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Nr. L14. Sonnabend den 1V September IVV8 7. Iabr^.RNtt. ilchftsche Uolks?eitung '^ierlelj. I.« ^",'ohne Bglcll^l'd^s'ü^Oesler^ I N ^"naün'u mu M» do^U "b^cchn^bc^ Raba^.' I Mlroyoügigrs MWim iur Wlwr-k«, WM ».LMyeu z «uchdr^«.^ ^isusfs'ÄUSsi cmci IVIütztzsr' verwencksr, mii grollsm Oesolß ttLfselcallao mit Iiioks» V« pfunlt 23 Pfennigs, ^otildskömmlieti und kpLft1s«n«t, »»in von Hering 8- (loeßstroli, Oreräeti IRrsvlozen In -Ilrn 5t»<Mrll«n. kÜnial. IWekfsnk lÜnig^ka/inLtf. ?oi-reIIan /^ajolißa le^acotta ^i-izts» u. Metall Für das 4. Quartal abonniert man aus die „Sächsische Bolkszeitu«g"mit der täglichen Romau- beilage sowie der wöchentlich erscheinenden Beilage „Feierabend" zum Preise von 1.80 Alk. sohue Sestellgeld) durch den Boten ins Haus 2.1V Zllt. Die IS. Interparlamentarische Konferenz Berlin, dev 17. Sep emcei 1908. Nachdem am Dienstag abend die deutsche Gruppe ihre erste Sitzung abgehalten hatte, fand am Mittwoch abend der feierliche Begrüßungsabend im Reichstagsgcbäude statt. Das ganze Arrangement lag in den Händen des Direktors am Reichstag, Geheimrat Jungheim, der seine Aufgabe in vorzüglicher Weise löste. Gleich unten am Eintritt war das Bureau des Kongresses. Ein jeder Teilnehmer erhielt in einer Mappe die erforderlichen Aktenstücke, Abzeichen usw. Eine hübsche Bronzemedaille, das Bild des Kaisers auf der einen Seite und die Friedensgöttin auf der anderen wird als dauerndes Erinnerungszeichen verabreicht. Die Er kennungszeichen, in den Reichsfarben gehalten, sehen sehr niedlich aus — man sollte es nicht glauben, wie die WO Parlamentarier in der Weltstadt sich geltend machen, denn fast überall sieht man die mit dem Zeichen geschmückten Herren. Sämtliche Veranstaltungen des Kongresses haben bisher einen ausgezeichneten Verlauf genommen. Es ist alles hoch vornehm: denn die Neichskasse hat 150 000 Mark für diese Zwecke zur Verfügung gestellt. Tic Summe wird außeretatsmäßig verrechnet werden. 80 000 Mark werden allein für Freifahrteil sämtlicher Teilnehmer bezahlt. Das Diner iin Zoologischen Garten kostet 40 000 Mark, das einzelne Gedeck 27 Mark. Ter Begrützungsabend verlief in höchst angenehmer, zwangloser Weise. In der Wandelhalle des Reichstages waren wohl über 1000 Personen anwesend. Eine grotze Anzahl von Abgeordneten waren mit ihren Frauen er schienen. Ter Vorsitzende der deutscheil Gruppe, Eickhoff, begrüßte in herzlicher Weise, während der elsässische Abge ordnete Wetterte ins Französische übersetzte. Ein aufmerk sames Studium des buntgemischteu Bildes war höchst lohnend. Die erschienenen Minister und Staatssekretäre unterhielten sich untereinander: Ternburg wurde von vielen Seiten lebhaft begrüßt, mutzte aber auch manche humor volle Frage nach dem Verbleib der Dattelkiste und des Diamailtcnkästchens über sich ergehen lasseil. Er sah recht angegriffen und leidend aus. Die uniformierten Minister (Heer und Marine) hielten sich voll der Begrüßungsfeier fern. In den geräumigen Hallen des Reichstages mischten sich die Gruppen bald bunt durcheinander: da sah man die enragicrtesteil Friedensfreunde um Berta v. Suttner stehen: eine stattliche Dame, die einen mehr kriegerischen als friedlichen Eindruck macht. Der greise Franzose und Gründer des Kongresses, Frederik Passi, mit dem ein nehmenden Patriarchenkopf, wurde wohl am lebhaftesten begrüßt. In einer anderen Ecke unterhielt sich der italie nische Botschafter mit seinen sehr zahlreich erschienenen Landsleuten. Hoch über alle ragte der ungarische Abge ordnete und Minister Graf Apponyi, eine stattliche Erschei nung mit ungemein scharf geschnittenen Zügen, hinaus. Der englische Gruvpenführer Lord Verdale nahm eine den Deutschen reckt sympathische Haltung in seinen Gesprächen ein. Recht zahlreich waren aus Oesterreich die Christlich- Sozialen erschienen. Auch der einzige Japaner wurde viel beachtet. Von fremdländischen positiven katholischen Abge ordneten waren leider nur wenige da. Aus Frankreich niemand: aus Italien u. a. der italienische „Gröber", Tr. Santini, der durch den Journalistenstreik in Rom bekannt wurde: aus Belgien Bcnon Orban, der direkt vom Eucha- ristischen Kongreß aus London kam: aus der ungarischen kathol. Volkspartei waren mehrere Deputierte anwesend. Eine Anzahl von geistlichen Abgeordneten erregte durch ihre Prälatcntracht im Reichstage einiges Aufsehen. In amüsantem Zwiegespräch, wobei manche wertvolle Bekannt schaft geschlossen wurde, tlieb man bis 11 Uhr beieinander. Die Eröffnung fand am Donnerstag vormittag im Sitzungssaale des Reichstages -statt. Dieser war bis auf den letzten Platz gefüllt. Viele Abgeordneten mußten stehen, manche nahmen auf den Tribünen Platz. Im Saale selbst waren über.500 Abgeordnete aus allen »nlturstaaten anwesend. Tic Miuisterbank war bis auf den letzten Platz besetzt. Ta saßen sie alle der Reihe nach die Herren: Bülow, Bethmann-Hollweg, Rheinbaben, Tirpitz, Einem, Delbrück, Beselcr, Holle, Schön, Sydow und ganz unten Ternburg. Ter Staatssekretär vom Reichsjustizamt, Nieberding, stand im Hintergründe. Abgeordneter Eick hoff cröffnete den Kongreß und schlug den Abgeordneten Prinzen Schönaich-Earolath zum Präsidenten vor. Allge meiner Applaus. Als Versammlungssprache wurde das Französische gewählt, doch ist deutsch und englisch zugelassen. Ter Präsident begrüßte in herzlicher Weise und erteilte dann dem Reichskanzler Fürst Bülow das Wort. Bevor dieser sprach, wurde ihm von den fremden Delegierten eine sich immer wiederholende Sympathiekundgebung zuteil. Tie Begrüßungsrede des Reichskanzlers, die im ele gantesten Französisch frei und fließend vorgetragen wurde, gestaltete sich zu einer ausgesprochenen Friedenskundgebung und fand wiederholt sehr starken Beifall. Ten Satz: Frie densliebe bedeutet nicht Mangel an Vaterlandsliebe! unter strich der ganze Kongreß durch lebhaftes Händeklatschen. Wenn der Reichskanzler am Schlüsse auch erklärte, daß Deutschland stark genug sein müsse, um seine Unabhängig keit zu verteidigen, so war dies nicht nur selbstverständlich, sondern änderte auch an der sehr guten Aufnahme der Kundgebung nichts. Tie ausländischen Deputierten waren voll des Lobes über Prince de Bülow. Der zweite Punkt der Tagesordnung: Studium aller Fragen für die Haager Konferenz, auch die Abrüstungsfrage, wurde ohne Debatte nach dem Referat des dänischen Abgeordneten Bajer ange nommen und eine Huldigungsdepesche an den Kaiser ab gesendet. Dann vertagte der Kongreß mit Rücksicht auf die Pach- mittags stattfindende Sitzung des Eonseil Jnterparlament die Weiterverhandlungen auf Freitag vormittag. Heute abend sind die Teilnehmer des Kongresses Gäste des Prin zen Schönaich-Earolath und der Berliner Handelskammer. Der Politische Nundscyau. . Dresden. den 18. Tevtember 1908. — Aufnahme der parlamentarischen Arbeiten Reichstag wird seine Arbeiten am 3. November wieder auf- nehmen: die soziale Kommission, welche die Gewerbe ordnungsnovelle beratet, wird schon am 21. Oktober zu sammentreten. Tie Eröffnung des preußischen Landtages findet am 20. Oktober statt. — Warum nicht vorgestellt? Die „Südd. Reichst." schreibt, daß der Prinz von Cnmberland, der im bayerischen Heere dient und an den Kaisermanövern teilnimmt, sich dem Kaiser nicht vorgestellt habe. Nach Mitteilungen aus gut unterrichteter Quelle wünschte der Kaiser die Vorstellung nicht. — Die neuen Gehaltssätze für die Offiziere bringen für die Subalternosfiziere eine Art von DienstalterSstufen- system; die Gehaltssätze beginnen mit 1500 Mk. und steigen um 300 Mk. alle 4 Jahre bis 2100 Mk. Das Endgehalt erreichen sie also nach 8 Jahren, abgesehen davon, ob sie Oberleutnanischarge bekleiden oder nicht. Bisher betrug für den Leutnant der Mindestsatz 1290 Mk. für den Ober- leutnant der Höchstsatz 1890 Mk. Die beiden Gehaltsklasfen für die Hauptleute fallen ebenfalls fort; daS Grundgehalt beträgt 4000, Mk. (bisher 3400), cS steigt alle 4 Jahre um 600 Mk. und erreicht mit 8 Jahren den Höchstsatz von 5200 Mk. (bisher 4600 Mk.) Dazu kommt für alle Offi ziere eine Erhöhung des WohnungSgeldzuschusseS, da» im allgemeinen 50°/<, der heutigen Sätze beträgt. — Für die Ersatzwahl im Wahlkreise Altena Iserlohn ist an Stelle des verstorbenen Hildck Rechtsanwalt Cremer (Hagen) als Kandidat der nationalliberalen Partei in Aus- sicht genommen. — Die preußische Lehrerbesoldungsvorlage enthält eine verschiedene Behandlung der Lehrer in Stadt und Land. Nach unseren Informationen wird diese Vorlage von den Konservativen. Freikonservativen und dem Zentrum abgelehnt werden, so daß dann eine gleiche Besoldung der Ttadt- und Landlehrer eintreten muß. Die Regierung wird an dieser Aenderung das Gesetz nicht scheitern lassen; man hofft sogar, daß eS schon zu Weihnachten erledigt sein wird. — Fürst Eulenbnrg wird, da die Charitä der Justiz behörde die betreffenden Räume iibcr den 1. Oktober hinaus nicht überlassen kann, zu diesem Termin anderweit unter gebracht werden müssen. Ob eine Uebcrführung in das Untersuchungsgefängnis oder die Unterbringung in einem Sanatorium unter polizeilicher Ucberwachung in Frage kommt, ist noch ungewiß. Der Zustand des Fürsten wird von einer Seite als sehr bedenklich, von anderen als hoff nungslos bezeichnet. Einige seiner Blätter bringen be reits Notizen vom „Sterbelager Eulenburgs". In weiten juristischen Kreisen hat man den Eindruck, daß der Prozeß nie mehr ausgenommen wird. Etwas Befremden erregt es, wenn nunmebr in Interviews die Fürstin Eulenburg die Zeugen Ernst nnd Riedel zn verdächtigen sucht; daß die Dame zu ihrem Gallen hält, ehrt sie, aber dadurch sind nicht Verdächtigungen anderer gerechtfertigt. Es gibt Leute, die die heutige Erkrankung des Fürsten immer noch als einen geschickte» Schachzng ansehen, da er bekanntlich ein großes Talent zum Schauspieler bat. — Der Sozialdemokratische Parteitag in Nürnberg stand am Donnerstag im Zeichen des Sturmes: die Gefahr des Bruches zwischen Nord und Süd scheint nicht allzuweit zu sein. Die Ausführungen des bayerischen Abgeordneten Segitz, der bekanntlich im bayerischen Landtage die Er klärung zur Budgetbewillignng abgegeben bat, waren so ziemlich das schärfste, was man bisher auf dem Parteitage zn hören bekam: sie atmeten keineswegs den Geist der Ver söhnlichkeit. Aber auch auf der anderen Seite scheint kein Wille zum Nachgeben vorhanden zu sein. Wie nämlich Segitz mitteilt, fanden am Donnerstag stundenlange Ver handlungen zwischen den beiden Lagern statt. In dem Mo ment, als er Vermittelnngsvorschläge machen wollte, habe Singer seine Mappe zugemacht und gesagt: Jetzt ist es genug der Konzessionen! Der Abgeordnete Eichhorn soll gestern einem Redakteur eines süddeutschen Blattes gegen über gesagt haben, daß die ganzen Verhandlungen darauf angelegt sind, ..einige hinansflicgen zu lassen". Der Ge nosse Ebert habe dem Genossen Bebel wegen seiner ver söhnlichen Einleitung der Debatte Vorwürfe gemacht und cs wäre beschlossen worden, daß nicht Bebel, sondern Ebert das Schlußwort zur Debatte haben würde. Dieser Eröffnung, die später dadurch eine Richtigstellung erfuhr, daß Bebel erkrankt sei, folgten die Rufe: „Gemeinheit, Unverschämt- beit!" Und als der Redner auf die Bewilligung der Ge nossen im Berliner Nathause zn sprechen kam, wo 8 Millio nen für Polizeizwecke gefordert worden seien, wurden ihm von dem sich wie rasend gebärdenden Genossen Borgemanu „ganz gemeiner'Schwindel" vorgeworfen. Durch den unge heueren Lärm, der dadurch entstand, war Segitz veranlaßt, seine Ausführungen zu schließen, und unter dem tosenden Beifall seiner Nürnberger Genossen, die als Zuhörer im Hinteren Teile des Saales anwesend waren, verließ er das Podium. Wenn nickt besondere Umstände eintreten, dann ist der Bruch unvermeidlich. Tie Resolution des Partei vorstandes, an der die Majorität zäh festhält, wird von den Süddeutschen strikte abgelehnt, nnd jeder Kompromiß antrag wird mit Hohn anfgenommen. Genosse Frohme- Berlin führte ans, man sei hier auf dem Parteitage nicht da, um über die süddeutschen Genossen zu Gericht zu sitzen, sondern um einen wichtigen Streit so zn entscheiden, daß die Partei keinen Schaden erleide. Jedenfalls hätten dis süddeutschen Genossen bei der Abstimmung in bester Ab sicht gehandelt. Reichstagsabgeordneter Geck-Offenbnrg hält die Resolution des Parteivorstandes für den einzig gang baren Weg. Der hessische Landtagsabgeordnete Ullrich- Offenbach führte aus, die Berliner hätten über das Ziel hinausgeschossen nnd den süddeutschen Genossen falsche Motive untergeschoben. Mayer-Heidelberg bemerkt: Werfen Sie unsere Abgeordneten hinaus, daun werfen Sie alle badischen Genossen aus der Partei hinaus! Redner for dert auf, die Resolution abzulehnen, wenn der Parteivor stand nicht so viel Verantwortlichkeitsgefühl habe, sie znrück- zuziehcn. Ein geradezu furchtbarer Skandal folgt diesen Worten. Schmidt-Gmünden hält dem Genossen Hildebrand, der am Mittwoch gesprochen hat, entgegen, daß keine zehn Prozent der württemlergischen Genossen hinter den württembergischen Abgeordneten stehen. Singer erklärt die Ausführungen des Abgeordneten Segitz für nnwah'-, Wenn so gekämpft werde, dann müsse jedem die Lust an der Partei vergehen. Neuer Skandal folgte bei den nun fol geirden persönlichen Bemerkungen des Genossen Eißner. Genosse Borgemann-Berlin bietet ihm eine Ohrfeige an, woraro ßch Eißner damit revanchiert, daß er ihn einen Ver leumder nennt. Ge„c>sse Ebert gibt die Erklärung ab, daß olles erstunken und erlogen sei, was vorhin Segitz über die Unterredung zwischen ihm nnd Bebel gesagt habe. Tiescr rust: Genossen, wie ist es möglich, daß hier solche gemeinen Schnüffler und Zuträger sein können? Zubeil antwortet:. Das ist der Kampf der Süddeutschen! Bebel erklärt: Er sei wider den Willen seiner Aerzte nach Nürnberg gegangen und habe Genossen Ebert aus diesem Eirunde vorgeschlagc», das Schlußwort zu übernehmen. Genosse Ebert habe ihm keine Vorwürfe gemacht. Das könne nur der Genosse Thiele, der während der Besprechung im Postzimmcr des Tagungslokales anwesend war, gewesen sein, der dem Ge nossen Segitz die Sache hinterbrachtc. Solche gemeine! Zuträgereien seien lebhaft zu bedauern. Genosse Segitz er widert darauf, er verdenke Bebel die Entrüstung nicht. Dev Genosse, der ihm die Mitteilung gemacht habe, sei der Ge nosse Nimmerfall (Pasing-München). Stürmischer Tumult folgte dieser Mitteilung. Am Schlüsse der Versammlung gingen die Genossen Borkmanu und Geck auf deu Redakteur! Eißner zu und bedrohten ihn mit Fäusten. Eißner verließ lächelnd das Lokal. Erregte Gruppen von Arbeitern be sprachen noch lange nach Schluß der Sitzung, der außer gewöhnlich spät erfolgte, die Ereignisse des Nachmittags. Kautsky wetterte gegen „die süddeutschen Verbrecher": wenn David sage, es sei Kadavergehorsam, sich der Partei zu fügen, so seien das anarchistische Anschauungen. Vertrauen gewinne man nicht, wenn mau jemand die Pistole auf diq Brust setze. Die Sozialdemokratie gehe der Auflösung ent*