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Zweites Blatt Sächsische BolkSzeitmzg vom 12. September 1911 Nr. 207 Sozialdemokratischer Parteitag. vpo. Ina» den s Siptember tvll. Arauri« Konfrrrnz. Nach dem Bericht der Mandatsprüfungskomniission ist diese Konferenz von 75» Delegierten, darunter 48 Frauen, besucht. Die Diskussion über die Frauen-Leseabende bringt nichts wesentlich Neues', von Interesse ist allenfalls eine Auseinandersetzung über die Frage, was an diesen Lese- abenden gelesen und diskutiert werde» soll. Irl. Dunker - Stuttgart regt au, auch die Religion als etwas geschichtlich Gewordenes zum Gegenstand der Leseabende zu machen unk zwar „vom Standpunkte des modernen Menschen" — bei leibe nicht, wie sie besonders hervorhebt, vom Standpunkte der Sozialdemokratie. Frau Zietz: Nicht Sozialreforine- rinnen sollen durch die Leseabentn.' herangebildet werden, sondern revolutionäre Klassenkäinpserinne». (Beifall.) Von der „Kochkiste" oder vom „Reformkleid" zum echten Sozia lismus kommen zu wollen, ist ein Unding. Ein Antrag Zetkin schlägt vor. im Jahre 1910 wieder einen sozial- demokratischen Frauentag abzuhalten, anderseits wird vor geschlagen: Zur Zeit der Eröffnung des Reichstages össent- licl)e Frauenversammlungen einzuberufen, in denen gegen den „Lebensmittelwucl>er durch Steuern und Zölle" prote stiert und die Aufhebung der Lebensmittelzölle sowie die Oeffnung der Grenzen gefordert iverden soll. — Ein An- trag, künftig alljährlich eine Frauen Konferenz abzuhalten, wurde abgelehnt. In der Nachmittagssitzung sprach Klara Zetkin über: „Die Frauen und die Reichstagswahlen." Der bevor stehende Wahlkampf, führte sie aus, wird mehr sein als ein Ringen um Mandate: es Handel! sich ui» einen Ent- scheiduugskampf zwischen bürgerlicher und proletarischer Weltauffassung. In diesem Kampfe lässt man auf seiten der bürgerlichen Parteien alle sonstigen Gegensätze zurück treten. Schon ist der eifrigste Kuhhandel ini Gange und schon sind in Rheinland und Westfalen die kirchenglüubigen Zentrümler draus und dran, den Brnderkuß zu tauschen mit den kultiirkänipserischcn und freimaurerischen National liberalen. Da müssen auch wir Frauen alle Kräfte in die Wagschale werfen, um den schwarz blauen Block zu zer trümmern Aber darin darf unsere Tätigkeit sich nicht er schöpfen: wir haben nicht vergessen, das; auch unter dem konservativ-liberalen Block die Interesse» des Proletariats verraten und verkauft waren. Der bürgerliche Liberalismus hat auf allen Gebieten versagt, nicht zuletzt gegenüber den Forderungen der Frauen. Und das Gleiche gilt vom Zen trum. Wir werden überall im bevorstehenden Wahlkampfe auf die Macht stoßen. die das Zentrum auf die Massen und namentlich auf die Gemüter der Frauen ausübt. Es heisst gewöhnlich, das Zentrum sei eine krchenpolitische Partei. Das stimmt für die Außenseite der Partei, aber nicht für ihren Inhalt. -Heute ist das Zentrum in der ausschlag gebenden Richtung seiner Politik eine großkapitalistisck-e, großagrarisck^' Partei, eine der Kirche nützliche Politik wird vom Zentrum nur insoweit verfolgt, als es notwendig ist. die Massen über sein wahres Wesen zu täusche». Das Zen trum hat sich keineswegs herauscntwickelt aus einer kirchcn- politisch oder religiös gerichteten Partei. Drei Elemente, aus denen sich später das Zentrum gebildet lwt. waren zu nächst die Träger der kleinbürgerlichen und kleinbäuerlichen Rebellion gegen das Walten des Kapitalismus auf wirt schaftlichen, Gebiete: ihnen gesellten sich die Träger der partikularistischen Opposition, die Muß-Preußen und die Muß Dc»tscl)en, und dann kam Bismarck und schweißte, in- dein er die Junkerpeitsche frech und pöbelhaft ungeschickt gegen die katholische Kirche schwenkte, alle diese Elemente unter der Fahne der katholischen Kirche zusammen. Damit hat er de» verschiedenartigen Elementen, die sich im Zentrum zusanimeiifandrn, eins gegeben, was die große Macht des Zentrums auch über die Gemüter der ausgebcuteten Massen erklärt: die große gewaltige Ideologie, eine einheitlich ge schlossene Weltanschauung, die jeden einzelnen ihrer Be kenner von der Wiege bis zum Grabe i» ihre». Banne hält. Mit seiner religiösen Ideologie ergreift das Zentrum die breiteste» Vo'ksmassen. Die Massen der Werktätigen, die unter allen Leiden der Gegenwart seufzen, bedürfen einer solchen Ideologie. Wir haben diese Ideologie in unser,» Endziel ans dieser Welt: daS Zentrum hat seine Ideologie in einen, Znknnstsstaat jenseits der Wolken. Noch niemand ist von diesen, Zukunftsstaate der Schwarze» fett geworden, aber der große Gedanke dieses Endzieles genügt, um die großen Massen trotz aller Verrätereien »», die Fahnen des Zentrums zu scharen. Das erweist die große Macht eines Endzieles, einer großen, weltumspannenden Ideologie. Die Massen wollen in ihrem Leid nicht nur ansgcrichtet und ge tröstet werden durch das. was wir in der Gegenwart zur Linderung ihrer Leiden zu tun vermögen sic suchen darüber hinaus eine volle Befreiung ihres Menschentums, und diese wollen sie auch verkörpert sehen i» dem Programm der Partei, der sie folgen solle». Aus dieser ganzen Entwick lung des Zentrums erklärt sich noch eine andere Erscheinung, die im Gegensatz steht zu der sonstigen allgemeine» Entwick lung und die zweifellos einen rückläufigen Charakter trägt: tpährcnd sonst die Parteien sich nach wirtschaftliche» und Klnsseninteresseu zusammenfinden, ist davon im Zentrum nichts zu spüren. Das Zentrum ist tat, ä ch l i ch eine Volks Part ei in dem verschwommenen nebelhaften Sinne, in de», man den Ausdruck früher gebrauchte, eine Zusammenfassung der verschiedensten Richtungen und der verschiedensten politischen Tendenzen. In, Zentrum ist iiintntm niiitnnclm — der Block von Bebel bis Basserman» tatsächlich schon seit langem Wirklichkeit und mehr „och: in, Zentrum sehen wir sogar den Block von Bethmann -Hollweg bis Bebel, den» in ihm finden wir vertreten die scharf- macherisck-en Junker, die Großindustriellen bis herab zun: ausgebcuteten Proletarier. Aber die Entwicklnngsgeschichtc des Zentrums zeigt ein weiteres: daß es die Massen nur znsanimenhalten konnte unter seiner religiösen Ideologie, so lange es Oppositionspartei war. Je mehr es anfgchört hat Oppositionspartei zu sein, je mehr in seiner Gesaintpolitik dcr Triumph der Vertreter des großen Geldsackes in die Er- scheinung getreten ist, um so mehr sind gleichzeitig seine dcmokratisckx'n Elemente gelähmt und gefesselt worden. Wollen Nur Eingang finden in die Kre'se der katholisch» Arbeiter, so genügt es nicht, ihnen unsere praktische Gegen- wartsarbcit vor Augen zu halten — wir »lüsse» ihnen das Erhebende einer großzügigen Ideologie, den Gedanken eines Endziels »äherbringe», wir müssen ihnen zeigen, daß all das, was die religiöse Ideologie des Ehristentums leisten sollte, von der sozialistische» Weltanschauung viel besser und viel vollkommener geleistet wird. Sodann spricht »och Frau W e p l - Berlin über: „Die Frauen und die Gemeindepolitik." Redneri» bespricht die Aufgabe» der Koinmnnalpolitik. Als solche bezeichnet sie die Errichtung von Kindergärten, Freiheit der Lernmittel, Schularztfrage. Errichtung non Waldschulen, Schul speisungen, Schulbädcr. Einführung des obligatorischen Handfertigkeitsunterrichts, Einsührung bo» Gesundheits- „nd Hanshaltiingsknrsen in de» Fortbildungsschulen, Er richtung städtische FleischperkausSstelle», Beschaffung billiger und gesunder Wohnungen, entscheidende Mit wirkung in der Waisenpflege, Sänglingssürsorge und Armenpflege. Voraussetzung für alle diese Arbeit sei die Erringung des Kominnnalrechtes sür die Frauen. (Beifall.) Mit einen, Schlußwort der Vorsitzende» Frau Z i tz und mit eine». Hoch auf die proletarische Frauenbewegung und die internationale Sozialdemokratie wird die Konferenz geschlossen. Sport. sp. DrrSdro, 10. Scplcmber. Dle Rennen um die Welüneisterschasten des Verbundes deutscher Radrenn bahnen wurden heute mit einem vollen E-folge abgeschlossen. Selten ist eine sportliche Veianstallung volle acht Tage lang so vom Wcller begünsiigl worden, als die großen Meisterschastsrennen auf d-r Dresdner Radrennbahn. Die heutigen Renne», die nachmittags 3 Uhr bet küh ew» sonnigen Wetter begannen, waren von zirka >5 000 Per sonen besucht. In dem Entschädtgungssahrrn sür die Nichlplazierten in den Vorläufer» der Weltmeister schaft über 100 Kilometer siegte Paul LbomaS, Breslau, der die vorgeschriebcne 50-Kilometer-Strecke in 38 Minuten -15 Sikünde» zucücklegte. Zweiter wuide Mauß, Köln, Dritter Ebert. L ipzig. und Vierter Lange, Eifurt. Im Enlschädigungssahren sür die Nichlplazierten des Verbands - Hauptsatz renv über 1000 Meter siegte Henry Mayer. Hannover, in 2 Minuten 11^ Sekunden. Zweiter wurde Schilling, Amsterdam, und Dritter Schttrmann. Münster. Die Meisterschaft sür Berufsfahrer über 1 Kilometer e.zi-stle Otto Meyer, Ladwigshafen, tu 1 Min. 50*/z Sek.. Zweiter wurde Rütt, Duisburg, Dritter Pele, Berlin. Daran schloß sich die mit Spannung erwartete Welt meisterschaft für Berufsfahrer über 100 Kilometer. Das Rennen wurde von Günther in 1 Stunde 12 Minuten 53 Sekunden glatt gewonnen. Beim Anlauf setzte sich zwar Scheuermann an die Sp'tze des Feldes, doch wurde er bald von Günther, der sich vortrcfflich in Form bl fand, überholt. Günther behtell die Führung bis zum Schlüsse, während sich Scheue-mann, trotz seir-cr tapferen Haltung, mit dem zweiten Platze begnügen mußte. Er lag zwei Runden zurück. Als Dritter folgte Ltuart, als Vierter Schtpke, als Fünfter Graf, und Demke als Sechster. Den — 100 — Auch Jngeborg ist heiterer als seit langem. Der entscheidende Schritt ist getan. Sic kommt sich vor wie eine Märtyrerin, die für ihr Höchstes leidet - mit Freuden leidet. Vor ihren Augen versinkt das unansehnliche Häuschen, an dessen niedriger Tür Frau Wiborg, die alte Haushälterin, in schwarzem, steif abstehenden, Seidenkleid, und Stine, das blonde Stubenmädchen, knixcn. — Schloß Sands gaard steigt empor, das alte traute Heim, auf dessen breiter.Steintreppe Erik und Tante Sigrid stehen. Hand in Hand, und einander mit glückseligem Lächeln in die Augen blicken . . . Und lächelnd läßt Jngeborg sich von der alten Wiborg in ihr Zimmer führen und Hut und Mantel abnehmeu. Jetzt nähert sich Jakob, der bisher in respektvoller Entfernung gestan den. seinem Herrn. „Hurra, sie ist mein!" ruft Lorenz gedämpft in diabolischer Freude, den cw.dcren derb auf die Schulter klopfend. „Trink auf das Wohl des jun- gen Paares, Jakob!" Nasch füllt er zwei Gläser mit Champagner »nd hält Jakob eines davon hin. Dieser nimmt es nur zögernd. Mißtrauisch schielt er nach den lebhaft gerötete» Zügen seines Herrn. .Hol der Kuckuck dein Unkengesichtl" höhnt Lorenz. „WaS grübelst du dir zusammen? Sei fröhlich mit mir! Wir sind am Ziel!" „Hm, ich fürchte —" knurrt Jakob. „Na, wa-: denn, alter Brummbär?" „Sie verlieben sich in das junge Ding." Lachend schlägt Lorenz sich aufs Knie. „Nee, Jakobi Keine Augst! 's Geschäft geht vor . . . Pst, sie kommt!" Rasch tritt Jakob zurück. Seine lange, dürre Gestalt nimiiit wieder die unterwürfige Haltung des Dieners, an. Lorenz aber geht seiner Gattin mit unbefangenem Lächeln auf den Lipp'U entgegen. „Komm, liebe Karin, wir wollen unser Hochzeitsmahl cinnehmen." Tic Lebu'.sversicheruligsgesellschaft „Skandinavia" wuudert sich nicht im gcriggste,,. als Lorenz Jcspersci, bereits wenige Tage „ach seiner Verhei ratung das Lebe» seiner junge» Gattin versickern will. Ter übliche Fragebogen wird borgelegt und von Lorenz beantwortet. Drei dieser Fragen mit den betreffenden Antworte» lauten folgen dermaßen 1. Höhe der VersichcningSsummc? . . . Füuszigtauseud Kronen. 7. Ist die zu versiclfcrnde Person mit einer Krankheit behaftet, die il.r Lebe» verkürze» könnte, wie Herzfehler. Luiigeiileiden, Krämpfe oder Geistesgestörtheit irgend welcher Art? . . . Nein. l«>. Ist die zu versichernde Person bereits i» ärztlicher Behandlung ge wesen, und wenn so. bei welclgm, Arzt? . . . Tr. Nicolas, Ehri- stiauin, Ocstergcrde 17. — 97 — „Sich da!" Triumphierend blitzt cs in Lorenzens Augen auf. Welch herrlich Ent- deckung! Freund Jakob scheint seine Sache doch gut gemacht zu habcul Und welch seltsam glücklicher Zufall, daß an dem fraglichen Morgen auch gerade ein Paar, daS auf die Beschreibung des Bettlers paßte, von Tromsö „Was gedenkst du zu tun?" fragt er mit wiedergcwoiiiieiier Dreistigkeit. „De» beiden Nachreifen morgen mit dem Frühschiff nach London. Bi» ihnen schon auf der Spur. Fräulein Ariivldseu hat mich gebeten, keine Mühe, leine Kosten zu scheuen." .Hu, —! Zeig mal deine Zeichnung! Du arbeitest ja drauslos, wie >ür Geld!" „Sic ist mir auch viel wert. Erkennst du sie?" Lorenz wirst einen Blick auf das Blatt Papier. Lebenswahr und ab- schreckend glotzen ihm die häßlichen Züge deS Bettlers entgegen. „Ich ich wüßte nicht —" stottert er. „Tn hast den Menschen einmal gesehen — damals, als ich dich bei dei nen, Besnche ans Schloß Sandsgaard ein Stück Wegs begleitete." „Wirklich? . . . Ich entsinne mich nicht. Was willst du mit der Zeichnung?" „Sie illustrierten Journalen übergeben zur weiteren Verbreitung." „Wozu?" „Ich habe anSgeliindsckmstet. daß der Mensch ein ganz gefährliches Sub jekt ist. reif fürs Zuchthaus. Muß über ihn Genaueres erfahren. Womög lich hat er bei meiner Sache auch seine Hand in, Spiel. Leb wohl jetzt! Ich muß eile.,." „Leb mobil Und gute» Erfolg!" „Ta»ke> Verlaß dich drauf ich finde die beiden: Jngeborg und den Entführer!" Nach ei» kräftiger Händedruck „nd Erik stürmt mit seiner Reisetasck>e die Trebse hinab. Gleich darauf rollt unten der Wagen mit ihm davon. Nachdenklich zieht Lorenz die Augenbrauen in die Höhe, während ein leiser Psisf seinen gespitzten Lippen entschlüpft. Er weiß, seine Lage ist eine kritische wenn n»ch Erik Niels momentan auf falscher Fährte ist. — Am nächsten Morgen bereits erhält er von dem „Idiot" einen Brief. In steißn, säst unleserlichen Schristzügen teilt der Bettler ihn, mit. daß alles in Ordnung ist. Die Polizei habe zwar ein wachsames Auge auf ihn: er habe aber bis jetzt alle genassührt. Freilich möchte er so bald wie möglich weg uns Tromsö. da ihn, dort der Boden unter de» Füßen doch etwas heiß würde. Was Herr Jespersen meine: ob er schon tommen könne? . . . Sofort telegraphiert Lorenz unter der Adresse eines Kumpanen Jakobs: „Ekwarte dich. Aber unter anderer Maske." Einige Tage sind vergangen. Lorenz Jespersen und sei» inzwisM» eingetroffener Komplice sind in vollster .Arbeit". „Helden der Pflicht. 85