Volltext Seite (XML)
Nummer 227 — 24. Jahrgang 6,»ol ivöch. Bezugspreis: für Oktbr. 3,—-K einschl. Bestellgeld. Anzeigenpreise: Die Igcsp. Petittzeile 3üL, Siellengesuche 20 L. Di« Petitreklamezeilr, 89 Milli meter breit, 1 Offertengebühren für Selbstabholer LO bei Uebersen-ung durch die Post außerdem Portozuschlag. Einzol»Nr. 1« L, Sonntags-Nr. 1» L. Geschäftlicher Teil: JolefFohmann, Dresden, SiicksMe Donnerstag. 1. Oktober 1925 Im Falle höherer Gc.valt erlischt jede Verpflichtung auf Lieferung sowie Erfüllung o. Anzeigenanslrögen u. Leistung v. Schadenersatz. Für undeutl. u. d. Fern- ruf übermitt. Anzeigen übernehmen wir keine Ver- anlwortung. Unverlangt eingesandte n. in. Rücki'vrle nicht versehene Manuskripte werd. »ich! aufbeivahrt Sprechstmrds d. Redaktion 5 bis 6 Uhr nach.niilags Hauptschristleit.: Dr. Joseph Albert, Dresden, voWmtuna , koparsturea / L. I.ür»,«e >Vetti»orstr.S2 ISeschüftSfteve, Triitt >,»d Verlag, Saronia- Bnchdnickerei GmbH., Dresdcn-A. IS. Holbeiiistratze 4S. gernriii 32722. Posilcherttouto Dresden I47V7. Vanlkoitto Baffenge «c gritzsihe, Dresden. Für christliche Politik und Kultur Ncdaktlon der EaNisische» Volksicltuiig Dresden-SNUI. >6. Holbei»s>ras-,e4K slerurn- 32722 nnd 33S33, M -M M Wtt M MjWW ktiltll tzWMO Berlin, 30. September. Wie man an zuständiger Stelle erklärt, wird nunmehr die Konferenz über den Sicherheits- Pakt endgültig in Locarno am 5. Oktober beginnen. Der Wunsch Italiens, die Konferenz in einer italienischen Stadt stattfinden zu lassen, scheiterte an dem Einspruch einer alliierten Macht. Man ist aber Italien insofern entgegen- gekommen, als die Konferenz in dem italienisch sprechenden Teil der Schweiz stattfindet. Der französische Außenminister Br Land hat Mitteilen lassen, daß er bereits am Sonnabend nach Locarno abfährt. Mussolini wird an der Konferenz zunächst nicht teil nehmen, es ist aber nicht ausgeschlossen, daß er im Lause der Beratungen persönlich erscheinen wird. Nach einer Meldung aus Brüssel wird Außenminister Vanderbelde in Begleitung des Referenten im belgischen Ministerium für westeuropäische Fragen Van Zahlen am Sonntag nach Locarno abreisen. Der Kabinettschcf im Außenministerium, Rollin, werde dort mit Vanderbelde zusammentrsffen. Die deutsche Delegation unter Führung des ReichskanzlerS Dr. Luther und des Retchsaußeuministers Dr. Stresemann wird am Sonnabend von Berlin nach Locarno abreisen. Die vollständige Zusammen setzung der deutschen Delegation wird in den nächsten Tagen bekanntgegebcn werden. Die Neichsregierung sowie auch die alliierten Negierungen haben ihre Delegationen auf das äußerste beschränkt. Die Dauer der Konferenz läßt sich heute noch nicht übersehen, es ist aber kaum anzunehmen, daß sich die Fülle der zu lösenden Probleme in kurzer Zeit be wältigen läßt. Locarno, 30. September. Der Gemeinderat vonLocarno stelle zur Ministerkonferenz über den Sicherheitspakt den großen Saal des GerichtSgebändcs zur Verfügung. Im früheren Negierungsgebüude, dem Sitz des Kaunnänniichen Vereins, werden Räumlichkeiten für die Journalisten her gerichtet. Die Tessiner Regierung übernimmt die Ordnung der Sicherheit und Polizeimaßnahmen. Im .Hinblick auf die Ministerkoufereu.', in Locarno haben verschiedene Dele gationen bereirs in den hiesigen Hotels Zimmer reservieren lassen. Auch har dste Oberste Telegraphendirektion die nötigen Maßnahmen zur Verbesserung der Telegraphcn- nnd Telephonverbindungen nach der übrigen Schweiz und insbesondere auch nach dem Auslände in Angriff genommen. Die Bedeutung -es letzten Noienrvechsels Berlin, 30. September. Zu der Veröffentlichung des Noten wechsels über die kommende Konferenz wird von gut unterrich teter Seite erklärt: .cDM'WkÄ Die Reichsregierung legte Wert darauf, daß die Veröf fentlichung der deutschen Noten möglichst bald geschah. Eham- berlain und Vandervelde hatten in ihren Unterredungen mit den deutschen Missionschefs die Frage der Veröffentlichung offen ge lassen. Briand machte am Montag Vorschläge für die Veröffent lichung, mit denen sich am Montag spät abends das Neichskabi- nett beschäftigte. Da aber schon das deutsche Memorandum in der ausländische» Presse ermähnt worden war nnd um den vie len irrtümlichen Kombinaten, wie sie auch am Dienstag in einem Berliner Mittogsblatt wiedergegeben wurden, entgegenzntreten, wurde bei dem gestrigen Empfang des deutschen Botschafters bei Briand beschlossen, den Schriftverkehr in vollem Umfange zu veröffentlichen. Was die französische Antwort angeht, so mußte erwartet werden, daß sich Frankreich auf den Versailler Vertrag versteift, der de»Ü.!assus über die deutsche Schuld am Kriege ent hält. Was aber die Frage der Räumung der Kölner Zone an- gcht, so hat auch die Neichsregierung nie darüber einen Zweifel gelassen, daß ihr die Räumung der widerrechtlich besetzt gehalte nen nördlichen Nheinlandzone kein Verhandlungsobjekt bedeutet. An der Auffassung der Reichsregierung, daß sie einen Sicherheits- Pakt nicht abschließen kann, wenn nicht die nördliche Rhein landzone geräumt ist,hat sich nichts geändert,- mit dieser Tatsache müssen die Alliierten rechnen. ,, , In diplomatischen Kreisen wird es -immerhin als ein Fort schritt angesehen, daß in der Antwort auf den deutschen Schritt in der Frage der K r i eg ssch n'l d l ü ge nicht wieder eine alliierte Einheitsfront in Erscheinung getreten ist. Man verweist auf die wichtigen Stimmen auch imAnslande, die erst kürzlich betont haben, daß der Schuldartikel im Versailler Vertrag eine der größten Torheiten in der Weltgeschichte gewesen ist. Die Auffassung Vanderveldes hierzu liegt offiziell »och nicht vor. Man weiß aber, doß er der Ansicht ist. daß die Frage der Kriegsschuld dem Urteil einer von Leidenschasten weniger durchpeitschlen Zeit Vorbehalten bleiben muß. In diplomatischen Kreisen ist man ferner- der Ansicht, daß die deutschen Demarschen in den alliierten Hauptstädten nach vor der Konferenz sich trotz der Gefahr als ein richtiger Weg erwiesen haben, da an? der G-gcnsette damit der ehrliche Wunsch zutage getreten ist, aus jeden Fall an der Konferenz in Locarno am b. Oktober sestzuhalten. Von einem außenpolitischen Mitarbeiter wird uns ge schrieben: r i n in Warscizau hat den Eindruck aufkommeu lassen, als wenn r i n in Warschau at den Eindruck anfkommen lassen, als wenn Sowjeirußland eine Politik der Annäherung an Polen betrei ben wolle. Man wird aber die Dinge richtiger sehen nnd beur teilen, wenn man sagt, daß es sich bei diesem Schritt der russischen Negierung um eine Geste handelt, die namentlich auf Deuts ch- land Eindruck machen soll. In Rußland ist in den letzten Woären der Fortgang der Erörterungen um die Schaffung eines Sicherheitspaktes mit steigender Sorge und Unruhe ver folgt worden. In der Absicht Deutschlands, mit den Westmächten einen Westpakt Z» schließen, sieht inan in gewissen Kreisen des gegenwärtigen Rußland eine Abkehr der bisherigen deutsch-russi schen Politik, die auf ein wirtscl-astliches nnd politisches Zusam menarbeiten hinzuarbeiten schien. Diese russische Annahme, als ob Deutschland mit dom Ab schluß eines Sicherhcitspaktes sich den Westmächten verschriebe nnd sich an der zweifellos von Äigland und Amerika betriebenen Einkreisungspolitik gegenüber Rußland zu beteiligen, ist voll ständig falsch. Die von Deutschland gegenüber Rußland betrie bene Politik wird nach wie vor innezuhalten sein. Niemand in den Kreisen der Rcichsregiernng denkt an eine Aendernng. Dem russischen Außenminister Tschitscherin. der heute in Berlin ein- trifst, wird diese Erklärung auch von dem deutschen Außenmini ster Stresemann abgegeben werden. Im übrigen brauchen die aufgeregten Kommentare insbe sondere der russischen Presse über diese Dinge bei uns nicht zu verfange». Es ist ein starker Schuß bolschewistisches Theater dabei. «Es wird auch in Rußland kein Mensch glauben wollen, baß Rußland sich im Ernste mit Polen verbünden würde. Richtig ist allerdings, daß in Polen bestimmte Kreise gern den Frie den mit Rußland machen möchten, um bei gegebener Gelegenheit vereint die Kräfte gegen Deutschland zu wenden. Aber Polen selber würde dabei zugrunde gehen müssen, denn Rußland hat gar kein Interesse daran, an seiner Wcstgrenze einen Aufpasser zu haben. An der deutsche» Politik gegenüber Rußland ändert sich durch die Verhandlungen um die Schaffung eines Sicherheits- Paktes, wie auch durch den eventuellen Eintritt Deutschlands in den Völkerbund nicht das geringste. Es würde bei Rußland liegen, falls eine derartige Entschließung der deutschen Neichs regierung ihm nicht gefallen sollte, die ihm geboten erscheinen den Konsequenzen zu ziehen. Wir glauben nicht daran, denn in Wahrheit bedarf Rußland, gerade um nicht der befürchleien Iso lierung durch die Wcstmächte zu Versalien, der deutschen Rückendeckung politisch und wiris.hasiüch gesehen. Tie deutsche Außenpolitik wird daher durch die gcg.nmärttge russische Geste in keiner Weise in ihrer bisherigen Richtung verändert werden. TschUschsrin über keine Warschauer Verhanöüuigen Warschau, 30. September. Tschitscherin erklärte gestern polnischen Pressevertretern, daß er über die Ergebnisse seines Warschauer Besuches sehr zufrieden sei, denn durch unmittel bare Fühlungnahme mit Polen hätten sich verschiedene Meinungs- verscht.denhriten beheben lassen. Es sei eine geeignete Grundlage für kommende diplomatische Tterh.-mdlungen ge schaffen worden, in denen das Ziel einer gegenseitigen Einigung erreicht werden soll. Er stellte ferner mit Genugtuung fest, daß die polnische Regierung und die polnische Presse seine» Besuch überaus sreuudschastlich ausgenommen hätten. Ausdrücklich hob er jedoch hervor, daß die polnisch-russische Annäherung und die Beilegung der bisherigen Gegensätze durchaus nicht irgendeine Spitze gegen andere Staate„ habe. D.'r Rigaer Vertrag habe zahlreiche Wirtschafisfragen zwischen Pole» und Rußland offen gelassen, deren Regelung sowohl in Rußland wie in Polen als dringend notwendig empfunden wurde. Beide Staaten hätten unter diesen Mißverständnissen in wirtschaftlicher Beziehung zu leiden gehabt. Seinen Verhandlungen mit der polnischen Negierung hätten daher auch hauptsächlich W i r t s cha f t s s r« ge n zugrunde ge legen, Die Entwicklung der wirtschaftlichen Bestehungen zwi schen beiden Staaten I)abe immer im Vordergründe gestanden. Rußland habe durch seine großen Bestellungen bei der polnischen Industrie zu dieser wirtschaftlichen Annäherung den Grund gelegt und werde in diesem Sinne weiter sortsahren. Er wünsche den baldigen Abschluß eines Handelsvertrages mit Polen, Nach Warschau und Berlin Rom Paris, 30. September. Der „Petit Parisien" erfährt aus unterrichteter italienischer Quelle, daß sich Tschitscherin auf seiner Reise noch nach Rom begeben werde. Die heikle Kriegsschukd- srage Die Reichsregierung hatte die deutschen Botschafter in Paris und London angewiesen, bei Ueberreichung der Zustiminungsnote zur KonferenZeinladung auch noch mündliche Erklärungen abzugeben. Diese letzteren um faßten in der Hauptsache die Frage der Ällemschuid Deutschlands am Weltkrieg und die Räumung der Köl ner Zone. Vor allem die Schuldsrage liegt ja seit Ab schluß des Versailler Vertrages wie eine Last auf Deutsch land, und es mußte das Bestreben alter deutschen Re gierungen sein, in diesem Punkte einen Wandel zu schaf fen und die Feindländer von der Unhaltbarkeit ihrer will kürlichen These zu überzeugen. Den letzten größeren Vorstoß in diesem Sinne unternahm bekanntlich der ehe malige Reichskanzler Marx, als die schwierigen Londoner Verhandlungen im Herbst des vergangenen Jahres ihren Abschluß gesunden hatten. Als am 20. August 1024 jm deutschen Reichstag die Dawssvcrtrüge ratifiziert waren, gab Marx die Erklärung ab, daß die im Versailler Ver trag gemachte Feststellung. Deutschland habe durch seine» Angriff den Weltkrieg entfesselt, den Tatsa ch e n d e r Geschichte wide r s p r e ch c. Die Neichsregierung erkenne daher die im Fricdensvertrag gemachte Feststel lung nicht an und sie müsse verlangen, von der Bürde dieser falschen Anklage befreit zu werden Es muß hier ausdrücklich hervoraehoben werden, daß die Erklärung des Reichskanzlers Marx nach Abschluß der Verhandlungen mit der Entente gemacht wurde. Trotzdem aber war man schon damals sehr verschiedener Meinung darüber, ob es zweckmäßig gewesen sei, ein so heikles Thema in einem Moment anzuschneiden, in dem die internationale Beruhigung gerade ihren Anfang zu nehmen schien. Und in der Tat kannte man damals zweierlei beobachten. Erstens hatte die ganze Erklärung, abgesehen von der Beruhigung der öffentlichen deutschen Meinung, keinen greifbaren praktischen Erfolg, Zweitens aber konnte infolge der neuerlichen gespann ten Stimmung im Ausland nicht einmal der Vorsatz aus- gcsührt werden, die vor dem Reichstag abgegebene Er klärung auch offiziell den fremden Negierungen zur Kenntnis zu bringen. Die ganze Cache schlief allmählich wieder ein nnd man wartete bessere Zeiten ab. Wir wissen nun, daß gegenwärtig wohl die schwie- rigsten Konferenzen bevorstehen, die »ach Kriegsende nö tig geworden sind. Es handelt sich zunächst um den Ab schluß des westlichen SicherheitsvaKtes verbunden mit verschiedenen Schiedsgerichts-Verträgen Und in engstem Zusammenhang mit diesen Dingen steht der Eintritt Deutschlands in den Völkerbund, Die Probleme sind also in der Tat überaus schwer und die Spannung zwischen den einzelnen Mächten in Erwartung der kommenden Dinge ist hoch gestiegen. Diese Spannung ist so zu verstehen, doß eine jede Macht die andere daraufhin beobachte!, ob sie auch nsti t e h r l i ch e in W i l l e n an tue Lösung der Frie- densprobleme herantritt. Und man ist auch in den En- tentelündern heute sa weit, daß man gern die Vergangen heit vergessen möchte, daß inan an manche Dinge am lieb sten nicht mehr rühren möchte, nur um den Boden zur endgültigen Befriedigung vorzubercsten, Freilich will man keine Grundsätze der Vergangenheit össentlich preis geben, aber man ist wenigstens geneigt, über Dinge, wie die Kriegsschuld nicht mehr zu sprechen. Worin dos sei nen Grund hat? Sicher nicht zuletzt in der Tatsache, daß die öffentlichen Dokumente aus den russischen und deut schen Staatsarchiven längst dem Märchen von der Allein- schuld Deutschlands gewaltigen Abbruch getan hoben Frankreich muß sich allmählich darauf vorbereiteii. doß die unleugbare Wahrheit der Histcuste der Versailler Ko mödie ein Ende bereiten wird. Es ist beute in Frankreich schon garniebt mehr denkbar, daß ein Poiucarc alle 7 Tage seine Sonntagsrcdcn hält und immer von neuem seinen Landsleuten die schuldbeladenen deutschen Vorba reu auf das eingehendste schildert. Daß trotzdem noch von keinem Liebesverhältnis zwischen Frankreich und Deutschland die Rede sein kann, ist selbstverständlich. Uns genügt aber die Tatsache, daß man heute bedeutend nüchterner in Frankreich denkt als etwa noch vor einem Jahr. In diesem Jahrhundert der Verwirrung und Ver hetzung muß jeder Fortschritt, der auf die Verständigung der Völker hinzielt, gebucht werden. Die Tatsache, daß gerade die Belastung Deutsch lands mit der Alleinschuld am Weltkrieg in der franzö sischen Hetzpropaganda eine so große Rolle spielte, läßt uns erkennen, daß diese dem französischen Volke eilige« wurzelte Lüge nicht von heute auf morgen beseitigt 'ver« den kann. Und daß die deutsche Negierung, wenn sie Erfolg haben will, sich die denkbar besten Momente zu ihren Vorstößen aussnchcn muß. Es hat darum bestimmt große Kreise des deutschen Volkes überrascht, daß gerade jetzt, wo die Konferenz von Locarno bevorsteht, die Schuldfrage von neuem in die Debatte geworfen wurde. Als Marx diese Frage aufivarf, waren die übrigen großen