Volltext Seite (XML)
zweite» Blatt SLärstside B«ttk»zett»»g vov 23. Dezember 1910 Nr. 291 Die „Neutralität" des Buchdruckerverbandes. Der „Korrespondent", daS Organ des sogenannten „neutralen" Buchdruckerverbandes, brachte in Nr. 134 einen Artikel, in dem zwischen den Zeilen zu lesen war, daß die Sozialdemokratie die einzig wahre Partei, dagegen „die um Heydebrand, Hertling und Spahn" die Volksausbeuter seien. Die „aufreizende Finanzreform, die unverantwort liche Wirtschaftspolitik" usw. dienten dem „Korrespondent" dazu, seine Mitglieder gegen bürgerliche Parteien aufzu hetzen. Dagegen wurden die seit der letzten Reichstagsver- tagung gewählten Sozialdemokraten freudig st begrüßt und zum Schlüsse gesagt, datz in einem gesunden Volksstaate die „Instrumente des Herrn ent behrlich" seien und unverblümt die Hoffnung ausge sprochen, daß man bald zu dem Ideal st aat — gemeint ist der sozialdemokratische Zukunftsstaat — gelangen werde. Derartige Ausführungen lassen sich nicht mit dem 8 1 des Tarifvertrages vereinbaren, nach dem alle politi schen und religiösen Fragen und Erörte rungen ausgeschaltet sein sollen. Die „So zialpolitische Korrespondenz" des katholischen Volksvereins hat diese statutwidrige Parteinahme für eine bestimmte Partei niedriger gehängt und aus verschiedenen Tatsachen nachgewiesen, daß der „Korrespondent" seine Leser systematisch zur Sozialdemokratie erziehe. Ob dieser wahren Beleuchtung seines Charakters gerät das Blatt (Nr. 141/143) nun in große Erregung. 21 Spal ten schreibt er zusammen, und davon widmet er allein sieben der Zentrumspresse. Geredet wird da über alles mögliche und unmögliche, aber nur auf das, worauf es ankommt, geht der „Korrespondent" nicht ein. „Wir haben von der sozialdemokratischen Partei, ihren Vorzügen oder ihren Nachteilen ja nicht ein einziges Wort gesagt," meint der „Korrespondent", und er glaubt wohl, sich damit aus der ihm unangenehmen Situation herausziehen zu können. Demgegenüber wiederholt nun die „Soz.-pol. Korr." in ihrer letzten Nummer, was sie vor acht Tagen dem „Korre spondent" vorgehalten hat, daß er nach dem Rezepte Bebels verfährt, das Wort Sozialdemokratie nicht zu nennen und doch die Leser zu Sozialdemo kraten zu erziehen. Diese Tatsache bleibt auch heute noch bestehen. Die „Soz.-pol. Korr." schreibt sodann: Einen Versuch, auf unsere Ausführungen einzugehen, macht der „Korrespondent" nicht, kann er auch nicht machen, weil das, was wir angeführt haben, lauter Tatsachen sind. Heuchlerisch schreibt er dann weiter: „Wo zu loben war, wurde gelobt, und was Tadel verdiente, wurde getadelt. Ganz gleich, ob konservative, ultramontane, liberale, fort schrittliche oder sozialdemokratische Handlungen anerkannt oder kritisiert werden mutzten." Ganz so war's doch nicht. In Nr. 121 von 1906 gestand -er damalige Redakteur Rexhäuser glatt ein: „Keine Druckerei in Deutschland hat eine so raffinierte Kontrolle über die Arbeit der Maschinensetzer ausgeübt, als gerade die Druckerei des „Vorwärts". Wir haben darüber bis jetzt nichts gesagt." Warum nicht? Wenn es ein Zentrumsblatt gewesen wäre, hätte man ganz gewiß so lange nicht geschwiegen. Warum aber diese Ausnahme beim sozialdemokratischen „Vorwärts"? Derselbe Redak teur hat es in Nr. 33 desselben Jahrganges eingestanden, indem er schrieb: „Die richtige Kennzeichnung der Verhält nisse (in sozialdemokratischen Betrieben) verhindert in der Tat eine gewisse Parteidisziplin." Wo bleibt da die „unabhängige und objektive Stellung", wenn man aus Parteidisziplin gegenüber der Sozialdemokratie Miß stände in sozial- demokratischen Betrieben verschweigt? Alles, was der „Korrespondent" in seinem Verteidigungs artikel vorbringt, ist nichts als Rederei, ein Haufen Wort schwall und ein Päckchen zusammengetragener Zitate. Aber widerlegt hat der „Korrespondent" unsere Behauptung nicht, daß er im sozialdemo kratischen Sinne geleitet wird und datz die Mitglieder systematisch zu Sozialdemkra- ten erzogen werden — bei der neuen Redaktion so gut wie bei der alten. Die nicht sozialdemokratischen Buchdrucker, die Mit glieder des Verbandes sind, haben daher alle, aber auch alle Veranlassung, sich im Interesse ihrer Parteiehre die sozialdemokratische „Aufklärungsarbeit" im „Korre spondent" zu verbitten und sollten öffentlich dagegen Stel lung nehmen. Nach dieser Richtung hin will sich aber leider noch wenig rühren. Und sollten alle Proteste beim Ver bände nichts nützen — wir hoffen La nicht allzuviel — dann müssen diese Buchdrucker wissen, in welcher Organisation sie ihren Platz zu suchen haben. Das sind sie ihrer poli tischen und persönlichen Ehre schuldig! Aus Stadt und Land. (Fortsetzung au» dem Hauptblatt.) —* Der Ingenieur und Flugtechniker Hans Grade veranstaltete gestern nachmittag von 2 Uhr an auf dem Exerzierplätze zum Heller Flugübungen mit seinem Eindecker. Den Uebungen wohnten zahlreiche Offiziere der hiesigen Garnison bei. Der Apparat ist über aus einfach konstruiert und besteht aus zwei mächtigen Segeltuchflügeln, zwischen denen sich der Motor sowie der Benzin- und Oelbehälter befinden. Der Motor ist nach den eigenen Angaben des Herrn Grade konstruiert und funktio niert außerordentlich zuverlässig. An der Spitze des Motors ist eine große hölzerne Luftschraube angebracht und darunter befindet sich der Platz des Aviatikers, der von hier aus den Apparat bequem steuern kann. Das Steuer be steht gleichfalls aus Segeltuch. Die Flugübungen begannen kurz nach 2 Uhr. Der Aviatiker überflog zunächst den Heller in westlicher Richtung und landete glatt in der Nähe der Grenadierhöhen. Dann umkreiste er den Platz fünfmal in der Zeit von 13 Minuten, wobei er eine Höhe von 100 bis 120 Metern erreichte. Auch die zweite Landung er folgte glatt, ebenso ging der Aufstieg ohne jede Störung von statten. Nach dem zweimaligen Aufstiege des Herrn Grade flog sein Schüler, Herr Kahnt, der gleichfalls recht gute Resultate erzielte. Herr Grade beabsichtigt in der nächsten Zeit Flugübungen für das größere Publikum zu veranstalten. —' Ein Referendar als Juwelenräuber« Referendar Dr. Paul, der am Montagnachmittag de» Ein bruch in ein hiesiges Juweliergeschäft verübte und sich dann erschossen hat, hat offenbar in einem Anfall geistiger Um nachtung gehandelt. Wie jetzt außer einem darauf hin deutenden ärztlichen Zeugnis bekannt wird, erschien Paul an einem der letzten Abende auf der Lindengasse, pochte an die Parterrefenster der Wohnung eines SanitätsrateS und verlangte in drohendem Tone von ihm die Herausgabe der Schmucksachen und des Silberzeuges. Erst als der Sanitätsrat Hilfe herbeirief, verschwand Dr. Paul in der Dunkelheit. Paul befand sich, wie weiter festgestellt wor den ist, in außerordentlich mißlichen finanziellen Verhält nissen. —' DaS Jubiläum der 100. Auffahrt erlebte am letzten Sonntage die noch junge WnsserstoffgaS-Füllstelle Weißig-Nünchritz des König!. Sächsischen Vereins für Luft- schisfahrt. Der Ballon „Riesa" stieg, festlich bekränzt. 10 Uhr vormittags unter Führung des HauptmannS Mueller auf. Er landete */«4 Uhr nachmittags in Klopschen bei Glogau. Auerbach i. B, 21. Dezember. Der Bezirksausschuß der AmtShauPtmannschast Auerbach bewilligte in der letzten Sitzung einen Betrag zu Prämien für Ermittelung von Vogelstellern. Chemnitz, 21. Dezember. Der 2jährige Knabe, der auf der MattheSstraße vom dritten Stockwerk der Wohnung seiner Eltern auf den Plattenfußweg herabstürzte, starb heute früh an den erlittenen schweren Verletzungen. Falkeustciu, 21. Dezember. Das 20. Gauturnsest deS vogtländischen Turngaue» wird am 12., 13. und 14. August 1911 hier stattfinden. Lobstädt bei Borna, 21. Dezember. Heute vormittag stürzte am Erweiterungsbau der Gewerkschaft „Viktoria" der 20 Jahre alte Maurer Schmidt so unglücklich von einem Gerüst, daß er sofort eine Leiche war. Reichenbach, 21. Dezember. Dieser Tage hat ein 13jähriger Junge in Netzschkau eine Drahtschlinge in die Hochspannungsleitung geworfen. Die Schlinge blieb hängen und kam in Berührung mit dem Erddraht. Dadurch ist Erdschluß entstanden. Die Folge davon war, daß 22 Ge meinden zum Teil vier Stunden stromlos wurden. Der Schaden, der dem städtischen Elektrizitätswerk dadurch ent stand, ist enorm. Die Angelegenheit ist der Staatsanwalt schaft übergeben worden. Waldheim, 21. Dezember. Der zweimal zum Tode verurteilte, vom Könige zu lebenslänglichem Zuchthause begnadigte vierfache Mörder Mann aus Mittweida-Rößgen wurde gestern nachmittag in die hiesige Strafanstalt ein geliefert. Kirche und Unterricht. k 71 katholische Studentenverbindungen zählt derzeit der KartellverbanL (CV) der katholischen deutschen Stu dentenverbindungen; davon sind 61 in Deutschland, 19 in — 116 — „Ich werde Sie anderen Glaubens machen. Es handelt sich für mich um Leben und Freiheit . . ." „Und das diktiert Ihr jetziges Verhalten. Ihr einziges Streben ist nunmehr dahin gerichtet, dem Blutgerüste zu entgehen, und hierin sind Sie allen Mördern gleich, die ich bisher kennen gelernt." Georg war völlig zu Boden geschmettert. „Er will mir keinen Glauben schenken!" murmelte er im Tone höchster Verzweiflung. „Und dennoch . . . Herr Untersuchungsrichter, ich war im Hause eines Herrn Rolleau augestellt, der vor einem Monat etwa bankerott wurde." „Nun?" „Eben dieser Bankerott hat mein Unglück herbeigeführt. Ich war aller Hilfsmittel beraubt, meine Tochter war verletzt nach Hause gebracht worden, ich -achte nur an sie und meine Frau, und war in meiner Not ehrlos genug, um mir etwas anzueignen, was mir nicht gehörte . . ." „Kommen Sie zur Sache," unterbrach ihn der Untersuchungsrichter rauh. „Ich habe bei Herrn Rolleau die Bücher geführt und werde Ihnen auf Wunsch gewisse Dinge anführen, wichtigere Umstände, die außer meinem Chef und mir niemandem bekannt sein können. Etwa an welchem Tage eine be deutende Summe bezahlt worden, oder zu welcher Zeit, unter welchen Um ständen ich auf einer gewissen <Äite meines Hauptbuches einen Tintenfleck gemacht . . ." „Wenn ein Mann, der so gewandt und so intelligent ist, wie Sie, sich Beweise seiner Unschuld sichern will, so findet er Mittel und Wege, um diesen Zweck schon früher zu erreichen." „Sie werden es aber nicht ablehnen, durch mich den Beweis meiner Schuldlosigkeit erbringen zu lassen." „Gewiß nicht, und schon in einem nächsten Verhöre will ich mich über zeugen, wie weit Sie in Ihrer Kühnheit und Schlauheit gehen." „Kühnheit und Schlauheit! Ich weiß ja nicht mehr, was ich tun oder sagen soll, um Sie zu überzeugen. Sie müssen indessen über irgend ein Kri terium verfügen, dem Sie mich unterziehen wollen, um zu einer endgültigen Ansicht zu gelangen, und ich bitte Sie, ich beschwöre Sie. ich flehe Sie an, jedwedes Mittel anzuwenden, um sich zu überzeugen, daß ich die Wahrheit gesprochen." Und. da ihm der Untersuchungsrichter mit einem gewissen Interesse zu- ,»hören schien, fügte Largeval hinzu: „Sie werden und können mir nicht zürnen. Wessen habe ich mich Ihnen gegenüber schuldig gemacht? Nichts, gar nichts! Sie können mir gegenüber nur jenen berufsmäßigen Eifer betätigen, der jeden Richter beseelt, der die Gesellschaft, deren Verteidigung ihm übertragen ist, mit möglichstem Erfolge beschützen will." „DaS ist allerdings richtig." „Nun, so sagen Sie eS mir selbst, auf welche Weise ich Ihnen den Be weis erbringen soll, daß ich nicht lüge. Ich wiederhole es Ihnen noch hundert mal, daß ich einen Namen, den Namen meines Bruders, gestohlen und mich desselben bedient habe, um mir anzueignen, waS nicht mein war. Ich habe aber niemals einen Menschen getötet, kenne keinen Tricart, Perlot. oder wie sie alle heißen mögen. DaS schwöre, das gelobe ich Ihnen!* — 113 — Georg, der auf diese Weise erfuhr, was sein Bruder getan, war fassungs los vor Staunen. Er fühlte instinktiv, daß sich ein Abgrund zu seinen Füßen erschlossen habe, und faßte den Entschluß, alles zu gestehen, als die letzten Worte des Richters an sein Ohr drangen. „Meine Genossen!" wiederholte er, „meine Genossen!" „Nun ja. Ihre Beharrlichkeit, den Erstaunten zu spielen, wird mich schließlich noch ungeduldig machen. Die Leute, die Sie vor der Polizei in Sicherheit brachten, konnten nur Ihre Genossen sein, und wenn Sie nicht ein Verbrechen begangen hätten, das den beiden bekannt gewesen, so hätten Sie ihnen gegenüber auch kein derartiges Entgegenkommen beweisen müssen. DaS Erscheinen der Polizei flößte Ihnen einen gewaltigen Schrecken ein und dies legte Ihnen den Gedanken nahe, sich dieser zwei Männer, die für Sie eine immerwährende Gefahr bedeuteten, zu entledigen. In tnr ersten Ueber- raschung hatten die beiden Eindringlinge die Torheit begangen, sich von Ihnen einschließen zu lassen, und da sagten Sie sich. Laß Las sicherste Mittel, sich der beiden zu entledigen, darin bestehe, sie in ihrem Verstecke umkommen zu lassen. Die isolierte Lage des von Ihnen bewohnten Pavillons inmitten eines großen Gartens gestattete Ihnen, dieses Projekt zur Ausführung zu bringen, ohne sich der Gefahr einer Entdeckung auszusetzen. Der unerklärliche Lärm, das verzweifelte Geschrei, nach Lessen Ursprung Sie sich in unerhört kecker Weise bei Ihrem Portier zu erkundigen wagten, hätten Sie besser zu erklären vermocht. Ihr Vorhaben gelang Ihnen vollkommen und Tricart nebst Genossen kamen durch ihre Kühnheit und Unerschrockenheit um. Dies sind die nackten Tatsachen, die Sie vergebens hinwegzuleugnen suchen." Largeval hatte seinen Kopf mit beiden Händen gefaßt und raufte sich in höchster Verzweiflung das Haar. Er vergaß, wo er sich befinde, und fluchte und schmähte. Dann gewann allmählich wieder die Vernunft die Oberhand. „Und wenn man bedenkt, daß ich durch eigenes Verschulden in diese ver- zweifelte Lage geriet!" sagte er sich im Stillen. Die Wahrheit blendete ihn förmlich. Zwei Punkte tvaren es hauptsäch lich, die ihn mit Entsetzen erfüllten. Erstens hielt man ihn für einen feigen, unbarmherzigen Mörder, zweitens mußte er sich sagen, daß Remi, sein Bru der, der eigentliche Schuldige sei. Ein Zweifel schien in der Tat völlig ausgeschlossen; es mußte sich wirk- lich alles so zugetragen haben, wie es der Untersuchungsrichter schilderte. Ja, Remi war ein Verbrecher gewesen, und er hatte auch die beiden Männer in seinem Hause ausgenommen. Es war indessen wahrscheinlich, daß er sie nicht dem Tode überantworten wollte, sondern die Absicht hatte, sie zu ernähren und ihnen zur Freiheit zu verhelfen. Infolge seines plötzlichen Todes war ihm aber keine Zeit geblieben, irgend welche Verfügungen zu tref fen, und der Tod deS Rentiers, von dessen Geheimnis niemand Kenntnis be saß, hatte buchstäblich den Tod der beiden Banditen nach sich gezogen. Sein Unstern führte Georg an jenem Abend zu seinem Bruder und ver- anlaßte ihn, als er Remi leblos vor sich liegen sah, eine Idee auszuführen, die ihn anfänglich so einfach und glänzend erschien, zu deren Ausführung er bloß etwas Mut zu benötigen meinte, und die sich jetzt gleich einem mit zahl- losen Armen versehenen Feind gegen ihn wandte, ihn umschlang und z», Boden ritz. , , , i' — Vchuld und Süßm/ '