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Sächsische Volkszeitung : 18.06.1921
- Erscheinungsdatum
- 1921-06-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192106186
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19210618
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19210618
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1921
-
Monat
1921-06
- Tag 1921-06-18
-
Monat
1921-06
-
Jahr
1921
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 18.06.1921
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»>41«1«» »«II«,«1»,», Nr. 138. Leite « Gonnabend den 18. Juist 1921 N MkMl In MIlWMWkll Die Rede deS Abg. Hetzlein Bei der zweiten Beratung des Gesetzentwurfes über das Steuerrecht der öffentlich-rechtlichen Re. ligionsgesellschasten, über den in nächster Woche im Landtag abgestimmt werden wird, führte Abg. Hehl ein (Christi. Volkspartci, Zentrum) folgen? de» auS: Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, daß es sich hier bei dieser Frage, so wie sie durch das Mehrheitsgutachten und die Mehrheitsbeschlüsse des RechtsausschusseS uns vorliegt, tatsächlich um eine Machtfrage handelt, dann habe» es die Ausführungen des Herrn Abg. Wecket ergeben, der gesagt hat: Wir, also die drüben, sind jetzt in der Mehrheit und die Rechts- Parteien sind in der Minderheit, infolgedessen wird diese Frage so geregelt. Das war die Quintessenz seiner Ausführungen. (Zuruf links: Sie sind ja immun!) Sie haben es ja direkt aus gesprochen. Ich meine, es handelt sich hier in erster Linie um eine rechtliche Frage, und zwar aus folgendem Grunde. Es ist durch die Reichsverfassung im Prinzip die Trennung von Kirche und Staat beschlossen, und wenn jetzt in den einzelnen Ländern Gesetze gemacht werden, die so in das Steuerrecht der Kirche eingreifen wie hier, so ist das eben für ein 'lebergangs- stadium gedacht, und daher können die Ausführungen, die der Herr Abg. Meckel gemacht hat und die sich mit der im Prinzip schon beschlossenen Trennung von Staat unl Kirche beschäftigen, nicht ins Feld geführt werden. Nun bat, um das gleich vorweg zu nehmen, der Herr Abg. Wecke! fast genau so wie bei der ersten Beratung am 25. Februar sein Parteifreund Müller wieder behauptet und in Zusammen hang damit gebracht, das; von der Kirche angeblich Flugblät ter in Massen in das Volk geworfen würden und das; dafür jedenfalls Geld vorhanden sei. Ich möchte wie damals am Lö. Februar ausdrücklich betonen, daß es sich hier selbstverständ lich »in Organisationen handelt, die aus kirchlichen Laienkreisen berauö gebildet worden ist, die aber mit der kirchlichen Behörden Nichte zu tun haben. Wenn Sie aber diese Frage schon anschneiden, so möchte ich Ihnen gegenüber einmal darauf Hinweisen, das; Sie jetzt diese ganze Frage politisieren und auf den Boden der Parteipolitik stellen. Ich möchte darauf Hinweisen, das; doch die Sozial demokratische Partei jetzt bei den Elternrats- w ahle », die am Sonntag in Dresden stattfinden, 29 999 M. ausgeworfen hat. (Zuruf links: Aber nicht die Steuerzahler. — Zuruf rechts: Aber ausgcworfenN Herr Kollege Weckel hat auch buu Flugblättern gesprochen, die gehen aber nicht von kirchlichen Behörden aus, sondern von privaten Organisationen, sei eS der t'vlkr'u'chliche Laienbnnd, sei es der Volksverein für das katbol. Deuifchland. Wie Sie diese Welianschauungsfragcn auch ans dem Gebiete der Kirche und Schule politisieren, dafür will ich (Abg. Schneller: Ist nicht nötig!) — — Ob Sie das für nötig halten, Herr Abg. Schneller, ist mir gleich. Ich habe hier genau so da? Recht, meinen Staudounkt zu vertreten wie Sie. Ich !' ä Ihnen ein Beispiel dafür anführcn. Jetzt, bei der Auf stellung der Listen für die Elternratswahlen, hat ein Sozialdemokrat, der Mitglied des bisherigen Elternrates an einer katholischen Schule ist, erklärt: Und wenn er nicht wollte, so wäre er von der sozialdemokratischen Parteileitung aus verpflichtet, für die Auf stellung einer sozialdemokratischen Liste Sorge zu trauen. (Hört! Hört! rechts.) So betrachten Sie diese Frage vom rein parteipolitischen Standpunkte aus. und dann kommen Sie bei derartigen Fragen, die die Relipionsaesellschaften betreffen und werfen den kirch lichen Körperschaften vor, das; kirchliche Organisationen Flug blätter beransaeben. Daraus sehen Sie schon, auf welchem Boden die Sack'e von der linken Seite gestellt wird. (Sehr richtig! rechts.) Sckon daraus sehen Sie, das; es eine Machtfrage ist. Im übrigen möchte ich nur zur Beruhigung sagen, daß die Bewegung, die Sie auf dem Gebiete des Kirchen austritts inszeniert haben, eine rückläufige ist. DaS beweist, daß es Ihnen an den 7 katholischen Schulen Dresdens nur an einer gelungen ist, eine sozialdemokratische Liste aufznstcllen. Dah die Frage eine Machtfrage ist, beweist die Tatsache, daß Sie gar nicht einmal hören wollen, was in dem von mir am 25. Februar erwähnten ersten Entwurf de» Kultusministeriums enthalten ist. Wenn Sie dieser wichngen Frage nur einigermaßen mit dem Gefühle der Objektivität und vnm Standpunkte des Rechtes und der Gerechtigkeit ans gegen- übertrctcn würden, hätten Sie dem Beschlüsse der Minderheit entaegenkommen müssen und hätten sich wenigstens einmal die Mühe nehmen müssen, das Manuskript, das die frühere Stel lungnahme der Negierung enthält, holen und zum Bortrag drin- gen zu lassen. Daran» allein geht schon hervor, dah Sie von vornherein mit der bestimmten Absicht hergekommen sind, diese Frage zu einer Machtfrage zu stempeln. (Zuruf recht»: Natür- lichl) Nun hat da» Justizministerium ein Gutachten herausgegeben, und da muh ich allerdings offen gestehen, dah mein Vertrauen zur NechtSsakultät der Universität Leipzig ein größeres gewesen wäre als zum Justizministerium. In diesem Gutachten sind verschiedentlich Aeuherungen von Zentrums- führen; angeführt, die in den VerfassungSauSschuh der Nationalversammlung in Weimar gemacht worden sind. Da heißt es: „Durch diese Ausführungen, die keinen Widerspruch fan, de», wurde also klargestellt, daß e» der LandeSgesehgebung schlechthin freistehen soll, das kirchliche Besteuerungsrecht aus die phpsischen Mitglieder der Religionsgesellschaften zu be schränken oder auch auf juristische Personen auSzudehncn." Wenn in diesen Sähen auch die Stellungnahme offen ge lassen ist, so ist auf der anderen Seite durch den Sperrdruck verschiedener Stellen und durch das ganze Gutachten der An schein erweckt, als ob die Herren Abgg. Gröber und Maus bach im Verfassungsausschufse der Weimarer Nationalversamm lung den Standpunkt der Mehrheit des NechtsauSschusses ein genommen hätten, der auch in der Vorlage zum Ausdruck ge kommen ist. Es heißt in den Ausführungen, die der Herr Abg. Gröber gemacht hat, ausdrücklich: „Wir wollten aus diesem Anlaß nicht in die bestehende Laudesgesetzgebnng eingreifen. So scheint es mir ganz richtig zu sein, wenn wir eine Fassung wählen, die uns nicht zwingt, zu dieser positiven Einzelfrage Stellung zu nehmen, sondern die im allgemeinen es ausspricht," — er sagt im allge meinen — „daß in dieser Beziehung es beim Landesgesctz seine Bewendung haben soll." Er nimmt also in seinen Ausführungen ausdrücklich Be zug auf das sächsische Gesetz. Es haben ihm also die Para graphen des- früheren sächsischen Gesetzes vorgeschwebt und er konnte gar nicht daran denken, das; hier zugunsten des Kapita lismus — da können Sie sich drehen und wenden, wie Sie wollen, das ist eine Tatsache — eine Aenderung eintreten sollte. Noch deutlicher kommt das zum Ausdruck, meine Herren, in den Ausführungen, die der Herr Abg. Mausbach gemacht hat, wenn er ausdrücklich lagt: „der Antrag, der dem VerfassungSausschusse in Weimar Vor gelegen hat, lässt insbesondere die Möglichkeit offen, auch Aktiengesellschaften und andere Vereine zu besteuern, wie es ia in Baden und anderen Ländern schon praktisch geworden ist." Sie sehen, daß der Abg. MauSbach in der Weimarer Nationalversammlung noch einen Schritt weiter ge- ganaen i st und das; diese AuSlassunaen nicht für die Ansicht der Mehrheit des Rechtsausschusses und des Justizministeriums in Anspruch genommen werden können, (andern daß sie gerade dafür plädieren, dal; die .Körperschaftsstcncrn, überhaupt diese in Frage kommenden Steuer», weiter erhoben werden müssen und weiter erhoben werden sollen. Es wird sich da bei der Abstimmung natürlich das zeiaen, was der Herr Abg. Weckes zum Ausdruck gebracht bat, indem er davon gesprochen bat, daß nach der Mehrheit entschieden wird. (Zuruf links: Wie denken Sie sich denn das?) Ich denke mir das so, das; ich bei solchen Lagen frage, was Recht und Ge rechtigkeit und Billigkeit ist. Ich sage, Sie werden in diesem Sinne Ihre Macht ausüben. Sie werden in die Reihe der Gesetze, die nach der Revolution in diesem Hanls ent standen sind, ein weiteres Glied cinreiben und Sie werden das Vergnügen haben, später einmal in der Geschichte als eine der Mehrheiten geführt zu werden, die den traurigen Ruhm für sich in Anspruch nehmen kann, hier eine Art Jakobiner tum in Szene gesetzt zu haben. Ai» unr«r« Lbsnnsntsn! >m Inkci-esse einen genegellen Lusteilung 6ei- 83ciisiseken Voiksreitung bitten ivieckiejeninen unsei-ei- veriekee, 6ie iki- Abonnement ftii- «Iss 3. Ousi-tal 1921 nock nickt ecneuect Koben, es umgebend bei «lei- nöckslen postsnslslt ru tun. Ebenso bitten >vii- um genaue Angode, ob Aus- gode A (mit veilage) viei-teijZki-iick 12.75 IN. oriei- Ausgabe 8 (okne keiisge) vlei-teijoki-- lick 11.25 M. geivünsekt «vii-«i Sächsischer Landtag Dresden, 17. Juni Auf der heutigen Tagesordnung standen zwei Punkte: der Gesetzentwurf über die Bezüge der in Ruhe stand versetzten Geistlichen und deren Hinter bliebenen und der Gesetzentwurf über die Verteilung der persönlichen VolkSschullaste» zwischen Staat und Schulgemeinden in den Rechnungsjahren 1929 und 1921. Die erstgenannte Vor lage wurde, nachdem Ministerialdirektor Dr. Michel eine kurze Begründung derselben gegeben hatte, auf Antrag des Abg. M ü l l e r - Leipzig (Unabh.) ohne Aussprache an den Haus- hältsausschutz A überwiesen. Die Kammer tritt daun iu die erste Beratung des Gesetz, entwurfes über die Verteilung der persönliche» V o l k S s ch u l l a st e n zwischen Staat und Gemein den;» den Rechnungsjahren 1929 und 1921 ei». Ministerial. direktor Michel bemerkt, daß diese Vorlage im Hause eine ge wisse Enttäuschung Hervorrufen werde. Die Volkskammer habe den Gesetzentwurf schon früher gewünscht. Aber gewisse Um stände hätten die Fertigstellung desselben hinausgezögert. Ueber- haupt werde dieses Gesetz nur eine kurze Lebensdauer haben, da nach erfolgter Trennung von Staat und Kirche die Ablösung der Peusionskasse ebenfalls erfolgen müsse. Redner bittet, de» Ge setzentwurf möglichst noch vor Eintritt iu die Sommerfcrieu zu verabschieden. Abg. Dr. Eberle (Dntl.) erblickt in de»; Entwurf kettir glückliche Lösung der Schullastensrage. Es werde einen ewige» Wirrwarr geben, während es viel einfacher gewesen wäre, wenn die Gemeinden die Schullaste» selbst weitertrllgen, aber, wenn nötig, durch Staatsbeihilfen unterstützt würden. Abg. Röllig (D. Vp.) äußert schwere Bedenken gegen dis Vorlage und spricht den Wunsch aus, daß in Zukunft derirug wichtige Vorlagen früher herüber gegeben werden möchieu als kurz vor der Vertagung des Hauses. Redner beantragt, den Ent wurf an den HaushaltsanSschuß A zu verweis n. Abg. Dr. Sepfert (Dem.) betont, das; der Entwurf »n- gerecbt wirke sowohl bei den Gemeinden wie gegeni'i':-r den Lehrer '. Der Maßstab sei für die Gemeinden uu;u>'eicheud. Nur durch die Einkommensteuer könnten die gewaltigen Sclust- lasteu erfüllt werde». Das neue in Ausiich: siebende Scpullastea- gesetz werde Bremsen anlegen müssen. Der Ausgleich werde zu von; Staat erfolgen müsse», wenn die Gem.'nideu ihre geldlichen Pflichten erfüllen sollten. Der Entwurf wer»? aber auch lue Freizügigkeit der älteren Lehrer hemme;, da keine Gemein re sie übernehmen wolle, sondern alle mü:d:n möglichst jüuge.e Lehrkräfte anstelle» Durch dieses Gesel.; werde nichts erreicht, weder bei den Gemeinden noch bei den pebr-ru. Nachdem noch die Abgg. Müller Le(l.'nabbch und Schur: g (Soz.) gegen den Geiebentwuef stell geäußert ba::>n, kam cS zu einen; scharfen Z u s a m m n it o s; zmii ben F'nanzmiilister Heldt und dem flüstere.; Kultusminister Ara. Dr. Sepfert (Dem.) Minister Heldt eck!;':: auf die Au:- fübrimgeii Dr. Sevferts, daß dieser mit dem trübere,' ?inm;- vstnister Dr. Reinbold an den entitaudeueu Lcbiv eriakstter tt! ':u schuld seien, da es sich um die Sch».lasten der ..iecimmaSgabie 1929 und 1921 handle. Dr. Sepfert habe ;'s Kustm i»i".,ner da von der Volkskammer geforderte Gesetz nicht vorgelegt, sondern . r hmter dem Rücken des Gesamtmiuisteriuivs die Anszablnug persönlichen Schullasten verfügt. Das Gesamtnnni'terinni aus Kollegialität diese Anordnung gedeckt, fGegenwärtig (>.' w aber keine Möglichkeit, die persönlichen Schnilasteu aui ,.u Staat zu übernehmen, sonst müßten alle sonstigen^ Amrrde- rnilge» zurückgestellt werden. Eine Regelung der Scbauastc»- frage verlange er aber unbedingt, damit er Wiste, was auf len Staat entfalle. Die Demokraten versuchten nur immer wieder politische Schwierigkeiten zu entfachen. Abg. Dr. Sepfert (Dem.): Es sei unerhört, daß die poli tische Gegensätzlichkeit auf eine Sache wie die vorliegende aus gedehnt werde. Er überuehme vor de»; ganzen Lande d - e volle Verantwortung für das, wa? er getan habe. Die Schwierigkeiten seien nicht durch ibu geschaffen worden. soiGeni durch ihn zu beseit, gewesen. Die Gemeinden seien nicht mehr imstande gewesen, die Anforderungen zu erfüllen. Da durch sei der Wirrwarr entstanden, der damals viel schlimmer gewesen sei, als heute. Um ihn zu beseitigen, babe er einen Ent schluß fasse» müssen. E? möge sein, daß formelle Verleben vor- gekommcn sind, aber es sei eigenartig, daß sich ein Gegner des BurcaukratismuS dagegen wende. Finanzminister Heldt erwidert, daß es sich nicht um ein formalistisches Versehen bandle, sondern der damalige Kultus minister sei dem Beschluß des Parlaments uicbt uachgest'mmeu, eine Vorlage zu machen. Das sei ein schwerer sachlicher Verstoß. Dr. Sevfert könne die Tatsache nicht aus der Welt schaffen, daß er der Urheber der Schwierigkeiten sei. Sächsische Volkszeitung — Nr. 138 — 18. Juni 1921 §er Gänsebub Fränkischer Dorfroman von Dina Ernstberger (Nachdruck verboten.) (37. Fortsetzung.) „Haft recht, Joseph," stimmte sie ihm bei. „Die hat dich sellmal, wie du noch der arme Flickschuster warst, auch »er zum besten gehalten. Meinst vielleicht, dortmals hats dich geiuöcht? Ia, etzt! Na, na, bis sich der Narr besinnt — besinnt sich auch d r Gescheit. — Ich Hab gemeint, mir brichls Herz, wie ich selbi- gen Früh, wie du fort bist in der Nacht, den Platz leer gesehen bab, wo ihr Bildle gehängt is neben der Tante. Da Hab ich dann ans einmal alles gewußt und verstanden." Gequält schritt Joseph auf die Türe zu. ..Ich muß noch schnell etwas besorgen, Mutter," sagte er in selisam gepreßtem Tone. Rasch hielt ihn seine Mutter zurück. „Nur noch ein Augenblick bleib da. Sag mir nur erst, warm» hast du denn die Bas von dera Lora nehmen wollen, wenn du die Lora nimmer magst?" Jetzt blieb Joseph stehen. „Aus Mitleid! Nur aus Mitleid, Mutter," sprach er ernst. „Sie ist verwaist und hatte schon als Kind die Heimat und das Eltern bau? verloren." Betroffen schaute die Flickschustern; ihren Sohn an. ..lind deswegen, bloß nur deswegen hast du gemeint, ich falls mitnehmeu »aus aufs Dorf anstatt der Ev? Bloß nur aus Mitleid, net von wegen der Lora?" „Laß mich mit diesem Namen endlich mal in Ruhe. Mutter. Icii sagte es dir schon, mich trieb nur Mitleid — einzig allein nur Mitleid. Ich wollte der Verlassenen eine zweite Heimat bei dir geben. Ev wäre hier bei mir geblieben." Ebe seine Mutter noch erwidern konnte, hatte er das Zim- in-r verlassen. Lange saß die Fttckschnstcrin gedankenversunken da. Sie sehnte schon läuast den Tag herbei, wo ste in ibr geliebtes Dörf chen wieder zurückkehrcn sollte. Freilich batte sie es sich anders oewünscht. Mit ganzer Kraft sträubte sie sich erst aegen den Hausbau: am liebsten hätte sie wieder ibr Austraastübchen be- zoae». Wie war eS da so traut bei dem alten, wackeligen Lebn- stnbl und dem kleinen, erblindeten Spiegel, der schon daheim bei ihrem Vater die ante Stube schmückte. So süß und gut wie in der asten, wurmstichigen Bettstatt mit dem großen Strohsack und dm vollen Federkissen bat sie nirgends mebr geschlafen. Es scheu ihr hart und grausam, daß Joseph es nicht dulden wollte, daß sie die ländlichen Kleider wieder trug und mit dem Korb o-s dem Rücken Gras vom Felde bolte für das Vieh wie einst, lind nun gar sollte sie sich noch bedienen 'asten? Sollte zur ünlerbastnng eine eigene Verson mit in die Heimat uebmen! Was mochten dazu die Dorfsente saaen? — Das war es ja, was sie so schwer verpesten konnte, wonnch sich immerfort die ganze Seele sehnte: die schlichte Schusterstube warS, die Feldarbeit und nicht zum wenigsten der Ziegen- und der Hühnerstall. Sie hatte alles hier und doch entbehrte sie so viel! Der alte Baum konnte auf fremdem Boden nicht mehr Wurzeln schlagen; sie wußte es wohl! — Als sie am Abend mit Joseph bei Tische saß, zeigte sie auf fallend viel Interesse, die Vergangenheit Mariannens kennen zu lernen. Immer wieder kam sie mit neuen Fragen, bis sich Joseph endlicb entschloß, ihr alle Erlebnisse des verwaisten Mäd chens zu erzählen. Als er damit zu Ende war, weinte die alte Frau leise vor sich hin. Sie mußte ihrer eigenen, licbeleeren Jugend gedenken. — Sie kannte- den Schmerz gar Wohl, der brennend heiß sich tief eindrückt in eine junge Menschenseele, wenn sie verwaist am Grabe der Mutter kniet. Auch ihrer Jugend fehlte der warme Sonnenstrahl, der Kindheit höchstes Glück — die Mutterliebe. — Sie süblts noch beute, nach so vielen langen Jahren, da? beiße Weh, das stets ibr Kinderherz emp fand, wie ibre zweite Muter die Stiefgeschwister berzte und ver zog. Und »ach und nach verschloß sich ihr Gemüt. Sie wurde kalt und herb und hart, wies -gegen sie die Menschen waren, bis eines Kindes erster leiser Schrei die unterdrückte tote Liebe »neckte und heiße, liefe Mutterliebe mäckstia ins Herz der jungen Mutter zog. — Wo immer sie in; Leben Wai'en fand, da öffnete sich groß und weit ihr Herz und liebend suchte sie mit warmem Wort der Armen Weh zu lindern. „Ich bin halt nur a dumme, alte Bauersfrau; glaubst denn, sie is »et zu stolz, daß sie bei mir bleibt?" fragte sie »ach minutenlanger Pause mit leiser, bewegter Stimme. „Glaubt ich dies, fänd ich sic nicht wert, ibr eine Heimat bei dir auzubieten. Sie siebt allein, verwaist und liebelecr in; Leben. Wer Lieb entbehrt, wird Lieb zu schätzen wissen, gleich viel. von welcher Seite sie auch kommt." Leise war Ev ;us Zimmer getreten, sie hielt eine» Brief in der Hand, den sie vor die Flickschusterin auf den Tisch legte. Freudestrahlend sah diese ans die großen, steifen Schriftzüge nie der — das war Peters wohlbekannte Schrift. Der Brief kam ans der Heimat. Jetzt ging ein heftig Suchen nach der großen, alten Hornbrille los, woran sich sogar Iosevh beteiligte. Wo sie nur wieder liegen mochte! Nach langen Bemühungen war cS Ev ge lungen, di? schmerzlich Vermißte anfzustöbern. ' Lächelnd beobachtete es Joseph, wie sie jetzt, die große Brille ans der Nase, mit hochwichtiger Miene den altmodischen Briefumschlag rasch aufriß. „Liebe Mutter und Bruder!" Wort für Wort, als meißle sie sede Silbe, las sie den Brief laut vor. „Ich will euch nur mitteiken, daß wir alle gesund sind, was auch bei euch der Fall ist. Liebe Mutter, die Hühner legen recht fleißig, und die schwarze Gluckhenne hat zehn Junge gekrieat. Neues weiß ich sonst nicht inehr, als daß der Gmabanni schon immer euch be suchen will, aber er kann nickst, weil er krank ist und im Bett liest. In vierzehn Tagen haben wir Feuerwelirball, und ich will euch höflichst dazu einladcn. Die Andl und ich geben auch hin, weil wir Mitglieder sind. Das neue HauS neben uns ist jetzt bald fertig; es ist gar schön. Beim Hebmahl ists nobel zu- gegangcn; da ist noch net leicht so viel gcsnfseii worden beim Ochsenwirt. Alle Habens mit gessen und trunken; net nur die Maurer und Zimmerleut — ich war auch dort. Sogar der Huuni ist ans sein Bett raus und ist knmnia. Der Herr Schenir (In genieur) — so heißt der Maurermeister ans noblig. hat iücknig blecht, und wir haben tüchtig gesuffe». Da bais gescheite Rausch geben. Und »et um alles in der Welt hält uns der Herr Scheut, den Namen gesagt von den, der wu des Hans sich bauen läßt. Reich muß der Kerl sei», denn so a Hebmabl kost ein scböns Trum Geld. Wir baden den Kunden aber auch net schlecht leben lassen; das ganze Wirrhans bat nur so zittert und krach». ' lind gesnnga haben wir; — gcsiinga! O du himmelblauer See. und ich bab einen Kameraden und wir silzen so fröblich beii'aiuui;i; sogar an alten Peter babe» wir gesnnga. lind der Bader bat a noblige Red gebasten auf an Herrn Schenir. Schön, sag ich euch, was schön beißt, lind ein Stall ist auch am Hau?-: der Herr Schenir sagt, für Hübner, Gäus, Taube» und so a Zeug. Liebe Mutter, ich sag dir, in ven Stall da ist schöner wü- in unserer übern Sinbe». Ich hoffe, daß euch mein Brieileiu ebenso gesund antrifst. wie es uns verläßt. Euer Peter. Viel Grüß vom Gniabaiini. er wcrd euch bald besuchen. Sobald wie möglich. Er liegt noch im Bett. Wir sind recht gut spezial nad intim miicinandcr." Langsam legte die Flickschusteri» letzt den Brief weg. DaS angcstrengte Lesen batte ibre ganze Kraft erschöpft. „Ia. ja! Des kost a scbönS Trum Geld — da bat er reckst, der Peter." meinte sie sinnend. Was hält ma da den Armen für das Geld alle? tun können." ..Wegen des Hebinables werden die Armen nicht gekürzt, Hab keine Sorge. Mutter. Das neue Hans wird bei; Dorfarme» zum Segen sein." „Wenn das der Peter wüßt, daß in dem »ena Hans sei Mutter amol wobnt!" Träumend blickte ste eine zeiilang vor sich bin. „llnd Hübner kan» t mir a Hallen, und an Garten Hab ich auch und Tauben! Du hast an alles denkt, was mir a I-rend macht, Joseph; ich denk, dir solls amal net schlecht im Leben gehen." Sie wollte ihm noch mehr sagen, er aber, dem ihr Dank gelten sollte, hatte leise das Zimmer verlaßen, wie er es immer machte, wen» ste in Versuchung geriet, Lobsprüche zu halten. Er konnte dies nickst hören. Sie wischte mit dem Handrücken die f-ncksten Angen ans. dann oing sie in die Küche, um Ev zu sagen, was Peter alles ge schrieben hatte. Wenige Tage später wunderte ein kleiner papierner Bote zu Marianne und meldete, daß sich ibr in dem kleinen, eins;»»'» Banerndörschen, das sie noch von ihrem Landansenthalt her kannte und liebte, eine zweite Heimat anfgcian habe. (Fortsetzung sok«>;
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