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Ritterliche Ehre. Das Bonner Feudalkorps „Borussia" wurde, wie wir seinerzeit berichteten, auf ein halbes Jahr vom aka demischen Senate suspendiert. Sieben Mitglieder des Korps hatten nachts den Neserveunteroffizier Feith in seiner „Bude" überfallen, dort alles kurz und klein geschla- gen. den Feith selbst mißhandelt und sich in jeder Weise wie Apachen aufgeführt. Der Grund war, daß Feith, der Ka tholik ist. eine andere Ueberzeugung von der Notwendigkeit des Duells hatte, wie diese Wächter „ritterlicher Ehre". Unter denen, die sich an diesem Streiche beteiligten, lvaren auch mehrere Einjährige. Das Militärgericht, vor dem sich diese stellen mußten, war der Anschauung, daß man es nur mit einem „Scherz" zu tun habe, und sprach die Angeklagten frei. Die akademischen Behörden sahen die Sache anders an; sie relegierten zwei Studenten von der Universität und suspendierten das Korps. Dieser Gegensatz zwischen Militär und Akademie war um so merk würdiger, da die Militärgerichte in anderen Fällen, wenn es sich um Ausschreitungen Untergebener gegen Vorgesetzte handelt, auch wenn diese Ausschreitungen lange nicht den Grad erreichen wie im Falle Feith, mit drakonischer Strenge Vorgehen. Run hat das Bonner Zivilgericht ebenfalls über zwei der Täter zu urteilen gehabt. Es hat die Sache wesentlich schärfer beurteilt als das Militärgericht: es nahm einen gemeinsamen Hausfriedensbruch an und verurteilte die Missetäter wegen der bewiesenen außer ordentlichen Roheit zu vierzehn Tagen Gefängnis. SS handelt sich dabei gar nicht um die Frage des Ein tretens für oder gegen das Duell — nicht nur in der Stu dentenschaft sind über sie bislang noch die Meinungen sehr divergierend —, sondern es handelt sich um die bewiesene maßlose Brutalität, mit der „man" um einer prin zipiellen Meinungsverschiedenheit willen über den Gegner herfiel, und es handelt sich um die namenlose moralische und physische Feigheit der Attentäter. Denn es gehört schon eine ganz erkleckliche Portion dieser Eigenschaft dazu, wenn ryan sich verabredet, zu vielen nachts in die Wohnung eines einzelnen zu dringen, sie auf vandalische Weise zu demolieren und viridns unitis über den einen herzufallen. DaS Bonner Gericht hat denn auch in seiner Urteilsbegrün dung ganz ausdrücklich ausgesprochen, daß die Strafe des halb so schwer ansfallen mußte, weil ein einzelner ganz gewiß nicht den Mut zu dem Ucberfall gehabt haben würde. DaS Urteil ist gefällt: es wird hoffentlich gute Früchte tragen. Nicht zum mindesten für die Verurteilten selbst: denn ziehen sie aus ihm eine Lehre, so werden sie, wenn sie etwas reifer geworden sind, einsehen, wie verfehlt ihre An schauungen von „ritterlicher Ehre und adeliger Gesinnung" doch waren. Der schönste Erfolg der Rechtspflege ist, er- zieherisch wirken zu können: möge er ihr in dem Bonner Falle beschieden sein! Sächsischer Landtag. Dre«de», den 18. Avril 1910. Die Zweite Kammer trat heute abend 6 Uhr zu ihrer 62. öffentl. Sitzung zusammen. Auf der Tagesordnung standen Wahlprüfungen. Vor Eintritt in die Tagesordnung gab der Präsident die Tagesordnung der morgen vormittag 11 Uhr stattfindenden Sitzung bekannt. Zur Beratung stehen morgen das Nadelarbeitslehrerinnengesetz, Kapitel des Kultusetats, sowie des ordentlichen und außerordent lichen Etats, Petitionen usw. Zunächst referierte Abg. Nitzsche (Soz.) über die Wahl im Wahlkreise der Stadt Plauen i. V. (Abg. Günther, freis.). Er stellte fest, daß die Wahl nicht angefochten sei, doch seien mehrfach Stimmzettel mit Bemerkungen, darun ter ein solcher mit den Worten: „Mach so weiter, Oskar!" abgegeben worden. Es handle sich nun darum, festzustellen, ob solche Zettel gültig seien oder nicht. Dieser Zettel sei wohl an und für sich gültig, doch sei es wohl angebracht, wenn seitens der Regierung derartige Zettel für ungültig erklärt würden. Er bitte die Wahl des Abg. Günther für gültig zu erklären. Die Kammer beschließt demgemäß. Ueber die Wahl im 8. ländlichen Wahlkreise (Abg. Kockel, kons.) referierte Abg. Hettner. Auch er bean tragte die Gültigkeitserklärung der Wahl des Abg. Kockel. Die Kammer beschloß demgemäß. Abg. Gleisberg referierte nunmehr über die Wahl im 17. städtischen Wahlkreise (Abg. Demmler, Soz.). Er beantragte ebenfalls, die Wahl für gültig zu erklären. Die Abg. Frenzel (kons.), Günther (freis.) und Langham mer (nat.-lib.) traten bei dieser Gelegenheit dafür ein, daß an Wahltagen in Zukunft Kontrollversammlungen nicht niehr stattfinden dürfen. Die Kammer erklärte hierauf die Wahl des Abgeordneten Demmler für gültig. Ueber die Wahl im 33. ländlichen Wahlkreise (Abg. Heymann, kons.) referierte Abg. Günther und bean tragte. auch diese Wahl für gültig zu erklären. Auch diesem Votum stimmte die Kammer bei. Bezüglich der Wahl im 8. städtischen Wahlkreise (Abg. Beda, nat.-lib.) beantragte Abg. Dr. Niethammer, diese Wahl gleichfalls für gültig zu erklären. Abg. Sind ermann (Soz.) erklärte, daß er und seine politischen Freunde trotz der Wahlbeeinflussung von amtlicher Seite für die Gültigkeitserklärung stimmen würden. Die Kammer erklärte die Wahl für gültig. Auch betreffs der Wahl des Abg. Wappler (nat.-lib.) beantragte der Berichterstatter Abg. Biener (Ref.), die Wahl im 2. Wahlkreise der Stadt Leipzig für gültig zu erklären. Es folgte eine kurze Debatte über die Streichung von Wählern, an der sich Abg. Illge (Soz.) und Ministe rialdirektor Geheimer Rat Dr. Scheicher beteiligten. Ter letztere erörterte besonders die Auslegung der Aus führungsverordnung für das Wahlgesetz. Abg. Hettner (nat.-lib). stimmt den Ausführungen des Herrn Regie rungskommissars nicht zu. Nach einer weiteren Debatte, in der Ministerialdirektor Dr. Schelcher sich nochmals gegen die Auffassung des Abg. Hetter ausspricht, wurde auch die Wahl des Abg. Wappler für gültig erklärt. Zum Schlüsse erklärte die Kammer auch noch die Wahl im 3. städtischen Landtagswahlkreise (Abg. Kn ob loch, kons.) für gültig, . Gemeinde- und Vereinsnachrichten. 8 Dreedrn-Ncustadt. Sonntag den 24. April nach- mittag 4 Uhr ist der JünglingSverein zu dem Schau turnen der Turn-Abteilung in sder Schulturnhalle, Grüne Straße 1. eingeladen und alle Mitglieder werden gebeten, zu erscheinen. Programm: Aufmarsch. Ansprache des Herrn Präses Kaplan Just, Freiübungen, Riegcnturnen, Sonder ausführungen am Barren, Spiele. 8 Leipzig. In der letzten Mitgliederversammlung de« Zentralverbandcs christlicher Schneider u n d S ch n e i d e r i n n e n sprach der Vorsitzende Schwarzer über das Thema: „Die Besonderheiten der deutschen Ar beiterbewegung." Ausgehend von dem Schlagwort christ licher Arbeiterzersplitterer behandelte Redner die Entwicke lungsgeschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Dir deutsche Sozialdemokratie habe kein Recht, sich als Erfinder des Gewerkschaftsgedankens aufzuspielen, auch diese haben, wie die Hirsch-Dunkerschen, die Gewerksck-aftsbetvegung von England Herübergenomnien, woselbst die Arbeiter bewegung schon hoch war, ehe die Sozialdemokratie auf den Plan trat. Man kann es den deutschen Arbeitern nicht z» muten, daß sie ihr freies politisches Denken den sozia listischen Utopien zum Opfer bringen. Mit der Neutralitäts- Phrase wird ein großer Schwindel getrieben, um dumme und unaufgeklärte Arbeiter einzufangen. Tausende von Mark fließen jährlich aus den Gewerkschaftskassen in di« sozialdemokratische Parteikasse. Zahlreiche Lohnbewegungen mußten deshalb unterbleiben oder abgebrochen werden, woran auch der freie Schneiderverband beteiligt ist. Unter diesen Umständen ist es für die christlick)« und nationale- gesinnte Arbeiterschaft Pflicht, sich selbständig auf christlicher Grundlage zu organisieren im Gegensatz zu den auf de» materialistischen Weltanschauung fußenden freien Gewerk schaften. Die Versammlung nahm hierauf folgende Reso lution an: „Die Versammlung protestiert ganz entschieden gegen den Vorwurf der Arbeiterzersplitterung von seiten des freien Schneiderverbandes. An der Zersplitterung tragen diejenigen die Schuld, welche die Arbeiterbewegung auf di» sozialdemokratische Bahn geführt haben. Die Versammlung ist der Ueberzeugung, daß die Arbeiterschaft nur dann dir wirtschaftliche Lage verbessern kann, wenn dies in neutraler Weise geschieht, wie in dem Verbände christlicher Schneider und Schneiderinnen, Sitz Köln." 8 Sebnitz. Am 10. April feierte im Hotel Stadt Dres den die katholische Gemeinde von Sebnitz das Silberjubi läum des katholischen Frauen Vereins mit herz licher Anteilnahme. Nicht bloß die katholischen Vereine in Sebnitz waren alle erschienen, auch das katholische Kasino von Neustadt i. S., sowie Schwestervereine, wie der Frauen hilfsverein aus Hainspach und der Elisabethverein auS Niedereinsiedel in Böhmen hatten Vertreter entsandt. Die Walzersuite ..Frühlingszauber" für gemischten Chor von Weinzierl, vorgetragen vom katholischen Kirchenchorgesang verein „Cäcilia" unter Leitung des Herrn Lehrers Hahn, eröffnete die Festfeier, worauf die Vorsteherin des Jubet- Vereins Frau Blumenfabrikant Anna Hesse alle Erschie nenen mit herzlichem Willkommen begrüßte und ihnen nach — 112 — „Meinetwegen," schrie der Korbrnacher und fuhr mit den Fäusten in die Luft. „Nur herein da, nur herein! Dann seht Ihr, wie's bei uns auSsieht. Kein Feuer im Ofen, kein Brot in der Lade, die Kinder heulen vor Hunger - nur herein!" Tafinger zuckte die Achseln. „Dafür kann ich nicht." „So?" schrie der Mann. „Wer denn sonst? Wer hat uns die Hypothek gekündigt? Wer entzieht uns die Arbeit? Wer will uns unsere Häuser neh men — unsere Hemmt? Wer sonst, als Ihr?" „Du bist verrückt!" schrie Tafinger zornig, erbittert durch diese An klagen. — Mit einem Male standen zehn, zwanzig Männer um ihn herum und starrten ihn aus bleichem Gesicht, mit funkelnden, wilden, gierigen Augen an. Der Hunger sprach aus ihren Mienen, die Not stand in ihren welken Zügen geschrieben, aber auch eine trotzige, finstere Entschlossenheit. So hatte Tafinger die Männer aus dem Erlengrunde noch nie gesehen. Bisher waren sie ihm immer ängstlich und verschüchtert begegnet, hatten ihn unterwürfig gegrüßt und ihm nie zu widersprechen gewagt. Und nun sah «r Trotz und heißen Zorn in ihren Mienen. Das reizte ihn, denn er war gewohnt, immer und überall Knechtsinn und Unterwürfigkeit zu finden. Er ahnte nicht, wie in den endlos langen Wochen des Hungers und der Sorge uitt ihre Heimat der Haß in diesen armen Menschen, die ihr Heiligstes bedroht sahen, riesengroß emporgewachsen war. Ein wirres Geschrei Hub an, auch die Frauen liefen herbei. „WaS sagt «<?... Wir seien Diebe? . .« Wegen einer lunipigen Gans ein solches Geschrei? ... Er hat einen ganzen Stall voll! . . . Und fette Schweine! Er läßt sich's Wohl sein! — Seht, wie fett uird dick er ist! ... Aber den Armen gibt er nichts! . . . Uns läßt er verhungern. Der Schinder! . . , Der Blutsauger! . . . Der Tyrann! . . ." So schwirrte es durcheinander. Tafinger blickte zornig um sich. „WaS Wollt ihr? ... Der Dieb muß heraus! Ich hole die Polizei! Nennt ihn mir!" Ein bitteres Gelächter schlug an sein Ohr. „Such ihn selberI Such iyn nur!" „Das tue ich auch. Tyras wird ihn schon herausfinden aus der Bande." „Tyras? — den Hund will er auf uns Hetzen? — Den schlagen wir tot . . . Und eine Bande schimpft er uns?" Die Frauen kreischten auf: „Wir sind keine Diebe und keine Bande." Eines der Weiber, eine Frau mit eingefallenen Wangen und tiefliegen den Augen, trat auf ihn zu und starrte ihn an. „Such nur — du! Suchl Such wie ein Hundl Dort ist mein HauSI Drinnen liegt mein Mann und stirbt. Vor Hunger stirbt er. Und die Kinder folgen ihm nach. Geh nur hin und schau dir das Elend an. Wie Hunde müssen wir leben, — wie Hundei" Eine andere löste sie ab, ein junge« Weib, die in ihren dünnen Kleidern vor Kälte zitterte. „Deine gute Frau hat uns sonst durch den Winter gehol- fen," rief sie. „Brot und Milch und Fleisch hat sie uns gebracht, und Holz durften wir haben, aber du hast'S ihr verboten. Jetzt hungern wir. Ich habe seit Kirchweih kein Bröckchen Fleisch mehr gesehen und seit Sonntag kein Brot. Waruni bist du so hart? O meine armen Kinderl" . .. Ki« verhüllte daS EstMt mit ihr« Ähürze und schluchzt« laut. . ^ : — 109 — „Aber es ist Sonntag," wagte er einzuwenden. „Soll ich vielleicht am Sonntag verhungern?" fuhr sie ihn an. „Gib acht, ich lehr dich laufen. Da in der Ecke steht der Haselstecken." Baste fügte sich seufzend, zog die Pelzkappe über die Ohren, nahm Beil, Angel und Köder und machte sich auf den Weg. Marsan trank das Bier, legte sich auf das Bett und in der milden Wärme, die sie umfing, schlief sie bald ein. — Es war eine stille, Helle, kalte Nacht. Nur über dem See stand der Nebel wie eine weiße Mauer, und einzelne Schneeflocken fielen. Baste zitterte vor Kälte, und sein Magen knurrte; eS hungerte iyn. So kam er an den See. Weit und breit war kein Laut zu hören. Er war allein mit seinen Ge danken und mit seinem Hunger. Er kniete auf die Eisdecke nieder und fing an, mit dem Beil ein Loch zu hacken. Die Eissplitter flogen ihm ins Gesicht und stachen wie Nadeln. Aber er lachte leise vor sich hin. „Es ist ein stiller Abend," sagte er. „Ich werde einen guten Fang tun — zwei, drei Fische werde ich fangen, oder gar vier — vier große, lange, dicke Fische. Wenn die in der Pfanne schmoren, wird Frau Marjan lachen ... Da wollen wir es uns schmecken lassen. Mich hungert wirklich sehrl Ganz krank bin ich vo, Hunger. Es ist auch kein Wunder, Tag für Tag Kartoffeln und Salz — da muß einer herunterkommen." — Nun war ein genügend großes Loch ins Eis gehauen, das Waffe, quirlte unter der festen Decke. Faste versenkte die Angel und setzte sich auf das Eis . . . Die Zeit verging, er wußte nicht, waren es Minuten oder Stunden. Die Kälte nahm zu. Hände und Füße waren ihm wie erstarrt, an Brauen und Bart setzte sich der Reif gleich eisigen Dornen an. Er erhob sich und machte ein paar Schritte, setzte sich aber gleich wieder hin, weil ihm die Knie schmerzten. Eine große Ermüdung überfiel ihn. „Wenn ich jetzt am warmen Ofen sitzen könnte," dachte er. „Da muß es schön sein. Was für ein Kind die Friedl ist!" Die Angel zuckte noch immer nicht. „Was das nur ist? Mi» leeren Händen darf ich nicht heimkommen, sonst schilt Marjan." Die Kälte wurde mit jeder Minute grimmiger, eisige Windstöße fuhren daher und drangen ihm durch die dünnen Kleider, daß fein ganzer Körper zitterte. Die Kälte ging ihm durch die Knochen und den Leib, das Blut schien ihm in den Adern zu gefrieren. Plötzlich ward es ihm ganz heiß, daß der Schweiß auf seiner Stirne stand und dann gefror. Die Angel zuckte ... ein Fisch, ein Fisch, so lang fast wie ein Arm. Er vergaß Frost und Fiberhitze, löste den Fisch von der Angel und schlug ihn tot. Seine zitternden Hände bargen den Fisch in der Tasche seiner Joppe. Dann wollte er die Angel aufs neue ins Wasser versenken, aber da fühlt, er plötzlich einen Schwindel und mußte sich auf den Angelstock stützen. ..Mein Gott," stammelte er, „ich will nach Hause, ich bin so müde, so müde —" Auf den Stock gestützt, wankte er zum Ufer. Die Füße waren so schwer wie Bleiklötze, er konnte sie nicht heben, sondern mußte sie langsam auf dem Eile fortschieben, wie einen Schlitten, sie waren abgestorben und empfin dungslos, daß er glaubte, sie gehören gar nicht ihm. Mühsam erreichte er Kä ufer, Mir eine Minute guSruhen," dachte er« »nur einen Augenblick." Bef i