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Sächsische Volkszeitung : 04.07.1925
- Erscheinungsdatum
- 1925-07-04
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192507043
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19250704
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19250704
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1925
-
Monat
1925-07
- Tag 1925-07-04
-
Monat
1925-07
-
Jahr
1925
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 04.07.1925
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Nr. 151. Seit« S Sonnabend, den 4. Juli 1925. - * - Ein Dewahrungsgeletz Von der Zentrumsabgeordneren Krau Neuhaus (West falen) und von den deutschnationalen Abgeordneten Frau Müller -Otfried und Mumm ist mit Unterstützung von Abge ordneten der beiden genannten Parteien der Entwurf eines B e - Wahrungsgesetzes dem Reichstag als Antrag zugegangen. Danach kann eine Person über 18 Jahre, welche verwahrlost ist, oder zu verwahrlosen droht, durch den Beschluß des Vormund- schaftsgerichtes der Bewahrung überwiesen werden, wenn a) dieser Zustand aus einer krankhasten oder außergewöhn lichen Willens- oder Verstandesschwäche oder aus einer krank haften oder außergewöhnlichen Stumpfheit des sittlichen Empfin dens beruht und b) keine andere Möglichkeit besteht, diesen Zustand der Ge fährdung oder Verwahrlosung zu beheben. Die Durchführung der Bewahrung regelt das Land. Es bestimmt die Vollzugsbehörde. Die Reichsregierung kann mit Zustimmung des Reichsrates Grundsätze für die Durchführung der Bewahrung aufstellen. Die Bewahrung wird in einer geeigneten Anstalt oder Fa milie unter öffentlicher Aufsicht und auf öffentliche Kosten durch- gefllhrt. Bei der Durchführung ist auf das Bekenntnis oder die Welt anschauung des zu Bewahrenden tunlichst Rücksicht zu nehmen. Die zur Bewahrung überwiesenen können zu geeigneter Arbeit angehalten werden. Die Vollzugsbehörde gilt für den Abschluß von Dienstverträgen als gesetzlicher Vertreter des Be wahrten. Die Bewahrung dauert, solange ihr Zweck es erfordert. Sie ist von Amts wegen oder auf Antrag des Antragstellers, des Bewahrten oder der Vollzugsbehörde aufzuheben, wenn der Zweck erreicht oder anderweitig sichergestellt ist. Der Antrag kann nicht vor dem Ablauf von sechs Monaten seit der Uebcr- weisung zur Bewahrung gestellt werden. Das Vormundschafts gericht hat frühestens nach einem Jahr, spätestens nach drei Jah ren seit Anordnung der Bewahrung oder eines späteren bestäti genden Beschlusses nachzuprüsen, ob die Voraussetzungen der Be wahrung noch vorliegen. Die Fortdauer der Bewahrung über drei Jahre ist von einem vom Vormundschaftsgericht zu erlassen den mit Gründen zu versehenden Beschluß abhängig. Die Aufhebung kann auch unter dem Vorbehalt des Wider rufs erfolgen. In diesem Falle, sowie bei Unterbringung in einer Familie ist dem zu Bewahrenden ein Fürsorger zu be stellen. Vor Aufhebung der Bewahrung hat das Vormundschasts- gericht die Vollzugsbehörde zu hören. Der Beschluß ist den in Absatz 1 als antragsberechtigt Genannten zuzustellen. Ihnen steht gegen einen die Bewahrung aufhebenüen oder die Auf hebung ablehnenden Beschluß die sofortige Beschwerde mit auf schiebender Wirkung zu. Ein abgewiesener Antrag kann vor dem Ablauf von 6 Monaten nicht erneuert werden. Die Kosten der Bewahrung sind der Vollzugsbehörde aus Antrag aus dem pfändbaren Einkommen oder Vermögen des Bewahrten oder von dem auf Grund des BGB. zu seinem Unter halt Verpflichteten zu ersetzen. Allgemeine Verwaltungskosten werden nicht ersetzt. Die näheren Bestimmungen trifft die Lan desgesetzgebung. MlmsIM »es Lein,Mer Senders Sonnabend. 4. Juli. 4.30— 6,00 nachm.: Konzert der Dresdner Hauskapelle. 6.30— 6,45 nachm.: Funkbastelstunde. 7.00—7,30 nachm.: Hans-Bredow-Schule: Englischer Sprach kursus. Dr. Musold. (19. Lektion.) 7.30— 8,00 nachm.: Vortrag (von Dresden aus)) 8,16 nachm.: Aus fremden Gärten. Mitwirkcnde: Ilse Kam- nitzer, Berlin (Gesang) und die Rundfunkhauslrapelle. 1. Tschaikowsky: Feierlicher Marsch (Nundsunkhauskapelle.) 2. Iuvej Verschavsky: Romanze vom Grafen Villamadiana (Ilse Kamnitzer). 8. Goldmar: Szene im Garten aus der Sinfonie „Ländliche Hochzeit" (Rundfunkhauskapelle). 4. a) Bretonisches Volkslied, b) Guido Gezelli: „Schlaflied" und „Das Meisennestchen" (Ilse Kamnitzer). 5. Ketelbay: In einem chinesischen Tempelgarten (Nund sunkhauskapelle). 6. a) Michael Kusmin: Aus den Alexandrinischcn Gesängen, b> Oskar Wilde: Aus „Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading" (Ilse Kamnitzer). 7. Moskowski: Serenade aus Boabdil (Rundfunkhaus kapelle). 8. Selma Lagerlöf: „Das Mädchen vom Moorhof" (Ilse Kamnitzer). 9. Grieg: Hochzeitszug auf Troeldhaugen MW AMMM« Aus den letzten Verhandlungen des H ö f l e - Ausschusses , wird uns von unseren Berliner Vertreter berichtet: Eine ganz besondere Merkwürdigkeit kam weiterhin zur Sprache, als zwei höhere Beamte des Reichspostmi- nisteriums über die Art der Erwägungen aus Anlaß des Arrestes gegen Höfles Vermögen und bei dem vom Reichspost Ministerium eingeleiteten Verfahren bezüglich des Offenbarungseides vernommen wer den sollten. Es stellt sich heraus, daß das Reichskabinett den Beamten die Genehmigung zur Aussage über die Entstehung und Ausführung der gegen Dr. Hösle erhobenen An sprüche nichterteilt, dagegen die Aussage gestattete für die jenigen Vorgänge, die außerhalb des Po st Ministe riums fich abgespielt haben. (Lebhafte Bewegung im Ausschuß. Lebhafte Zurufe: Das sagt genug!) So ergibt sich, daß ein wichtiger Punkt, bei dem die Reichspostverwaltung tätig ist, nicht aufgeklärt werden kann. Ganz besonders merkwürdig gestaltete sich weiter die Ver nehmung des Iustizobersekretärs Lindner, der nun seit 24 Jahren nach Schema F die Arre st befehle erläßt. Die Ver nehmung dieses typischen Paragraphen-Menschen, der sich aber gar nicht einmal an Paragraphen, sondern an bürokratische Formeln hält, zeigt, daß eine solche Persönlichkeit eine noch höhere Macht besitzt als das höchste Gericht, denn in der Hand dieses Zeugen steht es, zu „schätzen", nicht nur, was die Kosten eines Verfahrens ausmachen, sondern auch, was der Betreffende für eine Strafe zu „gewärti gen" hat. Für diese Amtsstelle sind alle eingelieferten Unter suchungsgefangenen einfach deshalb „verurteilt", weil der Eröss- nungsbeschluß der Staatsanwaltschaft vorliegt, und welches Strafmaß in Frage kommt, rechnet man am grünen Tisch büro kratisch an Hand des Strafgesetzbuches aus! All das, wohl ge merkt, ohne daß auch nur im geringsten die Schuld erwiesen ist. Die Vernehmung des Zeugen gestaltet sich so interessant, daß wir einzelne Abschnitte doch daraus festhalten wollen. Vorsitzender: Wie sind Sie zu der Annahme einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren Gefängnis gekommen und wie zu den Kostenausstllung von etwa 63 000 Mark? — Zeuge: Das stammt vom Sekretariat, und zwar auf Grund des Erösfnungs- beschlusses. — Vorsitzender: Werden denn einfach die Paragra phen zusammengerechnet? — Zeuge: Ia, das ist üblich. Es wird geschätzt. — Vorsitzender: Haben Sie da mit dem De zernenten gesprochen? — Zeuge: Nein, cs ist Vertraueus- sache, daß wir das so machen. — Vorsitzender: Nun sind Haft kosten für 5 Jahre, Anteile an Sachverständigen-Gebühren und Zeugengeüühren berechnet worden. Es fällt der ungeheure An teil für Sachverständigen-Gebühren in Höhe von 30 000 Mark auf. — Zeuge: Ich schätze sie eigentlich höher. — Vorsitzender: Um welche Art von Sachverständigen handelt es sich denn? — Zeuge: Um Bücher-Sachverständige. Es kostet hierbei oft die Stunde 7,50 und 10 Mark. (Um zu einem Betrag von 30 000 Mark zu kommen, müßte also ein Sachverständiger bei achtstün diger Arbeitszeit 360 Tage, also ein ganzes Jahr lang mit der Prüfung beschäftigt sein!) — Vorsitzender: Wie hoch haben Sie denn die gesamten Sachverständigen-Gebühren geschätzt? — Zeuge: Das kann ich nicht sagen. — Vorsitzender: Wie sind denn die Zeugengebühren mit 20 000 Mark entstanden? — Zeuge: In letzter Zeit werden viel Autos benutzt! — Als man dem Zeugen scherzhaft zuries: Und Flugzeuge!, da sagte er tapfer: Ja. — Vorsitzender: Und das alle?!, wird berechnet und anerkannt? — Zeuge: Ja. — Vorsitzender:'Ist es denn nicht einmal vorgekom men, daß wegen späteren Freispruchs der Fiskus auf Schadener- satz verklagt wird? — Zeuge: Das kommt auch vor, aber bei mir ist es noch nicht der Fall gewesen. Der Zeuge meint auch, daß die Gebühren sich noch wesentlich höher gestaltet Hütten, als er sie angenommen hat. — Vorsitzender: Machte es einen Unter schied für die Kostenberechnung, ob es sich um Gefängnis oder Zuchthaus handelt? — Zeuge: Nein. — Vorsitzender: Man hat also Gefängnis eingesetzt, das paßt also in jedem Falle! — Vor sitzender: Wie sind Sie denn zu dem Vermerk gekommen: Mit der Verurteilung ist nach Lage der Sache zu rechnen? — Zeuge: Weil die Staatsanwaltschaft damit rechnete. — Vorsitzender: Hat Ihnen die Staatsanwaltschaft Anweisungen gegeben? — Zeuge: Der Vermerk ist üblich, denn wenn wir nicht behaupten können, daß eine Verurteilung erfolgt, können wir auch keinen Arrest- Antrag stellen. Diese juristische Behandlung einer solch wichti gen Angelegenheit verursacht erneute Erregung im Ausschuß. — Vorsitzender: Wenn also die Staatsanwaltschaft eine Anklage erhebt, so ist damit für Sie also ausgesprochen, daß mit der Ver- urteilung zu rechnen ist? — Der Zeuge berust sich unter großer Unruhe aus leine Instruktionen. — Vorsitzender: Ob das zulässig ist, ist eine andere Frage, lieber die Zulässigkeit des Arrestbefehls kann man jedenfalls zweifelhaft sein. Ist damals ein« besondere Anordnung der Staatsanwaltschaft ergangen. — Zeuge: Ja, durch Anordnung des Oberstaatsanwalts Linde sind in diesem Falle Spezialanweisungen ergangen. Es sollten Geschäftsanteile beschlagnahmt werden. — Ob es sich nun darum handelte oder generell um eine Vermögens-Beschlagnahme, weiß der Zeuge nicht zu sagen. Auf Befragen aus dem Ausschuß muß der Zeuge zugeben, daß nicht gegen alle in Sachen Barmat usw. Angeschuldigten, sondern nur im ganzen gegen vier Personen ein solches Arrest- versahren erlassen worden ist. Abgeordneter Sch m i d t-Lichtenberg (Zentrum): Sie spra chen von der Ueblichkeit und erklären doch wieder, daß es sich nur um vier Fälle gehandelt hat bei mehr als einem Dutzend Angeschuldigten. Haben Sie früher in anderen Strassachen auch solche Anträge gestellt? - Zeuge: Ja. — Abg. Schmidt: Welche Fälle können Sic uns nennen? — Zeuge: Vor 12 Jahren! Da mals handelte es sich um einen Kassenbeamten, der nach Kanada ging. — Abg. Schmidt-Lichtenberg: Können Sie außer diesem Fall noch andere angeben? — Zeuge: Nein. — Abg. Schmidt-Lich tenberg: Es sällt doch aus, daß Sie gerade diesen alten Fall vor 12 Jahren nennen. Haben Sie beispielsweise im vorigen Jahr solche Anträge gestellt? — Zeuge: Es ist mir keiner in Erinne rung. — Abg. Schmidt-Lichtenberg: Können Sie mir gesetzliche Bestimmungen des Gerichtskostengesehes nennen, aus Grund deren Sie den Arrcstbefehl ausstellen können? — Zeuge: Ich kann eine Neichsgerichtsentscheidung nennen. — Abg. Schmidt- Lichtenberg: Ich fragte nach einer gesetzlichen Bestimmung. Kön nen Sie mir einen Paragraphen nennen? — Zeuge: Nein. — 2lbg. Schmidt-Lichtenberg: Kennen Sie nicht die gesetzliche Be stimmung, daß erst mit der Rechtskraft des Urteils die Kosten fällig werden? — Der Zeuge stutzt. Es wird nun der Fabrikant Schondorf vernommen, ein langjähriger Freund und Nachbar Hösles, der die Privatakten Höfles im Ministerium aus Ersuchen Höfles abholte. Der Zeuge erklärt: Hösle bat mich, diese Akten zu holen. Am 14. Januar mittags ^1 Uhr habe ich die erste Halste im Ministerium abge holt. Es bandelte sich um Bücher, Bilder, Zigarren usw. Es war lediglich ein Freundschaftsdienst. Es handelte sich nicht darum. Papiere zu verbergen. Die Akten waren ja alle vom Ministerium vorher gesichtet worden und die Briefe waren vor her durch einen Voten herausgeschickt. Ich hatte keine Ahnung, was in den Paketen war. Der zweite Teil der Pakete ist über haupt nicht abgeholt worden, weil Hösle sagte, die Sachen wäre» ohne Bedeutung. Abgeordneter Kuttner (SPD.): Welcher Zwischenraum lag zwischen der Wegschafsung des ersten Teiles und der Verhaf tung Hösles? — Zeuge: Genau vier Wochen. — Abg. Kuttner: Und in der ganzen Zeit ist von Dr. Hösle nicht daraus gedrängt worden, den zweiten Teil der Akten abzuholen? — Zeuge: Nicht im geringsten. — Abg. Kuttner: Es ist doch von der „Deutschen Zeitung" behauptet worden, die Akten seien nach Ihrer Villa gebracht und dort verbrannt worden. Auch die Ver treter der Staatsanwaltschaft haben das vor dem Untersuchungs- ausschuß ausgesührt. — Zeuge: Ich kann nur sagen, daß das eine Lüge ist Der Zeuge bekundet weiter aus Fragen des Vorsitzenden, daß die Ucberbringung der Akten in die Wohnung am hellichten Tage und nicht, wie behauptet wurde, wäh rend der Nacht stattgefunden habe. » » Der Ausschuß hofft, seine Arbeiten bis zum ,10, Juli öeen- digcn zu können. Von großer Bedeutung sind nun die alsbald zu erstattenden Gufachten der medizinischen Sachverständigen, namentlich des Professors Dr. Lewin. Davon wird es abhän- gen, welche weiteren Schritte einerseits gegen den behandelnden Gefängnisarzt andererseits gegen die Gesängnisverwaltung und drittens gegen den Staatsfiskus unternommen werden. Mit der Möglichkeit eines gerichtlichen Verfahrens gegen den Gefängnisarzt Dr. Thiele ist nach Lage der Dinge schon heute zu rechnen. Die Kommilitonin Roman von Igna Maria. (22. Fortsetzung.) „Nun freilich!" lachte Frau Stefsy, „das gefällt Ihnen selbst am besten. Deshalb können Sie Josefa Frenssen nicht ver gessen, weil sie die erste Frau ist, die sich nicht Ihrem Willen beugte." Therdt hatte eine heftige Erwiderung aus der Zunge. Er bezwang sich. „Möglich," sagte er kurz und setzte sarkastisch hin zu: „vielmehr selbstverständlich, wenn Sie es sagen!" Aber Frau Stefsy war weder beleidigt noch verdrossen, sie trällerte fröhlich: „O, ich bin klug und weise, und mich betrügt man nicht . . ." Und Therdt, so sehr er sich den harmlosen An schein gab, ärgerte sich wieder einmal über die Frauen im allge meinen und die lustige Frau Stefsy im besonderen. Zum Ueberfluß fand er des Abends einen Brief vor von Kurt Wertmann, der nur von Josefa und ihrer Doktorarbeit handelte. Der Brief flog in hartem Bogen auf den Schreibtisch. Joa chim Therdt war in der Stimmung, Vasen zu zerbrechen. Dr. med. Josefa Frenssen assistierte in der Kinderklinik des Städtischen Krankenhauses. Die kleinen Genesenden lagen wohlgebettet in Liegestühlchen auf der großen, sonnigen Veranca und schauten in die weiten, gepflegten Anstaltsgärten. Die Vögel jubilierten in den Zweigen und gaben den kleinen Kran ken Freude und Zuversicht. „Fräulein Doktor!" jauchzten ein paar, als Josefa die Veranda betrat, und Josefa scherzte mit ihnen, fragte, ob man sich auch der warmen Sonne freue, und daß man nun bald zu Vater und Mutter dürfe. Sie waren alle so zutraulich und schütteten Josefa ihre Herzchen aus. Aber da gab es welche in den großen Sälen oder Einzelzimmern, die blaß und teilnahms los in den Kissen lagen, von denen Josefa wußte, daß die ärzt liche Kunst Len Todesengel nicht zurückhalten konnte. Und wenn eines die müdest Augen für immer schloß und kalt und starr mit gefalteten Händchen auf den schlichten Sarg wartete, war sie voller Verzweiflung, weil sie ohnmächtig dabeistehen mußte. Der Chefarzt tröstete: „Liebe Kollegin, das ist das weil), liche Gemüt. Das gibt sich. Wenn Sie erst mal 10 Jahre Praxis hinter sich haben, stört der Tod ihre Seelenruhe nicht mehr. Man tut, was man kann, allmächtig ist auch der Arzt nicht. Auch er ist ein armer, unwissender Mensch, der oftmals bei dem Ringen mit dem Tode den kürzeren zieht. Da» Gefühl der restlos«« Pflichterfüllung Ist dagegen das stärkste Gegengewicht." Wenn an den Besuchstagen die Mütter und Tanten die kleinen Patitenen besuchten, hörten sie nur von dem guten Fräulein Doktor, und manche Mutter dankt« Josefa mit Trä. nen, weil sie ihrem Liebling ein wenig Liebe geschenkt. Und Josefa fühlte von Tag zu Tag mehr, daß sie nicht vergebens ihre Liebe dem Beruf zum Opser gebracht hatte. Tausendfach sah sie sich belohnt, wenn die Kleinen voller Vertrauen ihr die Lei den und Schmerzen klagten und dankerfüllt von ihr schieden. Diese Zufriedenheit gab ihr Lebensfreude und endlichen Seelen frieden. Sie wurde wieder die alte, frohe Josefa, deren Lebens mut nicht unterzukriegen war. Diese Wendung zum Besseren las Kurt Wertmann aus ihren Briefen, deren Ton gegen früher so viel heiterer und un gezwungener klang. Auch Frau Stefsy bemerkte die Wandlung und dachte vergnügt, bald darf ich es wagen, Josefa nach Hei delberg einzuladen, und sie berichtete getreulich ihre Wahrneh mung Joachim Therdt. „Ich bin froh, lieber Freund, Josefa hat überwunden, sie ist wieder die alte, lustige Josefa, gottlob, sie hat sich ducchge- rungen." Joachim Therdt antwortete nicht. Weshalb in aller Welt kam sie immer und immer wieder auf das leidige Thema zurück? Mußte sie ihn denn immer an die größte Niederlage seines Le bens erinnern? Und er beschloß, den Teestunden sernzublelben. „Ich gratuliere, Joachim Therdt!" neckte sie. „Tapfer ist der Löwenringer, tapser ist der Weltbezwinger, tapfer, wer sich selbst bezwang! Sie halten ja den Medizinstudentinnen einen Vortrag über Psychiatrie?!" „Müssen Sie mich um jeden Preis heute frotzeln?" Aerger- lich schob Joachim die Teetasse zurück. „Lieber Freund, es ist mir ernst, selbst wenn ich es In scherzhafte Worte kleide. Ich freue mich immer Uber die Be- kehrung eines Ungläubigen. Und Sie ivaren, weih Gott, ver stockt! Schade, daß die Einsicht nicht früher kam. Um zwei Jahre hat sie sich verspätet." „Sie sind ivahrhaftig ein kleiner Teufel und haben Ihre Lust daran, mich zu peinigen." „Im Gegenteil! Noch viel mehr erfreut mich die Nachricht, daß Sie Doktor Ella Nertes annehmen. Sie erzählte freude- strahlend, sie käme vielleicht zu Professor Therdt, er habe ver- sprachen, ihre Bitte ernstlich zu erwägen." „Sie hat bereits die Erlaubnis!" Joachim Therdt konnte es nicht verhindern, daß eine flüchtige Röte sein Gesicht über- zog- „Ganz Heidelberg wird die Bekehrung Joachim Therdts feiern, und wir auch! Ich telephoniere Ihrer guten Traute, daß sie kein Abendbrot richtet. Sie bleiben bei mir. Es liegt wei ßer Tokayer im Keller, der lauert längst auf eine Gelegenheit, ans Tageslicht zu kommen, und Kurt Wertmann schicken wir eine Ansichtskarte und erzählen ihm die große Neuigkeit." Als sie später bei der Wlndlampe tm sommerlichen Garten saßen und der süße Dust der roten Rosen sich mit dem des Tokayers mischte, hatten sie beide denselben Gedanken. Aber keiner sprach ihn aus, und Joachim Therdt wurde «» wieder mit einer gewissen dankbaren Rührung gewahr, daß Frau Stefsy trotz ihres ein klein wenig boshaft-humorvollen Züngleins eine warmempfindende, vornehm denkende Natur war. Der Name Josefa Frenssen, der greifbar zwischen ihnen schwebte, der ihnen auf den Lippen brannte, siel nicht. Frau Stefsy verstand die große Kunst, die den meisten Frauen fremd ist, mit dem Freunde zu-schweigen. Und so wandertcn beide» Gedanken und umkreisten doch immer nur den einen Punkt. „Es war seit langem mein schönster Abend, verehrte liebe Frau Stefsy!" Joachim küßte ihr abschicdnehmend die Hand. „Das Plauderstündchen im Garten." „Sie gestatten eine Richtigstellung, es war wohl mehr ein — Schweigstündchen, aber Sie scheinen sich trotzdem vortrefflich unterhalten zu haben." » „Sie sind unverbesserlich!" drohte Therdt. und Frau Stefsy Hasbach sandte ihm einen halben Seufzer nach. Schade, sehr schade, daß er so gar kein wärmeres Interesse für seine „liebe, verehrte Frau Stessy" bezeigte. Ach ja, die Männer l » *> In der Frauenklinik, der Josefa jetzt zugewiesen war, lernte sie mit den Krankheitsgeschichten ein Stück Leben Ken- nen, das voller Tragödien war. Anfänglich graute Josefa voi diesen Frauen, die, zerbrochen an Leib und Seele, hier Heilung erhofften. Die meisten waren abgestumpft, empfanden keinc Scham, keine Neue. Ein Unglück, weiter nichts, das man mit In Kauf nehmen mußte, wenn man die Liebe zum Beruf machte. Schade für die Zeit, die man mit der Heilung vertrödelte. Aber es waren arme Geschöpfe darunter, die unverschuldet litten, denen das armselige Dasein zur Qual wurde: und in Jo sefa siegte das Mitleid und die große Menschenliebe. Es waren irregeleitete Wesen, sie Verführung oder Genußsucht auf die abschüssige Bahn gebracht hatten. Wer immer wohlbehütet im Schoße der Familie gesessen und den furchtbaren Kampf des Lebens nicht zu Kümpfen brauchte, hatte gut den Stab brechen. Der konnte von „Moral" reden, weil die Not des Lebens nie die guten Vorsätze wankend gemacht hatte. Aber das Recht, einen Stein auf jene zu weisen, stand keinem Menschen, vor allem keiner Frau zu. Vielmehr sollte sie dankbar sein dem gütigen Geschick, das allen Schmutz von ihr ferngehalten hatte. „Sie sind die geborene Philantropinll' sagte der erste Assi- tenzarzt Dr. Wolfgang Kornreuther, „Sie werden manchen Na- enstüber bekommen, manche Enttäuschung erleben, bis Sie aus ,as richtige Maß kommen. Allzuviel Philantropie taugt nicht, man reibt sich dabei auf." Dr. Kornreuther beschäftigte sich auffällig viel um Josefa Frenssen, und man munkelte bereits, daß sein Interesse, das er an der tüchtigen Assistenzärztin nehme, doch etwas zu intensiv für Sie Bezeichnung „kollegial" sei. (Fortsetzung folgt.)
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