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Sächsische Volkszeitung : 31.05.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-05-31
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192205313
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19220531
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19220531
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1922
-
Monat
1922-05
- Tag 1922-05-31
-
Monat
1922-05
-
Jahr
1922
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 31.05.1922
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Mittwoch den 8l. Mai 1922 Nr. 124, tzeite L und das italienische Volk durchaus an und gedenken besonder- dankbar de- lcbbaften Interesses, das der Einbischof von Genua und der Papst an einem friedensfördernden Erfolg der Genueser Konferenz genommen habe». Die unsinnige und unvernünftige Haltung Frankreichs, das Rcparaiionsproblem von den ganzen Verhandlungen auszuschlietzen. ist an der Macht der Tatsachen ge. scheitert. Nur der angestrengte» Tätigkeit Nathcnaus, StinneS und anderer ist es einigermaßen gelungen, die im Ausland Herr» sckenden Nebel der Unkenntnis über Deutschlands wirtschaftliche Lage zu zerstreuen. Die Negierung wird sorgen müssen, daß nicht infolge des NapallovcrtrageS der Geist des Bolschewismus in Deutschland sich verbreite. (Unruhe bei den Kommunisten. Beifall im Zentrum.) Um - Uhr wird die weitere Aussprache auf Dienstag nach mittags 2 Uhr vertagt. Aus dem Ausland Die erste internationale Anleihe für Deutschland Paris, 29. Mai. Die Pariser „Chicago Tribüne" ist in der Lage, über die Verhandlungen der Pariser Bankierkonserenz fol gende Mitteilungen zu machen: Die erste Anle-He werde 100 Mil» lionen Golddollar umfassen. Weitere, auf eine spätere Zukunft verteilte solle» folgen. Alle diese Anleihen seien als Konversio- ncn der deutschen Kriegsschulden gedacht und dazu bestimmt, das Kapital der Neparalionsschutd teilweise wieder zurückzukausen. Da aber Frankreich, Belgien und Italien dringend Reparations» gelber nötig haben und hoffen und erwarten, daß alles Geld auS> dieser Anleihe flüssig gemacht wird und praktisch für Reparationen verwendet wird, so kommt diese Anleihe indirekt diesen Ländern zugute. Mit der ersten Reparationsanleihe an Deutschland wäre Deutschland imstande, die Reparationszahlungen für 1922 und vielleicht auch für 1923 zu zahlen, um den schweren Druck auf den Reichshaushalt oder auf den deutschen Steuerzahler zu erleichtern. Die Verwendung der ersten Anleihe Par ö, 29. Mai. Nach dem „Neuyork Herald" ergibt sich aus den Verhandlungen, die der internationale AnlciheauSschuß bis jetzt geführt hat, das, die amerikanischen und neutralen Bankiers das Verlangen der Neparationskommission nach einer Kontrolle der deutschen Finanzgebarung mißbilligt hätte und daß der Schlußbericht des Anleihcausschusses den Gesamtbetrag der deut schen Neparalionsschuld bestimmt. Nach dieser Richtung hin hatten die Finanzwänner beschlossen, bei ihren Regierungen und Vank- kreisen Auskünfte einzuholen. — Ferner will das in Paris er scheinende Blatt noch erfahren haben, Morgan und Visserinz seien der Ansicht, daß ein großer Teil der Anleihe Deutschland für die Wiederherstellung seiner Finanzen zur Verfügung gestellt wer. den müsse, während die alliierten Vertreter den Standpunkt ver traten, die Anleihe müsse zugunsten der Reparationen aufgelegt werden. Die folgende Anleihe London, 29. Mai. Ziemlich die ganze hiesige Presse bespricht den Vorteil einer internationalen Anleihe für Deutschland, die ganz Europa zugute kommen werde. Beachtenswert sachlich ist ein Artikel der „Times", in dem es heißt: Wenn das Komitee ent scheide, eine Anleihe für Deutschland für Wiedergutmachungs- zwccke zu empfehlen, so werde diese nur unter der Bedingung Zweck haben, dast Deutschland selbst einen großen Teil davon er- halte. Dieser Teil müsse natürlich genau festgesetzt werden. Wenn Deutschland eine Politik der Deflation versuche, so würde hier durch die Last seiner Schulden und seine Zahlungsfähigkeit ab nehmen, andererseits aber würde eine weitere Instationspolitik die Ausgabe einer Wiedergutmachungsauleibe verhindern. Aus diesem Grunde müsse Deutschland eine Politik der Stabilisierung versuchen. Jeder Betrag der Anleihe, der festgesetzt werde, dürfe aller Wahrscheinlichkeit nach nur das Minimum und nicht das Matunum der deutschen Zahlungsfähigkeit darstcllcn. Friedenstöne aus Parks Parks. 30 Mai. Gustave Herve erörtert in den beiden letzten Leitaitileln se »er Victoire die Frage, ob eine dauernde Annäherung zwischen Deutschland und Frankreich nach erzielter Lösung des Wie- derberstellungsprobtems möglich sei. Tr bejaht die Frage und tritt dafür ein, das; Frankreich nunmehr die Hand zur Versöhnung biete. Die endgültige Wiederherstellung des Friedens in Europa könnte seiner Ansicht nach etwa auf folgender Grundlage erzielt werden: „Frankreich stimmt dem Anschluß Oesterreichs an Deutsch land -u Es verzichtet auf d e Besetzung des Nbeingebieles unter der Voraussetzung, daß die Nheinlande innerhalb der Grenzen des Deutichen Reiches autonomisiert und militärisch neutralisiert blsibcu. ES stimmt der Rückgabe des Saargebietes unter der Bedingung kleinerer Grenzberichtignngen zu. ES tritt dafür ein, Kronprinzen - Erinnerungen (Fortsetzung.) Je älter ich wurde, desto öfter kam es vor, daß ernste Män ner aus verschiedenen Kreisen sich au mich wandten, damit ich Angelegenheiten beim Kaiser anregen oder durchsetzen sollte oder Se. Majestät auf Mißstände Hinweise. Der schwerste Gang war Wohl, den ich 1907 antreten mußte, um ihm über den Fürsten Phi lipp Eulenburg die Augen zu öifnen. Niemals im Leben werde ich das verzweifelte, entsetzte Gesicht meines Vaters vergessen, der mich fassungslos anstarrte, als ich ihm im Garten des Marmor- palois von dn Verfehlungen seiner nahen Freunde sprach. Dabei war die sittliche Reinheit des Kaisers so groß, daß er sich die Mög lichkeit solcher Verirrungen kaum vorstellcn konnte. Bei meinem Vater schien es mir oftmals, als wäre ihm die Sprache gegeben, damit ;edes Fältchen seiner reichen und spru delnden Gedankenwelt dom Partner offenbar würde. Er hat sich immer gleich ganz gegeben — ohne Patrouille und Vortrab — u,»vorsichtig, ein nobler Verschwender seines stets neu quellenden, aus einem großen Wissen und einer freilich manchmal über, wuchernden Phantasie gespeisten Besitzes. Die Fähigkeit, Menschen und Verhältnisse richtig, das heißt objektiv und realpolitisch ohne biese Fehlerquelle persönlicher Noberschähung zu beurteilen, ist für den Herrscher und Staatsmann von höchster Bedeutung. Ich habe mich den Bestrebungen widersetzt, das, was an selbständigem Wesen in mir liegt, im Sinne einer Erziehung zu einem preußi. schen Normalprinzen zu nivellieren. Mein erster Gouverneur war der spätere General von Fal kenhayn. Er hat mir schon in den Kinderjahren den Gedanken eingeprägt, daß es für den Mann hie Worte Gefahr und Furcht nicht gcilien dürfe. Er pflegte bei Hindernisreiten zu sagen: Schmeißen Sie Ihr Herz erst rüber, dann kommt das andere auch hinterher. Dies Wort hat mich stets begleitet und auch jetzt oft, wenn die grauen Stunden meines Schicksals hier auf der Insel mich würgen wollen, steht es vor mir und ruft mir seine tapfere Soldatenweisheit zu. In diese meine Knabenzeit fällt ein Erlebnis: Von meinem Vater hatte ,ch Befehl, Uniform anzuziehen und ihn in Friedrichs ruh zu treffen — eS gehe zum 80 Geburtstage des Altreichskanz lers. Bei der Festtafel war Fürst Bismarck von erstraunlicher Frische und Lebhaftigkeit. Bei der Tafel machte mir die große Dogge des Fürkten, die mir plötzlich unter dem Tische ihre kalte nasse Nase auf die Knie legte, und die, wenn ich mich unbemerkt dqvon befreien wollte, unmißverständlich knurrte, einigermaßen S»rge. Nach Tisch setzte sich Se. Majestät zu Pferde und erwartete den Fürsten an der Spitze des auf einem Ackeryelände in der Nähe des Schlosses aufgestellteu Halberstädter Kürassierregiments, zu Hessen Chef er ernannt war. Mir wurde die Ehre zuteil, mit dem alten Herrn im Wagen fahren zu dürfen. Mein Vater überreichte dem Fürsten einen reich gearbeiteten daß Danzig mit dem dazu gehörige» Gebiete an Deutschland zurückfällt unter der Bedingung, daß Polen einen Frritiasen erhält. Frankreich verzichtet auf die MeistbegllnstigungSkMusel des Versailler Vertrages und schließt einen Handelsvertrag mit Deutschland aus der Grundlage der vollen Gleichberechtigung. ES gibt Deutschland Togo und Kamerun zurück. ES veranlaßt Deutschlands sofortige Aufnabme in den Völkerbund. ^ Die Gegenleistungen TeulschlandS sollen nach Herve in folgendem bestehen: Tie deutsche Republik erkennt die Verant» Wortung der kaiserlichen Negierung am Kriegsausbrüche an, ver« urteilt ibn und tadelt die Verätzung der belgischen Neutralität. Sie erkennt die auf Grund des SelbstbestimmrngSrrchtes der Völker gefaßten Versailler Entscheidungen an. Eie verpflichtet sich, bis zur Grenze der Leistung-,ähigkcit die Wiedergut machung durchzusühren. Eie annulliert den Rapallo-Vertrag und sichert Polen und Rumänien militärischen Beistand zu gegen etwaige bolschewistische Angriffe." Kein serbisch-italienischer Zwischenfall Nom, 30. Mai. Der angebliche Zwischenfall zwischen ita lienischen und südslawischen Luippen in der Gegend von Fiume hat nicht stattgefunden. Der Bericht ist vom ersten bis zum letzten Worte erfunden. Ein italienischer Rundflug durch Europa ' Prag, 80. Mai. Anfang Juni veranstaltet Italien eine» enro. pSischcn Rundflug, der von Mailand über Prag, Dresden, Berlin nach Warschau. Odessa, Konstaniinopel. Belgrad und Venedig führen soll. Da« italirniichc Pressesyndilat wurde ringrladen, drei italienische Journalisten mitzusenden. Die Löst zieht für die Zeitung die infolge Bezugspreiserhöhung noch zu zahlenden 8 Mark während des laufenden Vierteljahres nicht ein. Deshalb ist dieser Betrag von 8 Mark von den verehr- lichen Beziehern selbst einzuzahlen und es wird höflichst in Erinnerung gebracht, daß diese Einzahlung auf Postscheck- konto Dresden Nr. (§79? erfolgen möge. Deutsches Reich Hermes angebliche Haager Reise Berlin, 30. Mai. Die Meldung, daß Reichsfinanzmlnister Dr. Heimes nach dem Haag nbgcreist sei. ist unzutreffend. (Damit ist der Vorbehalt, der an die erste Meldung geknüpft war, be rechtigt. D. R.) Die Münchener Reise des Reichspräsidenten Berlin, 30. Mai. Vor einiger Zeit war gemeldet worden, daß der Reichspräsident wegen der bekannten Flaagenaffäre die von ihm beabsichtigte Reise nach München aufgegeben habe. Bon zu ständiger Seite wird dies jetzt in Abrede gestellt. Der Termin der Münchener Reise des Reichspräsidenten steht allerdings noch nicht fest. Reichspräsident Ebert an die Oberschlesier Berlin, 80. Mai. Der Reichspräsident hat an die zurzeit in Nürnberg tagenden Vereinigten Verbände heimatireuer Obcrschlesicr folgendes Telegramm gerichtrl: »Den Vereiniaten Verbänden heimat- treuer Oberschlester spreche ich herrliche Wünsche aus zu dieser Tagung, die in der gegenwärtigen Sch cksalrstunde Oberschlesicn» von großer Bedeutung ist. Die Vereinigten Verbände, die für das Dcutschtum in Oberschlesien dcrcitS so viel geleistet haben, werden nicht Nachlassen, auch weiterhin für die Stärkung und Festigung de» Deutschtums in der Ostmark etnzulreten." Landwirtschaftliche Woche in Gotha Gotha, 80. Mai. (Berliner Tageblatt.) Eine Thüringisch» landwirlschafilickie Woche hat in Gotha staitgetunden, die mit einer umfassende grogen Ausstellung der gesamten lhümigiichcn Landwirt- schast verbunden war. Mit der Veranstaltung wriroe auch eine Tagung des thüringischen LandbundcS abaebalten, der in einer scharfen Ent« schließung Stellung gegen dir von der ReichSeegieiuvg geplante Ge- trcideumlage der neuen Ernte nahm. Die ttiürinaitche» Bauern er klären, daß sie sich unter keinen Umstände» einem AbliefeiungSzwang» fügen werden. Normal und Wahlschulsormen des Art. 146 der deutschen Reichsversassung Von Professor Dr. Hilling, Freiburg j. B. Während des Kampfes um das Reichsschulgesetz ist von so zialdemokratischer Seite wiederholt betont worden, daß in Artikel 146 der Neichsverfasjung der Gemeinschaftsschule der Vorrang vor den Bekenntnis- und bekenntiussreieu .schulen euigeräumt und elfterer der Charakter einer Regel- oder Normal schule bei» gelegt worden sei. Diese Behauptung ist auch auf anderer Seite zugegeben worden. Man ist aber in den beiden einander gegen- überstchenden Lagern nicht einig, welche Tragweite diesen Bestim mungen beizumessen ist. Vom Standpunkte der rechtlichen Be trachtungsweise kann folgendes zur Auslegung gesagt werden: 1. Die Gemeinschaftsschule ist insofern Normal- oder Regel schule, als sie ohne weiteres auf Grund des Gesetzes einzurichten ist. Demgegenüber hat die Bekenntnisschule nur den Charakter einer Wahlschulform, die von den Elter» besonders beantragt wer den muß. 2. Die Gemeinschaftsschule ist durch ihre Erhebung zur Nor malschule gleichsam vom Gesetzgeber empfohlen, während die Be kenntnisschule bloß zugelassen ist. 3. In zweifelhaften Fällen ist stets die Existenz einer Ge- meinschaftsschule anzuerkennen, weil diese als Normalschule der Wahlschule vorgeht. 4. Die Gemeinschaftsschule hat aber nicht den Charakter einer ZwangSschule. Vielmehr hat Artikel 146 der Reichsversas- sung es ausdrücklich akgelebnt, ihr diesen Charakter beizulegen, indem er dem Staate zur Pflicht macht, auf Grund des Antrages der Eltern Bekenntnisschulen zu errichten. Der erste Absatz des Artikels 146, der über die Errichtung der Gemeinschaftsschulen handelt, enthält demnach nur dispositives und kein zwingendes Recht. 5. Infolgedessen ist es gesetzlich möglich und eventuell auch pflichtmäßig, in jeder beliebigen Gemeiiide an Stelle der meinschastsschule eine Bekenntnisschule zu errichten. Denn das dispositive Recht gilt nur insoweit, als eß nicht durch die anders lautende Willenserklärung der Eltern ausgeschlossen wird. Darum irrt Johannes Hoffman», wenn er in-seiner Schrift „Schule und Lehrer in der Reichsverfassung" (1921) annimmt, daß die Be kenntnisschule bestehen dürfe. Wäre diese Auffassung richtig, so müßte in Absatz 2 des Artikels 146 die Bedingung hinzugefügt sein, „wofern in den Gemeinden wenigstens eine Gemeinschafts schule bestehen bleibt". Von einer solchen Einschränkung ist aber nicht im mindesten die Rede. 6. Es ist ferner mit dem Artikel 146 der Reichsvcrfassung durchaus vereinbar, daß die Wahlschulen die Normalschnle an Zahl bedeutend übertreffen. Denn für die Gründung der Wahl schulen ist der Antrag der Eltern mas^eüend. Sprechen diese sich in der Mehrheit für die Bekenntnisschule aus und sind die übri. gen gesetzlichen Bedingungen für die Errichtung solcher erfüllt, so hat die Negierung einfach die Pflicht, den: Anträge Folge zu leisten. Das Gesetz hat in keiner Weise eine Maximalzahl für dir Zulassung der Bekenntnisschule vorgesehen. 7. Die juristische Bevorzugung der Gemeinsehafissckiulc be- ?gt keineswegs, daß diese aueb politisch begünstigt werden muß. ,m Gegenteil würde eine politische Begünstigung der Gemein schaftsschule gegen den Sah des Artikels 146 der Neichsverfasjung verstoßen, wonach der Wille der Erziehungsberechtigten möglichst zu berücksichtigen ist. Auf dieses Prinzip ist dek-talb von den Freunde» der Bekenntnisschule mit allem Naebdruck hinzuweisen, damit die ihnen verfassungsmäßig zugesicherte Wahlschule nicht über Gebühr verkümmert werde. 8. Aus dem Gesagten erhellt, daß die Korholikcn einen ver fassungsmäßigen Anspruch daraus haben, daß der Bekenntnis schule die Möglichkeit geboten werde, sich frei und ungehindert zu entwickeln, soweit dieses mit einem geordneten Schnlbetriebe ver einbar ist. Die Unterbindung dieser Freiheit durch politische Machtmittel würde zu einer Seelensklaverei führen, die uner träglicher wäre als die Leibeigenschaft des Mittelalters oder eine Unterdrückung des Proletariats durch den Kapitalismus. Auch würden durch die Ausoktroyierung eine? Schulsystems, das den Elaubensgvundsähen oer Katholiken widerspricht, die schwersten politischen Kämpfe hcraufbeschworen, deren Schädlichkeit wir in der Vergangenheit hinreichend kennen gelernt haben. Ehrenpallasch mit einer sehr schönen Ansprache. Der Fürst er widerte mit kurzen markigen Worten. Dann fuhren wir nach Hause. Ich bemerkte, daß der alte Herr sehr müde und abge spannt war, er atmete schwer und eilig und versuchte den Uni formkragen zu öffnen. Das gelang nicht gleich. Ich selbst, fast erschrocken über meinen Mut, beugte mich rasch zu ihm und half. Da drückte er mir freundlich lächelnd die Hand. Nachdem ich das Abiturientenexamen abgelegt hatte und nachdem am 6. Mai 1900 meine Großjährigkeit ausgesprochen war, stellte mein Vater mich IraditionSgmnäß in die Leibkompanie des 1. GardercgimentS zu Fuß ein. Der AugeiMick, da ich auf die Fahne der Leibkompanie in der ehrwürdigen alten Schloß- kapclle in Berlin meinem obersten Kriegsherrn den Fahneneid schwur, steht unvergeßlich vor mir. Mein damaliger Kompanie chef Graf Rantzau war der Typ des alten erfahrenen pflichttreuen Frontoffiziers. Der Wert der Treue im Kleinen, des viel ver schrienen Kommisses, der eisernen Disziplin, des verlästerten, weil mißverstandenen preußischen Drills ist mir damals als Mittel, die Vielheit der Köpfe und Kräfte zu einer einzigen Einheit von hoch- ster Kraft zu verbinden, verständlich geworden. Dienst gab eS genug. Manchmal mußte ich abends nach Tisch beim Gewehr- und Ledcrzeugputzcn zugegen sein. Dann saßen die Grenadiere beim Scheine der Lampe Hann konnte man ihnen rein mensch. lich nahe sein, dann erzählten sie von Hause und zwischendurch er klangen die schönen deutschen Volks- und Soldatenlieder. In die Zeit meines ersten Dienstes fällt ein trübes Fami- lienereignis, der Tod meiner Urgroßmutter, der greisen Königin Viktoria von England. Der Trauerzug durch London war von ge. wattiger Wirkung. Es war ein bitter kalter Muttertag. Der Zug von Frogmore Lodge hatte mehrere Stunden Verspätung und als die Fahrt ihren Fortgang nehmen sollte, verweigerten die sechs Artilleriepferde der Tranerprotze. auf der der Sayg der Königin stand, die Arbeit. Ein Stangenpferde schlug über die Deichsel, der Sarg geriet ins Schwanken. Da gab Priiiz Louis Battenberg einen kurzen Befehl und 300 englische Matrosen spannten sich an langen Tauen vor die Protze und so wurde die Königin zur letz ten Ruhestätte geführt. Im Frühjahr 1901 war «reine Front-LeuänantSzett been digt. Ich sollte nun studieren und bezog — wie einstmals mein Vater — die Universität Bonn. Die vier Semester in der Alma inater wurden für mich zwei schöne und reiche Jahre, auLgefüIlt mit ernstem Studium und fröhlichem Studcntcittum. umkränzt von dem ganzen Zauber rheinischer Herrlichkeit und Lebenslust. UeberlieferungSgemäß wurde ich Mitglied des Korps Bo russia, ich hatte auch in den anderen Korps des Bonner S. C. viele Freunde. Gern wäre ich damals selbst auch mal auf scharfe Klinge angetreten, doch mußte ich darauf verzichten, da ich schon Offizier war und damit für mich der Grundsatz galt, daß der Ossi- zier nur im Ernstfälle von der Waffe Gebrauch machen dürfe. Ich glaube aber, daß unser deutsches Verbindungsstudententum zu einer Ueberschützung der Mensur gelangt war. Wie in der Wai- fenfrage, so ist auch in dem Trinkkommcnt, für den ich selbst nie mals viel Sinn gehabt und dem ich mich als Student auch ungern unterworfen habe, eine Befreiung von manchen entarteten For- . men eine Forderung der neuen Zeit, Sein deutsches Vaterland lieben beißt heute: arbeiten und wieder arbeiten. Dem Studium habe ich mich mit Eifer hingegeben und noch jetzt gedenke ich oft und dankbar der hervorragenden Männer, die mir dabei Leiter und Berater waren: Zitelmann, Gothein, Besold, Schumacher, Clemen und Anschütz, sowie des großen Staatsrcehtö- lehrers Zorn und noch heute verbindet mich mit diesem meinem alten Lehrer ein starkes Band der Freundschaft und des Ver trauens. Auch ein paar Reisen durch England und Holland und im Anschluß an meine Studienzeit zusammen mit meinem Bruder Eitel Friedrich haben zur Erweiterung meines Gesichtskreises beigetragen. Plastisch und unverwischt stehen vor allem zwei Gestalten vor meinen Augen: Abdul Hamid, der letzte der Sultane alten Regimes, und Papst Leo XIII. Und seltsam ist eS. so völlig bis zur Gegensätzlichkeit verschieden das äußere und innere Wese» und die Welt dieser beiden waren, sie sind für mich durch Um stände, von denen ich mich kaum zu lösen vermag, wie zu einer merkwürdigen Einheit verbunden. Und beide Männer, der bedeu tendste Papst seines Jahrhunderts, vor dessen durchgeistigtem Wesen ich keinen Augenblick anders als Ehrfurcht empfand, und der rücksichtslose, allmächtige Padischah. demgegenüber ich die innere Freiheit rasch genug gewann, haben den gleichen Ausdruck der Augen gehabt. Durchdringend, klug, unendlich üb.wiegen und nung, stein, krummbeinig, lebhaft, der Typ des armenischen Se- miten. Ausfallend schien es mir, daß mein hoher Gastgeber eine außerordentlich dicke und schlcchtsitzende Uniform trug, bis ich bei einer plötzlichen Bewegung, die er machte, wahrnahm, daß er unter der Uniform ein Kettenhemd angelegt hatte. Er erwies sich als außerordentlich interessiert für alle Angelegenheiten Deutschlai'ds. So ging das Gespräch um das Flottenproblem, um die jüngsten Erfolge der Polarforschnng ,run die neuesten Erscheinungen des Büchermarktes und vor allem >rm militärische Fragen. Der Sultan, der Musik sehr liebte, hatte mich bitte,» lassen ihm etwas auf der Violine vorzuspielen. Der Prinz (Eitel Fried rich) begleitete mich auf dem Klavier und so spielten wir ein Stück aus der „Cavalleria rusticana", eine Cavatine von Raff und di« „Träumerei" von Schumann. Dann aber gab es noch eine rüh, rende Familienszene. Ich hatte mir als Neberraschung für den alten Herrn die türkische Nationalhymne mit meinem Öberstabs. arzt Widemann eingeübt. Als wir gespielt hatten, umarmte mich der Sultan ganz gerührt und auf seinen Wink erschien ein Adju tant mit einem Kissen, auf dem die goldene und silberne Mcdaill« für Kunst und Wissenschaft lagen, die mir der Beherrscher allez OSmanen an den Busen Leitete,
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