 nach Essty verlegt wurde- Später war er im Gefangenenlager Trelon. Der Angeklagte verwies darauf, daß ihm von angesehenen französischen Zivilpersonen für die ausgezeich nete Behandlung Dank ausgesprochen worden sei. Die sanitären Ver hältnisse in den nortfranzösischen Lazaretten seien wegen der unzu länglichen Räume und ungenügenden Einrichtungen sehr schwierig ge- wesen. Trotzdem lei e» ihm gelungen, in Dizy-le-GroS den Typhus, der dort vorher ständige Opfer gefordert habe, so gut wie auszu- rotte». Allerdings habe es dazu scharfer sanitärer Maßnahmen be durft, deren Notwendigkeit von der sran ösijchcn Zivilbevölkerung wohl vielfach nicht eingejehcn wnrde. Es folgte nunmehr eine An zahl von Sachverständigenveniehmiingen- Um 2 Uhr nachmittag» ließ der Präsident eine Pause elnirelen. Darauf wurde in die Zeugenvernehmung eingetrcten. Zur Verneh mung kamen RegierungS-Medizinalrat Dr. K.ntenisch, Siegburg, Geh. SanstätSrat Professor Dr. Braunschweig, Halle, und Rcgierungr- und Medizinalrat Dr. Larz, Berlin- Alle drei Herren stellten dem Ange klagte» genau wie die Sachverständigen das Zeugnis eines überaus tüchligrn, organisatorisch begabte» Arztes aus und wußten auch in persönlicher Hiusicht nichts Nachteiliges über ihn zu jagen- Damit schloß der elfte Verhandlungitag. Bayern gegen die Schuldlüge München, 29. Juni. Die vielerorts im Reiche abgejanten Kviidj,ebuiigeu gegen die Schuldlüge werden in Bayern adgchallen. Man erwartet etwa eine halbe Million Besucher- In sozialistische» Proteslverwmmluiigen wurde erklärt, daß die Arbeiterschaft die nationalistischen Demonstrationen nicht dulden werde und daß sie, wenn die Regelung sie nicht verhinecre, jeibst dagegen einschrerten werde. Matznahmen der Nürnberger Sozialisten. Nürnberg, 30. Juni. Die sozialistische Mehrheit des Stadt rates hat gegen die bürgerlichen Stimmen die Umbenennung des Hindenbnrg-Platzes in Rathenau-Platz sowie die Entfernung der Bilder Hiucencmrgs und Ludendorffs aus den städtischen Amtsräumen beschlossen. Ferner hat der Stndrrat last einstimmig beschlossen, die Landesregierung zu ersuche», mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln sür die Durchführung der von der ReichSregierurrg zum Schutze der Republik erlassenen Maßnahmen zu sorgen. „Na, na, schau her, Wahrheit is's!" Entsetzten Blickes, mit zitternder Hand zeigt Regula auf die Kerze, die eben noch einmal cnszuckt und dann im kühler. Atem des Morgenwindes flackernd erlischt, wahrend Broms Licht ruhig und gleichmäßig weiterbrennt. „Jetzt, jetzt iS'S gschehn, mei Urteil gsprochn, jetzt muah is'S tun, was i scho lang gwollt Hab. I Habs ja tzwußt, i Habs ja eh gwutzt!" Ihre Summe erstirbt in tonlosem Gemurmel. „Um Gottes Willn, was willst tun, Schwester?" In furcht barer Angst starrt Vroni in Regulas verzerrte Züge. „Du willst do net a neue Sünd zur altn häuf», net mit aner Todsünd di belast,,, dir das Leben " ,So net, wia du moaiist," unterbricht sie die Irre, und in ihren düsteren Augen leuchtet cs auf, „dö große Sühne solls sei, aba net so wia da Heiland, dazu bin i zu schlecht, zu gering — aba wia sie, dö Märtyrerin Julia. I Hab alls bedacht, nur Mar ter und Schinerz kann uns erlöse», und nach muß mi da Himmi do no vcrgeb». I tu's, i tu's. Du wirst laug und glückli lebn, aba i muß furt — leb wohl, Schwester, mi sieghst nimm«!" Und ohne daß die bestürzte Vroni sie zurückhalten kann, eilt sie, wie von Furien gehetzt, ans der Kirche, läuft, die Röcke zu sammen fassend, quer über Wiesen und Felder, der Brücke zu, wo sie sich atemlos, schweißbedeckt vor dem Bildstock der heiligen Julia niedcrwirft. Lange liegt sie dort, den Blick zu der jungfräulichen Dulderin erhoben, in wortlosen, Gebete. Dann taumelt sie empor und wankt ihrem Verödeten Hanse zu, um ihren Entschluß mit der unbeugsamen Energie des Wahnsinns anszusühren. Aber der lange Tag muß erst vornbergchen. In Schluch zemund Gebet verbringt sie :hn, einer Schwerkranken gleich, auf dem Lager. Endlich ist es Nacht geworden, und in der brütenden Finster nis irrt sie durch Zimmer und Gänge, wie eine abgeschiedene Seele, die noch einmal in ihre irdische Wohnung zurückgeiehrt ist. Sie macht mit ihren bebenden Händen Licht; doch der eigene Schatten an der Wand erschreckt sie, und ruhelos wandert sie weiter. Bald wirft sie sich vor dem Kruzifix im Herrgottswinkel nieder, bald erhebt sie sich wieder nnd wischt sich den kalten Schweiß von der Stirn. „Gethsemane, Gethsemane," murmelt sie immnr fort. „DaL Kreuz, das Kreuz! Nur im Kreuze ist Heil." Draußen beginnt der Mond mit mattem Silberlichte mE- znsteigen, und sein bläulicher Schein dringt in das Innere des schweigenden HanseS. Regula bleibt am Fenster stehen, nimmt eine der Blumen »ach der anderen Verein, bricht ihre Blüten und Stiele und schleu dert die Töpfe zu Boden, daß sie in Scherbeil zerschmettern. Dann schließt sie alle Läden, und in dem geheimnisvollen Halb dunkel. das nun in de» Räumen herrscht, entfaltet sie jetzt eine seltsame Tätigkeit. Vom Speicher schleppt sie keuchend eine schwere Kiste herab, i» der sich allerlei Werkzeug zum Hausgebrauch befindet. Lange sucht und wühlt sie in den klirrenden Geräten herum. Endlich hat sie es gefunden. Einen großen Bechrer nimmt sie heraus, zwei mächtige, lange, eiserne Nägel mit breiten Köpfen, einen wuch tigen Hammer, fügt eine feste, hänfene Schnur hinzu und bindet alle? in einem weißen Tuche zusgmnien. Als das Bündel fertig ist, steht sie noch einen Augenblick zögernd. Vor de» geschlossenen Fenstern rauscht und flüstert es. Die Zweige des wilden Weins, vom Winde bewegt, regen sich und winken und klopfen ,»ahnend an die Läden: „Komm, komm!" Teuerunqszuschlag an die Reichsbeamten Zustimmung des Ausschusses Im Haushaltsausschuß des Reichstags stand Donnerstag die Regierungsvorlage über die mit den Gewerkschaften vereinbarten Teuerungszulagen an die Beamtenschaft zur Beratung. Nach 8 1 werden vom 1. Juni 1922 ab zu dem Grundgehalt, den Diäten und dem Ortszulchlag, soweit diese Be züge den Betrag von insgesamt 19000 Mark nicht übersteigen, 160 Prozent, im übrigen 105 Prozent als Teuerungszuschlag bezahlt. Zu den Kinderzulchlägen wird eine TenerungSzulage von 105 Prozent gewährt. Ter Paragraph wurde angenommen, ebenso die folgenden Paragraphen, insbesondere auch der Paragraph, durch den der Reichsminister der Finanzen in die Lage versetzt werden soll, in ganz besonders begründeten Fällen beim Versagen anderer Mittel hebend eingreifen zu können. Da« Gesetz soll mit dem auf seine Verkündigung folgenden Tage in Kraft treten Der Ausschuß bewilligte hierauf die von der Reichsregierung ausgestellten Richtlinien über die Gewährung einer jederzeit wider ruflichen Zulage an die Beamten der Ministerien ab 1. Juli. Zum Schluß wurden die Richtlinien über die Gewährung der Kin derbeihilfen an alle Reichsbeamten und Soldaten in gesetzlich nicht geregelten Fällen bewilligt. Entsprechend sollen die Kinder beihilfen sür Ruhegehaltsempfänger usw. geregelt werden. Eine grohe Kundgebung für den Reichskanzler fand am Tage des Slaatsbcgläbnisses RatheimnS statt. Tausende und Abertausende der Demonstranten, die an jenem Tage in Berlin zur Kundgebung unter freiem Himmel für die Rcpubltk versammelt waren, zogen iu die Wilhelmstiaße und verlangten vor der Reichskanzlei stürmisch den Reichskanzler persönlich zu sprechen. Redner aus der Menge sordeiten unter gewaltigen Znstimimingslnsen, daß angesichts der Gefahr, in die der Reichskanzler Tr. Wirth selber durch die Mordalmoiphäre gekommen sei, umfassende Sicherheitsmaßnahmen für ihn getroffen würden. Der Reichskanzler» der wohl in der Reichs kanzlei weilte, lieb durch einen seiner Mitarbeiter der Menge erklären, er könne jetzt nicht zu ihr sprechen, da er mit Geschäften überhäuft sei, aber die Menge möge sich beruhigen, es sei alles z» seinem Schutz getan. Die Massen zogen sich langsam zurück unter immer sich wieder holenden stürmischen Hochrufen auf den Reichskanzler und aus die Republik. Hauptversammlung des Verbandes kath. kanfm, Vereinigungen in Stettin Die diesjährige 42. Hauptversammlung des Verbandes karh. kanfm. Vereinioungen Deutschlands, der mit seiner großen Mrt- gliederzahl das gesamte Erwerbsleben des Reiches umfaßt, wird in den Tagen vom 3. bis 6. August d. Is. in Stettin abgcyalten werden. Die Auswahl gerade dieses östlichen und zugleich größ ten Hasenplatzes des zusammenhängenden Reichsgebietes zum Tagungsort zeigt das Interesse des Verbarrdes, mit dem Osten des deutschen Vaterlandes stärker als bisher bekannt zu werden. Zugleich ist dies ein erfreuliches Zeichen dafür, daß auch die Städte im Nordosten Deutschlands ihr Bestreben darin setzen, in Ausübung treudentscher Gastfreundschaft die Zusammenhänge mit dem Westen und Süden des Reiches zu pflegen. Stettin als Kongreßstadt ist leider noch viel zu wenig im ganzen Reiche bekannt. Trotzdem hat es auch als solche mancher lei Reize und bietet dem Fremde», besonders aus dem Binnen lands eine Fülle seltenen Erlebens. Ein reges Verkehrsleben, das hier Handel und Schiffahrt nicht nur aller Ostseestaatcn, sondern der meisten schiffahrtstreibenden Länder zusammenströmen läßt, eine mächtige, zum Teil einzigartige Industrie werden ge rade für die Vertreter des Verbandes einen besonderen Anreiz haben. Ein Hafen von großzügigem Ausbau, der mit den neu zeitlichsten technischen Einrichtungen ausgcstattet ist und dessen Größe sich auch darin zeigt, daß er bereits 1913 den Verkehr von Danzig, Lübeck und Königsberg zusammengenommen über traf, hat bisher mit Recht das Erstaunen aller Besucher er regt Ein ausgedehnter Grüngürtel, ein sehenswertes Museum, ein altes Schloß der ehemaligen pommerischen Herzöge, einer der schönsten und berühmtesten Friedhöfe der ganzen Welt, zahlreiche Stätten der Kunst und Erholung, der in leicht erreichbarer Nähe befindliche Pommersche Bäderkranz an der Ostsee u. anderes mehr laden zu kürzerem oder längerem Verweilen ein. Stach den bis herigen Vorbereitungen des einladenden Vereins verspricht die Tagung einen erfolgreichen, würdigen und genußvollen Verlauf. Ja, sie will kouunen. Seit der Wahn ihren Geist umnach tet, versteht sie alle geheimnisvollen Flüstcrlaute zwischen Erde und Himmel. Ihr ist es, als rufe deS Gottessohnes Stimme vom hohen, blutüberrieselten Kreuze herab, und mit zitternde» Knien murmelt sie die Worte aus dem Passionsspiel: „Was ihn doch am meisten drücket, Bis zum Tode traurig macht? Weil dein Herz noch Sünd ninsiriclei, Keiner Buße Frucht gebracht." „Ich will sie bringenI" sagt Regula mit finsterer Ent schlossenheit. Sie richtet sich hoch aus, ninrurt den zusainmen- geschnürten Pack und verläßt, die Tür versperrend, das stille Haus. 14. JörglS Seele hat sich noch n'cht geläutert. Slachdem die anfängliche Zerknirschung verflogen, ist er der erlösenden Mackst von Reue und Buße noch nicht teilhaftig geivorden. Seit er weiß, daß Wastl mit dem Leben davongekommen, drückt ihn seine Schuld minder schwer. Die Leidenszeit im Ker ker hat ihn nicht gebessert, nur einen grimmigen Trotz gegen das Schicksal in ihm entwickelt. Für ihn den freien Sohn der Berge, hat die enge Gefängniszelle ein Märtyrum bedeutet. Solange er andere Gegenden, neue Bilder der Natur gesehen, hat ihn das Heimweh nie ergriffen, hier aber ist eS mit Getvalt über ihn gekommen. Er weiß jetzt, was die wilden Gipfel, die dunklen Wälder seines Landes bedeuten, wie sie mit seiner Seele ver wachsen sind. Freilich, er steht allein, seine Eltern sind tot, die Verwandten haben sich nie um ihn gekümmert, und die er geliebt, hat ihn verraten. Aber das Bild seiner Heimat ist doch im Her zen lebendig, nichts kan» eS anSIöschen, jeden Baum und Stein sieht er im Geiste vor sich; das dustere Felsental mit dem rau schenden Bach und die Sagemühle, cs war seine Welt, die nun hinter ihm begraben liegt. Sie, um dereiwillen er das Ver brechen begangen, zu dessen Sühne man ihn hinter diese schreck lichen Mauern gesperrt, sie hat ihm das alles geraubt. Dem Wastl zürnt er nicht mehr. Was er dem getan, das hat er mit Ehrlichkeit bereut und im füllen Gott gedankt, daß er das Opfer am Leben erhalten. Er ist ja blind gewesen damals, daß er den Verführten getroffen, statt die Verführerin. Der Schlange hätte er das Haupt zertreten sollen — aber sie wird seiner Rache nicht entgehen; sie ist schließlich a» allem schuld. Durch das Weib ist ja die Sünde in die Welt gekommen — ein finsterer Haß gegen das ganze Elcschlecht bemächtigt sich seiner. Ilm zu befrieoigcn ist sein einziger Gedanke geworden. Sein Leben ist ohnehin verfehlt, gleichviel, wie eS endet — wenn nur sie mit ibm oder vor ihm dahin muß. DaS steht fest bei ihm. das Glück, das sie sich durch den schändlichen Verrat er kauft, soll sic nicht genictzenl In wenigen Wochen wird er ja frei sein. Mit heißer Sehn- sncht erwartet er den Tag, da sich ihn: die Pforten des EKfäng- nisseö anstnn müssen. Er bat sich gut geführt nnd er weiß wohl, wenn seine Tat weniger schwer gewesen, hätte man längst sein« Strafzeit verkürzt. Endlich aber schlägt dennoch die Stunde. Der Gefängnis» direktor wünscht ihm Glück zur erlangten Freiheit und spricht den Wunsch und die Hoffnung ans, ihn niemals wieder zu sehen. Der Jörgl lächelt eigen. „Na, du siegst mi nimma," denkt er bei sich, „wann i Wieda kimm, gehts mS Zuchthaus oder zum Nichtblock. Mer sie ist dann auch nicht mehr da — nnd mein« Seele hat Frieden." (Fortsetzung folgt.)
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