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Aus Stadt und Land. (Horlsetzunq aut den. tzauptblatl.) ' Wie es bei der Leichcnvrrbrrnnung zügelst, schildert ein Augenzeuge folgendermaßen: „Man hört oben in der Kapelle deutlich das Ausstößen des versenkten Sarges auf die Schienenbiihne, das Rollen der Räder, das Auf- und Zuschlägen der schweren Ofen tür mit ihren gewaltigen Riegeln. Welche Gedanken mögen da die Leidtragenden erfüllen? Und kaum ist nun der Sarg in den auf ungefähr 1600 Grad erhitzten Ofen geschoben, so ist er samt der Totenkleidung auch schon verzehrt. Ein Metallsarg schmilzt sofort von der Leiche wie darüber ge gossenes Wasser, und die Leiche liegt bloß und nackt auf dem Roste. Alle Muskeln verzerren sich unter der Ein wirkung der Hitze: die Glieder krümmen sich bei dem all? mählichen Durchglühen auf und ab, wie man cs auch an hartem durchgliihenden Holze deutlich beobachten kann. Es ist, als wollte der arme mißhandelte Körper noch im letzten Augenblicke sich gegen diese gewaltsame Vernichtung aus- bäumcn. Tie völlige Verbrennung währt etwa 3 bis 4 Stunden. Schließlich fallen die Ueberbleibsel durch den Rost auf den Boden. Und nun tritt ein Instrument in Tätigkeit, das ich an den Ofen gelehnt sah. ein Kratzeisen mit einem langen eisernen Stiel daran. Mit diesem Werk zeuge werden durch eine besondere Türe die unter dem Roste liegenden Sarg- und Eisenteile zusammengekratzt und auf ein vorgelegtes großes Kehrblech gezogen. Nachdem sie abgekühlt sind, werden die Metallteile des Sarges herausgelesen: das übrige ist die „Asche" des Verbrannten Während ich noch in tiefes Nachdenken über alle diese Vor gänge und ihre angeblichen Vorzüge vor der natürlichen Verwesung in der Erde versunken war, rief mich mein Führer in einen Seitenraum, dessen eme Wand mit Schrankfächern bedeckt war, in denen allerlei „Urnen" standen — solche von durchsichtigem Glas mit den Ueber- rcsten verbrannter Kälber und Schweine, die den Menschen „zur Probe" im Ofen vorangegangen waren, um das Ver- brennungsresultat zu zeigen und den Zagenden Mut zu machen: ferner leere Urnen aus Blech und eine gefüllte mit der „Asche" eines kurz zuvor eingeäscherten Mannes. Ich konnte aber in den gläsernen „Probeurnen" keine Asche entdecken, sondern sah nur ungebrannte Knochenstücke. Ter führende Ofenwärter belehrte mich, daß die eigentliche „Asche" sämtlich infolge des starken Luftzuges im Ofen durch den Schlot entführt wurde, und daß nur diese Knochenstücke, meist die dicken Gelenkknorpel unter dem Roste liegen blieben. Als ich meiner Verwunderung darüber Ausdruck gab, daß die Knochenrestc eines er wachsenen Menschen in diesen kleinen Blechbüchsen blieben, erfuhr ich die weitere Belehrung, daß man sie, wenn sie nicht gut „hineingehen wollten", mit einem Stampfholz fest hineinstampfe. Ich dachte: ganz wie beim Einniachen in Konservenbüchsen! Und mir kamen bei diesen Schilderungen von der zerstobenen Asche, von dem Zusanimenkratzen der Knochenreste unter dem Roste und dem Einstampfen in die Blechbüchse wunderliche Empfindungen darüber, wie man, nachdem auch andere intime Geheimnisse der Feneröfen bekannt worden sind bezüglich der Zurichtung der Särge — ja, wie man sich nicht genug damit tun kann, gerade die „Pietät" und „Aesthetik" der Leick>envcrbrennung zu preisen und hoch über die Erdbestattung zu stellen. Allerdings: in alle Winde verwehte Asche und eingestampfte Knochen — wie pietätsvoll und ästhetischl" ' Dir „Leipziger Volkszeitung" genießt neben dem „Vorwärts", der daS Zentralorgan ist, wohl das meiste Ansehen in der sozialdemokratischen Partei. Das mag wohl daher kommen, weil die „Genossen" eine derbe Kost lieben. Tenn die „Leipziger Volkszeitung" ist eines der radikalsten Blätter. Im Radikalismus ist sie selbst dem „Vorwärts" weit über, und sie hat auch stets die nied lichsten Schimpfwörter zur Hand. Wehe, wenn sie los gelassen! Am verhaßtesten auf dieser Welt sind der Leipzigerin die Tarifverträge. Sie spöttelt über diese „Friedensiiistitute", die den Klassenhaß mildern^ den Klassenkampf hemme». Generalstreik, Revolution und Ver wandtes finden in der „Leipziger Volkszeitung" ihre ernsteste Vertretung. Die Leitung des sozialdemokratischen Buchdruckerverbandes ist nun in den letzten Wochen in Streit geraten mit der „Leipziger Volkszeitung". Da findet man im „Korrespondent" Nr. 83 folgende treffliche Eharakterisierung der „Leipziger Volkszeitung": „Es wurde und wird in den Spalten dieses sich als Zentralorgan dunkelnden Partciblattes ein ganz öder Radi kalismus getrieben, die Massensuggestion ... in Gestalt der elendesten Stimmungsmache kultiviert, lieber alles wird eine gepfefferte radikale Sauce gegossen, der erfahrene und denkfähige Männer die Anrichtung mit unechten Zu taten schon von weiten! anmerken. Der Appell an di: schwielige Faust feiert in der „Leipziger Volkszeitung" wahre Triumphe, die um so mehr anwidern, als sie meistens von Leuten ausgchen, die ihrem ganzen Herkommen nach vom wirklichen proletarischen Empfinden keine blasse Ahnung haben, die auch jetzt noch so tief in bürgerlichen oder schon mehr aristokratischen Gepflogenheiten stecken, daß man sie bestenfalls als Amateurproletarier gelten lassen kann . . . Die „Leipziger Volkszeitung" krakeelt mit aller Welt, mit Freund und Feind." Stimmt! Der „Korrespondent", der ja mit der „Leipziger Volkszeitung" verwandt ist (beide gehören der „roten" Familie an) und sie auch in allernächster Nähe studieren kann (beide erscheinen in Leipzig), muß es ja wissen. Vielleicht denkt der „Korrespondent" aber auch ge legentlich mal über das Sprichwort nach: Sage mir. mit wem du umgehst und . . . —* Ein großes Schadenfeuer brach in der Nacht zum Sonntag um 12^ Uhr in dem an der Ecke der Prager und Waisenhausstraße gelegenen imposanten Herrenkonfektionshause von Heinrich Esders aus. Aus bisher unbekannter Entstehungsursache entstand das Feuer in der zweiten Etage. Dieser mehrere hundert Ouadratmeter große Raum enthält das Winterlager von fertiger Garderobe und außerdem viele Ballen Kleider stoffe. die zum Teil erst vor kurzem eingetroffen waren. Diese umfangreichen Vorräte sowie die Einrichtungen sind durch das Feuer und den Rauch vollständig vernichtet oder unbrauchbar geworden. Die städtische Feuerwehr war durch einen selbsttätigen Feuermelder alarmiert worden und nahm die Bekämpfung des Feuers durch vier Tampfspritzen vor. Ihre Hauptaufgabe, die dritte Etage, woselbst der Inhaber der Firma, Herr Hubcrty, wohnt, zu retten, ge lang, dank der vortrefflichen Eisenbetonkonstruktion der Decke. Ganz unversehrt sind die Werkstätten in der vierten Etage geblieben, und auch in dsr ersten Etage, sowie in» Parterre, wo sich die Verkaufsräume befinden, ist alles intakt, so daß der Betrieb des Esderschen Warenhauses für daS Publikum keinerlei Unterbrechungen erleidet. Selbst von den gewaltigen Wassermasscn sind die unter dem Brandraume gelegenen Verkaufsräume in der ersten Etage so gut wie unberührt geblieben. Der Schaden, den die ge waltige Feuersbrunst angerichtet hat, ist natürlich unge heuer, zum größten Teile jedoch durch Versicherung gedeckt. Das Gebäude wurde im Herbst 1908 nach den Plänen des Herrn Architekten Tandler durch die Dresdner Firma Kell u. Löser fast vollständig aus Eisenbeton hergesielft. Dieser modernen Bauweise, die im vorliegenden Falle die Feuer- probe glänzeird bestand, ist es zu verdanken, daß der Brand auf das zweite Obergeschoß beschränkt blieb. Die Decken erwiesen sich als wasserdicht, so daß die zur Bekämpfung des Feuers nötigen Wassermassen nicht in das Geschoß unter dem Brandherd durchdrangen und die daselbst be findlichen Lagerbestände von der Katastrophe nicht be rührt worden sind. Der Schaden am Bauw-erk ist verhält nismäßig nicht allzu groß und wird cs nur nötig sein, im ausgebrannten Geschoß den Putz der Wände und Decken, die Fenster und die Lichtan'age zu erneuern, was voraus- sichtlich in einigen Tagen erledigt sein tvird. —* Die E i s e n b e t o n b a u w e is e hat sich beim Schadenfeuer im Esderschen Herrcnkonfektionshause glän zend bewährt. In diesem Zusammenhänge dürften fol gende technische Mitteilungen von Interesse sein. Das Prinzip der Elsenbetonbauweise beruht vornehmlich darauf, nur an d e n Stellen der Konstruktion Eisen zu verwenden, die auf Zug beansprucht sind, während an den gedrückten Teilen Beton angeordnet ist. Die aus Stabeisen von 10—V0 Millimeter Stärke bestehenden Eiseneinlagen sind allseitig von einer 2—6 Zentimeter starken Betonschicht umhüllt und werden dadurch dem un mittelbaren Angriff der Flammen und des Spritzenstrahles entzogen. Beton und Eisen erleiden bei starker Erwärmung Ausdehnungen — wie alle Körper —, die jedoch für Beton und Eisen von gleicher Größe sind. Infolge des gleichgroßen Dehnungsvermögens der verbundenen Stoffe Beton und Eisen sind die Eisenbetonkonstrukttonen befähigt, auch den höchsten l>eim Brande vorkommenden Temperaturen ohne Verminderung der Tragfähigkeit Widerstand zu leisten. —* Die Rolandsbrüder, eine unter diesem Namen b-kannte Kolonne von H unkluger Zimmerleuten, die seit einiger Zelt ihr Qnarticr in Dresden oufg> schlagen haben, und d e namentlich tu ch ih'e weiten Samtbeinkl.ide: und ihre Zylindertzüte in den Straßen auffallen, hatten sich meh fach durch Rrdauszenen unbeliebsam bemerkbar gemacht. So waren sie auch an eincr Skandalsz-ne am 23. Juli d. I. auf der Wettinerstraße beteiligt. Als der Zimmermann Aster von einem Gendarm verhaftet wsrdcn sollte, drehte er den Beamtcn zu erstechen und forderte seine Genossen auf. ihn wieder zu befreicn. Der Zimmer- mrnn Buchmann bedrohte den Beamten gleichfalls. Aster ei h'elt sechs Monate Gefängnis und fünf Tage Heft, während Bochmann mit drei Tagen Hast davonkam. — 10 — Er »'doch zieht ihren Arm durch den seinen. Und während beide ge- wohirheitsgemnß den Weg nach der Wohnung von Gerdas Mutter cinschlagen. erzählt er in knappen Worten seine Unterredung mit Konsul Daland und das Resultat derselben »nd fügt hinzu, daß der große Gehalt, der ihm zu gesichert sei, ihn in den Stand setzen werde, sein Lieb vielleicht schon in einem Jahre heimzuführcn und das Heim hübsch und behaglich cinzurichten . . . Das Mädchen ist ganz still geworden. Immer tiefer sinkt das blonde Köpfchen auf die Brust herab. „Können wir nicht heiraten, ohne daß du fortgehst, Erik?" murmelt sie leise, wie zu sich selbst. Er schüttelt den Kopf. „Ich besitze mir noch ein paar Schillinge. Aber beruhige dich, mein Liebling! Ich hoffe, falls die alte Dame nicht gar zu schroff ist, während des Jahres einmal Ferien zu bekommen, damit ich dich in Ehristiania besuchen kann." Ein tiefer Seufzer entringt sich Gerdas Brust. Schweigend schreiten beide nebeneinander her, wobei lmedcrholt ihr kummerpoller Blick sein Ge- sicht streifte, als ob er in den kräftigen, männlichen Zügen lesen wolle. Plötzlich bleibt Gerda stehen. Hastig tastet ihre Hand nach der Brust- tascl>e seines offenen Ueberrocks. „Dies ist der Brief an Fräulein Ariwldsen, nicht wahr?" zittert eS über ihre Lippen, während die kleinen Finger ein Kuvert hervorziehen. „Ja, mein Lieb. Zerreiße ihn! Wir wollen nicht mehr daran denken. Ich werde eine andere Stellung finden — in der Nähe von Ehristiania. Und dann ist alles gut." Er hat nicht bemerkt, wie Gerda den Brief hinter ihrem Rücken verbarg und sich einige Augenblicke von dem Verlobten entfernte. J-cht kehrt sie wieder zu ihm zurück, heiße Röte auf den Wangen. „Wo ist der Brief, Gerda?" fragt er vcrwnndert. „Auf dem Wege nach Tromsö. Ich habe ihn soeben in den Briefkasten geworfen." „Gerda!" „Ja, Erik. Ich fühle, daß es gut für dich ist. Ob für mich? Wer weiß es!" In ihren Augen stehen zwei große Tränen. Der böse, böse Nebel . . . Zwei Tage nach jener heroischen Tat, die der tapferen kleinen Gerda JeSperiei: noch nachträglich manch heimlichen Seufzer erpreßte, »risst Fräu lein Arnoldscns Antwort ein. In kräftigen, fast männlichen Schriftzügen teilt sic Here» Erik Niels kurz und gesclchftlich mit. daß sie mit Konsul Dalands Arrangement einver- siande.i sei und den neuen Zeicl-enlehrer ihrer Nichte sobald wie möglich erwarte. In Eriks Gegenwart erscheint Gerda heiter und zufrieden. Aber der kleine Blumenladen in der Berlinskc-gade — er wüßte zu erzählen von ihren Kämpfen, ihrem Schmerz und heimlich vergossenen Tranen. — Der letzte Abend vor Eriks Abreise ist ein besonders trüber. Dichter als sonst noch lagert fciichtcr Nebel über der Stadt. — 11 — „Zum letztenmal," flüstert Gerda wehmütig, als Erik sie, wie gewöhn lich, gegen sieben Uhr aus dem Blumenladen abholt. „Nicht zum letztenmal —" flicht er zu trösten, obgleich ihm selbst ganz eigen weh ums Herz ist. „Tech, Erik. Zum letztenmal," beharrt sie. „Wenn jemand von einem Orte fortgeht, gleichviel, auf wie lange, so —" „Soge, geh' nicht, und ich bleibe!" „— gleichviel, ans wie lange," wiederholt sie ernst, ohne auf seinen Ein- wand einzugehcn, „so tritt stets irgend eine Veränderung ein. Vielleicht wirst di. mich auch später wieder aus dem Geschäft abholen: aber entweder bin ich dann wo anders in Stellung, oder die Mutter wohnt wo anders. Oder sonst etwas ist anders. Du darfst mir nicht böse sein, Liebster, wenn ich heute diesen harmlos glücklichen Abenden für immer Lebewohl sage." Er schlingt die Arme um ihren Hals, er drückt ihre kleinen, bittend emporgehobcnen Hände an seine Brust, er scherzt und lacht — nichts vermag beute, iene altgewohnten Grübchen auf ihre Wangen zu zaubern, nichts di> konst so strahlenden, heute umflorten Augen zu erhellen. Still packt Gerda Eriks Koffer. Jeden Gegenstand streichelt sie sanft, bevor sie ihn an seinen Platz legt — „um ihn recht glatt zu machen" -- wie sie entschuldigend sagt. Schweigend sieht Erik zu. Noch niemals erschien ihm seine Braut so lieblich, so begehrenswert, wie mit diesem unausgesprochenen Leid in den kindlichen Zügen. Seit mehr denn einem Jahr hat der junge Mann das einzige große Zimmer in der IcSpersenschen Wohnung inne. Zuerst kümmerte er sich wenig um die kleine Gerda, die bereits früh morgens ins Geschäft ging und erst gegen Abend wieder heimkchrte. Bald jedoch fand er Wohlgefallen an ihren: trotzen Lachen, ihrem herzigen Singsang. Und nicht lange dauerte es, da be gann er die Stunden zu zählen, bis das lebensfrohe kleine Mädchen abends wieder durch seinen heiteren Frohsinn die enge düstere Wohnung in ein kleines Paradies verwandelte. Wie eS kam, daß sic auf einmal Braut und Bräutigam waren — er wüßte es selbst nicht zu sagen. Er weiß nur, daß ein wohliges Gefühl durch keine Adern schlich, als er den hellblonden Lockenkopf an seine Brust zog und den ersten Kuß auf ihre frischen, willig dargebotenen Lippen drückte. Und Gerda? . . . Für ihr kindliches Herz bedeutet Erik Niels der Inbegriff alles Guten, Schönen, Edlen Ihn einst ihr eigen nennen zu dürfen, erscheint ihr ein über- großes, unverdientes Göttergeschcnk. Und oft bangt im Geheimen ihr zag haftes kleines Herz, daß noch etwas dazwischen treten könne, daS ihr den Ge- liebten im letzten Augenblick entreißt. Ihr einziger Bruder Lorenz wohnt nicht bei Mutter und Schwester. Schon seit längerer Zeit hat er eine kleine Junggesellenwohnung in der Näh: des Hafens inne, wo er kommen und gehen kann, wie eS ihm beliebt und wo niemand ihn mit Vorwürfen und Tränen empfängt, lvenn er — seiner ver hängnisvollen Neigung folgend — einmal zuviel hinter die Binde gegossen hat und in bedenklichem Zustande die schmale Holztrtzhpe zu seinen Zimmern hinaufschlvankt.