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Hatz und Feindstligkeit, heimliche Furcht und Schadenfreude, all diese Gegen sätze auf die Spitze getrieben, beherrschten die einzelnen Familienglieder. Der Erbe bon Blankenstein wurde erwartet, Und was die Hauptsache, der kühle Gleichmut des alten Marwitz hatte sich in ungeduldigste, sehnsuchts volle Erwartung verwandelt. Schon zu früher Stunde hatte er nach Ilse geschickt. Inzwischen leistete ihn: Lotte Gesellschaft. Lotte allein schien unberührt zu bleiben von all dem Aufruhr, ihre Jugend konnte sich in die Regungen eines Vater- Herzens noch nicht hineinversetzen, aber daß es etwas Hohes, Heiliges um Elternliebe sein müsse, bemerkte sie doch an diesen: Morgen. „Du siehst ans wie ein Bräutigam, Onkel," scherzte sie, ..um zwanzig Jahre verjüngt, ich würde mich nicht wundern, wenn du plötzlich nnfständcst und in der Stube hernmspaziertest!" „Was nicht ist, kann werden, ich fühle mich außerordentlich gckrästigt. Aber wie ist dir zu Mute, Kleine, du hast nichts wie Verlust durch meinen Sohn!" „Das kann man noch nicht wissen, Onkel. In: übrigen mache ich nur nicht viel ans den: Gelde, ich kann arbeite::!" Nicht ohne Wohlgefallen sah Marwitz ans die weiße Stirn und die blühenden Wangen seiner Nichte. „Aber deine Eltern und Helene sind Gift und Galle, sie sehen ii: ineinen: Sohi: einen Räuber und Spitzbuben." DaS junge Mädchen erglühte. „Rechne es ihnen nicht an, Onkel, es ist ja auch schwer genug für sie. ans dieser sorglosen Sicherheit herans- geristen zu werden." „Eine gerechte Strafe ists!" zischte der Alte, „hatte einer von der Sippe je ein gutes Wort für mich? War ich die ganze Zeit nicht ein Fremder in meinen: eigene:: Hause? Erst Ilse von Lnkado hat die ganze Gesellschaft ein wenig anfgerüttclt. Deiner Eltern wegen hätte ich sterben und verderben können, ihnen wäre es geradezu recht gewesen." Lotte sah den Alten unerschrocken an. „Daran trägst du auch dein Teil Schuld, Onkel, ich kannte dich nicht anders als unfreundlich und nnzu- gänglich. Mir hast du in deiner Einsamkeit stets leid getan, aber mich dir zu nähern, wagte ich nicht, ans Furcht, in der kränkendsten Weise zurück- gewiesen zu werden." Der Alte sah mürrisch vor sich hin. „Nun, eS ging auch ohne euch. Aber vergessen werde ich es ihnen nicht. Wie inan säet, so ist auch die Ernte." „Onkel." sagte Lotte bittend, „wäre die Stunde nicht geeignet, zu ver- zeihen und zu vergessen? Lasse meinen Eltern doch wenigstens die Wohnung und den Lebensunterhalt hier, sie können sich ja beide ans jede erdenkliche Weise nützlich machen. Aber wieder hinaus zu müssen in die Ungewißheit und Sorge rin: das tägliche"Brot, es wäre zu hart, so unbarmherzig kannst du nicht sein." „Dich wird keiner fortschicken, du bleibst bei mir." „Onkel, nicht für mich wollte ich bitten, sondern für meine Eltern." Das alte Gesicht nahm wieder den harten, boshaften Zug von früher an. „Die können gehen, ich halte sie nicht. Im übrigen wird von nun ab mein Sohn bestimmen, von seinem Willen wird alles abhängen." „Durch ineine Schuld!" ergänzte Map halb schluchzend, „ich war es, welche diese Reise durchsetzte, keine Einwendungen gelten ließ, — ach, Tante Belsen, ich bin sehr hart bestraft für meinen Trotz!" „Hoffentlich lehrt diese Geschichte, daß es manchmal gut ist, sich besserer Einsicht zu fügen. Aber ich weiß wohl, weshalb du deinen Willen durch setzest, die Eifersucht trieb dich!" und sich zu Theodor wendend, fuhr die alte Dame fort: „Ihnen Herr Doktor, können wir ja unser ganzes Vertrauen schenken —" Maps Gesicht flammte. „Aber Tante!" rief sie in sichtlicher Pein. Doch die alte Dame wollte auch einmal zu ihren: Recht kommen. „Den: besten, treuesten Manne zu mißtrauen!" rief sie, „und deshalb eine ^so weite, beschwerliche Reise zu unternehmen, das ist doch wohl der Gipfel derTsrhcit! Wem: noch ein einziger vernünftiger Grund vorhanden wäre—" „Es besteht einer, und Sie müssen ihn freundlichst gelten lassen, gnädige Frau —" „Nun da wäre ich neugierig!" „Tie Liebe!" sagte Theodor gepreßt mit zuckenden Lippen. Er hatte sich wunderbar in der Gewalt, denn in seinen: Innern war ein heftiger Kampf entbrannt, „wo die Liebe das treibende Element ist, läßt sich vieles entschuldigen, gnädige Fra», glücklich der Mann, für den ein Herz so heiß und stark empfindet!" „Ach was! man darf nichts übertreiben!" eiferte die Tante, „und eine kleine Trennung muß die anspruchsvollste Liebe ertragen!" - Map saß dabei mit gesenkten Lidern, einer glücklichen verwirrten Braut nicht unähnlich. Sie war wie betäubt, sie kannte sich selbst nicht inehr. Weshalb wollte sie es nicht hören, daß die Tante von ihrer Liebe sprach, wie kan: cs, daß ihr diese kleine Szene eine so verborgen« Qual bereitete? „Das sind Ansichten, über die inan nicht streiten darf, gnädige Frau," sagte Theodor ernst, in: „Reich der Liebe ist alles rätselhaft und geheimnis voll und die Treue der einzige Grundsatz." „Mit euch jungen Leuten ist kein Auskommen!" lachte die Tante ärgerlich, „nun fangen Sie auch noch an zu schwärmen, und ich hielt Sie für einen recht vernünftigen Mann! Ich wollte Sie sogar um Ihren Rat bitten!" „Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung, Gnädige!" „O, ich weiß, mann kann Ihnen vertrauen. ES ist unmöglich, Herr Doktor, daß wir unsere Reise sogleich fortsetzen —" „Ganz unmöglich!" beeilte Theodor sich mit ausfallender Hast zu wiederholen, worauf ihn ein fragender Blick ans Mahs früher so mutwilligen Angen traf. „Aber auch hier in: Hotel können wir nicht bleiben." fuhr die Tante fort, „dieses Beobachten, die kleinliche Neugier in der Bedienung belästigt mich in der unangenehmsten Weise. Vielleicht haben Sie die Güte, uns ein gutes Privatlogiö zu empfehlen, Sie würden mich zu aufrichtigem Dank verpflichten!" In Theodors Augen blitzte eS ans. Mah crschrack heftig, als sie es bemerkte. Doch war eS kein unangenehmes Erschrecken, vielmehr umschwebte ein leises Lächeln der Zuversicht ihre Lippen. RomänMage zur .Sächs. B»lkSzctt»ng> »t