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Nummer 120 - 24. Jahrgang gmal wöchtl. BezuaSprclü: für Mai 8,50 einschl. Bestellgeld. A«zc gcnpreiser Tie laesp. PetiUe>le 3- Stelleugeiuche 20 Die Pettt-Reklamrzeilr 89 Millimeter breit. 1 Osfertengebühr für Selbst abholer 20 H, bei Uebersendung durch die Post außerdem Portozuschlag. Ei»zel>Nr. 10. SonntagS-Nr. 18 L». LeichästUcher Teil: Jojes Fohmann. Dresden. SückMe Mittwoch, 27. Mai 1925 Im Yalle höherer Gewalt erlischt >ede Verpflichtung Anzeigen übernehmen Wortung. Unverlangt eingesandte und mit Rückporto nicht versehene Manuskripte werden nicht aufbewahrt. Sprechstunde der Redaktion ö bis S Uhr nachmittag-, Hauptschriftleiterr Dr. Joses Albert. Dresden. volrsMuna w«s»iist»ft«0e, Dem» und Berlaa, Saxonia- Buchdruckeret GmbH.,DrcLden-A. 1k, Hotbetnsirake 10. fternrui 3272S. Postlchelttouto Dresden >1787. Bankkoino Bassens« 0 Aritzsche, Dresden. Für christliche Politik und Kullur Dresden Redaktion der Sächsischen BolkSzeitnng Sden-AUsl. >6. Hoibeiniirahe IS. zcrurio 3? und 3KL7S Die geistige Verrohung Der parlamentarische Untersuchungsausschuß des vreußischen Landtages, der den Fall Höfle prüft, hat sich vis zum 9. Juni vertagt. In der Hauptsache sind bereits die grundlegenden Feststellungen gemacht worden. Es handelte sich darum, zu erfahren, unterwelchen U m - ständen die Behandlung Höfles im Gefängnis vor sich gegangen ist. Bestimmte Merkmale ließen von Anfang an darauf schließen, daß im Moabiter Untersuchungsgefäng nis sonderbare Zustände geherrscht haben, und daß hier für allenfalls ein ganzes System verantwortlich sei. Eine Untersuchung dieser Zustände war um so eher notwendig, als gleich nach dem Tode Höfles eine gewisse übel berüch tigte Presse die Selbstmordtheorie in die Debatte warf und mit einem sonderlichen Behagen diesen Gedanken immer lauter und frecher verkündete. So trat der Untersuchungsausschuß in Tätigkeit. Und schon nach wenigen Verhandlungstagen hatte sich ein Bild entrollt, wie es kaum häßlicher gedacht werden konnte. Höfle ist, ohne ein einziges Mal ordnungsgemäß untersucht worden zu sein, regelrecht im Gefängnis ver kommen, systematisch in den Tod getrieben. Aerzte und Beamte haben in gröblichster Form ihre Pflichten verletzt und einzig das Pflegepersonal h ä t t e w o h l g e h o l s e n , wenn es gekonnt und gedurft hätte. Die Selbstmordtheorie brach völlig zusammen und wurde als eine der gemeinsten Machenschaften seitens einer gewissen politischen Mächtegruppe enthüllt. Man muß all diese Umstände unter jenem Gesichts punkt betrachten, daß gegen Höfle bis zu seinem Tode auch nicht eine einzige Anklage auf Verbrechen erhoben werden konnte. Es ist notwendig, sich daran zu erinnern. Man wird dann um so besser verstehen, warum die Rechtspresse, also die politische Gegnerin Höfles und der Zentrumspartei (mit Höfle sollte bekannt lich die Zentrumspartei ihren Todesstoß erhalten), warum diese Presse eigentlich überhaupt den Gedanken des Selbstmordes in die Debatte warf und ihn auch heute noch mit der letzten Anstrengung aufrechtzuerhalten sich bemüht. Sie kann das um so besser, als sie vor ihren Le sern den eigentlichen Gang der Verhandlungen im Unter suchungsausschuß geflissentlich verschwiegen oder gefälscht hat. An und für sich ist es im gewöhnlichen Leben so, daß man auch für einen wirklichen Selbstmörder mil dernde Umstände heranholt, wo immer man sie finden kann. Das natürliche Anstandsgefühl gebie tet so etwas ja ohne weiteres jedem Menschen. Warum geben sich nun im Falle Höfle jene Kreise die allererdenk lichste Mühe, die Selbstmordtheorie zu verteidigen? Man muß doch ein Interesse daran haben, wenn man mit so „zäher Energie" immer wieder das als Wahrheit hin stellen möchte, was längst widerlegt wurde. Es ist nicht schwer, dieses Interesse näher zu kennzeichnen. Zunächst hat diese selbe politische Schicht durch ihre Presse jene Sensationen in die Welt gesetzt, die überhaupt zur Verhaf tung Höfles führten. Dieser Vorstoß setzte bekanntlich da mals ein. als die Rechtsparteien mit den allerschärfsten Mitteln das Zentrum entweder völlig auseinanderspreu- gen oder doch wenigstens ganz erheblich verkleinern woll ten. Es war die Zeit der Regierungskrisen, jene Zeit, in der den Deutschnationalen neue Frühlingsgelüste nach Erlangung der politischen Macht kamen und die Volks partei unter Führung des Herrn Stresemann diesen Ge lüsten sich nicht verschlossen zeigte und, um sie zu erfüllen (weil man letzten Endes doch allzu verwandte Ideen mit der äußersten Rechten hat) lieber die staatsmännischen Auf gaben versäumte und sich sowohl im Reich wie in Preu ßen im System des politischen Intrigantentums reichlich übte. Um den vermeintlichen Zersetzungsprozeß des Zen trums zu beschleunigen, wurden also jene Sensationen er funden, die Höfle ins Gefängnis brachten. Als nun plötzlich der Tod Höfles bekannt wurde und auf der anderen Seite festgestellt war, daß jene Sen sationen nicht den Erfolg hatten, auch nur irgendwie den Angeklagten im Sinne eines Verbrechens zu belasten, da war naturgemäß für jene Ankläger eine heikle Situation geschaffen. Und als die ersten Gerüchte von der wider wärtigen Behandlung des Gefangenen auftauchten, wurde die Situation noch verschlimmert. Im Volke ging plötz lich die Erkenntnis auf, daß die Hetze der Rechtspresse buchstäblich die eigentliche Ursache war, die zum Tode Höfles führte und daß durch die Vergiftung der öffent lichen Meinung sich auch Gefängnisärzte und Iustizbeamte zu ihrem so skandalösen Verhalten gegenüber dem Tod kranken und Sterbenden hatten Hinreißen lassen. Was blieb da jenen Hetzern und Sensationsmachern übrig? Um sich zu rechtfertigen, um den Verdacht, daß Höfle durch ihre Schuld im Gefängnis verkommen sei. abzuwenden, wurde in aller Eile die Selbstmordlüge buch stäblich erfun den. Genau mit demselben Raffinement, wie jene ersten Sensationen überhaupt. Zu dem Bestreben, sich selbst rein zu waschen von jeder Mithelferschaft am Tode Höf les kam dann noch ein zweites: Nachdem keine eigent- KIM IM enM-lkWWe KM London, 26. Mai. Die „Westminster Gazette" spricht von einer neuen Krisis in den englisch-französischen Beziehungen. Der diplomatiscl)e Berichterstatter dcs Blattes schreibt: Aus der gestern eingetrosfenen Antwort Briands gehe hervor, daß die Franzosen es ablehnten, daß Deutschland als Mitglied des Völkerbundes das Recht haben sollte, entsprechend den Bestimmungen der Satzungen wegen einer Revision der Ostgrenzen zu appellieren. Ferner besteht Frankreich darauf, daß Deutschland dem Völkerbundsrate gegenüber als Verpflichtung anerkennen müsse, im Kriegsfälle Truppen freien Durchzug durch deutsches Gebiet zu gewahren. Die britische Auffassung sei, daß das Problem der polnischen Gren zen und andere Fragen leichter beseitigt werden könnten, wenn Frankreich das deutsche Angebot eines Sicherheitspaktes im Westen annehmen würde. Großbritannien sei nicht geneigt, Ver pflichtungen für die starre Aufrechterhaltung der polnischen Gren zen für alle Zeiten einzugehen. Zur Verzögerung der Lösung der Kölner Frage bemerkt der ^Korrespondent, die Mei nungsverschiedenheiten wegen der Mantelnote bezögen sich darauf, ob nicht gewisse Punkte des Entwurfes geeignet sein würden, das Ziel der britischen Politik zu vereiteln, die Ab- rüstungs- und die Näumungssragc in Uebereinstimmung mit dem Vortrage zu dem für oie Ruhrräum, ng bestimmten Datum zu regeln. Paris, 26. Mai. Nach Londoner Meldungen hat Briand den Wunsch zum Ausdruck gebracht, daß die französische Antwort auf das deutsche Garantievertragsangebot die einmütige Auf fassung der Alliierten widerspiegele. „Echo de Paris" saht den Inhalt des französischen Memo randums folgendermaßen zusammen: Briand sei der Ansicht, der Garanticvertrag dürfe nur ein Instrument der Ausführungen des Versailler Vertrages sein; er müsse deshalb die Ausführung der Artikel 42, 43 und 44 des Vertrages über die Entmilitarisierung der Rheinlande verbürgen. Durch den aus drücklichen Vorbehalt, daß die Schiedsgerichtsverträge, die Deutschland möglicherweise seinen Nachbarstaaten im Osten vor schlage, keine territorialen. 1919 vertraglich geregelten Fragen zum Gegenstand haben dürften, suche Briand indirekt zu er reichen, daß die Ostgrenze Deutschlands ebenso wie die Westgrenzen bestätigt würden. Durch die Bedingung, daß Deutschland vor der Unterzeichnung des Vertrages in den Völ kerbund cintreten müsse, behalte sich Briano weiterhin die Mög lichkeit vor, auf Grund der Artikel 10 und 16 des Völkerbund paktes Polen und der Tschechoslowakei zu Hilfe zu kommen, falls sie von Deutschland angegriffen würden. Andererseits denke Frankreich nicht daran, Deutschland die Vergünstigung der Artikel 19 und 80 des Versailler Vertrages streitig zu machen, die Gebietsänderungen ermöglichten. Fragt sich nur wo, wenn sämtliche Grenzen garantiert sind. Frankreichs Schwierigkeiten Paris, 26. Mai. Die Kammer nahm gestern die Aussprache über die Berwaltungsreform Elsaß-Lothringens wieder auf. Die einzelnen Redner erörterten eingehend die mit dem Assimilic- rungsprozeß zusammenhängenden Schwierigkeiten. Der Abg. Scher erklärte, die Abgeordneten in Elsaß-Lothringen seien ihren liche Schuld in der Barmataffüre dem Toten nnchgewiesen werden konnte, wünschte man nichts sehnlicher, als daß doch wenigstens das Odium irgendeiner Ver worfenheit (in diesem Falle des Selbstmordes) auf Höfle laste. Durch dieses Odium hoffte man die Nichtschuld Höfles jn Sachen Barmat vergessen zu machen und ein ge eignetes Aequivalent gefunden zu haben, um diesen To ten ein für allemal aus der menschlichen Gesellschaft aus zustoßen. Man muß diese Dinge einmal richtig überlegen, um zu begreifen, welche geistige Verrohung die Unmenge der Sensationszeitungen bekundet. Es wäre Zeit, daß man nicht allein diejenigen öffentlich zum Mörder stempelt, die den letzten entscheidenden Stotz ausführen, sondern auch all jene, die die sog. Mörder erst gedungen haben. Und es ist wahrhaftig nicht zu viel gesagt, wenn man den Fall Höfle in direkten Vergleich setzt mit dem tragischen Tod jener deutschen Staatsmänner, die auch in der Nachkriegs zeit einer unverantwortlichen Pressehetze der Rechten zum Opfer fielen. Aber es scheint fast, als ob die übelsten Drnge erlaubt seien, wenn man sie nur mit den richtigen Farben umgibt. Das Auffallende ist also, daß nur diejeni gen, die mitschuldig sind am Tode Höfles, so über- Ausgaben nicht gewachsen. Er beantragte die Bildung eines Staatssekretariats für Elsaß-Lothringen. Diesem Antrag wider- setzte sich der Abg. Weil, der geltend machte, daß der Innenmini ster in eigener Person die elsaß-lothringischen Angelegenheiten verwalten werde. Der Antrag wurde mit 360 zu 160 Stimmen abge- lehnt. Alle Redner wiesen in längeren Ausführungen auf die Rücksichtnahme hin, die Frankreich Elsaß-Lothringen schulde. Paris, 26. Mai. Der Finanzmimster Caillaux. der in der gestrigen Nachmittagssitzung der Kammer die F i n a n z re f o r m. plane der Regie.rung darlegte, erklärte in Begründung seiner An träge, das zu deckeiHe Defizit betrage ungefähr vier Milliarden Franks. Man fordere keine Erhöhung der Verbrauchssteuern. Jedoch denke man besonders an die Einkommcnsteuererhöhung von 10 auf 20 Prozent. Der letztgenannte Satz gelte für Ein kommen aus Kapitalien. Einkommen bis 20 000 Franks blieben von der vorgeschlagenen Erhöhung befreit. Der Finanzminlster forderte alsdann, daß der Staat das Recht habe, in gewisse Un ternehmungen einzugreifen, die eine Monopolstellung einnehmen. Paris, 26. Mai. Nach einem amtliche» Bericht aus Rabat sind sechs gefährdete französische Posten aus Taonnat und Mon- lay-Ain zurügezogen worden. Jeden Tag treffen in Casablanka zahlreiche Verstärkungen ein, die nach der Kampssront abgehen. Madrid, 26. Mai. Nach aus Fez soeben eingetrosfenen Mel dungen befinden sich die Truppen des Generals Freyden- berg in schweren Kämpfen mit den Riskabylen, deren Zahl an diesem Abschnitt aus 5000 geschätzt wird. Die Kabalen sollen durchweg gut bewaffnet sei" D"«. ist sogar in Fez hörbar. Auch in der Richtung auf Pazza soll eine verstärkte Angriffstätigkeit der Rifkabylen zu spüren sein. Paris, 26. Ria!. Die Kammer hat gestern mit 312 gegen 178 Stimmen die Aussprache über die Marokkofrage a u s M i t t iv o ch vertagt. Die sozialistische Gruppe halte sich für eine Verta gung ausgesprochen, da bis Mittwoch über die Fassung einer Ent schließung sämtlicher Linksparteien verhandelt werden soll. Auch die radikalsozialistische Kammergruppe ist gestern vormittag zu der lleberzengung gekommen, daß die Vertagung der Debatte not wendig sei, damit der Regierung Gelegenheit gegeben werde, oie Verl>andlungen mit Spanien zu Ende zu führen, so daß die Kam- mer bei der Eröffnung der Debatte über das Ergebnis in Kennt nis gesetzt werden könne. Die Abfassung der erwähnten Ent schließung hat Louci>eur übernommen. Sie stimmt den Erklärun gen der Negierung zu, fordert Achtung vor den bestehenden Ver trügen und entbietet zum Schluß den in Marokko kämpfenden Truppen den Gruß Frankreichs. Loucheur wird bei der Aus sprache für seine Entschließung das Vorrecht verlangen Die vier Gruppe» des Linkskartells beschäftigten sich gestern nachmittag mit der Tagesordnung, die am Mittwoch bei der Kammerdebatte über den Marokkokrieg eingefacht werden soll. 110 Redner betonten, die Tagesordnung müsse unzweideutig zum Ausdruck bringen, daß Frankreich in Marokko keinen An griffskrieg führe, und daß der Kampf allein der Sicherheit der französischen Grenzen diene. Der Redner der sozialistischen Partei wird von der Tribüne herab ausdrücklich feststellen, daß Frankreich Fricdcnsverhandlungen mit Ab el Krim nicht ablchnen würde. Malvy berichtete über die Verhandlungen mit der spanischen Regierung. Er erklärte, die spanische Regierung habe die formelle Zusicherung gegeben, daß die Rückbeförderung der marokkanischen Besatzungstruppen eingestellt werde Abd el Krim werde auch in Zukunft gegen zwei Fronten zu Kämpfen haben. Diese Mitteilung machte aus die eNnivesendcn einen tiefen Eindruck. Es wurde beschlossen, daß der Inhalt der Tagesordnung durch eine Unterkommission im Einverständnis mit Painleve festgesetzt wird. Zu Mitgliedern der Unterkom mission wurden Malm), Renaudel und Palmorel ernannt. Sie werden sich heute vormittag zu Painleve begeben. Am Nach mittag tritt das Linkskartell zu einer neuen Besprechung zu sammen. eifrig den Selbstmordgedanken propagierten. Wer keine Schuld am Tode Höfles hatte und kein Interesse daran, daß die Partei des Toten, das Zentrum, durch eben diesen Toten kompromittiert werden sollte, der hütete sich, mit solchem Schmutz sich zu verunreinigen. Auch schon ohne diese Gründe würde es das Zeichen einer tief stehenden Sklavenmoral sein, wenn man sich auf einen Mann, der einmal auf höchstem Posten stand, plötzlich wie eine losgelassene Meute stürzt, seine Verdienste völlig vergißt und sich wohl fühlt, daß man dem Darniederlie genden einige Fußtritte geben kann. Auch der Dresdner Äzgr. benutzte bereitwilligst die Gelegenheit, einen Selbst mörder Höfle zu konstruieren unter Verschweigung jener Tatsachen, die wir in unserer Zeitung über den Gang der Verhandlungen im Untersuchungsausschuß mitteilten. Wir glauben nicht, daß es zum Ansehen dieses Blattes beige tragen hat, als es sich so wohlgemut in dieses Fahrwasser begab. Der Dresdner Anzeiger ist ja bereits eine Sen- sation für sich und ernste Leute nehmen ihn seit langem nicht mehr ernst. Besser stand ihm allerdings noch seine Windrichtungspolitik als diese ausgesprochene tendenziöse Stellungnahme. Daß die übrigen Rechtsblätter sich im selben Fahrwasser bewegen, ist nicht weiter verwunderlich. Den „Dresdner Nachrichten" nimmt man ihre Stellung schon einfach deshalb nicht übel, weil es in ihrem Sy»