Suche löschen...
Sächsische Volkszeitung : 26.04.1925
- Erscheinungsdatum
- 1925-04-26
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192504268
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19250426
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19250426
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1925
-
Monat
1925-04
- Tag 1925-04-26
-
Monat
1925-04
-
Jahr
1925
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 26.04.1925
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Attslorenliriisches Frnhlingssesk Von Alexandra v. Globig-Weitzenbach Leuchtend bricht der Maimorgsn über Florenz und seine Um gebung an. Unten im Tale breitet sich die liebliche Arnostadt einer zarten Wasserrose gleich, in ihrer milden Schönheit aus. wahrend die Gipfel der sie umgebenden Berge von den Strahlen der Morgensoimc goldig erglühen. In weicher Abtönung ziehen sich grau-grüne Olivenhaine an den Abhängen hinauf. Zypres- sengruppen ragen wie schivarzzüngelnde Flcyumen dazwischen em por, sowie zahllose, zerstreut liegende Gehöfte, Kapellen und rot und ivcitz übertünchte Villegiaturen. An jeder Mauer, in jedem Gärtchen wuchert und duftet die üppigste Flora. Rankrosen. Anemonen, Miinosa, Glyzine bilden ein buntes Durcheinander südlicher Farbenpracht. Es ist als habe die Natur ihr schönstes Festgewand angelegt, um dein Wonnemonat einen würdigen Emp fang zu bereiten. Und wie an diesem Maimorgen, so schien auch die italieni sche Frühlingssonne vor vielen Jahrhunderten aus das Arnotai hernieder, damals, als Florenz noch eine düstere, befestigte Stadt mit engen Gassen, zahllosen Türmen und Turmgenossenschaften ivar. Das kriegerische Volk, das innerhalb jener Mauern hauste, wirkte durch unaufhörliche Fehden mehr zerstörend als ausbau end. Von Wissenschaft und Kunst gab es nur wenig Spuren, doch keimte in Florenz schon das neue Leben, das um zwei Jahr hunderte später die Renaissance zur vollen Blüte entfaltete. Zwi schen Parteihader und wildem Bürgerzwist wurde die Feier der Festesstunde um so freudiger begangen, genossen Jugend und Schönheit mit um so größerer Wonne das Glück des Augenblicks. Auf den ruhmreichen Sieg, den die guelfisch gesinnten Flo rentiner 128S bei Campaldino erfochten, folgte in Florenz die Glanzzeit, wo die poesievolle Lenzesfeier des Calendimaggio ein- gesührt wurde. Festlich angetan durchzogen am 1. Mai die Ein wohner die Stadt und ihre Umgebung zur Begrützung des jun gen Frühlings. Ein gar buntes, freudiges Durcheinander spielte sich an jenem Tag in und außerhalb der düsteren Festungsmauern ab. Da sah man reiche Bürger und Kausleute in kurzen, gold- gestickten Mänteln und spitzen Schnabelschuhen einherwandeln. Lichtgekleidete Jungfrauen, das offene Haar mit Blumen be kränzt, sangen und spielten auf Saiteninstrumenten. Unter goldenem, von vier Knappen gteragene.n Baldachin schritt eine stolze Patrizierm in kostbarem Lroliatgewo.nd auf dem Haupte, die ihrem Stand erlaubte Perlenhaube tragend. Dem Zug voran tanzten blumengeschmückte Kinder, vom „signor d'amore' geführt. Taschenspielern jonglierten mit Messern und Eiern, Bänkelsänger warnten in drastischen Versen vor der Minne und ihren Tücken. Marktschreier boten Waren in bunten Schaubuden feil; dazwischen bewegten sich Mönche, Priester und malerisch zerlumpte Bettler. Auf einem Rasenplatz vor der Stadtmauer erging sich die Ju gend im munteren Reigen. Unter Rosenbögen tanzten sie hin durch: dazu ertönten frohe Tanzweisen von Cavalcanti, sämt liche Glocken der Stadt läuteten. Alles war Sang, Klang, Früh lingsrausch und Dust. Siebe, da tritt aus einer engen Gasse, in Begleitung zweier älterer Gesährlin^en, eine wunderbar liebliche, weißgekleidete Frauengestolt heraus und schreitet nach dem offenen Stadttor zu. von woher die Tanzwcisen erklingen. Auch ihr Haar schmückt ein Kränzchen frischer Blumen, freundlich lackttud neigt sie dein blassen Jüngling not feurigen Augen, der in euukler Ge lehrtentracht an einer Mauer lehnt, das Haupt zum Gruß, und dieser Gruß der holdseligen Beatrice ist dem jungen Tante dos Endziel aller Seligkeit. Einer lichten Engelserscheiuuug gleich zieht sie an ihm vorüber, seine Liebe, sein Leben, sein Leid, aas ihn znm Dichter machte: „Um eines Kränzleins mitten, das ich sah. läßt mich erseufzen jede Blume". — Das wonnigste Liebcs- idyll des Mittelalters! Wie zartes, leuchtendes Rosengewiude chllngst du dich durch die Jahrhunderte hindurch, und dein einig rischer Duft weht uns aus fernen Tagen entgegen, da Frau Minne noch als Königin thronte, da Saitenspiel und Lieder zn:n Preis der Liebe erklangen! — Und Liebende sitzen an festlich ge schmückten Tafeln, die von reichen Patriziern innerhalb teppich- ausgeschlagener Holzbauten errichtet worden sind. Rosen han gen in Girlanden von den Decken herab und liegen in üppiger Fülle verstreut auf der buntgedsckten Tafel, zwischen vergoldeten Fischen und Früchten, sowie künstlerisch geformten Pasteten, die in Gestalt von Meeresgöttinnen, Amoretten, Delphinen als Schau stücke prangen. Jeder Ritter teilt dieselbe Schüssel, denselben Becher mit der Dame seines Herzens. Die Blicke eines jungen Edelmannes sind sehnsuchtsvoll nach der Eingangstür gerichtet, durch die eben die wunderschöne Tochter des Gastgebers in pur purnem Gewände hereintnit. Ein llaujeidener, pelzverbrämler Mant'i hängt von ihren zarten Schulter» herab. Perlenschnuren und rote Nasen unterbrechen die Fülle des schwarze» Haares. Auf goldener Schüssel tragt sie den Pfauenbraten. Der Vogel breiter alle seine prächtigen Federn aus. Außerdem sind Schnabel und Pratzen vergoldet, und er scheint Feuer zu speien, denn im Schnabel hat er brennendes Werg. Bei seinem Anblick wird mancher Liebesschwur geleistet. Un.er Musikklängen kreist der Burgunderwein im Pokal. Freilich geschah es dann zuweilen, daß ncuerwachte Parteizwistigkciten in die Festesfreude hinein schrillten, wobei die Festgewänder sich blutig färbten, und was mit Freuden begonnen, ein tragisches Ende nahm. Die Menschen jener Zeit waren leidenschaftlich und »r. wüchsig im Lieben und im Hassen. Doch der Tod hat sie längst vereint: Freunde und Frrnoe, Arme und Reiche, Mächtige und Schwache. Nur von wenigen kennt man noch die Ruhestätte, aber es dünkt einem, als müßten Rosen auf den vergessenen Gräbern jener Menschen blühen, die ihre Feste mit Rosen feier ten. und wie im Traum sieht man die Florentiner und Florcn- tinerinnen verklärt und rosenbekränzt in Dantes Paradies ein- herwandeln. Wanderspruch Der Wandrer, von der Heimat weit. 'Wenn rings die Gründe schweigen. Der Schiffer in Meeres Einsamkeit. Wenn die Stern« aus den Fluten steigen: Die beide schauern und lesen In stiller Nacht. Was sie nicht gedacht, Ta es noch fröhlicher Tag gewesen. Joseph v. Eichendorff. Fern Lm SüÄ... oder bleibe im Lande und wärnie dich redlichk Eine Tragödie von Julius Bender, z. Z. Madrid Nun weiß ich wcnigsteo.s, was Winter heißt. Mir genüg ten die 15 Grad Wärme nicht mehr, die uns der nordische Winter in Berlin bescherte, und ich war veranügungssuchtig genug, zu erwarten, daß die geliebte Sonne auch im Süden hielt, was sie uns iin Norden v"rsprach. Ich hatte in: vorigen Jahr Mitte Marz an den Gestaden Siziliens gebadet, warum sollten die Wogen des Mitieln'ee,.. s >n oiesein Jahr eines ähnlichen Schau spiels für Nereus u.ri» dw anderen Götter entbehren?! Zu Wutterkätt' fuhr ich über Siraßburg. Nizza. L.>n:dcs über die spanische Grenze. Kaum hatte ich sie hinter mir, stellte Pch'bus auch hier die He!-..-., ein In <..on Sebastian konnte inan wenigstens noch ß.: nicke» Pelz spazi.r.:: gehen, dort, wo sre spanische Seoul-ja einig' Tage vorher ->ie herrliche Promenade um die „Soncha", die muschelförruige Bucht. den Badestrand einschließl, im T>.mmerkleide bevölkert »ud tttti't halte. Ich schüttelte den Staub San Sebastians von den Füßen, das dein Wanderer aus dem Norden ewm so kalten Empfang bereitet hatte und beschloß, mich in Santander durch den Genuß des kan- tabrischen Frühlings zu entschädigen. Saniander ist ein bekann ter Badeort mit reizenden Villen, schönen Anlagen und mildem Klima. Der Blick vom „Boulevard" in Santander über die von den Bergen von Solares und Tornos und einem Kranze von gärtengeschmückten Hügel» umrahmte Bucht erinnert au die Aussicht von Sania Lucia in Neapel auf die Gipfel des Veluv. Das milde Klima trügt in normalen Zeilen dazu bei. diese Illu sion zu erhöhen. Mit Feuereifer hatte die Sonne bisher ihre Pflicht getan und dem biederen Volke von Kaniabrien einen Winter beschert, der sich neben den milden Temperaturen des Nordens durchaus sehen lassen konnte. Das sollte nun aus einmal anders werden. Hätten die Bewohner von Santander geahnt, welche Bescherung ihnen eines Abends gegen Ende des 2. Drittels des März die Küstenbahn von Biilao herunterbringe, sie hätten zweifellos vorher den Zug zum Entgleisen gebracht. Genug, kaum war ich in Santander, glaubte Phöbus den Zeitpunkt sür gekommen, auch hier von einer weiteren Heizung abzusehen. Es wurde im mer kälter, und nach einigen Tagen herrschte ein Wetter, sür das man bei uns in Deutschland keinen parlamentarischen 'Ans- druck mehr hat. Erst hagelte es, dann kam zur Abwechslung ein kleines Gewittercheu und fegte ein eisiger Sturm ein Gemisch von Regen und Schnee durch die Straßen dieser schauen, '» schul digen Stadt, daß man glauben konnte, man befände sich aus einem versauten Schützenfest in Nordgrönland. Da gerade Sonnlag ivar, waren die Kaffees am Boulevard sa überfüllt, daß kein Stuhl mehr zu haben war. Die Ileberfüllung brachte mich mit einer Anzahl Vertretern der recht starken deutschen Kolonie von Santander in Berührung, und was ich hier über das Los der zahlreichen Deutschen hörte, die ohne jede Kenntnis von den stren gen Sitten der romanischen Länder mit märchenhaften Illusio nen hier heruntergekommen waren, war recht interessant und leider wenig erfreulich. Ueber dieses Kapitel ivird noch an an derer Stelle zu reden sein. In Santander hielt mich nur die Versicherung aufrecht, daß man sich eines ähnlich schlechten Wetters zu dieser Zeil über haupt nicht erinnern könne. Ich hatte aber auch hier meine Wirkung nicht verfehlt und beschloß, den Schauplatz meiner segensvollen Tätigkeit weiter nach dem Süden zu verlegen. Eine liebliche Nachtfahrt brachte mich nach Madrid: sie wurde verkürzt durch Fieberphantasien von ländlichen Festen in milder Früh- lingsnacht aus einer von Blütenpracht umgebenen Fonda beim berauschenden „viuo dulce". 16 Stunden dauerte diese Fahrt, und wenigstens 12 Stunden davon schlängelte sich der „Süd Ex preß" ohne Unterbrechung durch eine Schncelan" ist, die einem das Herz im Leibe hätte lachen lassen, wenn . mit ticken Pelzen ausgerüstet, die Absicht gehabt Hütte, zur tmlerzeit nach Alaska zu fahren, um dort Weißfüchse zu jagen. Große Strecken hindurch fiel der Schnee in dicken Flocken und nährte i» wir die stille Hoffnung, mein Narttäicnßabinett merkwürdiger Ereig nisse um die neue Tatsache bereichern zu könne». Ende Mär-, auf dem Wege nach Madrid in, Schnee stecke» geblieben zu lein. Diese Freude gönnte mir Phöbus Apoii augenscheinlich nickt, >nn ich mußte mit tiefem Schmerz scststellen, daß der weiße Teppich einige Stunden vor Madrid von uns Abschied »ahm. Es wäre ja auch von mir zu anspruchsvoll gewesen, wenn ich von Phöbus Apollo verlangt hätte, er solle ausgerechnet mit Rücksicht auf mich in Spanien mit einer neuen Eiswit de» Anfang macken. Ich batte allerdings das außerordentliche Entgegenkommen ses mir dauernd gewogenen Phöbus unterschätzt. Senn in Ser sonst so schönen Hauptstadt Spaniens inik ihren von großen Palästen eingerohmten Prachtstraßen, herrschte ein derartig schneidend kalter Wind, als ob alle Eisteusel der Hölle losgeiassen wären. Tie Palmen und andere Kinder einer südlichen Flora sie in den breiten Alleen, auf dem Pasen de! Prado und anderen An lagen hernmstehen, sind Zeugen dasü'n daß in dieser Stack vor meinem Erscheinen ein Klima geherrscht hak"», muß das w.m mit warmem Empfinden »!e ein südliches bezeichnen '..onnie. Lin sehr angesehener Professor der Madrider Universität versicherte mir auch zn meiner lebhaften Freude, daß Madrid ein"! sehr müden Winler gehabt habe und daß diese augenbückli se Witte rung einen völligen Au-mahmewstaiid daistest", es müsse ein ae ans diesem Globus nicht mehr stimmen .... Ich mußte im Stillen lächeln. Ter gute Professt." hatte ein großes Wort gelassen ausgesprochen. Es stimmt 'aiiättckch etwas auf diesem Globus nicht, und nur die wenigsten haben eine Ahnung davon, wieviel auf diesem Globus nicht stimmt. Die nächsten 10 Jahre werden uns in den verschiedensten Richtungen ttebcrraschungen enigegensühren. die ganz ungeheuerlich sinn Ich stelle diese merkwürdige Behauptung auf. ohne zu den Okkul tisten den Spiritisten, den ernsten Bibelforschern oder Adven- tisten in einem anderen als gespannten Verhältniiie zn stehen .. Es gibt eben noch andere Argumente! . Me ich mit dem RSnzel ging .. Eine Kindheitserinnerung von Heinrich Zerkau len Es ist ja eigentlich noch nicht einmal sa lange her, über- i>a»pt, gehen wir nicht immerzu mit einem Ränget durchs Le ben? Da liegen dicht aneinander Enttäuschungen und Freude». Gewinne und Verluste. Bleiben wir nicht immer A-B-C-Schützen des Lebens? Aber damals! Mein Eliernl>aus hatte noch einen niedri gen SciMlkaste», in dein Schuhirxrren ausgestellt standen. Und wenn ich, der Aelteste und Einzige, morgens zur Schule ging, drehte ich mich an der Ecke noch einmal um und winkle mit dem Taschentuch. Denn hinter dem niedrigen Schaukasten stand der Schuhmachermeistcr, mein Vater. Dann drehte ich mich eines Morgens nicht um. denn mein Vater l-atte sparte Worte brauchen müssen kurz vorher. sMit mir ivar nämlich auch früher schon nicht leicht umzugehcn). Also zeigt« ich leider, daß auch ich einen eigenen Kopf haben konnte und drehte mich nicht um zum Gruß. — Heute noch fühle ich, wie hinter dem niedrigen Schaukasten mein Vater stehen muß. Seine Angen brennen mir im Nacken. Heute? Ich möchte mich immerzu umwenden zu dir hi», Ueber Vater — und lernen von dir, lernen . . . » Unsere Lehrerin sah »nach, ob die Hände rein gewaschen nmren und ließ sich auch die Taschentücher vorzeigen. Es gab Strafe, wenn einer kein Taschentuch hatte, oder ebenso schlimm, wenn cs schmutzig war. Ich glänzte immer mit einem schneeweißen Tuch, und wer meine Mutter kennt, dem wird das einleuchten. Zweimal hatte denn auch das Fräulein Lehrerin gar nicht mehr hingesehen zu mir. Es mar ihr selbstverständlich, daß ich ein reines Taschen tuch besaß. Sie sah wieder nach heute. Diesmal kam sie auch an meine Bank. Ich nickte schau vor Freude, daß sie nun auch wieder ein mal mein Tuch sehen sollt«. Ich griff in die gewohnte linke Ho.seniasche. Nanu? In die rechte — in die Bluse — ich wurde heiß im Gesicht vor Schrecken und Angst: kein Taschentuch, „Ich — ich muh das meine draußen im Ueberzieher haben". „Dann hol es dir herein, Heinrich". Aber ich wußte schon, im Mantel konnte cs nicht sein. Dann hatte ich es also vergessen. Und fieberhaft suchte ich alle Mäntel nach einem Taschentuch durch. Und sollte es selbst schmutzig sein, man könnte es rasch unter der Pumpe waschen, Schnupfen und sa. Aber ich fand keins. In fünfundvierzig Mäntein kein Ta- scheninch. , Als ich wieder in das Schulzimmer trat, liefen mir die Hellen Tränen schon aus den Augen. Alles in mir bäumte sich vor Scham. Da schenkte mir in meiner ersten Not dieses Fräulein die erste bewußte Lebensfreude, bi« ich Gott sei Dank seitdem nie wieder verloren hcb. Sie sagte ganz gelassen, und einfach und ohne z» strafen: „Geh es dir holen zn Hanse". Wie schön das Wort heute noch klingt: „Geh es dir holen Z" Hache". Und dann kam der schlimmste Tag meines ersten Schuljahres An meinem Eiiernhans lief eine kleine Vorortbahn vorbei. Saßen ein paar Markisrauen mehr im Wagen als gewohnt, so Halle die Dampflokomotive aste Mühe, ivoiterzukommcn, ächzte und stöhnte, Tin Hauptspaß der Jugend bestand nun darin, kleine Steine in die Schienen zu legen. Ich beteilig!« mich natürlich nie an derlei Streichen. Ich war viel zu zahm dazu. Dach es erging mir ivie mit dem Taschentuch bei dem Fräu lein. Eines Tage-, legte ich schnell und unbeteiligt von de» an dern auch einen Stein dazu. Es war gerade so schönes Wetter, »nd iracndwas mutzte doch angcstellt werden. Kurz, gerade vor meinem Elternhaus, blieb dat Mmmel- bähnche stelpen, einfach stehen, komtte weder vor noch rückwärts. Es gab Reibekuchen mit durchgesiebiein Apselkompott an diesem Mittag. Mein Leibgericht. Ich aber stand hinter dem niedrigen Schaukasten und betete, der liebe Gott möge doch um Himmels willen dat Bimmelbähnche iveiterfahren lassen. Ich glaubte nicht anders, als daß mein harmloser Stein die Lokomotive zum Entgleisen gebracht habe. Und da kam auch schon der Zugführer auf unser Haus zu Er behauptete, ich werfe jeden Mittag Steine in die Schienen. Alle Iungens hätten das gesagt. Alle Iungens Hütten das gesagt? Das war mir ungeheuer lich. Ich ließ sie doch immer und stets in Ruh! Doch mein Vater bot dem Zugführer eine Zigarre an. Ich kam also nicht ins Gefängnis und wurde auch nicht angezeigt. Und da aß ich so viel Reibekuchen mit dnrchgcsiebtem Apselkom pott, baß ich vor Freude Leibschmerzen bekam. Es ist mir erst nachher so recht zum Bewußtsein gekommen, daß einem gerade die mit Vorliebe Böses tun wollen, die man doch immer und stets in Ruhe läßt! Michelangelos Jeichenlmirsl Man Hut gesagt, daß die Zeichenfcder das eigentliche Aus drucksmittel der Kunst Michelangelos gewesen sei, und zweifellos führt nichts anderes so tief in den innersten Kern seines Cchas- fcns als die Betrachtung der zahllosen Entwürfe und Skiz zen. der wunderbaren, feinausgekührten Blätter, in denen er die Visionen seiner Phantasie festhilet. Die Zeichnung war ihm der natürlichste Ausdruck seines Wollens. und wenn er seine Ge dichte auf die mit Skizzen bedeckten Blätter schrieb, so war das nur eine Fortsetzung seiner künstlerischen Bekenntnisse. Da ist cs denn um so merkwürdiger, daß seine Zeichnungen so gar nichts Persönliches enthalten. Seine Kunst war der gemeinen Wirk lichkeit so völlig fern, daß er in ihr auch dem eigenen Ich keinen Raum gönnte. Verglichen mit den Handzeichnungen anoercr großer Meister, wie etwa Dürer oder Nembrandt, haben seine Entwürfe etwas Kaltes, aimen die übermenschliche und zeitlose Stimmung, die seinem Schassen eigen. Das betont A. E. Vrinckmonn in seiner vortresflichen Aus gabe der Zeichnungen Michelangelos, die soeben bei R Pieper n. Eo, in München erscheinen. „Gar nichts von dem. was »ns saust Haudzeichnungen anderer Meister vertraut und werl macht." schreibt er. Kaum spürt man das Erblühen einer Idee, last nickt? von den Ranken einer spielenden Phanlasie. Bei anderen tanckt die Gestaltung aus wie eine Entschleiern»,'. hier s. !,i sie w ttttch uuverrückbac. wie in Erz gegasten da. Gewiß kenn! auch Michel angelo die flüchtige Skizze." Aber dieser merkt man nie ein Tasten nach Gestaltung, immer nur die Eile der Fixierung an. Kaum Ahnungen jenes Reiches, dem wir uns ivurzelverbunden fühlen, denn die Natur in ihrer unerschöpflichen Manni.galüg- kcit besteht für Michelangelo nicht. Auch sein Reich ist ,nu>t von dieser Erde — aber es ist nicht selige Freiheit, sondern es ist die qualvolle Fesselung an die menschlich-übermensch liche Gestalt. Diese Einschränkung geht so weit, daß selbst das Persönliche schwindet. Im gesamten Zeichnungswerk Mi chelangelos findet sich nicht ein Porträlkops. Selbst die Zahlrei chen Abzeichnungen lassen nie die intime Art des Modells erken nen. sie sind Dokumente des Wissens um die absolute Farm, keine Zwiegespräche mit dem anderen Individuum. Mit Einst und Strenge wird die absolute Form gehämmert. Beschäftigt uion sich auch nur kurze Zeit mit Zeichnungen Michelangelos, so er staunt man über die nachhaltige Kraft, mit der sich diese Körper in das Gedächtnis eingraben. Man spürt manchinal einen jast unerträglichen Zivang ohne ihn abschütleln zu können " Michelangelo hat mit der Feder gezeichnet, wobei die Tinte stets verfärbt ist, mit Steinkreidc. mit Rot ei in Farben von Braun bis Zinnoberrot mit schwarzer Kreide. Die malerischen Techniken, wie Lavierungen mit dem Pinsel und bunte Kreiden, fehlen ebenso wie die sonst für die Ausiick!»»g benutzte weiße Kreide, Auch farbiges Papier, wie es i» der vene zianischen Kunst gebräuchlich war und von Dürer sosarl ausge nommen wurde, fehlte bei ihm. 60 Jahre lang hat er ununterbrochen und unennüdl.ch ge zeichnet, und in dieser Zeit macht seine Technik einen b-.-oeni, samen Wandel durch, der der Entsaliung seines Gciühis ent spricht. Zunächst umreißt er die Gestatten in unruhigen schattet Linien, dann werden die Linien freier und iester, sind im S:ricl länger durchgeführt, bekalten aber bis zu seinem 60, Jahre di' gravicrähnliche Wirkung. In der Zeit der Arbeiten an der Deck der Sixtina wird dann die Skizze schwunghafter und manchma geradezu flammend, die Inncnmodellierung schimmernder, unl eine leicht malerische Wirkung macht sich bemerkbar. Im Alte benutzt er dann immer hänsigcr weichen, verwischenden Rötel wodurch der Charakter der Blätter immer malerischer ivird Doö behält die Kontur weiter ihren Wert, und der Körper nur! durch die dunklen Rötelstriche plastisch kerausgemeißell. wie eine Skulptur. Als der 60jährige sein letztes malerisches Weckt, da» Jüngste Gericht, schasst, da gewinnen seine Skizzen eine groß artige Gliederung und Beseelung der Massen. Die nach innen gerichieten Augen des Greises gestalten die schwebenden Visionen der Ewigkeit....
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)