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Nummer 173 - 24. Jahrgang 6mal wöchentl. BrzugSprkts: für Juli L.üO ^ ejNühl. Bestellgeld, «nzc-genpreise: Tie Igesp. Pet«tz«ile 30 P». Stellengeluche 2V Tie Petlt-ReNamezeilr tzg Millimeter breit. 1 «k. Ossertengcbühr siir Selbst- ibholer 20 Bf, bet Ueberjendung durch die Post außerdem Portozulchlag. Einzel-Nr. 10. Sonntags-Nr. 1b weichästllcher Teil: gosef Fohmann, Dresden. Donnerstag. 30. Juli 1926 Im Falle höherer Gewalt erlischt jede Verpflichtung auf Lieferung sowie Erfüllung von Anzeigen-ÄuftrSgen u. Leistung von Schadenersatz. Für undeutlich u. d. Fernrus übermittelte Anzeigen übernehmen Wir leine Berant- Wortung. Unverlangt eingesandte und mit Ritckport« nicht versehene Manuskripte werden nicht aufbewahrt. Sprechstunde der Redaktion 6 bis S Uhr nachmittags. Hauptschristleiterr Dr. Joses «lbert. Dresden. Ves»askSft«llr, Druck und Verlag, Saxonia- Buchdnickerei GmbH., Dresden-A. IS. .Holbctnstrake IS. 6ernn,t »2722. Postscheckkonto Dresden >4797 Bankkonto Bastenste » Frttzsche, Dresden. Für christliche Politik und Kultur Redaktion der Sächsische» Votkszettung Dresden-AItsl. IS. Holbeinstrasze 48. gernrm »27!V nnd »SM Der Befreier des Auhr- gebietes Der Rückzug der Franzosen aus dem Ruhrgebiet ist von der deutschen Bevölkerung als eine Selbstverständ lichkeit ohne allzu großen Enthusiasmus hingenommen worden. Auch die befreiten Gebiete selbst haben sich, ab gesehen von einigen Ausnahmen, eine möglichste Zurück haltung auferlegt. Es handelt sich bei der ganzen Räu mung ja nicht um einen Gnadenakt, sondern einzig und allein um die Wiederherstellung eines im Jahre 1923 ge brochenen Rechtszustandes. Wenn wir diese Zurückhaltung des deutschen Vol kes nun einerseits für selbstverständlich halten, so ver missen wir doch auf der anderen Seite bei den Erörterun gen der Presse ein sehr wichtiges Moment. Wir lesen vor allem in „gewissen" Zeitungen immer nur das eine Schlagwort: „Niemand schulden wir Dank für die Räumung". Dieser Satz ist nur insoweit richtig, als wir F r a n k r e i ch s e l b st keinen Dank für seinen Rück zug schulden. Aber diese gewissen Zeitungen verbinden eine viel weitergehende Absicht mit ihren Schreibereien. Sie wollen nämlich ganz allgemein den Gedanken verwischen, daß irgendeiner sich um die Befreiung der besetzten Gebiete verdient gemacht habe. Hier liegt der Kernpunkt. Es ist darum an der Zeit, einmal nachdrllcklichst darauf hinzuweisen, daß der Befreier des Ruhrgebietes der ehemalige Reichskanzler Dr. Wilhelm Marx ist. Als niemand mehr die Dinge beherrschen konnte, als das Chaos fast unübersehbar geworden war und unter Cuno die verhängnisvollste Nachkriegspolitik mit ihrer gewal- agen Inflation entstanden war, da drängte man Marx ärmlich zur Annahme des Reichskanzleramtes. All jene, üe ihn später, als er die Sanierung der deuschen Finan zen vollbracht, und Deutschland wieder in den Rat der übrigen Völker eingeführt hatte, mit so großer Energie bekämpften, um selbst irgendeinen hervorragenden Platz in ihrem restaurierten Vaterlande zu gewinnen, — all diese waren damals herzensfroh, daß Marx das un dankbare Amt des Kanzlers übernahm. Und Marx hat in der Tat den Undank der Welt geerntet Er selbst wußte das von Anfang an. Denn er war gezwungen, Maßnahmen zu ergreifen, die dem oberflächlichen Be obachter nicht ohne weiteres einleuchteten. Die Oppo sition hatte fortwährend Gelegenheit, gegen seine „har ten" Verordnungen anzurennen, obwohl sie sehr genau wußte, daß ohne diese Härten überhaupt keine Rettung möglich war. Der Reichskanzler Marx aber störte sich nicht daran, sondern warf das Steuer der Negierung herum und schlug den einzig möglichen Kurs ein. So kam allmählich die deutsche Nation aus ihrem Inflations elend heraus, und sie kam zum erstenmal wieder zur europäischen Geltung bei den Londoner Verhandlungen. Wir erinnern uns heute, wie schwer damals die deutsche Delegation zu Kämpfen hatte. Und wie neue schwere Opfer gefordert wurden. Marx hat im Verein mit Luther und Stresemann jede Position auf das zäheste erkämpfen müssen und schließlich vor allem die Befreiung der neu besetzten Gebiete bis spätestens zum 15. August dieses Jahres durchgesetzt. Es ist merkwürdig, wenn heute ein Teil der Rechtspresse mit einer gewissen Selbstverständ lichkeit betont, daß die gegenwärtige Räumung einfach eine notwendige Folge der Londoner Vereinbarungen sei. Wir müssen nämlich dazu bemerken, daß währendder Londoner Verhandlungen diese selbe Presse nicht laut genug die ganzen Verhandlungen in Grund und Boden verdammte. Sie hatten damals nicht den Weitblick, um einzusehen, daß ein besiegtes Volk gewisse Opfer auf sich nehmen muß, um ein höheres Gut, wozu vor allem die Befreiung besetzter Landesteile gehört, zu erringen. Heute ist es natürlick ein Leichtes, mit einer manierlichen Geste seinen damaligen Standpunkt zu ver wischen und die jetzige Entwicklung als selbstv er tön blich hinzustellen. So selbstverständlich ist diese etzige Entwicklung nicht, und sie wäre bestimmt nicht ge kommen, wenn im vergangenen Herbst unsere Politik tatt von verantwortungsbewußten Staatsmännern von einer Schar oppositionsbedürftiger Egoisten gemacht wor den wäre. Wir können heute noch eine weitere Feststellung machen: Hätten wir seit dem Winter 1924 nicht so unend lich viele Krisen in Deutschland gehabt, und wären die verschiedenen Wahlkämpfe nicht unter so aufreizenden Parolen geführt worden, die nicht allern das eigene deutsche Volk immer weiter auseinander führten, sondern auch im Ausland von neuem das Mißtrauen gegen Deutschland aufkommen ließen — wir hätten höchstwahr scheinlich das Nuhrgebiet zu einem weitaus früheren Ter min von der Besatzung befreit gesehen. Sogleich nach dem Sturze Marx' verschärfte sich das Verhältnis der Besatzungstruppen zu den Behörden des Ruhrgebietes von neuem. Wir könnten in diesem Sinne Einzelheiten anführen, wollen aber in Anbetracht der gegenwärtig er- SIMMWII!>tt AMHM-Ml- »Milr Paris, 29. Juli. Der Exekutivausschuß des inter nationalen Bergarbeiterverbandes hat gestern eine Entschließung angenommen, in der es heißt: Das Exekutivkomitee erklärt, daß das grundlegende Heilmittel in der Regelung der Kohlenförderung zu suchen ist, die mit den Bedürfnissen der verschiedenen Länder in Einklang steht, und daß dieses Ziel nur durch die Verstaatlichung der Kohlengruben und durch eine tnternationale Regelung der Produktion zu erreichen ist. Das Exekutivkomitee fordert die Gewerkschaftsorganisationen der Bergleute daher auf, die Durchführung dieser wesent lichen Reform zu verfolgen. Angesichts der außerordent lich ernsten Lage beschließt das Internationale Komitee, daß, wen» die englischen Grubenbesitzer am 1. August ihr Vorhaben anSfnhren sollte», eine internationale Aktion unternommen wird. Für den Fall, daß der Streik nicht sofort durchführbar sein sollte, beschließt das Komitee, daß die Produktion in den einzelnen Ländern dermaßen her abgesetzt wird, daß die Förderung keine Schädigung der englischen Bergleute bedeutet. Das Komitee hat weiter beschlossen, sich mit den internationalen Transportarbeiteroganisationcn in Verbin dung zu setzen, um die Ausfuhr von Kohle zu ver bind e r n. Berlin, 29. Juli. Wie der „Vorwärts" meldet, hat der Deutsche Bcrgarbeiterverband (alter Verbands im An schluß an die Pariser Sitzung des Internationalen Berg- arbeiterkvmitees für Donnerstag eine Kvnscrenz im Reichs- wirtschaftsrat einbernfen. Einlenken der englischen Dergherren? London, 29. Juli. Das Kabinett war gestern volt- zählig zur Beratung der Bergbnnkrise zusammcngetreteu. Beschlüsse wurden nicht gefaßt. Man erwartet, daß Bald- wm heute eine gemeinsame Konferenz der Grubenbesitzer und Bergarbeiter unter dem Vorsitz des Regiernngsver- mittlcrS Brigdcman einbernfen wird. Bei den heutigen Verhandlungen zwischen Baldwin und den Grubenbesitzern sollen diese unter gewissen Bedingungen ihre Bereitwillig keit zur Zurücknahme ihrer Vorschläge erklärt haben. In später Nachtstunde verlautete gestern, oaß die Regierung sich in der Kabinettssitznng am Dienstag da für entschieden hat, das Angebot der Rergwerksbesitzer anzunehmen, wonach die Anssperrungsbeschlüsse seitens der Grubenbesitzer vorläufig zurückgenommcn werden nnd die Regierung sich bereit erklärt, die finanziell notleidenden Gruben zu unterstützen. Baldwin soll im Kabinett die Zusage erwirkt haben, daß den Grubenbesitzern eine größere Anleihe aus RegieriingSmiiieln zur Verfügung gestellt wird, die unverzinslich ist und erst zurückgczahlt werden soll, sobald der Kohlenbergbau die gegenwärtige Periode über wunden Hai. Der von der Negierung cingcsetzie Ausschuß zur Nntersnchnng der Lage der britischen Koylenindiistric hat einen Bericht herausgegeben, in dem es u. a. heißt: Der Ausschuß hat sich von der Berechtigung der For derung der Arbeiter nach Festsetzung eines Mindest- lvhnes m einem neuen Lohnabkommen überzeugt. Der Ausschuß sei der Ansicht, .daß die Leistungsfähigkeit der Industrie wesentlich erhöht werde durch Zusammenschluß und Zusammc-narbeit mit anderen Industrien. Eine Ver besserung der Kühlenverteilung würde gewiß zu einer Ver minderung der Preise und zur Erhöhung der Nachfrage führen. Frankreich lehnk die Forderungen -er Saar- arbeiler ab Paris, Ld. Juli. Der Arbeitsminister Lava! erklärte dem Vertreter der Sanrbergarbeiter, daß dem Wunsche aus Lohnerhöhung nicht nachgckommen werden könne, da siir die Saarbei-garbeiter bereits ein Ausnahmelohntarif bestehe, nach folgten Räumung darauf verzichten. Die Negierung Luther hat lange warten müssen, bis sie einigermaßen der Idee des Rechtes zu einem neuen Erfolge verhelfen konnte, lind sie konnte es schließlich nur in der Fort führung der van Marx anfgezeigten Linie. Sie hat es getan, nicht ohne von neuem die schwersten Opfer zu bringen. Das Sicherheitsangebot ist derartig weit über die von Marx gesteckte Linie hinausgehend, daß wir uns heute wahrlich fragen müssen: Wäre ein solcher Schritt in solchem Umfange, und mit solchen schwe ren Bedingungen, ivie sie heute vorliegen, not wendig geworden, wenn sich Deutschland seit Jahren nicht den Luxus erlaubt hätte, immer wieder das zunichte zu machen, was irgendeine Regierung in schwerstem Ringen schon aufgebaut hatte? Damit ist nichts gegen dicIdee eines Sicherheitspaktes schlechthin gesagt Es kommt vielmehr darauf an, wie inan einen solchen Pakt schon seit Jahren hätte vorbereiten müssen, um ihn auf eine möglichst günstige Art für Deutschland her- auszubringen. Das wäre allerdings allein möglich ge- dem die Bergarbeiter des Saargebietes besser als die fran zösischen Arbeiter gestellt seien. Es wird allgemein angenom men, daß sich der Streik im Saargcbiet auf die Metallarbeiter und auf die anderen Industrien ausdehnen wird. Der Bundesausschuß der Handwerker des Saargebieteg Hai an de» französisclien Minister für öffentliche Arbeiten ein Telegramin gerichtet, in dem er ihn ersucht, die infolge des Verg- arbcitersireiks drohende Katastrophe durch Zubilligung ange messener Löhne abzuwenden Auch der Kreisausschuß in Otl- weilcr hat den Minister ersuch!, die Verhandlungen mit den Bergleuten nicht scheitern zu lassen, da die Folgen eines langen Kampfes siir die Bevölkerung und die Wirtschaft des Saargebiet« unabsehbar wären. Berlin, 2g. Juli. Im Reichsarbeitsministerimn sand gestern unter Leitung des Neichsarbcitsministers eine Besprechung über die Lage im Nuhrgebiet und über Mittel und Wege zu deren Behebung statt. Neichsnrbeitsmintster Dr. Brauns führte einleitend aus. daß es sich keineswegs nur um augenblickliche Absatzstockungen handelt, sondern um eine allgemeine Krise aus dem Weltmarkt, wie die Schwierigkeiten des englischen Berg baues zur Genüge zeigten. — Seitens der Arbeiierocr- treter wurde hervorgehoben, daß es für die bedrängle Lage der Bevölkerung und der Wirisckast im Ruhrgebiet im übrigen Deutschland und besonders in der Reichsregierung an dem nötigen Verständnis fehle. Grundursache der kritischen Lage des Ruhrbergbaues sei der Krieg mit seinen Nachwirkungen insbesondere die Ruhrbesetzung Das Ruhrgebici müsse al- Notstandsgebiet anerkannt und behandelt werde». Den Zechen- stillegungen in ihrem jetzigen Rahmen müsse Einhalt geboten werden. Durch Notstandsmaßnahmen müsse die Wirtschaft im Nuhrgebiet aufrecht erhalten werden Die rigorosen Eni!-^' > gen von Bergarbeitern müßten unterbunden und ausreichende Entschädigung für die Opfer der stillgelegte» Betriebe erreicht werden. — Von Arbeitgebcrseile wurde Klage wegen Ueber- spannung der steuerlichen Lasten und der hohen Materialpreise geführt, wozu noch die zu hohe» Lasten der sazialen Fürsorge kämen Dementsprechend forderten die Arbeitgeber Einführung der Vorkrtcgsarbeitszeil und die Einschränkung der sozialen Versicherung ans den Vorkriegsstand — Ministerialdueklor Grießer warnte demgegenüber vor übertriebenen Klagen über die soziale Belastung Einzelne Unternehmersührer rechneten die soziale Belastung für t8 Millionen ans volle 52 Wochen, während infolge Arbeitslosigkeit. Krankkeii und sonstige Ausfälle nur 35—36 Wochen pro Jahr in Betracht kommen. Der Fragenkomplex über den Schutz der Arbeitnehmer bei Stillegung und Betriebseinschränkung wird in einer gemein samen Kowmisswn die in den nächsten Tagen zusammenlritt. eingehend beraten werden Ebenso die Differenzen wegen des Ausmaßes der sozialen Belastung Aus die Klagen von Arbeit nehmerseite über Anwerbung ausländischer ^beiter für den deutschen Bergbau wurde vom Reichsarbeilsminister beton!, daß einzelne Mißgriffe der Arbeitsämter in dieser Beziehung unter laufen seien, die für die Folge unterbunden würden. Auch von Arbeitgeberseile wur^c die Einstellung ausländischer Arbeitet verurteil! Auf-Wunsch der Arbeitnchmerorganisationen findet heute in der Neichskanüei eine Besprechung zwischen der Neichsregicrung. der Landesregierung und den Arbeitnehmer- verbänden über die Lage im Nuhrgebicl statt. Was Deutschland schon an Reparationen geleistet hat London, 29. Juli. Im Unterhaus teilte der Finanzsckreiär des Sclmtzamtcs. Guinne ß. mit. daß die von der Reparalion-s- kommission unter den alliierten Mächten aus Ncparaüonskonlo bis zum 30. Juni verteilte» G e s« in kza h l n n g e n Deuts ch- lands in bar oder in Sachleistungen ungefähr 160 Millionen Pfund Sterling betragen. Darin seien nicht enthalien die Sum men, die für die Kosten der Bcsatzungsheere oder für andere Prioritätsforderungen zugewiesen wurden, sowie die noch nicht »erteilte» Beträge nnd auch die Eingänge von der Ruhrbesetzung. deren Abrechnung noch nicht geregelt sei. wesen durch eine k v n st n n t e, von jedem Partei- geist unberührte Politik. Morx Hot während seiner Konzlcrschoft den eigenst liehen Beweis für die Notwendigkeit dieser politischen Konstnnz erbrocht. Er wogte es. radikal gegen jede „Zeit- strömung" nnzugebcii nnd onf diese Weise der Negierung dos notwendige Ansehen im In- und Anslonde zu ge winnen. Er räumte sowohl mit den Träumen inter- notionoler Phontosten ols mit den imperialistischen Machtpolitikern auf. Er bewegte sich mitten zwischen ihnen. Es ist notwendig und zweckmäßig, ans diese Dinge hinzuweisen. Bor ollem, weil cs so überaus leicht ist. Früchte einzubeimsen, während man diejenigen vergißt, die die Saat bestellten. Auch den Heutigen wollen wir ihre Ber- dienste lassen, ober gerade bei der Erörterung der Rnhr- rönmnng müssen wir des Mannes gedenken, dem die Be wohner der besetzten Gebiete Donk schulden und wissen. Wilhelm Marx i st der Befreier der Ruhr