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Sozialdemokratischer Parteitag. s«uc»»ruaverdaten.» Opo. Jena, den >4 September ISN. Alm Donnerstagmorgen herrscht im Volkshause ein lebhafterer Andrang, als an den anderen Tagen, trotzdem war «och, Platz für einige Hundert frei. Mit stürmischem Händeklatschen empfangen, hielt Bebel sein Referat über die Aeichstagswahlen. Zuerst behandelt er m ausführlicher Weise die Marokkaffäre. Um seine Zuhörer in die richtige Stimmung zu versetze», schildert Bebel zunächst die Kolo nialgeschichte in sozialistischem Sinne. Sie sei von Anfang an blutbesudelt und mit Verbrechen erfüllt. Die christ lichen Geistlichen hätten alle die Greuel im Namen der christliche» Zivilisation gutgeheißen. In dieser Tonart geht'S weiter. Auch die Hereros müssen herhalten. Dann wurde der Redner langweilig. Er gab eine langatmige Schilderung der französischen Kolonialgcschichte in Afrika und kam dann auf die Marokkoaffäre zu sprechen. Dabei entschlüpfte ihm das interessante Geständnis, daß auch die Sozialdemokratie verlange, daß Deutschlands Handel uird Industrie in Marokko sich unter den gleichen Bedingungen entwickeln könnte, wie Handel und Industrie anderer Staaten. Gut, wenn Bebel anerkennt, daß auch die Sozial demokratie ein Interesse an Deutschlands Handel und Wandel in Marokko habe, warum fällt sie dann der Re gierung im entscheidenden Moment in den Rücken? Oder bildet sich Bebel etwa ein, daß man dein Reiche die wirt schaftliche Gleichstellung durch vaicrlandsfeindliche Demon strationen gewinnen kann? Je länger Bebel sprach, um so mehr enttäuschte er. Er kommt vom Hundertsten ins Tausendste, und ehe man sich's versieht, spricht er sogar vom Boxeraufstand und vom Grafen Waldersee. Mit Marokko bat das ja nichts zu tun, aber das schadet ja nichts. Der Zweck der Hebung besteht ja nur darin, die Leidenschaften anfzustacheln. Bebel beschäftigte sich dann recht ausgiebig mit der Kriegshetze der Alldeutschen. Was er über die lln- durchführbarkeit der alldeutschen Forderungen sagt, ist ja richtig. Es könnte ebensogut in der „Kreuzzeitung" ge stalten haben, aber neu ist es nicht. Was Bebel hier er zählte, das haben vor ihm schon sehr viele andere Leute ge sagt. Dem Kaiser erteilte Bebel die Note ln, weil er der Krieqsneigung Kiderlen-Wächters einen Dämpfer aufge setzt haben soll trotz der Revolutionsdrohung Mäxchen HarSens in der „Zukunft". Interessanter wird Bebel, als er seine Schlußfolgerungen aus seinen Ausführungen auf daS Verhalten der Sozialdemokratie zieht. Von einem Massenstreik will er nichts wissen. Er hält den Drauf gängern, lvis z B. der Rosa Luxemburg, dem Dr. Lieb knecht usw., vor, daß ein Massenstreik im Falle des Krieges vraktisch unmöglich sei, denn dann schreien die Arbeiter nicht nach Massenstreik, sondern nach Arbeit und Brot, und ?.ann stehe die Existenz der bürgerlichen Gesellschaft auf dem Spiele. Endlich ist Bebel mit seinen endlosen Aus führungen über Marokko fertig. Bevor er aber zu seinem eigentlichen Thema übergeht, bricht er sein Referat ab, um einer Diskussion Raum zu geben. Eine Resolution des Pavteivorstandes bildet den Niederschlag der Bebelschen Ausführungen. In ihr wird die Erwartung ausgesprochen, daß die deutsche Arbeiterschaft einen Weltkrieg mit allen Mitteln verhindern werde und in der außerdem die so fortige Einberufung des Reichstages gefordert wird. Der blutigen Rosa und ihrer Spießgesellin Klara Zetkin ist diese Resolution viel zu zahm, und so beantragen sie eine Reihe verschärfender Abänderungen, die sich gegen die Stützen des Militarismus, gegen Konservative und Zen trum. richten und in denen gegen jeden, auch auf diplo matischem Wege zu erlangenden Gebietszuwachs protestiert wird. Aber die Rosa hat keinen Erfolg mit ihrem Vor gehen. denn die Resolution des Parteivorstandes wird ohne weitere Debatte unverändert angenommen. Da die Zeit schon stark vorgeschritten ist, sieht man von einer Fortsetzung des Bebelschen Referates ab und nimmt die Frage „Maifeier" in Angriff. Die Verhandlungen darüber werden unter allgemeiner Teilnahmslosigkeit ge führt und können besonderes Interesse nicht beanspruchen. Die Debatte wird am Nachmittag fortgesetzt. Bebels Referat über die Reichstagswahlen wird am Freitag vormittag erstattet werden. Die Verhandlungen über dis Maifeier nahmen ain Nachmittag ihren Fortgang. Die Gewerkschaftlichen unter nehmen einen Vorstoß gegen den Beschluß des Nürnberger Parteitages, daß jeder, der den 1. Mai mitfciern kann, ohne entlassen zu werden, seinen Tagesverdienst an den Maifonds abliefern muß. Tie Radikalen dagegen bemühen sich, den Vorstoß abzuwehren und beantragen daher den un- uachsichtlichen Ausschluß aller derjenigen Genossen aus der Partei, die nicht zahlen wollen. Beide Parteien sagen sich allerlei Liebenswürdigkeiten. Mit der Länge der Debatte wächst die Teilnahmslosigkeit inS Ungemessene. Bei der Abstimmung wird der Antrag der Gewerksclxstten auf Auf hebung der erwähnten Bestimmung mit 237 gegen 172 Stimmen abgelehnt. Bei den Radikalen ist die Freuds groß, aber schnell fällt ein Wermutstropfen in den Becher ihrer Freude, denn als nun die Abstimmung über ihren Antrag auf Ausschluß kommen soll, da erklärt der Vor sitzende zur allgemeinen Ueberraschung, daß dieser Antrag zurückgezogen ist. Ein gewaltiger Tumult bricht los. Die Radikalen machen ihrer Erbitterung Luft und bezeichnen das Vorgehen als „Ueberrumpelung", „groben Unfug". „NaSführung" und „illoyal". Zietzsch will den Antrag wieder aufnehmen, aber Papa Dietz bedeutet ihm, daß das nicht gehe. Auch Stadthagens Beredsamkeit vermochte ihn nicht zu rühren, aber schließlich muß er dem Ansturm der Mehrheit doch weichen und er unterwirft sich der Entschei dung des Parteitages. Diese fällt gegen ihn aus und nun muß der Antrag der Radikalen zur Abstimmung gestellt werden. Der Antrag wird in namentlicher Abstimmung mit 276 gegen 101 Stimmen angenommen. Es wird dann noch die Kandidatenliste für den Vorstand mitgeteilt und besprochen. Das Ergebnis der Aussprache ist, daß voraus sichtlich Genosse Haase-Königsberg zum Vorsitzenden ge wählt wird. Gemeinde- und Vereinsnachrichien. 8 Dresden. Der Dramatische Klub „Teutonia" des katholischen Gesellenvereins zu Dresden veranstaltet Sonntag, den 17. September, von abends 7 Uhr ab im großen Saale des kath. Tesellenhauses, Käufserstraße 4, zur Feier des 17. Stiftungsfestes einen Familtenabend, bestehend in musikalischen und humoristischen Vorträgen und anschließendem Tanze. Ta das für diese Veranstaltung ausgestellte Programm einen äußerst genußreichen Abend verspricht und außerdem für den Tanz große Ueberrafchungen geplant sind, so werden auch noch hierdurch alle lieben Freunde und Gönner der Dresdner Kolpingsfamilie zu recht zahlreichem Besuche freundlichst eingeladen. Eintritts- karten sind im voraus zu entnehmen und beim Herrn Hausmeister deS Gesellenhauses, Käufserstraße 4. erhältlich. 8 Dresden. (KatholischeArbeitervereineZentrum, Löbtau und Pieschen.) Sonntag den 17. September aberwS 8 Uhr gemeinschaftliche Fachabteilungsversammlung in „Staat Zittau", Ritterstraße. Herr Dr. Pachel wird einen Vortrag halten über „Religion in der GewerkschaftS- frage". Die Mitglieder der Vereine werden ersucht, zahl reich zu erscheinen. 8 Chemnitz. (Kath. Textilarbeiter und Textil- arbeiterinneu.) Morgen Sonntag, den 17. September, abends 8 Uhr (Gießerstraße 3 Part.) Textilarbeiter- und -Ärbeiteriunenversammlung. Vortrag: „Warum organisieren wir uns katholisch?" AndevSorganisiertsn ist der Zutritt nicht gestattet. 8 Chemnitz. (Kathol. Jünglingsverein.) Sonntag den 17. September Ausflug nach Augustusbmg. Bahnfahrt bis Erdmaunsdorf (Richtung Annaberg—Buchholz, Bahn steig 4>. Fahrgeld 40 Pfennige. Zurück zu Fuß. Treff punkt i/,2 Uhr Hauptbahnhof. — Am 24. September Versammlung im alten Pfarrhause, Roßmarkt 9 III. — Ebenso am 8. und 22. Oktober. — Der Oktober-AuSflug muß bereits am 1. Oktober stattfinden. Wanderung 2 Uhr ab Roßmarkt durch den Stadtpark, Harthwald, eventuell nach dem Geiersberg. Alle Jugendlichen sind dazu ein geladen; Eltern, Gäste und Gönner willkommen. 8 Meißen. Wie bereits gemeldet, veranstaltet das Christi. Gewerkschastskartell am Sonntag, den 17. Sept. einen gemeinschaftlichen Besuch der Internationalen Hygiene-Ausstellung. Den Beteiligten diene folgendes zur gefl. Kenntnisnahme: Die Eintrittskarten werden Sonn abend, den 16. September von 7—8 Uhr abends im kath. Gesellenhaus, Hirschbergstraße 7, ausgegeben. Es ist er- wünscht, zu dieser Zeit auch das Fahrgeld (90 Pf. mit Rückfahrt) zu bezahlen, damit die Karten im voraus gelöst werden können und sich jeder die Fahrpreisermäßigung sichern kann. Wer verhindert ist, dies am Sonnabend zu erledigen, wird ersucht. Sonntag früh ^7 Uhr auf dem Bahnhofe Meißen rechts anwesend zu sein, andernfalls er daS volle Fahrgeld bezahlen muß. Die Abfahrt erfolgt 7 Uhr 7 Minuten von Bahnhof Meißen rechts. Treff punkt: Punkt 10 Uhr am Haupteingange der Ausstellung. Zur Besprechung der verschiedenen Einzelheiten wird er sucht, daß alle Teilnehmer, soweit irgend möglich, in die Versammlung kommen, welche Sonnabend, den 16. Sept. abends 8 Uhr stattfindet. In dieser wird Herr Gewerk schaftssekretär Voigt. Dresden, einen Vortrag halten. Freunde sind freundlichst eingeloden. (Siehe Inserat.) S s;i — 1>5 — im Eckrestauraut dort unten auf mich warten. Wollen Sie nur die Wahr heit sagen? Oder soll ich pfeifen?" Jakobs Mut wächst, je mehr er das Gefährliche seiner Situation einsieht. „Und was dann?" fragt er höhnisch. „Dann stelle ich Sie den Polizisten als einen gewissen Jakob Uhl vor." „Wozu?" „Damit Sie verhaftet werden." „Weil ich die Hand im Spiel hatte bei der Flucht jenes Mädchens?" „Nein. Weil Sie der — Mörder der Madame Fredensborg sind!" Als habe er einen Faustschlag ins Gesicht erhalten, fährt Jakob zu rück. Geisterhafte Blässe überzieht seine häßlichen Züge; wie im Fieberfrost schlagen seine Zähne zusammen; seine Knie schlottern. „Das ist nicht wahr . . . das ist eine Lllgel" stottert er. „Das wird daS Gericht entscheiden," erwidert Erik ernst. „Ich gebe Ihnen jetzt eine halbe Minute Zeit. Bis dahin müssen Sie sich erklären." Blitzschnell überfliegen Jakobs kleine schielende Augen Eriks kräftigen Gliederbau; mit ihm kann es sein durchs Trinken geschwächter Körper nicht «ufnehmcn. Noch immer umspannen Eriks Finger seinen Arm wie mit eisernen Klammern. Er sieht es klar — sein Spiel ist verloren. Jetzt heißt es für ihn nur: sich den Galgen vom Hals halten. Lorenz Iespersen muß -eopfcrl werden. „Die halbe Minute ist vorbei!" tönt Eriks klare Stimme ungeduldig cm sein Ohr. „Soll ich pfeifen?" „Nein, nein!" „Sie wollen mir also die Wahrheit sagen?" „Lassen Sie mich dann lausen?" „Das hängt von den Umständen ab. Zuerst antworteil Sie mir! Aber rasch! Wir haben keine Zeit zu verlieren! Ist Fräulein Jngeborg Valetti in diesein Hause hier?" „Ist s i e es, dis Lorenz Iespersen unter dem Namen „Karin Lewis" heiratete?" „Ja." „Ist es wahr, daß sie krank ist?" „Ja." „Aber sie lebt noch? Sprich die Wahrheit, Bursche! Oder —" „Ja, ja! Sie lebt noch!" „Ist Lorenz Iespersen in diesein Augenblick bei ihr?" „Ja." „Stehen Sie in seinen Diensten?" „Ja." „Dann kommen Sie! Rasch!" Und Erik zieht den kaum mehr Widerstrebenden zum Tor. Er ist sicher, daß der Mensch heute die Wahrheit sprach — vielleicht zum ersten Male in seinem Leben. Als jedoch Erik das Tor aufstoßen und eintreten will, hält Jakob ihn zurück. — 112 — Damit nimmt sie ohne weiteres Eriks Arm und zieht den jungen Mann mit sich aus dem Blumenladen, nachdem sie rasch eine Krone auf den Laden tisch geworfen. Obgleich Erik sich Lurch das Benehmen des Mädchens aufs höchste abge stoben fühlt, läßt er es doch wie mechanisch geschehen, daß sie mit ihm den Weg nach einer der breiten, belebten Hauptstraßen einschlägt. „Wer sind Sie eigentlich?" fragt er endlich, sich gewaltsam aufraffend. Wieder lacht sie hell auf. „Mein Name wird Ihnen sicher nicht unbekannt sein. Ich heiße Karin Lewis." Wie zur Bildsäule erstarrt, bleibt Erik plötzlich stehen. „Frau Karin Iespersen, wollen Sie sagen!" ruft er erregt, jedes Wort scharf betonend. „Frau Karin Iespersen? Nein. Ich heiße Karin Lewis!" wiederholt sie ärgerlich. „Großer Gott!" Er hat seinen Arm aus dem ihren gezogen. Wie eine plötzliche kr- leuchtung kommt es über ihn. „Was ist Ihnen, Herr Niels? Sie sind ganz bleich — Sie zittern —" ruft das Mädchen, ihn verwundert anblickend. „Bei Ihrer Seligkeit, bei all dem. was noch gut und edel in Ihnen istl" murmelt er, ihre Hand so heftig umspannend, daß sie einen leisen SchmerzenS- ruf ausstößt, „schwören Sie, daß Sie noch Karin Lewis heißen und nicht —" „Ich schwöre es! Was ist denn so Sonderbares dabei?" kichert sie. „Ich bin Karin Lewis, die Tochter der Pfandleiherswitwe Sarah Lewis in Tromjö. Gestern erst bin ich aus Paris zurückgekehrt: 's war mir zu dumm dort." Mit einem tiefen Aufatmen, das fast wie ein Stöhnen klingt, läßt ec ihre Hand fallen. Sie aber greift in die Tasche und hält ihm drei parfümierte Billetts vor die Augen, die alle dieselbe Adresse tragen: „Fräulein Karin Lewis." „Glaubcn Sie mir nun, Herr Niels?" «Ich - glaube Ihnen!" erwidert er tonlos. Nicht wagt das Mädchen wieder, seinen Arm zu nehmen. Scheu blickt sie ihn mit ihren unnatürlich glänzenden Augen von der Seite an. Sein Be nehmen ist gar so sonderbar. „Beantworten Sie mir noch eine Frage!""flüstert er endlich mit vor Erregung fast heiserer Stimme. „Wann haben Sie Lorenz Iespersen zu letzt gesehen?" Sie zieht ein nachdenkliches Gesicht. „Das soll ich noch wissen? Vielleicht vor sechs Monaten oder vor sieben —" „Nichr heute? Nicht gestern?" Durchdringend ruhen seine großen ernsten Augen auf ihren spöttisch lächelnden Zügen. „Nicht heute und nicht gestern!" wiederholt sie mit keckem Aufwerfen ihres SnimpfnäSchens. „Ich Hab' waS andere» zu tun, als mich um Lorenz Iespersen zu kümmern. Adieu, Herr NielS I Tie sind recht langwellig!" ist »Helden der Pflicht."