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Sächsische Volkszeitung
- Erscheinungsdatum
- 1925-04-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192504082
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19250408
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19250408
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1925
-
Monat
1925-04
- Tag 1925-04-08
-
Monat
1925-04
-
Jahr
1925
- Titel
- Sächsische Volkszeitung
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Sozialpolitische Umschau >» l Tie öenümibmegliiig >» lini "ittd im Wellliriege Vor kurzem fanden in Berlin Verhandlungen versschieden- ner medizinischer Gesellschasten statt, die sich mit dem Seuchen problem und der Seuchenbewegung w"hrend des Krieges und den darauffolgenden Jahren beschäftigte, ^n der Einleitung zu diesen Verhandlungen wies der bekannte Kli niker His daraus hin, daß die allgemeine Epidemiologie bis her wenig bearbeitet wurde: „Das Auftreten und Erloschen der Seuchen, ihr Aufcinandersolgen, die Einflüsse der Umgebung und Lebensweise, des Menschentransports, der örtlichen und so zialen Verhältnisse haben eine zusammcnsassende kritische Be arbeitung gar nicht gesunden," Von diesem Standpunkt aus be trachtet, muß man es mit Freuden begrüßen, daß sich innerhalb der verschiedenen medizinischen Gesellschaften hervorragende Kli niker, Hygieniker, Bakteriologen und Iinmiinitntssor>cher zu- sanunengesunden haben, um zu den Seuchenproblemen Stellung zu nehmen. .... , > . . Aus den Verhandlungen bzw. Veröffentlichungen in der „Deutschen medizinischen Wochenschrift" möchten wir hier nur in großen und Knappen Zügen die Haupterscheinungen der Seu chenbewegung in den Jahren 1614—1923 nach der Niederschrift des Ministerialdirektors a. D. Geheimrat Gottstein wiedergeben: Die Kriegsseuchen im Heere, die verhängnisvollen Begleiter früherer Feldzüge, hielten sich durchweg aus einem un gewöhnlich niedrigen Stand. Die Zahl der Cholera- todessälle im deutschen Heere betrug insgesamt 1835, von denen 1667 auf das Fahr 1915 kamen. Die Todesfälle an Fleckfieber betrugen 1785 in fünf Kriegsjahren: die an Pocken wurden aus nur 22 angegeben. An Unterleibstyphus starben insgesamt 10 548 Kriegsteilnehmer, davon 7800 allein in den 1)4 Jahren 1914,15. Die Zahl der Todesfälle in den folgenden Jahren lag jährlich unter je 1000. Wenn man bedenkt, daß auch im Frie. den das in Frage kommende Lebensalter und Geschlecht haupt sächlich beteiligt wird und daß in Deutschland in den letzten außerordentlich günstigen Fricdcnsjahren die Gesamtzahl der Todesfälle im Jahre um 3000 lag, so sind die absoluten Kriegs sterbe,zahlen auch dem Frieden gegenüber gering. Die Zahl der Tpyphustodesfälle des deutschen Heeres 1870/71 betrug 8789. Die Erscheinung ausfallend niedriger Sterbezahlen von 1916 ab gilt ebenso sür das sranzösische und englische Heer. Auch die Ruhr mit insgesamt 8000 Todesfällen, davon über 3000 allein im Fahre 1917, kann nicht als besonders ausgedehnt bezeichnet werden: im Feldzug 1870/71, also in kaum einem Jahre, hatte das zehnfach kleinere deutsche Heer nahezu 2400 Ruhrtodes- sällc. Während des ganzen Krieges, noch mehr aber in den Fah ren nach seiner Beendigung, blieb das Inland von Verhee rungen durch die genannten Seuchen verschont, namentlich von Cholera, Pocken und Fleckfieber. Und doch war nach dem Kriege der Grenzschutz lahmgelegt, jenseits der Ostgrenze herrsch ten wiederholt schwerste Seuchen. Zurückkehrende Kriegsteil nehmer, zurückslutende Gefangene und Heimwanderer, übertre tende Heeresreste, wie im August 1920 die russische Armee, oder vor der Hungersnot Fliehende, wie 1921 die Wolga-Deutschen, trugen immer wieder die Ansteckung ins Land. Im Februar 1917 durchzog eine kleine eingeschleppte Pockenepidemie von Norden her langsam nach Südwest das Reich, ohne viel Schaden onzurichten <2315 Erkrankungen mit 340 Todesfällen in Preu ßens: auch in dem nächsten Jahr war die Zahl der Pockener krankungen noch erhöht, sie 'erstreckte sich aber hauptsächlich auf den Kampfplatz in Oberschlcsicn. Sehr beachtenswert war das Verhalten des F l e ck f i e b e r s. Es wurde unzählige Male eingeschleppt, oft von Männern, die erst jenseits der Grenze sich ansteckten und dann im Inlande erkrankten. Nur zuweilen wurde die Erkrankung rechtzeitig erkannt, öfter auch verspätet und vermutlich in einem beträchtlichen Bruchteil überhaupt nicht, sondern für Grippe oder Lungenentzündung gehalten. Von den paar tausend Erkrankungsfällen betraf die Mehrzahl Auslän der, Rückwanderer, Heeresangchörige: die Zahl der Uebertragun- gen auf die Bevölkerung blieb äußerst geringfügig. Nur im Fahre 1919 war die Gesamtzahl der Erkrankungen höher, näm lich 3549, davon waren jedoch deutsche Zivilpersonen nur 1040: ober in den nächsten, besonders gefährlichen Jahren, in denen Rußland Millionen und Polen Hunderttausende von Erkrankun gen hatte, waren die deutschen Krankheits,zahlen in der Bevöl kerung 114, 27 und 24 auf 483, 427 und 382 eingeschleppte Fälle. Wie ein Versuch wirkte 1920 die Ueber'ührung der Roten Armee in Lager im mittleren Deutschland und ohne durchweg ausrei chende Vorsichtsmaßnahmen, die ohne Nachteile verlief, und der liebertritt von 500 Wolga-Deutschen nach Frankfurt an der Oder im Dezember 1921, von denen bei drei Viertel erst dort die Krankheit ausbrach, ohne jede Folgen für die Bevölkerung. Etwas höhere Zahlen halten durch mehrere Jahre, gerade auch nach dem Kriege. Ruhr und Unterleibstyphus, aber sie liegen bei Typhus doch noch erheblich unter denjenigen Zahlen, die noch Im ersten Jahrzehnt des Jahrhunderts die gewohnten waren, und tanken bei Ruhr bald ab, während die Typhuszahlen allerdings in den Jahren 1923 24 infolge mehrerer stärkerer, rein ört licher Epidemien wieder ein wenig höher geworden sind. Die bei uns einheimischen, epidemischen, akuten, übertrag baren Krankheiten, insbesondere die des Kindesalters, Diph therie und Scharlach, zeigten während des Krieges nach kurzem geringen Anstieg im Anfang bald recht niedrige Werte und nach ihm ein stetes Absinken bis zu einem Tiefstand, wie er seit langen Jahrzehnten überhaupt nicht beobachtet wurde. Diese Erscheinung ist International: auffällig aber bleibt es, daß sich auch Deutschland beteiligte, denn es handelt sich um ausge sprochen übertragbare Krankheiten, und diese Gefahr der Ueber- iragung war durch Wohnungsnot, Zusammendrängen in den wenigen geheizten Räumen, Verkehrsnot, Krankenhausnot, Wä sche- und Seifenmangel auf das äußerste gesteigert. Der Seuchenzug der Influenza 1918 mit seinen Nach zügen 1920 und darüber hinaus war eine Internationale Erscheinung und hatte mit Krieg und Kriegsnot nichts zu tun. Im Gegensatz zu Pocken, Flecksieber »sw., deren Erkran kungsziffern drei- oder vierstellig und deren Todesziffern im Jahre zwei- bis dreistellig blieben, raffte die Influenza im Herbst 1918 in Deutschland in wenigen Wochen mehr als 180000 Menschen dahin, darunter viele jugendliche und besonders kräftige. Mit ihr verband sich eine Steigerung von Todesfäl len an Lungenentzündung, der in den Jahren 1916 und 1917 84 000 und 95 000, im Jahre 1918 dagegen 158 000 Menschen er lagen. Der eigenartige Gang der Tuberkulose st erblich- kelt ist viel erörtert worden. Das jahrzehntelange stetige starke Absinken dieser Sterblichkeit bis zu einem Tiefpunkt im Fahre 1913 setzte sich schon 1914 nicht mehr fort: einer geringen Zunahme der zwei nächsten Jahr« folgte im Jahre 1917, dem Jahre des harten Winters und des Hungerns. plötzlich ein sehr steiler Ausstieg, der 1918 den Höhepunkt und damit den Stand etwa von 1890 erreichte, und dem im Sommer 1919 ein ebenso jäher Abfall folgte, der bis 1921 sich fortsehte und an vielen Orten Sterbezahlen noch unter denjenigen von 1913 ergab. Schon Sem Schmerz sei« Ml Den bängsten Traum begleitet Ein heimliches Gefühl, Dost alles nichts bedeutet. Und war' uns noch so schwül. Da spielt in unser Weinen Ein Lächeln hold hinein. Ich aber möchte meinen. So sollt' es immer sein! Friedrich Hebbel. 1922 kam eine erneuete flache Erhebung, die bis in das nächste Jahr fortdauerte, in das Jahr des Währungsverfalles, um etwa vom November 1923 ab von einem erneuten Absinken gefolgt zu sein, so daß das Jahr 1924 wieder die Zahlen von 1913 und 1921 zu ergeben scheint. Die Steigerung der Tuberkulosesterb lichkeit zu den gleichen Zeiträumen trat auch in England, der Schweiz, sogar in Nordamerika auf, aber in außerordentlich mä ßigerem Grade und von geringerer Dauer. Die überaus hohe Anstiegszacke findet sich nur in Deutschland, Oesterreich und an scheinend in Polen. Die Erklärung steht noch aus, trotz vieler an der Oberfläche hastender Deutungsversuche. Gegen die un mittelbare Einwirkung der Unterernährung auf das häufigere Entstehen der Krankheit spricht die mehrjährige Dauer der Krank heit, gegen die Annahme gesteigerter Ansteckungswirkung der gleiche Grund und der Einwand, daß dann wohl Scharlach und Diphtherie hätten zunehmen müssen. Sie MWslallm ier MsseWlhe« WaüoeMerm Von Abgeordneten Andre, M. d. N. Das Reichsarbeitsministerium hat dem Reichstag den Ent wurf eines zweiten Gesetzes über Aenderungen in der Unfall versicherung vorgelegt, dessen Hauptzweck in der Wiederherstel lung der Friedensleistungen in der Unfallver sicherung besteht. Darüber hinaus bringt aber der Gesetz entwurf eine Reihe wichtiger Neuerungen. Unter die Versicherungspflichtigen-Tätigkeit soll künftig auch die Verwahrung, Instandhaltung und Erneuerung des Ar beitsgerätes treten, auch wenn dieses von der versicherten Ar beitskraft selbst gestellt wird. Inzwischen hat der sozialpoliti sche Ausschuß, entsprechend einem Anträge des Zen trums beschlossen, daß auch die Zurücklegung des Weges zu und von der Arbeitsstätte unter die Unfallversicherung fallen soll. Eine zweite wichtige Neuerung besteht darin, daß sich die Versicherung künftig auf den vollen Iahresarbeitsverdienst bis zu einem Höchstbetrage, der inzwischen vom sozialpolitischen Ausschuß auf 8400 Mark festgestellt worden ist, ausdehnt. Es fallen also alle Arbeiter, Angestellten und B e tr i e b s b e a m t e n unter die Versicherungs- Pflichtige Beschäftigung. Die seitherige Regelung, nach welcher das 1800 Mark über steigende Iahresarbeitsverdienst nur mit )4 bei der Unfallrenten berechnung zugrunde zu legen war, hört damit zu bestehen auf. Die Unfallrentsn für die besser bezahlten Arbeitskräfte passen sich künftig mehr deren wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Stel lung an. Bei Verletzungen sind vom Beginn der neunten Woche (seither vierzehnte Woche) nach dem Unfall zu gewähren: 1. Kran kenbehandlung, 2. Berufsfürsorge, 3. eine Rente für die Dauer l der Erwerbsunfähigkeit. Die Aufnahme der Berufsfürsorge und die Sachleistungen der Unfallversicherung sind neu. Sie sind mit Rücksicht aus die guten Erfahrungen, die hiermit bei dm Kriegsbeschädigten gemacht worden sind, gerechtfertigt. Das Ziel der Unfallversicherung muß sein: Die Menschen kraft zu schützen und sie, so schnell und so weit wie irgendmög lich, wiederherzustellen Von diesem Gedanken ausgehend, baut der Entwurf die Unfallverhütung nach verschiedenen Seiten aus. Er legt weiter den Sachleistungen im Sinne der möglichst vollen Wiederherstellung der Arbeitskraft erhöhte Be deutung bei. Eine Verpflichtung zur Gewährung von Berufs fürsorge besteht nach dem Entwurf nur, solange durch den Un- sali die Erwerbsfähigkeit des Verletzten um mindestens die Hälfte vermindert ist. Sie kann aber auch sonst gewährt werden. Die Krankenbehandlung umsaßt ärztliche Be handlung und die Versorgung mit Arznei und anderen Heil mitteln, Ausstattung mit Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln. Hinsichtlich der Krankenbehandlung dürfte der Entwurf insofern eine Abänderung im sozialen Aus schuß erfahren, als bei schweren Unfällen die Kosten derselben von Anfang an den Berussgenosscnschaften auferlegt werden dürften, um eine einheitliche Regelung in das Heilverfahren hineinzubringen, mährend bei leichteren Unfällen die Kranken kassen allein die gesamten Unkosten der Heilbehandlung zu tra gen haben. Neu ist sodann auch die Gewährung von Pflege. Sie ist solange zu gewähren, als der Verletzte infolge des Unfalles o hilflos ist, daß er nicht ohne fremde Hilfe und Wartung be- tehen kann. Die letztere besteht in der Gestellung von der er. orderlichen Hilfe und Wartung durch Krankenpfleger. Kran, kenschwestern oder in Hauspflege oder in der Zahlung eines Pflegegeldes bis zu 60 Mark monatlich. Die Berufssürsorge hat als Ziel die berufliche Ausbildung zur Wiedergewinnung oder Erhöhung der Erwerbssähigkeit. eventuell die Ergreifung eines neuen Berufes und die Mitwir kung zur Erlangung einer geeigneten Arbeitsstelle. Am schärfsten dürste die Rentenberechnungsgrundlage um« stritten sein. Völlig erwersbunsähige Versicherte sollen ?/,<> des der Nentenberechnung zugrunde gelegten Iahresarbeitsvcr- dienstcs als volle Rente erhalten. Verletzte, die 50 und mehr Prozent erwerbsunfähig sind, sollen den, der Erwerbsunfähig keit entsprechenden Rentensatz auf der gleichen Grundlage der Iahresarbeitsverdienst-Berechnung erhalten. Bei Verletzten mit weniger als 50 Prozent Erwerbsunfähigkeit sollen nur die Hälfte (gegen seither 66)4 Prozent) des Iahresarbeitsverdienstes für die Berechnung der Renten als Grundlage in Frage kommen. Es würde also ein Unfallrentner, der beispielsweise die linke Hand beinahe vollständig verloren hat, bei einem Iahresarbcits- verdienst von 1400 Mark noch 40 Prozent von 700 Mark gleich 280 Mark erhalten müssen. Diese Regelung halten wir nicht für tragbar. Bedenklich ist auch, daß 10- und lüprozentige Renten künftig überhaupt nicht mehr gewährt werden sollen Auch nach dieser Seite be deutet der Entwurf eine merkliche Verschlechterung. Zur Zeit sind bei den gewerblichen Berussgenossenschaften zirka 100 000 und bei den landwirtschaftlichen Berussgenossenschaften zirka 95 000 Renten unter 20 Prozent anerkannt. Zum Teil werden allerdings nur monatliche oder vierteljährliche Rentenbeträge von 1 Mark bezahlt, was ja überall schon zu Beanstandungen ge führt hat. Wir werden an einer Wiederherstellung des Sach wertes auch der kleinen Renten nicht vorbeikommen. Ein Fortschritt besteht dagegen darin, daß Rentner mit 50 und mehr Prozent Erwerbsbeschränkung für jedes Kind bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres eine Kinderzulage in Höhe von 10 Prozent der Rente erhalten sollen. Weiterhin sieht der Ent- wurf eine Verbesserung der Hinterbliebenenbezüge von Unfall verstorbenen nor. Während eine Witwe mit Kind seither nur bis zu 60 Prozent Iahresarbeitsverdienstes Renten erhalten konnte, soll der Rentenbetrag jetzt bis zu 80 Prozent erhöht werden. Der Entwurf enthält sodann ein« Fülle von Bestimmungen über die Neuregelung der Auffichtsrechte. über das Zusammen, arbeiten der technischen Aufsichtsbeamten mit den Gewerbe inspektoren und über die Duchsührung des Unfallversicherungs- schutzes. Er bringt auch gewisse Einschränkungen in dem Selbst- verwaltungsrecht der Berussgenossenschaften zugunsten de» Reichsversicherungsamtes als Auffichtsbehörde, und er schuf be- sondere Uebergänge, um die alten Unsollrentner wieder auf den Friedenswert ihrer Rente zurllckzuführen. Bemerkt sei noch, daß eine Ausdehnung der Unsallversiche- rung aus die Gast- und Schankwirtschaften. Kaffeehäuser, Hotels, die Restaurationsbetriebe, auf di« Dühnenangestellten, die An- gestellten in Laboratorien, in Kranken- und Irrenanstalten, auf die Feuerwehr und andere, noch außerhalb der Unfallversicherung stehenden Berufe nicht stattfindet. Ebenso bleiben diejenigen kleinen Betriebe, die keine 60 Tage im Jahre fremde Personen beschäftigen, nach wie vor von der Unfallversicherung völlig frei. Die Regelung all dieser Fragen soll in einem besonderen Gesetz entwurf erfolgen. Es handelt sich bei der jetzigen Vorlage um ein bedeutsames soziales Gesetz, das allseitig di« größte Beachtung verdient. Die Zentrumsfraktion bezw. ihre Vertreter im sozialen Ausschuß werden sich bemühen, -I« Vorlage so zu gestalten, daß sie unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähig keit der betreffenden Kreise zu einem Instrument der Befriedi gung der Verletzten und damit des sozialen Fortschritts wird. Akademiker und Arbeiter Von Dr. Kurt Reinhardt. Freiburg i. Br. In seiner Essener Rebe während der Tagung des katholischen Akad.'imkcrverbaudes bat Abt Herwegen von Maria-Laach darauf hingcwiesen, inlvicsern es möglich und notwendig sei, das; der Akademiker von heute mindestens in demselben Ausmaße als ein Lernender wie als ein Lehrender zum Arbeiter kommt. Er findet Ln der Arbeiterklasse eine Unverbildetheit und Itiivrr- branchtheit, eine Aufnahmefähigkeit und, wenn er die. rechte Wesse kennt, auch Aiifnahmeiwilligkeit, wie sie ihm sonst nirgendwo begegnen. Tie Neberlast seines Intellektes findet da Erfrischung in dem Anhauch des Lebens, so bitter ernst oder abstoßend brutal cs manchmal sich geben mag. Tie verhängnisvolle Kluft zwischen Wissen und Leben, ein Erbteil des Humanismus, wird auf sol chem Wege am sichersten überbriickt. Es ist in der Tat wahrscheinlich so: Das Eine, was heute not tut, nämlich die Wiedergewinnung des ganzen Volkes zum Geiste wahren Christentums kann sicherftck nur getan »verden unter Füh rung der gebildeten Schicht. Aber diese Schicht kann nur daun ein wahres geistiges Ftthrertnm erlangen, wenn sie die rechte geistige »nd seelische Versassung zu so großem Weck mitbringt. Taz» aber ist es notwendig, daß sie zuerst einmal voll Liebe und Te- »int hinabsteigt zu den Brüdern, die an ihrem Leben leiden. Gebend und empsangend gleicherweise müssen diese beide» Schich ten, sich gegenseitig ergänzend, zu einander kommen. Tie größere Liebe »nd die langmütigere Geduld muß bei dem Gebildeten setn denn er hat die größere Verantwortung zu tragen. Wir sagten es schon, das Endziel soll sein, daß der Ar- beiter in sein Tasein die lebenspendenden Wasser der Religion einsließen läßt und wieder ein gläubiger Mensch wird. Boraus- seßung ist aber, daß man Ihm zunächst einmal dazu verhilfb. Überhaupt wieder ein Mensch zu iverd-n. Und darum muß das was einstweilen noch in seiner Seele schläft, geweckt und 'einem Hunger nach den Reichtümcrn des Lebens in der rechten Weise Erfüllung werden. Wir wisse, es nur zu gut, in welch rasftnierter Weise die sozialistischen und kommunistischen Temngogen das In der Masse Wummernde religiöse Bedürfnis mißbraucht und irr'- geleitet haben. Te.nn nichts anderes Ist es ja, als ein verdrängtes und abgeleitetes refigiöss Empfinden, tv^nn die Masse mit gläubiger Inbrunst ihr Alles an die Chimäre des sozialistischen ZnkunstSstaates und ähnliche Ideologien seht. Es waren immer unr einzelne Führer, die den Massen bas Dogma einhämmern wollten, daß jedwedes religiö'e Empfinden und das Heil des Volkes sich in Todfeindschaft gegenüberstünden — das Volk selbst, Ivenn cs schon nicht mehr an Gott glaubte, so wollte, es ooch zum mindesten glauben an die Freiheit, an die Gleichheit, an die Brüderlichkeit. Es gibt auch heute noch unter „nS einen gewissen Bilduugs- pöbes, der jede höher« Geistes- und Herzensbildung von der Ar beiterklasse sernhalten will, in der abergläubischen Furcht, die Masse könnte darüber zum Bewußtsein il-e wahren Lage erwachen und ihrer Unzufriedenheit in geivaltlamer Abwehr Ausdruck geben. Tos ist eine falsche und verlogene Humanität, wenn man, statt dem Menschen das zu geben, waö seiner würdig ist, ihm nicht zu der Erkenntnis seines Mmschtums verhelfen will. Freilich bedarf es zuvor einer Korrektur unseres land läufigen Bildungsbegriffes. Verstehen wir unter Bildung «in bloßes Aiihänfen von Wissenschaft, einen leblosen Apparat von Begriffen, Vorstellungen, Fakten und Daten so haben wir all d«n unfruchtbaren Intellektualismus, der heute noch vielfach guter „Gebildeten" „Bildung" heißt. Man bleibe damit dem einsachen Manne fern. Verstehen wir aber in ähnlicher Weise, wie unsere-, Klassiker den Begriff faßten, unter Bildung die Kunst ser Men schen- und Geistesformnng, so wüßte ich nicht, was unserer Arbei terklasse mehr not täte als solche Menschenbilder ln großer Zahl. Wie verhält sich aber der Arbeiter zu dem, der kein Lehrer sein will und soll? Das hängt wiederum ganz von dem Balls- bilkner selbst ab. Zunächst stößt man >vohl in den meisten Fällen ans ein durch langiährige Agitation eingewurzeltes Mltztesne«. Spürt aber der einfache Mann, dgß man ohne Hochmut und mit Verständnis und Liebe ihm gcgenübertrit^, jo greift sehr rasch ein Vertrauensverhältnis Platz. Und wenn der Bann cttbrvcheic ist, so macht man immer wieder dir Erfahrung, daß ein sehr empfängliches Gemüt und ein ungebrochekes und meist sehr originelles Denken bereit liegt, das Neue zu empfangen. In Volkshochschiilkursen erlebt man die Freude, daß einzelne Teil nehmer ans dem Arbeiterstande aufgeworfene Fragen mit großer geistiger Energie und Selbständigkeit aufgreifen und weiter ent wickeln. wenn man ihnen nur einen Fingerzeig gegeben hat. Nicht selten trifft man Arbeiter, die nach Beendigung ihrer täg lichen Berufstätigkeit noch die geistige Spannkraft aufbcingen, am Abend einem nicht ganz einfachen Vortrag mit großer Auf» merkjamkeit zu folgen. Und in Kunstausstellungen kann man die Beobachtung machen, daß eine Arbeiterfamilie ergriffen vor einem Bilde verweilt, wess es in der Eigenwssligkelt seiner Formen- jprache seinem unverbildeten Empfinden etwas sagt, während man den „Gebildeten" nach den „Verzeichnungen" fahnden oder witzelnd weitergehen steht. Tie Vorlieb« des Völkes für den Kitsch ist kein Gegenbeweis. Es hängt di« Wärme und Einfalt setn« Gesühls an das Schlecht«, weil man ihm das Bessere nicht gezeigt hat. Bei einer Gegenüberstellung wird sich der Instinkt des unverbildeten Menschen immer für das Ding entscheiden, das am meisten zu seinem Herzen und am eindringlichste» zu seinem Gemüt spricht. Und das ist ein gut« Zeichen. Tenn alle große Kunst spricht elementar zu Herz und Gemüt. Un ere stilisierten Möbel und unsere ganze modern« Zweckkunst ist meist sehr ,erl»n- loS, und wir möchten es nicht als ein Zeichen von mangelndem OualitätSempfinden, sondern eher als Zeichen einer reicheren Gc- »nütswelt ansehen, wenn sich das Volk dafür nicht erwärmt, sondern es liebt, den Geist und Sinn in die schweifende Phan tastik abenteuerlicher Zierformen zu verlieren, da ja der Alltaa eitel Nüchternheit ist. So wird »un sehr deutlich, wie Arbeiter und Akademiker zueinander stehen sollen: vertrauensvoll einander zugewandt, bell»». Teile gebend, beide empfangend. Auf der «inen Seite ein am Leben erzogenes, durch das Sehen erhelltes und geleitetes Wissen, auf der anderen Seite rin durch wahre Bildung becei-j chertes, durch Kulturgüter und Kunst geadeltes, durch di« «eliaioas erhöhtes und verklärtes Leben.
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